Arbeitsrecht

Streitwert – Eingruppierung – Einleitungserzwingungsverfahren – Massenverfahren – Minijobber

Aktenzeichen  2 Ta 31/22

Datum:
27.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 15749
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BetrVG §§ 101
RVG 23, 33

 

Leitsatz

1. Der Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit vom 09.02.2018 enthält keine Empfehlung für die Bewertung des Einleitungserzwingungsverfahrens nach § 101 BetrVG analog. Wegen des Vorschaltcharakters dieses Verfahrens ist ein erheblicher Abschlag vom Hilfswert des § 23 Abs. 3 RVG angebracht.
2. Der Streit um die Eingruppierung im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses rechtfertigt ggf. eine weitere Halbierung des Wertes.
3. Liegt ein Massenverfahren vor, wird die erste Eingruppierung mit dem zuvor ermittelten vollen Wert bewertet die 2. bis 20. Eingruppierung mit 25%, die 21. bis 50. Eingruppierung mit 12,5%, alle weiteren Eingruppierungen mit 10% dieses Wertes (vgl. II.14.7 Streitwertkatalog).

Verfahrensgang

8 BV 40/21 2022-02-23 Bes ARBGNUERNBERG ArbG Nürnberg

Tenor

Die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 23.02.2022, Az. 8 BV 40/21, wird zurückgewiesen.

Gründe

A.
Die Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten zu 1.) begehren eine erhöhte Festsetzung des Werts der anwaltlichen Tätigkeit.
Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens war ein Einleitungserzwingungsverfahren zur Eingruppierung von 38 geringfügig beschäftigten Arbeitnehmern. Die Beteiligte zu 2.) meint, dass diese nicht in den Anwendungsbereich des Manteltarifvertrags für die Arbeitnehmer in der Kunststoff verarbeitenden Industrie in Bayern fallen, weshalb sie bezüglich dieser Arbeitnehmer keine Eingruppierungsentscheidung getroffen hat. Aus Sicht des Beteiligten zu 1.) sind auch geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer einzugruppieren, da der Ausschluss von Arbeitnehmern, die keine rentenversicherungspflichtigen Arbeiten verrichten, aus dem Anwendungsbereich des Tarifvertrags gegen § 4 TzBfG und § 1 AGG verstoße und daher nach § 134 BGB nichtig sei. Mit Beschluss vom 13.10.2022 hat das Arbeitsgericht Nürnberg der Beteiligten zu 2.) hinsichtlich 32 Arbeitnehmern aufgegeben, ein Zustimmungsersetzungsverfahren einzuleiten.
Der Wert der anwaltlichen Tätigkeit wurde mit Beschluss vom 23.02.2022 auf 10.000 € festgesetzt.
Mit Schriftsatz vom 09.03.2022, am 10.03.2022 beim Arbeitsgericht Nürnberg eingegangen, begehren die Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten zu 1.) eine erhöhte Festsetzung des Werts der anwaltlichen Tätigkeit auf insgesamt 60.000 €. Bei dem vorliegenden Verfahren sei sowohl die Frage, ob „Minijobber“ in den Tarifvertrag einzugruppieren sind als auch die Frage, ob ein Zustimmungsersetzungsverfahren durchzuführen sei, streitig, weshalb der Ausgangsstreitwert nicht auf 5.000 €, sondern auf 7.500 € festzusetzen sei. Entsprechend der Regelung in Ziff. 14.7 des Streitwertkatalogs sei der Gegenstandswert auf 60.000 € festzusetzen. Eine Erhöhung auf lediglich 10.000 € spiegle die Bedeutung des Verfahrens, das insgesamt 38 Arbeitnehmer betreffe, nicht ansatzweise wieder.
Den Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 2.) wurde mit Schreiben des Gerichts vom 11.03.2022 Gelegenheit zur Stellungnahme bis spätestens 25.03.2022 gegeben. Eine Stellungnahme ist nicht erfolgt.
Das Arbeitsgericht half der Beschwerde mit Beschluss vom 02.05.2022 nicht ab und legte das Verfahren dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vor.
Das Landesarbeitsgericht gab den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme. Stellungnahmen sind jedoch nicht erfolgt.
B.
I. Die Beschwerde des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers ist zulässig.
Gegen einen Beschluss, durch den der Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit gemäß § 33 Abs. 1 RVG festgesetzt worden ist, findet gemäß § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG eine Beschwerde dann statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,- € übersteigt. Dies ist hier der Fall, denn bereits die einfache Gebührendifferenz nach Anlage 2 zum RVG beläuft sich auf 758,- €. Die Beschwerde ist auch innerhalb von zwei Wochen nach Zuleitung des angegriffenen Beschlusses beim Erstgericht eingegangen, § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG. Dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers steht ein eigenes Beschwerderecht zu, § 32 Abs. 2 Satz 1 RVG.
II. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.
1. Die seit 01.01.2020 für Streitwertbeschwerden allein zuständige Kammer 2 des Landesarbeitsgerichts Nürnberg folgt grundsätzlich den Vorschlägen der auf Ebene der Landesarbeitsgerichte eingerichteten Streitwertkommission. Diese sind im jeweils aktuellen Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit niedergelegt (derzeitige Fassung vom 09.02.2018, NZA 2018, 498). Der Streitwertkatalog entfaltet zwar keine Bindungswirkung. Er stellt aber aus Sicht des erkennenden Gerichts eine ausgewogene mit den gesetzlichen Vorgaben übereinstimmende Orientierung für die Arbeitsgerichte dar.
2. Das Beschwerdegericht geht von folgenden Überlegungen aus:
a. Eine Empfehlung zur Festsetzung des Werts der anwaltlichen Tätigkeit für das Einleitungserzwingungsverfahren gemäß § 101 BetrVG analog enthält Ziff. II Nr. 14.6 des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit nicht. Die dortige Empfehlung betrifft offenkundig nur die Verfahren nach § 101 BetrVG in direkter Anwendung, in denen es um die Rückgängigmachung einer vorläufigen oder endgültigen, ohne vorherige Einschaltung des Betriebsrats bereits durchgeführten personellen Maßnahme geht (LAG BW 23.05.2019 – 5 Ta 36/19 – Rn 16 – juris). Nur solche Verfahren sind gleich dem Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG zu bewerten. Im vorliegenden Fall soll jedoch nicht etwas rückgängig gemacht werden, sondern der Arbeitgeber in einem Vorverfahren erst zu einer Maßnahme veranlasst werden.
b. Der Streit um die Einleitung eines Zustimmungsersetzungsverfahrens nach § 101 BetrVG analog ist eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit, für dessen Bewertung nicht die Einkommensdifferenz, sondern nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammer der Hilfswert des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG den ersten Anhaltspunkt gibt.
c. Im Hinblick auf den Charakter des Verfahrens als „bloßes Vorverfahren“ zu dem eigentlichen Streit nach § 99 Abs. 4 BetrVG hält die Beschwerdekammer einen deutlichen Abschlag vom Hilfswert für angemessen, dessen Höhe nach der Bedeutung des Falles variieren kann. So halten das LAG Hamm (Beschluss vom 22.08.2007 – 10 TaBV 133/05) und das LAG Düsseldorf (Beschluss vom 28.02.2011 – 2 Ta 81/11, Rn 18 ff mwN – juris) regelmäßig einen Abschlag von 80% eines Verfahrens gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG für angemessen. Im vorliegenden Fall hält das Beschwerdegericht einen Abschlag von 50% vom Ausgangswert für angemessen, da die Beteiligte zu 2 sich grundsätzlich weigert, geringfügig Beschäftigte überhaupt einzugruppieren und hierin eine über das Normalmaß hinausgehende Bedeutung des Streits liegt.
d. Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammer ist der Ausgangswert beim Zustimmungsersetzungsverfahren über die Einstellung geringfügig Beschäftigter grundsätzlich zu halbieren (LAG Nürnberg 18.01.2021 – 2 Ta 154/20, juris). Dies hält das Beschwerdegericht auch im Rahmen des Einleitungserzwingungsverfahrens nach § 101 BetrVG analog für angemessen. Auch hier ist einerseits die grundsätzliche Wertung des Betriebsverfassungsgesetzes zu beachten, das für die Größe des Betriebsrats sowie für verschiedene Schwellenwerte (etwa in §§ 99, 111 BetrVG) stets auf die Kopfzahl der Arbeitnehmer abstellt. Andererseits ist die wirtschaftliche Bedeutung der Beschäftigung eines Minijobbers regelmäßig deutlich geringer als eine reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung.
Eine Herabsetzung wegen der nur befristeten Beschäftigung ist nicht veranlasst. Denn die Beschäftigungsdauer aller 38 betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter liegt jeweils über sechs Monaten (vgl. LAG Nürnberg a.a.O.).
e. Die Beschwerdekammer folgt auch der Empfehlung des Streitwertkatalogs zu einer gestaffelt reduzierten Bewertung von Massenanträgen bei objektiver Antragshäufung und wesentlich gleichem Sachverhalt, insbesondere bei einer einheitlichen unternehmerischen Maßnahme und parallelen Weigerungsgründen (1. Fall: 100%, 2. bis 20. Fall: 25%; 21. bis 50. Fall: 12,5%; ab dem 51. Fall: 10%, vgl. II.14.7 Streitwertkatalog und LAG Nürnberg a.a.O.). Dies sieht auch der Beschwerdeführer so.
3. In Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich ergibt sich der vom Arbeitsgericht mit teilweise anderer Begründung festgesetzte Wert von 10.000,- €. Im Einzelnen gilt folgendes:
a. Der Ausgangswert für den ersten betroffenen Mitarbeiter liegt bei 1.250,- €. Der Hilfswert von 5.000,- € ist wegen der Abschläge für das Einleitungserzwingungsverfahren und der Betroffenheit als Minijobber zweimal zu halbieren.
b. Für den 2. bis 20. Fall liegt der Wert jeweils bei 25% des Ausgangswertes, also bei 312,50 €. Hieraus ergibt sich ein Wert von 5.937,50 €.
c. Für den 21. – 38. Fall beträgt der Wert jeweils 12,5% des Ausgangswerts, also 156,25 €. Hieraus ergibt sich ein Wert von 2.812,50 €.
d. Insgesamt beträgt der Gegenstandswert 10.000,- € (1.250,- € + 5.937,50 € + 2.812,50 €).
C.
I. Die Entscheidung kann ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden alleine ergehen, § 78 Satz 3 ArbGG.
II. Eine Kostenentscheidung ist im Hinblick auf § 33 Abs. 9 RVG nicht erforderlich. Da die Beschwerde nur teilweise und in geringem Umfang erfolgreich war, war eine Gebührenermäßigung nach GKG-KV Nr. 8614 nicht veranlasst.


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