Arbeitsrecht

Streit um Zulassung als Syndikusrechtsanwalts

Aktenzeichen  BayAGH III – 4 – 10/17

Datum:
16.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 44487
Gerichtsart:
Anwaltsgerichtshof
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BRAO § 46 Abs. 3, § 112c

 

Leitsatz

1. Der mit Prokura versehene Leiter der Abteilung Schadensmanagement einer Versicherung ist im Rahmen seines Arbeitsvertrags in Rechtsangelegenheiten seiner Arbeitgeberin tätig. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Er erteilt seiner Arbeitgeberin Rechtsrat iSv § 46 Abs. 3 Nr. 2 BRAO. Das Merkmal „Erteilung von Rechtsrat“ bezieht sich auf das Aufzeigen verschiedener Lösungsalternativen und deren Bewertung in rechtlicher, tatsächlicher und wirtschaftlicher Hinsicht, um dem Mandanten auf dieser Basis eine fundierte Entscheidung vorzubereiten und zu ermöglichen.  (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Dass sich die Erteilung von Rechtsrat beim Syndikusanwalt auf die Rechtsangelegenheiten seines Arbeitgebers bezieht (vgl. AGH Rheinland-Pfalz BeckRS 2017, 128707) und damit der Rechtsrat dem Arbeitgeber zu erteilen ist, ergibt sich unzweifelhaft aus dem Wortlaut (§§ 46 Abs. 5 und Abs. 3 Nr. 2 BRAO, § 46a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BRAO) sowie aus der Systematik des Gesetzes und der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/5201). (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Prägung des Beschäftigungsverhältnisses durch die anwaltliche Tätigkeit liegt vor, wenn sie im Rahmen des Anstellungsverhältnisses eindeutig den Schwerpunkt der ausgeübten Tätigkeit ausmacht und die Tätigkeit beherrscht. Hiervon kann dann ausgegangen werden, wenn die anwaltliche Tätigkeit qualitativ und quantitativ jedenfalls mehr als die Hälfte der Arbeitszeit in Anspruch nimmt.  (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 27.07.2017 – Az.: P 36617 – wird aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die beantragte Zulassung als Syndikusrechtsanwalt zu erteilen.
III. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits, die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
IV. Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages.
V. Der Streitwert wird auf 50.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1. Die Klage, mit der der Kläger die Aufhebung des Ablehnungsbescheides und die Verurteilung der Beklagten zu einer Zulassung als Syndikusrechtsanwalt erstrebt, ist als Verpflichtungsklage statthaft (§ 112 c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 42 Abs. 1 2. Alt. VwGO) und zulässig, insbesondere wurde sie fristgerecht erhoben (§ 112 c Abs. 1 BRAO, § 74 Abs. 2 u. Abs. 1 Satz 2 VwGO). Die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens war nicht veranlasst (Art. 15 BayAGVwGO).
2. Die Klage hat auch in der Sache Erfolg. Der streitgegenständliche Bescheid vom 27.07.2017 erweist sich als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 112 c BRAO, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger ist in Rechtsangelegenheiten der V. tätig (§ 46 Abs. 2 Satz 1 BRAO), er erteilt seinem Arbeitgeber Rechtsrat (§ 46 Abs. 3 Nr. 2 BRAO), und seine Tätigkeit ist anwaltlich gemäß § 46 Abs. 3 BRAO geprägt. Da auch die weiteren Voraussetzungen für die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt unstreitig erfüllt sind, ist ihm diese antragsgemäß zu erteilen.
a) Der Kläger ist für seine Arbeitgeberin, die V., in deren Rechtsangelegenheiten tätig.
Wie der Kläger bei seiner mündlichen Anhörung durch den Senat am 16.07.2018 erläuterte, betreibt die V. im Spezialbereich D & O das Versicherungsgeschäft für die V. Versicherungsgemeinschaft, die ein Pool von Versicherern ist. Alle Mitglieder des Pools sind zugleich Gesellschafter der V. . Insbesondere erarbeitet die V. Vertragsentwürfe, verwaltet Verträge, treibt Prämien ein, bearbeitet Schadensfälle, zahlt Schadenssummen aus und führt auch etwaige Prozesse.
Der Kläger ist Leiter der Abteilung Schadensmanagement der V., die aus zwei weiteren Volljuristen und einem Assistenten besteht. Von dieser Abteilung werden alle der V. gemeldeten Schadensfälle bearbeitet, teils vom Kläger alleine, teils von seinen Mitarbeitern. Zwar erfolgt die jeweilige Schadensabwicklung durch den Kläger und seine Mitarbeiter für das betreffende Mitglied der V. Versicherungsgemeinschaft. Doch erfüllt der Kläger mit seiner Abteilung die der V. gegenüber dem Pool obliegenden Verpflichtungen. Der Kläger ist somit im Rahmen seines Arbeitsvertrags in Rechtsangelegenheiten seiner Arbeitgeberin, der V., tätig.
b) Der Kläger erteilt seiner Arbeitgeberin auch Rechtsrat im Sinne von § 46 Abs. 3 Nr. 2 BRAO. Das Merkmal „Erteilung von Rechtsrat“ bezieht sich auf die unabhängige Analyse des Sachverhalts und die Prüfung von Rechtsfragen, das fachlich unabhängige Erarbeiten und Bewerten rechtlicher Lösungsmöglichkeiten und das fachlich unabhängige Erteilen von Rechtsrat. Kernelement ist daher das Aufzeigen verschiedener Lösungsalternativen und deren Bewertung in rechtlicher, tatsächlicher und wirtschaftlicher Hinsicht, um dem Mandanten auf dieser Basis eine fundierte Entscheidung vorzubereiten und zu ermöglichen (vgl. amtliche Begründung zu § 46 Abs. 3 BRAO – E BT-Drs. 18/5201). Dass sich die Erteilung von Rechtsrat beim Syndikusanwalt auf die Rechtsangelegenheiten seines Arbeitgebers bezieht (vgl. AGH Koblenz Urteil vom 11.08.2017 1 AGH 17/16) und damit der Rechtsrat dem Arbeitgeber zu erteilen ist, ergibt sich unzweifelhaft aus dem Wortlaut (§§ 46 Abs. 5 u. Abs. 3 Nr. 2, 46 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BRAO) sowie aus der Systematik des Gesetzes und der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/5201). Die in § 46 Abs. 5 Satz 2 BRAO normierten Ausnahmen liegen hier ersichtlich nicht vor.
Der Kläger hat im Rahmen seiner mündlichen Anhörung am 16.07.2018 näher erläutert, wie er die Abteilung Underwriting der V. berät. Diese Abteilung ist zuständig für den Abschluss und die Verlängerung von Verträgen und die Anpassung von Versicherungsbedingungen. U. a. wenn Vertragsverlängerungen anstehen, berät der Kläger die Abteilung Underwriting aufgrund der Schadenserfahrungen seiner Abteilung mit dem konkreten Vertrag, ob ggf. eine Änderung der Vertragsbedingungen veranlasst ist, und zeigt Lösungsmöglichkeiten auf. Außerdem nimmt der Kläger auf Anforderung gegenüber der Abteilung Underwriting aus Schadensicht Stellung, ob eine Anpassung der allgemeinen Versicherungsbedingungen veranlasst ist.
Zudem hat der Kläger gegenüber dem Senat auch ausgeführt, dass er als Ansprechpartner seiner Abteilungsmitglieder zur Verfügung steht, wenn diese Probleme in der Bearbeitung ihrer Schadensfälle haben, und auch insoweit bei der Besprechung dann Lösungsmöglichkeiten aufzeigt.
Der Senat hat daher keine Zweifel daran, dass der Kläger seiner Arbeitgeberin, nämlich deren Abteilung Underwriting und auch seinen eigenen Abteilungsmitgliedern, Rechtsrat erteilt.
Daher brauchte der Senat keine Entscheidung dazu zu treffen, ob bereits dann von der Erteilung von Rechtsrat ausgegangen werden kann, wenn ein angestellter Rechtsanwalt basierend auf seiner juristischen Prüfung selbst die Entscheidung in der Sache trifft (vgl. Mitteilungen der Rechtsanwaltskammer München 2018, S. 59 ff).
c) Die Tätigkeit des Klägers ist auch im Sinne des § 46 Abs. 3 BRAO durch die anwaltliche Tätigkeit geprägt. Eine solche Prägung des Beschäftigungsverhältnisses liegt vor, wenn sie im Rahmen des Anstellungsverhältnisses eindeutig den Schwerpunkt der ausgeübten Tätigkeit ausmacht und die Tätigkeit beherrscht. Hiervon kann dann ausgegangen werden, wenn die anwaltliche Tätigkeit qualitativ und quantitativ jedenfalls mehr als die Hälfte der Arbeitszeit in Anspruch nimmt (vgl. AGH Hamm Urteil vom 24.11.2017 1 AGH 1/17).
Den in der Tätigkeitsbeschreibung vom 28.06.2016 dargelegten Anteil anwaltlicher Tätigkeit des Klägers mit 99 %, also die anwaltliche Prägung, hat der Kläger am 16.07.2018 näher erläutert. Danach besteht die Tätigkeit des Klägers bei der V. hauptsächlich in der Prüfung und Entscheidung, ob und welche Leistungen die V. aus den jeweils betroffenen Versicherungsverträgen erbringt, wobei die Schadensanzeigen und die vom Kläger bei Bedarf noch erholten Auskünfte und Belege die Entscheidungsgrundlage sind.
Der Anteil der personalverwaltenden Tätigkeit liegt bei unter 1 % und besteht in den jährlich fälligen Mitarbeitergesprächen.
Zudem tritt der Kläger ausweislich seiner Tätigkeitsbeschreibung vom 28.06.2016 in allen Angelegenheiten der Schadensregulierung als Prokurist im Namen der V. verantwortlich nach außen auf. Der Kläger verhandelt auch etwaige Streitfälle hinsichtlich Deckungs- oder Haftungsfragen außergerichtlich und formuliert entsprechende Schriftsätze und Vergleiche, wie der Tätigkeitsbeschreibung vom 15.03.2016 zu entnehmen ist.
Damit ist erwiesen, dass die Arbeit des Klägers zum weit überwiegenden Anteil aus anwaltlicher Tätigkeit besteht, also von einer Prägung auszugehen ist.
Auch aus den vorgelegten Time sheets ergibt sich nichts anderes, zumal diese nur einen eng umgrenzten Zeitraum erfassen und hieraus auch eine überwiegend anwaltliche Tätigkeit entnommen werden kann.
3. Nach alledem lagen die Voraussetzungen für die Erteilung der Zulassung als Syndikusanwalt vor.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 112 c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 1 u. 3 VwGO. Aus Billigkeitsgründen bestand auch keine Veranlassung, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen der beklagten oder der Staatskasse aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 112 c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 167 Abs. 2 VwGO, § 709 Satz 1 u. 2 ZPO. Anträge nach §§ 710 u. 712 ZPO wurden nicht gestellt.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 194 Abs. 1 BRAO, § 52 Abs. 3 GKG.
Die Berufung war nicht zuzulassen (§ 112 e BRAO, § 124 Abs. 2 VwGO). Die Sache weist weder besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf noch hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung. Ein Fall der Divergenz liegt auch nicht vor.


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