Arbeitsrecht

Sozialversicherungspflicht einer Tätigkeit im ambulanten Pflegedienst

Aktenzeichen  L 7 R 5035/17

Datum:
9.5.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 142630
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IV § 7 Abs. 1, § 7a
SGB V § 132a
SGB XI § 72

 

Leitsatz

Zur Abgrenzung abhängiger Beschäftigung von selbständiger Tätigkeit von Pflegefachkräften.
1 Die Tätigkeit als Pflegefachkraft kann sowohl als Beschäftigung als auch im Rahmen einer selbständigen Tätigkeit ausgeübt werden. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
2 Werden im Auftrag eines ambulanten Pflegedienstes Tätigkeiten bei unterschiedlichen Patienten in deren Haushalt ausgeübt und erfolgt die Vergütung auf der Grundlage der geleisteten Stunden, so ist regelmäßig vom Bestehen einer abhängigen Beschäftigung auszugehen. (Rn. 49) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 31 R 1567/15 2017-02-23 GeB SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 23.02.2017 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 08.01.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.06.2015 abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.
Das Urteil des Sozialgerichts ist aufzuheben und die Klage gegen die streitgegenständlichen Bescheide abzuweisen.
Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin und die Beigeladene zu 1) nicht in ihren Rechten. Die Beklagte hat zutreffend festgestellt, dass die Beigeladene zu 1) im streitigen Zeitraum in ihrer für den privaten ambulanten Pflegedienst der Klägerin ausgeübten Tätigkeit als Pflegerin wegen einer abhängigen Beschäftigung in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung versicherungspflichtig war.
Die Beklagte ist in ihren Bescheiden in dem von der Klägerin nach § 7a SGB IV eingeleiteten Anfrageverfahren, in dessen Rahmen sie über die Frage der Sozialversicherungspflicht wegen Beschäftigung der Beigeladenen zu 1) auch – wie hier – nach Beendigung der zu beurteilenden Tätigkeit entscheiden darf (vgl. BSG SozR 4-2400 § 7 a Nr. 3 Rn. 32), auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung aller tatsächlichen Umstände des hier zu beurteilenden Einzelfalls (vgl. § 7 a Abs. 2 SGB IV) zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beigeladene zu 1) in ihrer für die Klägerin ausgeübten Tätigkeit als Pflegefachkraft in der ambulanten Pflege grundsätzlich der Versicherungspflicht wegen abhängiger Beschäftigung unterlag.
Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.
Eine Beschäftigung im Sinne dieser Vorschrift setzt voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist es regelmäßig der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und er dabei eine Zeit, Dauer Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmensrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.
Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Dieses bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen, zu denen die rechtlich relevanten Umstände gehören, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. etwa Urteil vom 29.08.2012, B 12 KR 25/10 R). Maßgeblich ist die zwischen den Beteiligten praktizierte Rechtsbeziehung und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig ist. Ausgangspunkt der Prüfung sind dabei jeweils die vertraglichen Vereinbarungen, soweit solche bestehen.
Rechtlicher Ausgangspunkt der Zusammenarbeit der Klägerin und der Beigeladenen zu 1) im Interesse der schwerstkranken Patienten ist hier der schriftliche KV, aus dem sich die Grundsätze der Zusammenarbeit der Beigeladenen zu 1) mit der Klägerin ergeben. Der KV sieht als Rahmenvertrag für die Zusammenarbeit im Wesentlichen vor, dass die Beigeladene zu 1) von der Klägerin Einzelaufträge erhält, für die jeweils dann noch weitere, dem Einzelauftrag gerecht werdende Vertragsbedingungen, ggf. auch eine abweichende Höhe der Vergütung, ausgehandelt werden könnten. Dies ist jedoch nicht geschehen; vielmehr ist die Beigeladene zu 1) in der streitgegenständlichen Zeit ausschließlich so tätig geworden, dass sie nach Übernahme eines Einzelauftrags für ihre Leistungen Rechnungen an die Klägerin richtete, die auf der im KV vereinbarten Stundenvergütung von 25,50 Euro brutto basierten.
Deshalb hat eine Bewertung der Tätigkeit am Maßstab der von der Rechtsprechung für die Abgrenzung zwischen selbstständiger Tätigkeit und Beschäftigung entwickelten Grundsätze zunächst im Hinblick auf den KV, aber auch an den Bedingungen der konkreten Einsatzaufträge zu erfolgen.
Dabei ist davon auszugehen, dass eine Tätigkeit, wie sie von der Beigeladenen zu 1) als Pflegefachkraft ausgeführt wurde, sowohl als Beschäftigung als auch im Rahmen eines freien Dienstes weiter ausgeübt werden kann (vgl. BSG Urteil vom 28.09.2011, Az.: B 12 R 17/09 R Rz 17 sowie BSG Beschluss vom 13.02.2014 Az.: B 12 R 21/13 B) und zwar auch dann, wenn sie als Einzelperson tätig wird; insoweit weist die Klägerin zu Recht auf § 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI hin.
Ob die konkrete Tätigkeit, wie sie hier ausgeübt wird, dass nämlich im Dreiecksverhältnis zwischen Klägerin und deren Kunden die Beigeladene zu 1) als Erfüllungsgehilfin der Klägerin auftrat, möglicherweise angesichts der Vorgaben des Gesundheitssystems, insbesondere auch der Entscheidung des BSG zur Abrechnungsmöglichkeit von Pflegeleistungen (BSG Beschluss vom 17.03.2015 Az.: B 3 P 1/15 B) bei Erfüllungshilfen durch Selbständige, von vorneherein nur in abhängiger Beschäftigung ausgeübt werden kann, kann dahingestellt bleiben.
Denn maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls auf der Grundlage der Feststellungen der Tatsacheninstanzen (BSG Urteil vom 28.09.2011, Az.: B 12 R 17/09 R Rz. 30). Anders als das Sozialgericht meint, ergibt die insoweit vom BSG vorgegebene Gesamtwürdigung aller entscheidungsrelevanter Merkmale eine abhängige Beschäftigung der Beigeladenen zu 1) bei der Klägerin.
Bei Würdigung aller entscheidungsrelevante Merkmale und Anwendung dieser Grundsätze kommt der Senat – insbesondere unter Einbezug der von der Beklagen in ihrem Bescheid und Widerspruchsbescheid erfolgten Darstellung und Würdigung – zu dem Ergebnis, dass die Beigeladene zu 1) bei Durchführung ihrer Einzelaufträge zur Klägerin in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stand. Die Bewertung und Gewichtung der genannten Abgrenzungsmerkmale zeigen, dass das tatsächlich praktizierte Vertragsverhältnis dem einer abhängig Beschäftigten entspricht, die eine Tätigkeit als Teilzeittätigkeit verrichtet, wohingegen die Aspekte, die für eine Qualifikation der Tätigkeit als selbständige Tätigkeit sprechen, in den Hintergrund treten.
Obwohl der zwischen der Klägerin und der Beigeladenen zu 1) geschlossene KV einige Elemente enthält, die für eine selbständige Tätigkeit sprechen könnten (zB der im Vertrag festgehaltene Wunsch der Vertragspartner, dass eine selbständige Tätigkeit ausgeübt werde; die Möglichkeit, eine Ersatzkraft zu stellen, Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung), spricht die tatsächliche Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses, wie sie sich aus den Angaben der Beteiligten erschließt, überwiegend für eine abhängige Beschäftigung. Insbesondere lassen sich keine wesentlichen, gerade einer Selbständigkeit das Gepräge gebenden Freiräume für die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) feststellen, die einem in vergleichbarer Weise in der Betreuung pflegebedürftiger Menschen tätigen abhängigen Beschäftigten nicht zugestanden hätten (vgl. zu diesem Kriterium BSG, Urteil vom 25.04.2012, B 12 KR 24/10 R; LSG NRW Urteil vom 18.06.2014, L 8 R 1052/12 Rz. 149).
Werden im Auftrag eines ambulanten Pflegedienstes Tätigkeiten bei unterschiedlichen Patienten in deren Haushalt ausgeübt und erfolgt die Vergütung auf der Grundlage der geleisteten Stunden, so ist nämlich regelmäßig vom Bestehen einer abhängigen Beschäftigung auszugehen (BayLSG Urteil vom 16.07.2015, L 7 R 978/12; LSG NRW Urteil vom 27.11.2012, L 8 R 900/11 unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BSG vom 28.09.2011 B 12 R 17/09 R und bestätigt von BSG Beschluss vom 13.02.2014, B 12 R 21/13 B).
Betrachtet man die Fallkonstellationen, wie sie zum einen BSG vom 28.09.2011, B 12 R 17/09 R und zum anderen BayLSG Urteil vom 16.07.2015, L 7 R 978/12 sowie LSG NRW Urteil vom 27.11.2012, L 8 R 900/11 (bestätigt vom BSG mit Beschluss vom 13.02.2014, B12 R 21/13 B) zugrunde lagen, so kommt der Senat im vorliegenden Fall bei Würdigung und Wertung der Einzelumstände zum Ergebnis, dass die Beigeladene zu 1) bei der Klägerin abhängig beschäftigt war.
Eine vertragliche Bindung zwischen den Patienten und der Beigeladenen zu 1) bestand nicht. Die Beigeladene zu 1) hat im Auftrag der Klägerin unterschiedliche Patienten als nicht selbständige Erfüllungsgehilfin der Klägerin betreut. Die Klägerin schloss mit den Patienten Behandlungsverträge ab, die eine Betreuung der Patienten ausschließlich durch die Klägerin vorsahen. Zur Erfüllung ihrer Pflichten aus diesem Vertrag bediente sich die Klägerin der Beigeladenen zu 1), die ihre Rechnung gegenüber der Klägerin stellte. Art und Umfang der Tätigkeit, die bei den einzelnen Patienten verrichtet wurden, ergaben sich aus den entsprechenden Vorgaben im Hinblick auf die Bezahlung der Klägerin durch die Pflegekasse. Vertragliche Vereinbarungen zwischen der zu pflegenden Person und der Beigeladenen zu 1) gab es nicht. Die Abrechnung der gegenüber dem Patienten erbrachten Leistung erfolgte ausschließlich durch die Klägerin gegenüber den jeweiligen Leistungsträgern, insbesondere den Kranken- und Pflegekassen. Bei derartigen Dreiecksverhältnissen besteht regelmäßig ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis (vgl. BSG, Urteil vom 24.03.2016, B 12 KR 20/14 R).
Die Pflege ist letztlich von der Klägerin organisiert worden, die hierfür letztverantwortlich war und demgemäß als vertraglich gegenüber den Patienten Verpflichtete mit der Krankenbzw. Pflegekasse die Leistungen abgerechnet hat. Die Beigeladene zu 1) war dabei in die Organisation und Sicherstellung der umfassenden und lückenlosen Pflege des einzelnen Pflegebedürftigen entsprechend den Vorgaben der Auftraggeber der Klägerin eingebunden und damit auch den Weisungen der Klägerin unterlegen. Die Sicherstellung der Pflege oblag allein der Klägerin, die den Einsatz der einzelnen Kräfte organisieren musste und hierfür auch einen für alle Pflegekräfte verbindlichen Zeitplan erstellte. Bei Übernahme eines Auftrags musste die Beigeladene zu 1) die verbindlich übernommenen Stunden auch erbringen, unabhängig davon, ob es sich um einen Auftrag mit stundenweiser Vergütung oder um einen Auftrag mit einmaliger Projekt-Gesamtvergütung handelte. Entsprechend ist im KV auch festgelegt, dass nach Übernahme eines Auftrags eine Vertretung der Beigeladenen zu 1) nur mit Zustimmung der Klägerin möglich war und der übernommene Einzelauftrag auch nicht mehr ordentlich kündbar war. Die für die Klägerin tätigen Kräfte waren jeweils Teil der Organisation der Klägerin zur Sicherstellung der Pflege und Versorgung ihrer Kunden bzw. Patienten. Sie gingen in dieser Organisation auf.
Auch die beschriebenen Einweisungen, die Bindungen an die im Haushalt ausliegenden Dokumentationen und sonstigen Kontakte bezüglich Nachfragen und notwendigen Koordinierungen mit den im Haushalt tätigen anderen Pflegekräften der Klägerin, die im Hinblick auf die notwendige Abrechnung mit den Pflegekassen notwendigen Feststellungen des Ergebnisses der Arbeiten der Beigeladene zu 1), und die Aufnahme in den Dienstplan ergeben, dass die Beigeladene zu 1) bei ihrer Tätigkeit in den pflegerischen Ablauf deshalb in den Betrieb der Klägerin eingegliedert war (BayLSG Urteil vom 16.07.2015, L 7 R 978/12; vgl. auch LSG NRW Urteil vom 21. November 2012, L 8 R 900/11 Rz 40). Insbesondere mussten Informationen über die Tätigkeiten, die jeweils zu verrichten waren, nicht nur beim ersten Mal bzw. im Rahmen der Übernahme des konkreten Einzelauftrags ausgetauscht werden. Zur Sicherstellung der Qualität der Pflege musste die Beigeladene zu 1) die Klägerin vielmehr stets von sich aus informieren, wenn dies zur ordnungsgemäßen Pflege notwendig war, wie sich auch aus dem KV ergab.
Soweit die Klägerin demgegenüber darauf abhebt, es habe der Beigeladenen zu 1) jeweils freigestanden, welche konkreten Termine sie übernahm, stellt dies kein wesentliches Merkmal für eine selbstständige Tätigkeit dar. Flexible Arbeitszeiten sind häufig auch in abhängigen Beschäftigungen anzutreffen, da Arbeitgeber zunehmend durch flexible Arbeitszeitsysteme wie Gleitzeit etc. den persönlichen Bedürfnissen ihrer Arbeitnehmer entgegenkommen, aber solche Systeme auch zu ihrem Vorteil nutzen, um z.B. zum Teil schwankenden Arbeitsanfall abfedern und teure Arbeitskraft effektiver einsetzen zu können. Dies gilt umso mehr für Tätigkeiten, die nicht in Vollzeit, sondern – wie hier – in Teilzeit ausgeübt werden und so nicht die gesamte Arbeitskraft des Beschäftigten in Anspruch nehmen. Wenn die Beigeladene zu 1) nämlich einen Termin im Rahmen ihres Einzelauftrags zusagte, bestand für sie keine Gestaltungsfreiheit hinsichtlich der zeitlichen Einteilung der auszuführenden Tätigkeiten mehr.
Nur wenig Bedeutung kommt dem Umstand zu, dass die Beigeladene zu 1) nach dem KV berechtigt gewesen wäre, eine Ersatzkraft zu stellen. Zum einen entspricht dies nicht den tatsächlichen Verhältnissen; eine Ersatzkraft wurde nie gestellt. Zum anderen hätte die Klägerin eine Ersatzkraft nach Ziffer IV 3 des Kooperationsvertrages jederzeit ablehnen können.
In der Gesamtbewertung hat zudem wenig Gewicht, dass die tägliche Ausgestaltung der konkret vorzunehmenden Tätigkeiten in den Privathaushalten der zu betreuenden Patienten durch eine Eigenverantwortlichkeit und Selbstständigkeit der Beigeladenen zu 1) geprägt war, wenn sie im Rahmen ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten als ausgebildete Pflegefachkraft mit ihren Spezialkenntnissen tätig wurde. Denn auch eine eigenständige Entscheidungs- und Gestaltungsbefugnis bei der konkreten Ausgestaltung einer Tätigkeit führt regelmäßig nicht zur Selbstständigkeit im Sinne einer unternehmerischen Tätigkeit.
Vielmehr ist es gerade auch für eine abhängige Beschäftigung typisch, dass der Grad der Eigenständigkeit der Ausführung mit dem Grad der Qualifikation des Mitarbeiters und seiner Verantwortung für den Erfolg des Gesamtunternehmens wächst. Dabei wird das Direktionsrecht des Arbeitgebers nicht dadurch beseitigt, dass es nicht in jedem Detail ausgeübt wird. Dies ist bei Diensten höherer Art sogar regelmäßig der Fall, so dass sich das Weisungsrecht des Arbeitgebers zu einer funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinert, wenn der Betreffende in den Betrieb eingegliedert ist (vgl. z.B. BSG Urteil v. 21.02.1990, 12 RK 47/87, SozR 3-2940 § 3 Nr. 1). Ein solches verfeinertes Weisungsrecht hatte die Klägerin gegenüber der Beigeladenen zu 1), da sie gegenüber den Patienten letztverantwortlich war. Von einer Eingliederung der Beigeladenen zu 1) in den Betrieb der Klägerin und einem Weisungsrecht der Klägerin nach Annahme des einzelnen Auftrags ist daher auszugehen.
Soweit die Klägerin darlegt, die Beigeladene zu 1) hätte einzelne Aufträge ablehnen können, so gibt auch dieser Aspekt für die Beurteilung, ob es sich bei der Tätigkeit um eine abhängige oder selbstständige Beschäftigung handelt, wenig her. Lehnt nämlich eine Pflegekraft eine Pflegestelle ab, so hat sie regelmäßig keinen Anspruch auf Übertragung einer anderen. Dies entspricht aber auch der Situation einer angestellten Pflegekraft, die ebenfalls mit dem Risiko des Arbeitsplatzverlustes eine bestimmte Arbeit ablehnen kann (vgl. hierzu z.B. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.12.1999, L 4 KR 2023/98). Im Übrigen müsste der von der Klägerin behaupteten theoretischen Freiheit, einzelne Aufträge abzulehnen, nur untergeordneter Indizwert beigemessen werden, weil dieser Möglichkeit in der Praxis der Beteiligten keine wesentliche Bedeutung zugekommen ist. Ein entsprechendes Beispiel ist jedenfalls von den Beteiligten nicht konkret beschrieben worden (vgl. zur Frage der Delegationsbefugnis BSG, Urteil v. 11.03.2009, B 12 KR 21/07 R Rz. 17).
Die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) war nicht durch ein typisches Unternehmerrisiko gekennzeichnet. Mit diesem Aspekt hat sich das Sozialgericht insbesondere in Anbetracht der klaren Rechtsprechung des BSG hierzu (Urteil vom 24.03.2016, B 12 KR 20/14 R, Rz 21) völlig unzureichend auseinandergesetzt.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist maßgebliches Kriterium für ein Unternehmerrisiko, ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt wird, der Erfolg des Einsatzes der tatsächlichen und persönlichen Mittel also ungewiss ist. Eine solche Ungewissheit hat es hier jedoch nicht gegeben. Tatsächliche Mittel hat die Beigeladene zu 1) nicht in nennenswertem Umfang eingesetzt. Insbesondere fehlt es hier an jeglicher Unternehmensstruktur, wie es Voraussetzung für die Annahme eines selbständigen Einpersonenbetriebes (vgl. § 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI) wäre. Die Beigeladene zu 1) ist nicht als Unternehmen auf dem freien Markt aufgetreten und hat entsprechende Werbung betrieben; vielmehr ist sie in ihrem Privat-Kfz auch ohne entsprechende Werbung auf dem Kfz zu den Patienten gefahren. Einen Internetauftritt hatte sie als Unternehmen nicht. Eine steuerliche Auflistung über einen Einkauf von Hilfsmitteln, die sie nach ihren Angaben auf eigene Rechnung bei den Patienten benötigte, oder Arbeitskleidung, die sie verwendete, oder eine Fahrtenbuchführung mit einer Abrechnung von betrieblich veranlassten Tankbelegen, hat sie offensichtlich – wie bei einem Unternehmen üblich – nicht vorgenommen. Genauso wenig ist ersichtlich, dass die Beigeladene zu 1) über geschäftliche Räume außerhalb ihres Privatbereiches verfügte. An einer unternehmerischen Kalkulation, die Voraussetzung jeder unternehmerischer Tätigkeit ist, fehlt es hier völlig.
Insbesondere soweit die Beigeladene zu 1) ihren eigenen Pkw dazu benutzt hat, die jeweiligen Patientenwohnungen zu erreichen, liegt hierin, kein wesentliches unternehmerisches Risiko. Denn zum einen muss auch der typische Arbeitnehmer dafür Sorge tragen, seinen Arbeitsplatz zu erreichen. Soweit die Angestellten der Klägerin über ein Dienst-Kfz verfügten und die Beigeladene zu 1) nicht, stellt dies kein unternehmerisches Risiko dar, da die höhere Stundenvergütung der Beigeladenen zu 1) dies nach der vertraglichen Gestaltung offensichtlich abdecken sollte.
Ein Verlustrisiko hinsichtlich des Einsatzes ihrer Arbeitskraft hat die Beigeladene zu 1) nicht getragen, da sie eben gerade nicht nach Erfolg, sondern nur nach tatsächlichem Zeitaufwand entlohnt wurde. Eine über die vereinbarte Vergütung hinausgehende Verdienstmöglichkeit (zB Erfolgsprämie vgl. etwa BSG Urteil vom 31.03.2015, B 12 KR 17/13 R Rz. 27) bestand nicht. Vielmehr fehlt es an einer nachvollziehbaren unternehmerischen Kalkulation bei den Beigeladenen zu 1), die auf der einen Seite mit einer Vergütung ihrer Arbeitskraft auskommen musste, andererseits es aber unterlassen hat, dem Verdienst vor allem auch eine – für eine selbständige Tätigkeit entsprechend notwendige – hinreichende soziale Absicherung gegenüberzustellen.
Das Fehlen von Regelungen zu Ansprüchen auf Urlaubsentgelt bzw. Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall rechtfertigt für sich genommen nicht die Annahme eines unternehmerischen Risikos. Die Überbürdung sozialer Risiken abweichend von der das Arbeitsrecht prägenden Risikoverteilung ist nur dann ein gewichtiges Indiz für unternehmerisches Handeln, wenn damit auch tatsächliche Chancen einer Einkommenserzielung verbunden sind, also eine Erweiterung der unternehmerischen Möglichkeiten stattfindet (BSG, Urteil vom 11.03.2009, B 12 KR 21/07 R). Hierfür ist im vorliegenden Fall jedoch nichts ersichtlich.
Im Ergebnis ergibt eine Würdigung der Gesamtumstände, dass die Beigeladene zu 1) bei der Klägerin abhängig beschäftigt ist, so dass die Berufung der Beklagten Erfolg hat. Anzumerken ist, dass zur Abführung der Sozialversicherungsbeiträge allein die Klägerin verpflichtet ist; eine Belastung der Beigeladenen zu 1) hiermit – wie es mit Ziffer VII 2 des Kooperationsvertrages beabsichtigt ist – wäre sittenwidrig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG und der Erwägung, dass die Klägerin mit ihrem Begehren erfolglos blieb.
Der Streitwert wird gemäß § 197a i.V.m. § 52 Gerichtskostengesetz (GKG) angesichts fehlender Anhaltspunkte gemäß der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG vom 28.11.2011, B 12 R 17/09 R) mit 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.


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