Arbeitsrecht

Sozialrechtlicher Status als “Promoter, Moderator, Walking Act“

Aktenzeichen  L 7 R 260/15

Datum:
20.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IV SGB IV § 7

 

Leitsatz

Die Frage, ob eine Beschäftigung gem. § 7 SGB IV oder eine Selbstständigkeit vorliegt, steht nicht zur Disposition der Beteiligten. Der besondere Schutzzweck der Sozialversicherung schließt es aus, über die rechtliche Einordnung allein nach dem Willen der Vertragsparteien und deren Vereinbarung zu entscheiden. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 15 R 1124/13 2015-02-05 Urt SGMUENCHEN SG München

Tenor

I.
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 5. Februar 2015 wird zurückgewiesen.
II.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selber tragen.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
IV.
Der Streitwert wird festgesetzt auf 5.000,00 Euro.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht München mit Urteil vom 05.02.2012 den streitgegenständlichen Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides aufgehoben und festgestellt, dass keine Versicherungspflicht in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung wegen Geringfügigkeit besteht.
Nach § 7 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.
Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Die das Gesamtbild bestimmenden tatsächlichen Verhältnisse sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben.
Ob eine Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt.
Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die hieraus gezogene Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung gehen der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine – formlose – Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so, wie sie praktiziert wird, und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig ist (BSG, Urteil vom 25.01.2006 – B 12 KR 30/04 R, Urteil vom 29.08.2012 – B 12 KR 25/10 R, Urteil vom 29.08.2012 – B 12 R 14/10 R; Urteil vom 30.04.2013 – B 12 KR 19/11 R).
Für die sozialversicherungsrechtliche Einordnung des bestehenden Rechtsverhältnisses ist jedoch weder die von den Beteiligten gewünschte Rechtsfolge noch die von ihnen gewählte Bezeichnung maßgeblich. Die Frage, ob eine Beschäftigung oder eine Selbstständigkeit vorliegt, steht nicht zur Disposition der Beteiligten. Der besondere Schutzzweck der Sozialversicherung schließt es aus, über die rechtliche Einordnung allein nach dem Willen der Vertragsparteien und deren Vereinbarung zu entscheiden. Vielmehr sind die relevanten Merkmale zu gewichten.
Diesen Grundsätzen folgend ist Ausgangspunkt zunächst, dass zwischen der Klägerin und dem Beigeladen zu 1) keine schriftliche Rahmenvereinbarung über die Zusammenarbeit bestand. Einzelne Aufträge an den Beigeladenen zu 1) wurden von der Klägerin zunächst bei diesem angefragt, der dann nach seinen freien Kapazitäten und im Hinblick auf den Zeiteinsatz und die Fahrtkosten abwog, ob er den Einzelauftrag annahm.
Für die Prüfung des Status des Beigeladenen zu 1) bedeutet dies, dass zwar grundsätzlich der jeweilige Einzelauftrag zu beurteilen ist, gleichzeitig aber auch, dass es sich um einen Auftrag an den Beigeladenen zu 1) als selbstständiger Dienstleister in einem schmalen Marktsegment mit besonderen Fähigkeiten gehandelt hat.
Unter Wertung sämtlicher Merkmale, die einerseits für eine abhängige Beschäftigung – wie sie die Beklagte im streitgegenständlichen Bescheid und Widerspruchsbescheid dargelegt und gewürdigt hat – und andererseits für eine selbstständige Tätigkeit sprechen, kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass der Beigeladene zu 1) im Rahmen seines Dienstleistungsunternehmens die einzelnen Aufträge für die Klägerin als Selbstständiger durchgeführt hat.
Dass der Beigeladene zu 1) für die Klägerin bei deren Endkunden seine Leistung im Dreiecksverhältnis erbrachte, also nicht selbst in einem Vertragsverhältnis mit den Endkunden der Klägerin stand, tritt hier in den Hintergrund. Die Klägerin trat nicht lediglich als Vermittlerin des Beigeladenen zu 1 in Bezug auf ihre Endkunden auf, so dass kein bloßer Vermittlungsvertrag gegeben ist. Vielmehr übernahm die Klägerin die Aufträge selbst und gab dem Beigeladenen zu 1 bei Annahme der Einzelaufträge durch diesen über die Promotion-AGBs Details für die Durchführung des Einzelauftrags vor.
Dennoch ist insoweit weder eine Eingliederung in den Betrieb der Klägerin bzw. des jeweiligen Endkunden der Klägerin noch eine Weisungsbefugnis der Klägerin bzw. von deren Endkunden gegenüber dem Beigeladenen zu 1 dergestalt ersichtlich, dass dieser als abhängig Beschäftigter gelten müsste.
Abzustellen ist vielmehr auf das Gewerbe des Beigeladenen zu 1 insgesamt, das aus der Annahme von Einzelaufträgen in der Werbebranche besteht, bei denen der Beigeladene zu 1 überwiegend seine persönlichen Fähigkeiten, insbesondere seine schauspielerischen und verkaufsfördernden Fähigkeiten, einsetzt. Insoweit ist der Beigeladene zu 1 als Dienstleistungen erbringender Einzelunternehmer tätig, der gezielt seine besonderen Fähigkeiten einsetzt.
Die Modalitäten eines Einzelauftrags sind hier jedoch nicht entscheidend. Vielmehr ist in diesem Fall in erster Linie darauf abzustellen, dass die unternehmerische Freiheit des Beigeladenen zu 1) darin bestand, zusätzlich zu seinen Erträgen aus den Weihnachtsmärkten als Selbstständiger außerhalb der Weihnachtssaison seinen Lebensunterhalt als Selbstständiger durch seinen besonderen Fähigkeiten entsprechende Dienstleistungen zu erwirtschaften. Bei diesen Einzelaufträgen agierte der Beigeladene zu 1 so, dass seine Haupterwerbsquelle auf den Weihnachtsmärkten im Vordergrund stand und er als Dienstleister nur tätig wurde, wenn er sich zeitlich dazu in der Lage sah und der einzelne Auftrag seine selbstständige Tätigkeit auch wirtschaftlich stützte.
Er benötigte insoweit eine Vielzahl von vergleichbaren Aufträgen, wie er sie auch von der Klägerin erhielt, um als selbstständiger Unternehmer Gewinn erzielen zu können. Dementsprechend war der Beigeladene zu 1 bei einer Vielzahl von Auftragsgebern tätig, bei allen regelmäßig nur in geringfügigem Umfang. Insoweit ist der Schwerpunkt bei der Betrachtung der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1 für die Klägerin weniger auf den konkreten Einzelauftrag abzustellen als vielmehr auf die Vielzahl der Auftraggeber sowie auf das für den Beigeladenen zu 1 völlig freie Grundverhältnis zwischen Klägerin und Beigeladenen zu 1, nachdem ein Rahmenvertrag, der den Beigeladenen zu 1 in irgendeiner Weise an die Klägerin binden würde, nicht besteht. Nach Angaben des Beigeladenen zu 1 entscheidet er die Übernahme eines Einzelauftrags danach, ob er an dem Tag, zu dem der ihm angebotene Einzelauftrag durchgeführt werden soll, überhaupt Zeit hat und ob der Auftrag für ihn lukrativ ist im Hinblick auf sein Gewerbe insgesamt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG und der Erwägung, dass die Beklagte mit ihrem Begehren erfolglos blieb.
Der Streitwert wird nach § 52 GKG auf 5.000,00 Euro festgesetzt entsprechend der Rechtsprechung des Senats, die auf der Rechtsprechung des BSG basiert (vgl. Beschluss BayLSG vom 07.07.2015, Az.: L 7 R 3/15 B).
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.


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