Arbeitsrecht

Rechtsweg für das Feststellen der rechtswidrigen Führung einer Gefangenenpersonalakte

Aktenzeichen  AN 10 K 21.00196

Datum:
22.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 3249
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVollzG § 109, § 110
VwGO § 40
BayStVollzG Art. 195

 

Leitsatz

Bei dem Streitgegenstand betreffend die Führung einer Gefangenenpersonalakte handelt es sich um ein strafvollzugstypisches Problem, weil die Frage der Führung der Gefangenenpersonalakte ua in Art. 195 BayStVollzG geregelt wird und typische Aufgabe im Rahmen des Strafvollzuges ist. Zu dem Gebiet des Strafvollzuges gehört auch die Gewährung oder Verweigerung der Einsicht in die Gefangenenpersonalakte. Die begehrte Feststellung der Rechtswidrigkeit des Führens der Gefangenenpersonalakte kann nicht anders beurteilt werden. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Verwaltungsrechtsweg ist unzulässig.
2. Der Rechtsstreit wird an das sachlich und örtlich zuständige Landgericht … – Strafvollstreckungskammer – verwiesen.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt mit seiner Klage vom 2. Februar 2021 die Feststellung, dass seine Gefangenenpersonalakte rechtswidrig geführt wird. Zur Begründung führt der seit … in der Justizvollzugsanstalt … inhaftierte Kläger aus, dass ständig konkrete Wiederholungsgefahr bestehe und er ein Rehabilitationsinteresse wegen des insofern diskriminierenden Charakters der Maßnahme habe. Die Justizvollzugsanstalt sei nach Art. 195 bzw. 198 BayStVollzG verpflichtet, die Gefangenenpersonalakte vollständig, richtig und fortlaufend zu führen. Es würden jedoch entscheidungserhebliche Unterlagen fehlen.
Mit Schreiben vom 3. Februar 2021 wurden die Beteiligten zur beabsichtigten Verweisung des Rechtsstreites an das Landgericht … – Strafvollstreckungskammer – angehört. Der Beklagte erklärte sich mit Schreiben vom 9. Februar 2021 mit einer Verweisung einverstanden. Der Kläger wandte sich mit Schreiben vom 11. Februar 2021 gegen die beabsichtigte Verweisung, da sein Anliegen (Führung seiner Gefangenenpersonalakte) keine einzelfallbezogene Maßnahme auf dem Gebiet des Strafvollzugs sei und die Strafvollstreckungskammer … ihm mit gerichtlicher Verfügung vom 20. Januar 2021 (Az. …*) mitgeteilt habe, dass sein Anliegen „für die Kammer keiner Prüfung zugänglich“ sei. Als Verwaltungsakte müsse die Führung seiner Akte jedoch angreifbar sein. Zugleich führte der Kläger aus, er möchte „vorschlagen/beantragen, mir die Möglichkeit einzuräumen, einen Prozesskostenhilfe-Antrag einzureichen“.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der vorliegende Rechtsstreit ist nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG an das zuständige Landgericht … – Strafvollstreckungskammer – zu verweisen.
Der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist für das vorliegende Begehren nicht gegeben. Die Streitigkeit ist durch Bundesgesetz – hier §§ 109, 110 StVollzG – einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen. Nach § 109 StVollzG kann gegen eine Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Strafvollzugs gerichtliche Entscheidung beantragt werden; mit dem Antrag kann auch die Verpflichtung zum Erlass einer abgelehnten oder unterlassenen Maßnahme begehrt werden. Über den Antrag entscheidet gem. § 110 Satz 1 StVollzG die Strafvollstreckungskammer, in deren Bezirk die beteiligte Vollzugsbehörde ihren Sitz hat.
In Abgrenzung der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte zu der der Strafvollstreckungskammern ist in erster Linie darauf abzustellen, ob die beanstandete bzw. begehrte Maßnahme einen Bezug zu den fachspezifischen Aufgaben der Strafvollzugsbehörde und zu den besonderen rechtlichen Ausprägungen des Strafvollzugsverhältnisses hat (VG München, B.v. 10.5.2000 – M 29 K 00.233 – juris m.N.). Dabei ist der Begriff der vollzugsbehördlichen Maßnahme nach § 109 StVollzG weiter als der des Verwaltungsakts, der in Art./§ 35 Satz 1 VwVfG im Einzelnen definiert wird. Er umfasst auch schlichtes Verwaltungshandeln auf dem Gebiet des Strafvollzugs (BayVGH v. 15.2.1984, BayVBl 85, 121).
Die Vorschriften des §§ 109, 110 StVollzG weisen den ordentlichen Gerichten eine Entscheidungsbefugnis über die spezifischen Maßnahmen der Vollzugsbehörden auf dem Gebiet des Strafvollzugs zu, um zu verhindern, dass Gerichte zweier verschiedener Gerichtszweige Verwaltungsstreitigkeiten „desselben Rechtsgebiets“ entscheiden; wegen dieser Beschränkung sind alle nicht spezifisch vollzugsbehördlichen Verwaltungsmaßnahmen, die eine Justizvollzugsanstalt in ihrem Zuständigkeitsbereich trifft, von der Rechtswegregelung in §§ 109, 110 StVollzG ausgenommen. Zum Gebiet des Strafvollzugs i.S.v. § 109 Abs. 1 StVollzG gehört eine Maßnahme, wenn sie die Rechtsbeziehungen zwischen dem Staat und dem Gefangenen auf Grund des Strafvollzugsgesetzes ausgestaltet (vgl. VGH Mannheim, B.v. 23.9.2003 – 4 S 2023/03, BeckRS 2003, 24456; Ehlers/Schneider, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 40 Rn. 621). Demnach ist für die Frage der Rechtswegzuweisung darauf abzustellen, ob die angegriffene oder erstrebte Maßnahme in funktionalem Zusammenhang mit dem Strafvollzug steht (BayVGH, BayVBl 85, 121). Maßgeblich ist, ob es sich um eine typische Aufgabe des Strafvollzugs handelt, wobei es darauf ankommt, wie sich der konkrete Lebenssachverhalt bei natürlicher Betrachtungsweise darstellt (BayVGHE 34, 42, 45; vgl. VG München, B.v. 10.5.2000 – a.a.O.).
Nach diesem Maßstab handelt es sich vorliegend um eine Maßnahme auf dem Gebiet des Strafvollzuges. Da sowohl schlicht hoheitliches Handeln wie auch (Justiz-)Verwaltungsakte in die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammern fallen, soweit dadurch eine rechtliche Gestaltung von Lebensverhältnissen des Gefangenen getroffen wurde (vgl. hierzu VG München, B.v. 10.5.2000 – a.a.O. m.N.), bestehen für das Gericht keine Zweifel, dass es sich bei dem vorliegenden Streitgegenstand betreffend die Führung der Gefangenenpersonalakte um ein strafvollzugstypisches Problem handelt. Denn die Frage der Führung der Gefangenenpersonalakte wird u.a. in Art. 195 BayStVollzG geregelt und ist typische Aufgabe im Rahmen des Strafvollzuges. Zu dem Gebiet des Strafvollzuges gehört auch die Gewährung oder Verweigerung der Einsicht in die Gefangenenpersonalakte (Ehlers/Schneider, in: Schoch/Schneider, VwGO, 39. EL Juli 2020, § 40 Rn. 621; vgl. auch OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 29.1.1986 – 2 A 111/84 – juris und BayVGH, B.v. 17.9.2004 – 5 C 04.2590 – juris). Die vorliegend begehrte Feststellung der Rechtswidrigkeit des Führens der Gefangenenpersonalakte kann nicht anders beurteilt werden.
Der Rechtsstreit ist daher von Amts wegen an das sachlich und örtlich zuständige Landgericht … – Strafvollstreckungskammer – zu verweisen (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG). Die Justizvollzugsanstalt … erklärte sich mit der Verweisung einverstanden. Die vom Kläger im Schreiben vom 11. Februar 2021 gemachten Einwendungen greifen nicht durch.
Es erscheint angemessen, die eventuell noch notwendige Klärung, welche Strafvollstreckungskammer örtlich zuständig ist, in die Entscheidung der sachnäheren Spruchkörper der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu stellen.
Die Kostenentscheidung bleibt gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17b Abs. 2 Satz 1 GVG dem Gericht, an das verwiesen wird, vorbehalten.


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