Arbeitsrecht

Prozesskostenhilfe, Beschwerde, Beiordnung, Urlaubsabgeltung, Vergleich, Vergleichsmehrwert, Prozesskostenhilfebewilligung, Verfahren, Erinnerung, Antragstellung, Gegenstandswert, Feststellung, Prozesskostenhilfeverfahren, Mehrvergleich, statthafte Beschwerde, vergleichsweise Einigung

Aktenzeichen  6 Ta 275/21

Datum:
23.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 6890
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Ein im Wege der PKH beigeordneter Rechtsanwalt kann nur eine 1,0 Einigungsgebühr, jedoch eine 1,2 Terminsgebühr aus dem Vergleichsmehrwert verlangen.

Verfahrensgang

30 Ca 1954/21 2021-10-28 Bes ARBGMUENCHEN ArbG München

Tenor

Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei wird der Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 28. Oktober 2021 – 30 Ca 1954/21 unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen teilweise abgeändert:
Die der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung wird auf 1.532,71 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten im Kostenfestsetzungsverfahren über die Höhe der dem Prozessbevollmächtigten der Klagepartei aus der Staatskasse zu erstattenden Vergütung.
Die Klagepartei hat sich mit Klage vom 26. Februar 2021 beim Arbeitsgericht München unter Beantragung von Prozesskostenhilfe, auch für einen etwa abgeschlossenen Vergleich, gegen eine ordentliche Kündigung der Beklagten vom 15. Februar 2021 gewandt und mit dem Kündigungsschutzantrag einen allgemeinen Feststellungsantrag, gerichtet auf den unveränderten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nach Ablauf der Kündigungsfrist, angebracht.
Nach ergebnisloser Güteverhandlung am 4. Mai 2021 bat die Prozessbevollmächtigte der Klagepartei mit Schriftsatz vom 16. Juni 2021 um Feststellung des darin enthaltenen Vergleiches gemäß § „289“ VI ZPO. Nach Zustimmung der Gegenpartei stellte das Gericht mit Beschluss vom 28. Juni 2021 nachfolgenden Vergleich fest:
“1. Die Parteien sind sich darüber einig, dass das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher Arbeitgeberkündigung vom 15.02.2021 aus betrieblichen Gründen mit Ablauf des 31.03.2021 geändert hat.
2. Die Beklagte zahlt an die Klägerin eine soziale Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes gemäß §§ 9, 10 KSchG i.H.v. 3.250,00 € brutto.
3. Die Beklagte zahlt an die Klägerin Urlaubsabgeltung für 10 nicht genommene Urlaubstage i.H.v. 979,60 € brutto.
4. Die Beklagte erteilt der Klägerin ein Arbeitszeugnis, welches sich auf Führung und Leistung im Arbeitsverhältnis erstreckt. Die Parteien sind sich darüber einig, dass die Einzel- und Gesamtbeurteilungen zu Leistung und Verhalten jeweils der Note „gut“ entsprechen. Das Zeugnis enthält eine übliche Beschlussformel (Bedauern, Dank und gute Wünsche) ebenfalls der Note „gut“.
5. Mit Erfüllung dieser Vereinbarung sind sämtliche gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis abgegolten und erledigt.“
Das Arbeitsgericht hat der Klagepartei mit Beschluss vom 30. März 2021 ab 1. März 2021 ratenfreie Prozesskostenhilfe für die erste Instanz bewilligt und Rechtsanwältin B. als Prozessvertreterin beigeordnet (Bl. 103 ff. d. PKH-Heftes).
Auf Antrag der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei vom 6. Juli 2021 (Bl. 24 ff. d. A.) hat das Arbeitsgericht in Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfahren auf € 6.367,44 und für den Vergleich auf € 9.468,52 festgesetzt (Bl. 27 ff. d. A.).
Mit Schriftsatz vom 9. August 2021 hat die Prozessbevollmächtigte der Klagepartei die Festsetzung ihrer aus der Staatskasse zu entrichtenden Gebühren auf insgesamt 1.734,41 € begehrt (Bl. I ff. d. Kostenheftes). Hinsichtlich der beantragten Gebühren für den Vergleichsmehrwert wies die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle darauf hin, als Einigungsgebühr für den Vergleichsmehrwert könne nur eine 1,0 Gebühr festgesetzt werden; zwar sei auch beantragt, Gebühren aus dem festgesetzten Vergleichswert zu erstatten, was aber nur in Betracht komme, wenn für die nicht anhängigen Ansprüche entweder davor ein entsprechender Antrag gestellt worden sei oder bei einem stillschweigend gestellten Antrag das Gericht die Prozesskostenhilfe auch für den nicht anhängigen Ansprüche ausdrücklich bewilligt habe (Bl. IV ff. d. Kostenheftes). Hierzu hat die Prozessbevollmächtigte mit Schreiben vom 10. September 2021 Stellung genommen.
Mit Beschluss vom 1. Oktober 2021 hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei zu erstattende Vergütung aus der Staatskasse mit 1.485,58 € festgesetzt (Bl. X ff. d. Kostenheftes).
Dagegen hat die Prozessbevollmächtigte der Klagepartei mit Schriftsatz vom 6. Oktober 2021 (Bl. XV ff. d. Kostenheftes) Erinnerung eingelegt. Dieser hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle nicht abgeholfen und die Angelegenheit der Vorsitzenden zur Entscheidung vorgelegt (Beschluss v. 15. Oktober 2021, Bl. …VI ff. d. Kostenheftes).
Mit Beschluss vom 28. Oktober 2021 hat die Kammervorsitzende die Erinnerung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei zurückgewiesen.
Gegen diesen ihr am 5. November 2021 zugegangenen Beschluss hat die Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 19. November 2021 sofortige Beschwerde erhoben. Diese richtet sich expressis verbis gegen die Versagung einer 1,2 Terminsgebühr auch aus dem Vergleichsmehrwert sowie auf Zahlung einer 1,5 Einigungsgebühr aus dem Vergleichsmehrwert. Das Arbeitsgericht hat dieser Beschwerde mit Beschluss vom 9. Dezember 2021 nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht vorgelegt (Bl. LVI ff. d. Kostenheftes).
Mit Beschluss vom 16. März 2022 hat das Arbeitsgericht die gewährte Prozesskostenhilfe auf den Vergleichsabschluss erstreckt.
II.
Die statthafte Beschwerde hat in der Sache teilweise Erfolg.
1. Die Beschwerde ist zulässig (§ 56 Abs. 2, § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG). Sie ist form- und fristgerecht eingereicht. Der Beschwerdewert ist überschritten.
2. Die Beschwerde hat in der Sache nur teilweise Erfolg.
Das Arbeitsgericht hat die Erinnerung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei gegen den Beschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 15. Oktober 2021 zu Recht mit Beschluss vom 28. Oktober 2021 (in der Sache) zurückgewiesen, soweit diese eine 1,5- Einigungsgebühr begehrt. Eine solche steht ihr aus dem überschießenden Vergleichswert nicht zu, weswegen zu Recht nur eine 1,0-Einigungsgebühr aus dem Mehrwert des Vergleiches festgesetzt worden war. Allerdings kann sie eine 1,2-Terminsgebühr verlangen, da sie die mitverglichenen Gegenstände, wenn auch außerhalb eines gerichtlichen Termines, mit der Gegenseite verhandelt hatte.
a. Die Prozessbevollmächtigte der Klagepartei kann nur eine 1,0 Einigungsgebühr nach Nr. 1003 Abs. 1 Satz 1 VV-RVG n.F., die vorliegend auf das Verfahren Anwendung findet (§ 60 Abs. 1 RVG), verlangen; nach dieser Regelung entsteht nur eine 1,0-Gebühr anstelle der Gebühr nach Nr. 1000 Abs. 1 VV-RVG sowie anstelle der Gebühren nach Nrn. 1001 und 1002 VV-RVG.
aa. Nach Nr. 1003 Abs. 1 Satz 1 VV-RVG n.F. entsteht nur eine 1,0 Einigungsgebühr aus dem Vergleichsmehrwert nach Nr. 1000 Nr. 1 VV-RVG und Nrn. 1001 bis 1002 VVRVG, „…, wenn ein Verfahren über Prozesskostenhilfe anhängig ist, soweit nicht lediglich Prozesskostenhilfe für ein selbständiges Beweisverfahren oder die gerichtliche Protokollierung des Vergleiches beantragt wird oder sich die Beiordnung auf den Abschluss eines Vertrags im Sinne der Nummer 1000 erstreckt (§ 48 Abs. 1, 3 RVG) …“
Entgegen teilweise vertretener Ansicht zur alten Fassung der Nr. 1003 VV-RVG (LAG Düsseldorf v. 25. 9. 2014 – 5 Sa 273/14, NZA-RR 2015, 48; eb. LAG Baden-Württemberg v. 27. 4. 2016 – 5 Ta 118/15, AGS 2016, 323; in diese Richtung auch, wenngleich mit abweichender Begründung: LAG Hamm v. 16. 9. 2015 – 6 Ta 419/15, AGS 2016, 133; LAG Nürnberg v. 26. 7. 2021 – 3 Ta 68/21, juris; LAG Rheinland-Pfalz v. 8. 1. 2020 – 7 Ta 182/19, AE 2020, 134; dagegen u.a. LAG München v. 7. 3. 2016 – 6 Ta 283/15 n.v.; LAG München v. 2. 11. 2016 – 6 Ta 287/16, NZA-RR 2017, 272; LAG München v. 19. 6. 2017 – 6 Ta 123/17 und 6 Ta 167/17, n.v.; LAG München v. 29. 8. 2018 – 6 Ta 133/18 n.v.; LAG München v. 24. 11. 2021 – 6 Ta 182/21, n.v.; LAG München 28. Nov. 2021 – 6 Ta 240/21; zum Streitstand: Mayer/Kroiss/Klees, RVG, 8. Aufl., RVG-VV Nr. 1000 Rz. 21), ist an dieser Rechtsansicht auch unter Geltung der neuen Rechtslage festzuhalten. Selbst wenn vor Gericht ein Vergleich abgeschlossen oder das Gericht um Feststellung eines vor dem ersten Termin vereinbarten Vergleichs gebeten wird, handelt es sich auch nach der nunmehrigen Neufassung von Nr. 1003 Abs. 1 VV-RVG jedenfalls bei einer mit der Klageerhebung beantragten und gewährten Prozesskostenhilfe nicht um eine Prozesskostenhilfebewilligung zur Protokollierung eines Vergleiches. Die Prozesskostenhilfe war für das gesamte gerichtliche Verfahren beantragt und auch bewilligt worden, selbst wenn die Entscheidung erst nach Abschluss des Vergleiches erfolgt. Damit war aber auch keine Beiordnung des Prozessbevollmächtigten zum Abschluss eines Vertrages nach Nr. 1000 VV-RVG i. S. v. Nr. 1003 Abs. 1 VV-RVG n.F. zustande gekommen. Denn auch eine evtl. erst nach Vergleichsschluss bewilligte Prozesskostenhilfe will den Prozessbevollmächtigten der Partei nicht allein zum Vergleichsschluss, also zum Abschluss eines Vertrages nach Nr. 1000 VV-RVG beiordnen, sondern diese soll das gesamte Verfahren ab Klageerhebung bzw. ab Antragstellung abdecken. Dies hat auch dann zu gelten, wenn ein beim Gericht eingeleitetes Verfahren über die Gewährung von Prozesskostenhilfe lediglich die Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf einen Vergleichsmehrwert betrifft, der Vergleich aber noch nicht abgesprochen, sondern allein vorbesprochen war, also das Gericht noch an seinem Zustandekommen und seiner Formulierung mitwirken muss (eb. [zur alten Fassung von Nr. 1003 Abs. 1 VV-RVG] LAG Baden-Württemberg v. 7. 9. 2010 – 5 Ta 132/10, juris; LAG Hamm v. 31. 8. 2007 – 6 Ta 402/07, NZA-RR 2007, 601; LAG Hessen v. 15. 2. 1999 – 9 Ta 12/99, NZA-RR 1999, 380; LAG Nürnberg v. 25. 6. 2009 – 4 Ta 61/09, NZA-RR 2009, 556; LAG Nürnberg v. 2. 11. 2018 – 5 Ta 104/18, JurBüro 2019, 191; LAG Rheinland-Pfalz v. 16. 12. 2010 – 6 Ta 237/10, RPfleger 2011, 403; vgl. i. d. S. auch Toussaint/Uhl, KostR, 51. Aufl. VVRVG 1003 Rz. 11 (Prozesskostenhilfeverfahren, Unanwendbarkeit“)).
bb. Die Parteien hatten vorliegend den prozessbeendenden Vergleich nach § 278 Abs. 6 ZPO feststellen lassen. Ob und inwieweit eine Mitwirkung des Arbeitsgerichts am Zustandekommen und dem Inhalt des Vergleiches stattgefunden hatte, ist danach nicht zu beantworten; aus dem Akteninhalt ergeben sich keine Hinweise. Doch war und ist auch derzeit noch eine Entscheidung über die Erstreckung des Prozesskostenhilfeantrages auf den Mehrvergleich offen. Die Erstreckung der Prozesskostenhilfeentscheidung auf einen etwaigen mehr Vergleich war bereits in der Klage beantragt worden; das Gericht hat nunmehr die Erstreckung entschieden.
cc. Eine Erhöhung der Einigungsgebühr von 1,0 auf 1,5 rechtfertigt sich auch nicht nach dem Gesetzeszweck von Nr. 1000 VV-RVG zur Förderung und Belohnung der Beilegung von Streitigkeiten ohne Anrufung des Gerichts (so LAG Düsseldorf v. 25. 9. 2014 – 5 Sa 273/14, NZA-RR 2015, 48; LAG Düsseldorf v. 13. 10. 2014 – 13 Ta 342/14, NZA-RR 2015, 73; eb. LAG Baden-Württemberg v. 27. 4. 2016 – 5 Ta 118/15, AGS 2016, 323; LAG BerlinBrandenburg v. 16. 4. 2018 – 17 Ta (Kost) 6133/17, BeckRS 2018, 8983; ähnlich, aber mit abweichender Begründung: LAG Hamm v.16. 9. 2015 – 6 Ta 419/15, AGS 2016, 133).
Nach Nr. 1003 VV-RVG erfolgt auch dann eine Anrufung des Gerichts, wenn – wie hier – ein Verfahren über die (Erstreckung der) Prozesskostenhilfe anhängig gemacht wird; ob die mitverglichenen Gegenstände jemals isoliert gerichtlich geltend gemacht geworden wären, ist unerheblich. Damit ist das Gericht kein bloßes „Beurkundungsorgan“ mehr (vgl. dazu LAG München v. 9. 12. 2021 – 6 Ta 259/21). Es stellt keine Erschwerung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung einer bedürftigen Partei dar, wenn ihr Prozessvertreter nur eine 1,0-Einigungsgebühr für den Vergleichsmehrwert erhält (a.M. LAG Berlin-Brandenburg v. 16. 4. 2018 – 17 Ta (Kost) 6133/17, BeckRS 2018, 8983). Auch wenn sich die bedürftige Partei zumeist die höheren Gebühren nicht aus „eigener Tasche“ leisten können wird, so muss sie dies nach der hier vertretenen Ansicht auch nicht. Die Aussage, die Miterledigung nicht rechtshängiger Gegenstände werde, erhalte der Rechtsanwalt nur eine 1,0-Einigungsgebühr, bei einer bedürftigen Partei nicht in gleicher Weise erfolgen wie bei einer nicht bedürftigen, stellt eine durch nichts belegte Aussage dar (vgl. LAG München v. 9. 12. 2021, a. a. O.).
b. Schließlich ändert auch die Entscheidung des Bundesgerichtshofes v. 17. 1. 2018 (a.a.O.) sowie die Formulierung von § 48 RVG n.F. nichts an Vorstehendem. Zwar soll der gegen die Staatskasse gerichtete Vergütungsanspruch eines beigeordneten Rechtsanwalts nach §§ 45 Abs. 1, 48 Abs. 1 RVG grundsätzlich sämtliche anwaltlichen Gebühren, die aufgrund der Tätigkeit des beigeordneten Rechtsanwalts in dem erfassten Verfahrensabschnitt anfallen, erfassen.
Der Bundesgerichtshof erkennt keine auf bestimmte Gebührentatbestände beschränkte Bewilligung der Prozesskostenhilfe und der Rechtsanwaltsbeiordnung an. Die gesetzliche Vergütung des Rechtsanwalts für die Mitwirkung an einem (Mehr-)Vergleich soll sich nicht in der Einigungsgebühr aus dem erhöhten Vergleichswert erschöpfen, sondern sich auch auf die Differenzverfahrens- und -terminsgebühr erstrecken. Daraus folgt jedoch allein, dass die Rechtsanwälte, welche eine unbemittelte Partei, der Prozesskostenhilfe bewilligt worden war, vertreten, dieselben Ansprüche (Terminsgebühr, Einigungsgebühr auch aus einem Vergleichsmehrwert) wie die Prozessbevollmächtigten einer bemittelten Partei beanspruchen können. Auch hier steht der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei eine Einigungsgebühr aus dem Mehrvergleich zu. Die Frage, wie hoch diese Gebühren sein müssen, ist nicht in Richtung einer 1,5 Einigungsgebühr aus dem Vergleichsmehrwert zu beantworten. Zwar mag der Hinweis des Bundesgerichtshofes in der Entscheidung vom 17.01.2018 (a. a. O., Rz. 20) auf eine angenommene Gewährung einer 1,5 Einigungsgebühr hindeuten; dies ließe aber die gesetzliche Regelung in Nr. 1003 Abs. 1 VV-RVG außer Acht. Eine solche Folge ist auch nicht aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz geboten (a.M. LAG Rheinland-Pfalz v. 8. 1. 2020 – 7 Ta 182/19, AE 2020, 134; vgl. aber LAG München v. 9.12.2021, a. a. O.)
Die Neufassung von § 48 RVG gebietet ebenso kein anderes Ergebnis. Auch danach ist Nr. 1003 VV-RVG weiter als Voraussetzung der gesetzlichen Gebührenhöhe zu beachten, die in Fällen – wie hier, da eine Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf den Mehrvergleich noch geboten war – eine Gebühr von lediglich 1,0 vorsieht.
c. Allerdings kann die Prozessbevollmächtigte der Klagepartei eine 1,2 Terminsgebühr aus dem Vergleichsmehrwert verlangen. Ein Anspruch darauf ist weder durch die fehlende Rechtshängigkeit der mitverglichenen Gegenstände noch durch das nicht erfolgte Stattfinden eines Gerichtstermines ausgeschlossen. Ebenso wenig steht die erst zeitlich nach dem Feststehen des festzustellenden Vergleiches erfolgte Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf den Mehrvergleich der Gewährung einer 1,2 Terminsgebühr entgegen.
aa. Nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV-RVG erhält ein Prozessvertreter eine 1,2-Terminsgebühr, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, einvernehmlich zwischen den Parteien nach § 307 ZPO bzw. § 495a ZPO ohne mündliche Verhandlung entschieden wird, gleichgültig, ob mit oder ohne Mitwirkung des Gerichts ein Vertrag im Sinne der Nr. 1000 VV-RVG zustande kommt oder eine Erledigung der Rechtssache nach Nr. 1002 VV-RVG erfolgt.
Vorstehende Voraussetzungen sind hier gegeben. Für das arbeitsgerichtliche Verfahren ist eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben. Die Ausnahmevorschrift des §§ 128 Abs. 2 ZPO findet im Verfahren vor den Arbeitsgerichten keine Anwendung. Dennoch haben die Parteien außergerichtlich und außerhalb einer mündlichen Verhandlung eine vergleichsweise Einigung erzielt, die nach § 278 Abs. 6 ZPO vom Arbeitsgericht festgestellt worden war.
Die Terminsgebühr entsteht nicht nur für die Vertretung vor dem Gericht, sondern auch nach Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV-RVG bei Wahrnehmung außergerichtlicher Termine und Besprechungen (vgl. BAG v. 20. 6. 2006 – 3 AZB 78/05, NZA 2006, 3022).
bb. Die Terminsgebühr ist auch nicht durch Nr. 3104 Abs. 3 VV-RVG ausgeschlossen. Zwar haben die Parteien die Protokollierung eines Vergleiches, beinhaltend auch nicht rechtshängige Ansprüche, beantragt. Allerdings erfasst vorstehende Regelung allein den Fall, dass nicht rechtshängige Ansprüche in einem Vergleich protokolliert werden sollen (vgl. Toussaint/Toussaint, a.a.O., VV-RVG Nr. 3104 Rz. 47). Toussaint (a. a. O.) weist zutreffend darauf hin, dass im Umkehrschluss eine Miterörterung statt einer bloßen Protokollierung auch beim gar nicht anhängigen Anspruch zu vergüten sei (vgl. auch BGH v. 17. 1. 2018 – XII ZB 248/16, NJW 2018, 1679 Rz.11 ff.; OLG München v. 15. 5. 2006 – 11 W 1334, 1336/06, AnwBl 2006, 587).
Die gegenteilige Auffassung des erkennenden Gerichts (zuletzt Beschluss vom 19. 6. 2017 – 6 Ta 123/17) bleibt nicht mehr aufrechterhalten.
cc. Vorliegend haben die Parteien einen Vergleich gemäß § 278 Abs. 6 ZPO vom Gericht feststellen lassen, der die rechtshängigen, wie auch nicht rechtshängige Gegenstände beinhaltet. Sohin fällt nach den vorstehenden Ausführungen eine 1,2-Terminsgebühr an, die auch nicht durch Nr. 3104 Abs. 3 VV-RVG ausgeschlossen ist.
3. Die Entscheidung ergeht kostenfrei (§ 56 Abs. 2 Satz 2, 3 RVG) und ist unanfechtbar (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).


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