Arbeitsrecht

Rückforderung des Familienzuschlags

Aktenzeichen  M 5 K 18.2939

Datum:
4.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 12095
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBesG Art. 15 Abs. 2 S. 1, 2 u 3, Art. 36 Abs. 1 S. 3

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Rückforderungsbescheid des Landesamts für Finanzen vom … August 2017 und dessen Widerspruchsbescheid vom … Mai 2018 werden aufgehoben.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

1. Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklärt haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
2. Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom … August 2017 und der Widerspruchsbescheid vom … Mai 2018 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei der vorliegenden Anfechtungsklage der der letzten Behördenentscheidung, als des Widerspruchsbescheids vom … Mai 2018, zugestellt am … Mai 2018. Relevant ist daher als Rechtsgrundlage für die Gewährung des Familienzuschlags der Stufe 1 noch Art. 36 Abs. 1 Bayerisches Besoldungsgesetz (BayBesG) in der bis 30. Juni 2018 geltenden Fassung. Deswegen ist es vorliegend irrelevant, dass der damals in Art. 36 Abs. 1 Satz 3 BayBesG geregelte Eigenmittelgrenzbetrag im Falle der Aufnahme eines Kindes in die eigene Wohnung in der ab dem 1. Juli 2018 geltenden Fassung des Art. 36 BayBesG nicht mehr enthalten war.
a) Zunächst ist davon auszugehen, dass der Rückforderungsbetrag in Höhe von 3.721,88 EUR zutreffend errechnet worden ist. Jedenfalls hat der Bevollmächtigte der Klägerin dies im Schriftsatz vom … Juli 2018 zugestanden. Dem Gericht wäre eine eigene Nachberechnung mangels entsprechender Unterlagen in der vom Landesamt vorgelegten Bezügeakte ohne unverhältnismäßigen Aufwand nicht möglich gewesen. Insbesondere fehlt darin die in den Schreiben des Landesamts vom … Dezember 2017 und … Januar 2018 genannte Bezügemitteilung für September 2017, aus der die Berechnung des Rückforderungsbetrags ersichtlich sein soll.
b) Auch folgt das Gericht dem Landesamt in seiner im Widerspruchsbescheid vom … Mai 2018 geäußerten Rechtsauffassung, dass der Rückforderungsanspruch nach Art. 15 Abs. 2 Satz 1 und 2 BayBesG dem Grunde nach entstanden ist.
Die Klägerin haftet gemäß Art. 15 Abs. 2 Satz 2 BayBesG i.V.m. §§ 818 Abs. 4, 819 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) verschärft und kann sich deswegen auf die Einrede der Entreicherung nach § 818 Abs. 3 BGB nicht berufen. Es war ihr anhand des Formulars der von ihr am … November 2013 ausgefüllten FO-Erklärung (Nr. 1.3) deutlich erkennbar, dass zur Ermittlung des Eigenmittelgrenzbetrags nach Art. 36 Abs. 1 Satz 3 BayBesG nach den gesamten für ein Kind zur Verfügung stehenden Mitteln gefragt wurde und nicht etwa nach einem sich z.B. im Falle mehrerer Kinder unter Umständen ergebenden Gesamtbetrag oder Saldierungsbetrag. Ohnehin hätte es nahegelegen, die tatsächlichen Umstände gegenüber ihrem Dienstherrn transparent zu machen, indem sie jeweils zeitnah die entsprechenden Unterhaltstitel (Jugendamtsurkunden vom …1.2009 und …7.2014) offengelegt hätte.
c) Die vom Landesamt im Rahmen des angegriffenen Bescheides getroffene Billigkeitsentscheidung nach Art. 15 Abs. 2 Satz 3 BayBesG hält einer rechtlichen Überprüfung jedoch nicht stand.
aa) Nach dieser Vorschrift kann von der Rückforderung aus Billigkeitsgründen ganz oder teilweise abgesehen werden. Die Entscheidung darüber, ob und inwieweit aus Billigkeitsgründen von der Rückforderung abgesehen wird oder ob Ratenzahlung oder sonstige Erleichterungen zugebilligt werden, steht im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörde. Sie hat die Aufgabe, eine allen Umständen des Einzelfalls gerecht werdende, für die Behörde zumutbare, für den Bereicherten tragbare Lösung zu ermöglichen, bei der auch Alter, Leistungsfähigkeit und sonstige Lebensverhältnisse des Herausgabepflichtigen eine maßgebende Rolle spielen. Sie soll der besonderen Lage des Einzelfalles Rechnung tragen, die formale Strenge des Besoldungs- und Versorgungsrechts auflockern und Ausdruck des auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben sein und sich als sinnvolle Ergänzung des ohnehin von dem gleichen Grundsatz geprägten Rechts der ungerechtfertigten Bereicherung auswirken. Sie ist vor allem in Fällen der verschärften Haftung von Bedeutung (BVerwG U.v. 26.4.2012 – 2 C 4/11 – juris Rn. 18).
Die Rechtsfehlerhaftigkeit einer Billigkeitsentscheidung hat die Rechtswidrigkeit des Rückforderungsbescheids zur Folge. Denn eine Billigkeitsentscheidung zugunsten des Schuldners modifiziert den Rückzahlungsanspruch und betrifft nicht lediglich die Vollziehung oder Vollstreckung eines Rückforderungsbescheids, sondern den materiellen Bestand des Rückforderungsanspruchs. Sie ist daher zwingend vor der Rückforderung zu treffen. Die Billigkeitsentscheidung ist damit notwendiger und untrennbarer Bestand der Rückforderungsentscheidung (BVerwG U. v. 26.4.2012 – 2 C 15/12 – juris Rn. 23).
Von der Rückforderung ist in der Regel dann teilweise abzusehen, wenn der Grund für die Überzahlung in der überwiegenden behördlichen Verantwortung liegt. In diesem Fall ist ein Absehen von der Rückforderung in der Größenordnung von 30% des überzahlten Betrages im Regelfall angemessen (BVerwG U. v. 26.4.2012 – 2 C 4/11 – juris Rn. 20).
bb) Die vom Landesamt getroffene Billigkeitsentscheidung, wonach die entstandene Überzahlung in Höhe von 3.721,88 EUR in voller Höhe zurückgefordert und in monatlichen Raten von 300,00 EUR ab September 2017 von den Bezügen der Klägerin einbehalten wird, erweist sich nach Maßgabe dieser Grundsätze als ermessenfehlerhaft.
(1) Das Landesamt hat im Bescheid und im Widerspruchsbescheid ausgeführt: „Ein Fehlverhalten des Dienstherrn ist ebenfalls in die Entscheidung über die Bewilligung von Ratenzahlung mit eingeflossen und berücksichtigt.“
Sofern man dabei nicht nur von einer Standardfloskel ohne wirklichen Inhalt ausgeht, ist nicht erkennbar, worin das Landesamt selbst ein Fehlverhalten des Dienstherrn gesehen hat. Nach Aktenlage kann es nur darin gelegen haben, nach der FO-Erklärung der Klägerin vom … November 2013 nicht „gemäß der üblichen Praxis“ eine Erläuterung des von der Klägerin erklärten „Ausgleichs“ durch den Kindsvater in Höhe von 86 EUR verlangt zu haben. Solches hat sich jedoch anhand der von der Klägerin gewählten Formulierung und wegen des zuvor in der FO-Erklärung vom … Mai 2010 angegebenen Unterhalts für den Sohn in Höhe von 345 EUR geradezu aufgedrängt. Aufgrund dieses Unterlassens ist es in überwiegender behördlicher Verantwortung zur Fortzahlung des Familienzuschlags der Stufe 1 an die Klägerin bis inklusive März 2017 gekommen. Diese konnte ihren Bezügemitteilungen zwar entnehmen, dass dieser und auch der Familienzuschlag für ein Kind (Unterschiedsbetrag der Stufe 1 zur Stufe 2) gezahlt werden. Aus ihrer Perspektive erfolgte das jedoch zu recht. Ein diesbezüglicher Anlass zur Nachfrage ergab sich für die Klägerin nicht. Dies ist von der oben dargestellten verschärften Haftung der Klägerin wegen ihrer Angaben in der FO-Erklärung streng zu unterscheiden.
(2) Außerdem entspricht es in der Regel der Billigkeit, bei wiederkehrenden Überzahlungen in jeweils geringer Höhe über einen längeren Zeitraum Ratenzahlungen einzuräumen, die dem Überzahlungszeitraum entsprechen (BVerwG U. v. 26.4.2012 – 2 C 4/11 – juris Rn. 22).
Hier hingegen sollte der Überzahlungsbetrag von 3.721,88 EUR in monatlichen Raten von 300 EUR, also mithin binnen knapp 13 Monaten getilgt werden. Die Überzahlungen des Familienzuschlags der Stufe 1 – noch dazu anteilig entsprechend der Teilzeitbeschäftigung der Klägerin – erfolgten jedoch unter Zugrundelegung des Rückforderungszeitraums von Juni 2014 bis zur Einstellung der Zahlung zum 1. April 2017 über einen Zeitraum von 34 Monaten (was – ausgehend vom vollen Rückforderungsbetrag – eine monatliche Rate von rund 109 EUR bedeutet hätte). Diese Zeiträume stehen in einem krassen Missverhältnis zueinander. Zudem dürften monatliche Raten von 300 EUR für die Klägerin nach ihren individuellen Verhältnissen eine erhebliche Belastung dargestellt haben. Insoweit wird jedoch wohl bereits Erledigung eingetreten sein, nachdem die mit September 2017 beginnenden Einbehaltungen der Raten mit Ablauf Oktober 2018 geendet haben dürften. Der Akte des Landesamts lässt sich jedenfalls nichts Gegenteiliges entnehmen.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Wegen der Schwierigkeit der Sache für die Klägerin war auch die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären, § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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