Arbeitsrecht

Status eines Erziehungsbeistands

Aktenzeichen  S 31 R 1089/15

Datum:
14.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IV §§ 7 I, 7a SGB IV

 

Leitsatz

Zum Status eines Erziehungsbeistands/Familienhelfers gemäß § 7 SGB IV. (amtlicher Leitsatz)
Nicht beschäftigt, sondern selbstständig ist ein Erziehungsbeistand, der auf Einzelvertragsbasis sowie außerhalb fremder Arbeitsorganisation tätig ist und werbend auf dem Markt auftritt. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Bescheid vom 25.09.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.04.2015 wird aufgehoben.
II.
Es wird festgestellt, dass der Kläger seit 05.08.2013 beim Beigeladenen als Erziehungsbeistand nicht im Sinne von § 7 SGB IV beschäftigt ist und daher insoweit keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung besteht.
III.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Gründe

Die Klage ist zulässig und in vollem Umfang begründet.
Der Kläger steht nicht in einem Beschäftigungsverhältnis zum Beigeladenen. Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung besteht aufgrund der Tätigkeit für den Beigeladenen nicht.
Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für Beschäftigung sind: Tätigkeit nach Weisungen und Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV).
Die Zuordnung einer Tätigkeit zum Typus der Beschäftigung oder der selbstständigen Tätigkeit erfolgt nach der ständigen Rechtsprechung des BSG nach ihrem Gesamtbild: Festzustellen sind anhand des Einzelfalls alle Indizien, die für Beschäftigung sprechen, sowie alle Indizien, die für Selbstständigkeit sprechen. Sodann ist eine Abwägung vorzunehmen, welche Indizien überwiegen und der Tätigkeit das Gepräge geben.
Ausgangspunkt ist dabei zunächst der von den Beteiligten geschlossene Vertrag, hier also die jeweils für den einzelnen Auftrag geschlossenen Honorarverträge. Zu berücksichtigen sind allerdings auch die tatsächlichen Verhältnisse, wenn und soweit sie von den vertraglichen Regelungen maßgeblich abweisen. Dem Willen der Vertragsparteien hinsichtlich des Status der vertraglich geschuldeten Tätigkeit kommt nur indizielle Bedeutung zu, da es nicht der Vertragsfreiheit unterliegt, den sozialversicherungsrechtlichen Status einer Tätigkeit zu wählen.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ergibt sich vorliegend nach Auffassung des erkennenden Gerichts klar, dass der Kläger nicht in einem Beschäftigungsverhältnis zum Beigeladenen stand oder steht.
Ausgehend vom Gesetzeswortlaut des § 7 Abs. 1 SGB IV sind die wichtigsten Kriterien für eine Beschäftigung eine Tätigkeit nach Weisungen und die Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Beides ist vorliegend nicht der Fall.
Der Kläger ist in keiner Weise in die Arbeitsorganisation des Beigeladenen eingegliedert. Weder wird er in den Räumen des Beigeladenen tätig, noch hat er dort einen Arbeitsplatz. Er nimmt auch nicht an Teambesprechungen des Beigeladenen teil. Zwar ist er laut Honorarvertrag berechtigt, Stunden für Teambesprechungen in Rechnung zu stellen, jedoch sieht der Vertag keine Verpflichtung zur Teilnahme an solchen Besprechungen vor, und tatsächlich hat der Kläger auch nie an derartigen Besprechungen teilgenommen. Der Kläger ist auch nicht Teil des Dienstplans des Beigeladenen. Der Beigeladene beschäftigt keine Angestellten oder Beamten, die die gleiche Tätigkeit verrichten, wie der Kläger. Soweit der Kläger sich zum Zwecke der Erstellung des Hilfeplans mit Angestellten des Beigeladenen zu Besprechungen trifft, findet dies nicht grundsätzlich in den Räumen des Beigeladenen statt, sondern an wechselnden Orten: Entweder im Büro des Klägers oder vor Ort bei der hilfebedürftigen Familie, oder beim Beigeladenen. Aus letzterem kann selbstverständlich keine Eingliederung in die Organisation des Beigeladenen abgeleitet werden. Der Kläger tritt im Übrigen nicht nach außen als Arbeitnehmer des Beigeladenen auf.
Eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Beigeladenen ist demnach nicht gegeben.
Ebenso wenig liegt eine Tätigkeit nach Weisungen vor. Wie das BSG in seinem Urteil vom 25.04.2012 (Az.: B 12 KR 14/10 R) ausführlich dargelegt hat, kann allein aus der Tatsache, dass der Beigeladene nach den Regelungen des SGB VIII die Gesamtverantwortung für die Erbringung von Familien- und Erziehungshilfe trägt, nicht darauf geschlossen werden, dass Familienhilfe ausschließlich im Rahmen weisungsgebundener Beschäftigung geleistet werden könnte. Demnach trifft das SGB VIII schon von seinem Regelungsansatz her keine Aussagen über den arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Status eines Familien- oder Erziehungshelfers. Nicht nachvollziehbar ist daher, dass die Beklagte ihre Statusfeststellung nach wie vor mit diesem Argument begründet.
Eine arbeitsrechtliche Weisungsgebundenheit kann ferner nicht abgeleitet werden aus der Tatsache, dass der Beigeladene maßgeblich bei der Erstellung des Hilfeplanes im Sinne von § 36 SGB VIII mitwirkt. Wie von den Beteiligten glaubhaft dargelegt, wird der Hilfeplan und vor allem die darin enthaltenen Ziele durch eine gemeinsame Anstrengung aller an der Hilfsmaßnahme Beteiligten erstellt. Dieses Vorgehen ist unerlässlich, um erfolgreiche Hilfe zu ermöglichen, da ein einseitiges Aufstellen von Zielen seitens des Trägers der Jugendhilfe ohne Beteiligung und Mitsprache sowohl des Hilfebedürftigen als auch desjenigen, der die Hilfe dann tatsächlich leistet, kaum zur Akzeptanz des Hilfeplans und der Erreichung der Ziele führen würden. Auch wenn der Beigeladene das „letzte Wort“ als Gesamtverantwortlicher innehat, bedeutet dies nicht, dass darin ein Arbeitgeberdirektionsrecht zu sehen wäre. Insofern lässt sich die Sachlage vergleichen mit einem Bauherrn, der einem Handwerksmeister durchaus rechtsverbindlich ein Ziel vorgeben kann, ohne dass die Selbstständigkeit des Handwerksmeisters in Frage stünde oder hieraus geschlossen werden könnte, dass der Bauherr auch weisungsberechtigt wäre hinsichtlich der Frage, auf welchem Wege das Ziel zu erreichen ist. Diesbezüglich ist der Handwerksmeister – ebenso wie der Kläger im Verhältnis zum Beigeladenen – völlig frei. Es wird auch von der Beklagten nicht in Frage gestellt, dass Weisungen betreffend das „Wie“ der Zielerreichung vom Beigeladenen nicht gegeben werden.
Auch die Berichtspflichten des Klägers geben keinen Anlass, von einem Arbeitgeberweisungsrecht des Beigeladenen auszugehen. Der Beigeladene lässt sich als Träger der Gesamtverantwortung regelmäßig, in der Regel alle 6 Monate, über den Stand der Hilfe und der Zielerreichung berichten. Dies geschieht nicht, weil der Beigeladene den Kläger wie ein Arbeitgeber kontrollieren möchte, sondern weil er diese Informationen benötigt, um sich ein Bild über die Sinnhaftigkeit des bisherigen Hilfeplans zu machen und einen neuen Hilfeplan aufstellen zu können.
Des Weiteren hat der Kläger auch in wirtschaftlicher Hinsicht unternehmerische Freiheit:
Diese zeigt sich darin, dass er völlig frei darüber entscheidet, welchen Fall er übernehmen möchte und kann, und welchen nicht. Zwar könnte hieraus, wäre es das einzige Indiz für Selbstständigkeit, nicht zwingend auf eine selbstständige Tätigkeit geschlossen werden, jedoch ist diese Freiheit im Rahmen der Gesamtwürdigung durchaus in die Waagschale der Selbstständigkeit zu legen.
Der Kläger trägt auch ein nicht unerhebliches Unternehmerrisiko. Insofern zeigt die Tätigkeit des Klägers sogar mehr Kriterien einer selbstständigen Tätigkeit, als die Einzelfälle, die der Rechtsprechung des BayLSG und des BSG (siehe oben) zugrunde lagen. Denn der Kläger trägt ein unternehmerisches Risiko nicht nur im Sinne eines Verdienstausfallrisikos (wie in dem vom BayLSG am 29.04.2015 entschiedenen Fall), sondern er unterhält auch zwei eigene Betriebsstätten, für die er monatlich laufende Kosten (Miete, Nebenkosten) zu tragen hat, einen eigenen Dienst- PKW sowie die übliche Telekommunikations-Ausstattung. Ferner investiert der Kläger auch erhebliche Summen in seine Fortbildung und Supervision. Von Seiten des Beigeladenen wird dem Kläger keinerlei Fortbildung oder Supervision geboten. Bleiben Aufträge aus – so wie derzeit angesichts der bestehenden Rechtsunsicherheit – so hat der Kläger trotzdem seine laufenden Kosten zu bestreiten und seine Investitionen getätigt. Insofern hat sich das Unternehmerrisiko des Klägers vorliegend bereits teilweise realisiert.
Hinzu kommt, dass der Kläger zeitlich völlig frei ist hinsichtlich der vertraglich geschuldeten Leistung, und zwar betreffend zeitlicher Lage und Umfang der Tätigkeit. Eine Deckelung der zulässigen Stundenzahl für den jeweils übernommen Fall gibt es – entgegen den Behauptungen der Beklagten – nicht. Abwesenheitszeiten muss der Kläger nicht vom Beigeladenen genehmigen lassen. Der Beigeladene organisiert auch keine Vertretung für Abwesenheitszeiten. Normalerweise teilt der Kläger dem Beigeladenen nicht einmal mit, wann er weg ist, es sei denn, eine Kindeswohlgefährdung stünde im Raum. In diesem Falle bleibt der Kläger selbst für die Hilfebedürftigen telefonisch erreichbar und somit deren Ansprechpartner. All das sind Indizien für Selbstständigkeit.
Ferner tritt der Kläger mit Hilfe von Visitenkarten und Flyern werbend am Markt auf, hat einen professionellen Briefkopf und stellt über seine Tätigkeit ordnungsgemäße Rechnungen an den Beigeladenen und andere Auftraggeber. Entgeltfortzahlung bei Urlaub oder Krankheit erhält er nicht.
Nach allem erscheint es dem Gericht nicht nachvollziehbar, warum die Beklagte auch in diesem Einzelfall von einem Beschäftigungsverhältnis ausgeht, nachdem hier die Merkmale einer selbstständigen Tätigkeit deutlich überwiegen.
Der von der Beklagten im Rahmen ihrer Zuständigkeit gemäß § 7a SGB IV erlassene Bescheid vom 25.09.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.04.2015 war somit auf die Anfechtungsklage hin aufzuheben. Ferner war festzustellen, dass die streitige Tätigkeit keine Beschäftigung darstellt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, da Klagen in Statusfeststellungsverfahren der Kostenprivilegierung des § 183 SGG unterfallen, sofern sie vom Auftragnehmer bzw. Arbeitnehmer erhoben werden. Eine Erstattung von Kosten durch den Beigeladenen kommt nicht in Betracht, da dieser keinen Antrag gestellt hat, und im Übrigen das selbe Ziel verfolgt, wie der Kläger: die Feststellung einer selbstständigen Tätigkeit.


Ähnliche Artikel

Mobbing: Rechte und Ansprüche von Opfern

Ob in der Arbeitswelt, auf Schulhöfen oder im Internet – Mobbing tritt an vielen Stellen auf. Die körperlichen und psychischen Folgen müssen Mobbing-Opfer jedoch nicht einfach so hinnehmen. Wir klären Rechte und Ansprüche.
Mehr lesen

Das Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse dienen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers und helfen oft den Bewerbern in die engere Auswahl des Bewerberkreises zu gelangen.
Mehr lesen


Nach oben