Arbeitsrecht

Prozesskostenhilfe, Beweiswürdigung

Aktenzeichen  9 C 20.3161

Datum:
9.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 9521
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 166
ZPO §§ 114 ff.

 

Leitsatz

Verfahrensgang

W 4 K 19.1165 2020-12-02 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

Der Klägerin wird unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 2. Dezember 2020 Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren im ersten Rechtszug unter Beiordnung von Rechtsanwalt … bewilligt.

Gründe

I.
Die Klägerin begehrt Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten für ihre Klage vom 27. August 2019 gegen den Bescheid des Beklagten vom 31. Juli 2019, mit dem dieser das Vorkaufsrecht an dem mit notarieller Urkunde Nr. 141/2019 vom 22. Mai 2019 an den Beigeladenen verkauften Grundstücks FlNr. … Gemarkung M. ausübt.
Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten mit Beschluss vom 11. Mai 2020 ab, weil die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Die Beschwerde der Klägerin hiergegen blieb erfolglos, weil die Klägerin ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht hinreichend glaubhaft gemacht hat (BayVGH, B.v. 4.11.2020 – 9 C 20.1200).
Mit Schriftsatz vom 30. November 2020 beantragte die Klägerin erneut Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten, den das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 2. Dezember 2020 mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg erneut ablehnte. Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren im ersten Rechtszug, da sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann und die Klage nach dem im Prozesskostenhilfeverfahren maßgebenden Prognosemaßstab hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO). Die Beiordnung des Bevollmächtigten beruht auf § 166 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO.
1. Ausweislich der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse 21. April 2016 kann die Klägerin die Kosten der Prozessführung nicht, auch nicht teilweise oder in Raten, selbst aufbringen. Die subjektiven Bewilligungsvoraussetzungen liegen demnach vor.
2. Die Klage bietet nach dem im Verfahren der Prozesskostenhilfe maßgeblichen Prognosemaßstab hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Im Rahmen der Prüfung hinreichender Erfolgsaussichten nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO dürfen die eigentliche Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht aus dem Hauptsacheverfahren in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorverlagert werden und die Anforderungen nicht überspannt werden (BVerfG, B.v. 28.1.2013 – 1 BvR 274/12 – juris Rn. 12). Der Erfolg muss nicht gewiss sein; es genügt eine gewisse Wahrscheinlichkeit die bereits gegeben ist, wenn ein Obsiegen ebenso infrage kommt wie ein Unterliegen. Hinreichend ist die Erfolgsaussicht jedenfalls dann, wenn die Entscheidung von einer schwierigen, ungeklärten Rechtsfrage abhängt oder wenn der vom Beteiligten vertretene Rechtsstandpunkt zumindest vertretbar erscheint (BayVGH, B.v. 22.1.2016 – 9 C 15.2201 – juris Rn. 8). Die Klärung strittiger Rechts- oder Tatsachenfragen hat grundsätzlich nicht im Prozesskostenhilfeverfahren, sondern im Hauptsacheverfahren zu erfolgen; sofern eine Beweiserhebung ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Klägers ausgehen wird, ist grundsätzlich Prozesskostenhilfe zu gewähren (BVerfG, B.v. 28.8.2014 – 1 BvR 3001/11 – juris Rn. 12, 13). Diese Anforderungen hat das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 11. Mai 2020 zwar zu Grunde gelegt, allerdings übersehen, dass hinsichtlich der Formwirksamkeit des Kaufvertrags eine Beweiswürdigung erforderlich ist und diese nicht von vornherein offensichtlich nur zum Nachteil der Klägerin ausfallen kann. Hierzu verhält sich der Beschluss des Verwaltungsgerichts allerdings nicht, sondern stellt lediglich – insoweit allerdings zutreffend – auf die Unbeachtlichkeit der späteren Aufhebung des Kaufvertrags vom 22. Mai 2019 durch den Vertrag vom 22. Juli 2019 ab (vgl. BGH, U.v. 1.10.2010 – V ZR 173/09 – juris Rn. 20).
Das Beurkundungserfordernis erstreckt sich allerdings nicht nur auf die Veräußerungs- und Erwerbsverpflichtung, sondern auf den Vertrag im Ganzen. Formbedürftig sind deshalb alle Vereinbarungen, aus denen sich nach dem Willen der Parteien das schuldrechtliche Veräußerungsgeschäft zusammensetzt (vgl. BayVGH, B.v. 24.8.2011 – 14 ZB 09.2714 – juris Rn. 5). Es bedarf daher weiterer Aufklärung sowie einer Beweiswürdigung, ob eine rechtliche Abhängigkeit des Kaufvertrags von der behaupteten Pflegevereinbarung und ein dahingehender Wille der Vertragsparteien, dass der Kaufvertrag nicht auch ohne diesen nicht beurkundeten Teil einer Pflegevereinbarung geschlossen worden wäre oder eine solche nur (nachträglich) vorgeschoben wurde. Hierbei sind neben dem Vortrag der Beteiligten vor allem der Inhalt der umfangreich protokollierten Nebenabreden im Kaufvertrag vom 22. Mai 2019 zu Wohnrechten, der Kaufpreis im Hinblick auf die Bodenwertigkeit, wie sie in der gutachterlichen Stellungnahme des Dipl.-Ing. … … … … vom 12. Oktober 2018 ermittelt wurde, zu berücksichtigen und zu würdigen. Hierauf ist das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 2. Dezember 2020 nicht eingegangen, abgesehen davon, dass eine Beweisantizipation im Prozesskostenhilfeverfahren nur in eng begrenztem Rahmen zulässig ist (vgl. BVerfG, B.v. 28.8.2014 – 1 BvR 3001/11 – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 3.5.2016 – 9 C 15.2549 – juris Rn. 14) und das Ergebnis hier aufgrund der vorzunehmenden Würdigung der verschiedenen vorgetragenen Argumente und des Sachverhalts auch nicht mit zweifelsfreiem Ergebnis zu Lasten der Klägerin vorweggenommen werden kann.
Eine Kostenentscheidung ist nicht erforderlich, da die Kosten für das Beschwerdeverfahren nicht erstattet werden (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO) und Gerichtsgebühren nur bei einer Zurückweisung der Beschwerde anfallen (Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses der Anlage 1 zum GKG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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