Arbeitsrecht

Ungleichbehandlung teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer bei der Gewährung tariflicher Altersfreizeit

Aktenzeichen  5 Sa 174/19

Datum:
7.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 38373
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 133
TzBfG § 4 Abs. 1
ZPO § 256
Manteltarifvertrag für die feinkeramische Industrie der Bundesrepublik Deutschland (MTV) § 2a Ziff. 1 Abs. 1

 

Leitsatz

In einer tarifvertraglichen Regelung ist vorgesehen, dass teilzeitbeschäftigte Mitarbeiter anders als Vollzeitbeschäftigte keine Altersfreizeit erhalten. Dies stellt eine unzulässige Ungleichbehandlung wegen der Teilzeitarbeit im Sinne des § 4 Abs. 1 TzBfG dar (im Anschluss an BAG vom 23.07.2019 – 9 AZR 372/18). (Rn. 22 – 24)

Verfahrensgang

1 Ca 117/17 2019-04-02 Urt ARBGWEIDEN ArbG Weiden

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin vom 23.05.2019 wird das Urteil des Arbeitsgerichts Weiden – Kammer Schwandorf – vom 02.04.2019 – Aktenzeichen 1 Ca 117/17 – abgeändert.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin ab dem September 2016 entsprechend der tariflichen Regelung des § 2 a des Manteltarifvertrages für die feinkeramische Industrie der Bundesrepublik Deutschland vom 08.09.2008 (TR 4-31 a 43) eine Stunde je Woche von der Arbeitspflicht freizustellen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Klägerin erweist sich als begründet.
I.
Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO). Der von der Klägerin nunmehr in der Berufungsinstanz ausdrücklich gestellte Feststellungsantrag ist zulässig. Mit diesem Antrag verfolgt die Klägerin nicht im Wege der Klageänderung einen bislang nicht gestellten Anspruch (vgl. dazu z.B. BAG vom 15.11.2016 – 9 AZR 125/16 zitiert nach juris). Die zutreffende Auslegung des in der ersten Instanz gestellten Klageantrags ergibt, dass es sich bereits erstinstanzlich um einen Feststellungsantrag mit dem nunmehr gestellten Inhalt und nicht um einen Leistungsantrag handelte. Insoweit kann auf die Ausführungen in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 23.01.2019,. Aktenzeichen: 12 Sa 615/18, RdNrn. 43 bis 45, zitiert nach juris, verwiesen werden. Für den Feststellungsantrag sind die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO erfüllt. Die Klägerin hat ein besonderes Interesse an der begehrten Feststellung, weil die Beklagte den von ihr behaupteten Anspruch auf tarifliche Altersfreizeit generell bestreitet (vgl. BAG vom 19. Februar 2019 – 9 ARZ 321/16, RdNr. 19, zitiert nach juris). Die Entscheidung über den Feststellungsantrag ist geeignet, weitere gerichtliche Auseinandersetzungen zwischen den Parteien über die Frage auszuschließen, ob und in welchem Umfang die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin tarifliche Altersfreizeit nach § 2 a Ziff. 1 MTV zu gewähren (vgl. BAG vom 13. Dezember 2016 – 9 AZR 574/15, RdNr. 20, BAG vom 23. Juli 2019 – 9 AZR 372/18, RdNr.10, beide zitiert nach juris).
II.
Die Berufung erweist sich auch als begründet. Die erkennende Kammer folgt der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 23.07.2019, Aktenzeichen: 9 AZR 372/18, das in einem vergleichbaren Fall entschieden hat, dass der Anspruch auf Gewährung der tariflichen Altersfreizeit aus § 2 a Ziff. 1 MTV i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG gegeben ist.
1. Zutreffend hat das Erstgericht ausgeführt, dass ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden darf, als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Teilzeitbeschäftigte werden wegen der Teilzeitarbeit ungleich behandelt, wenn die Dauer der Arbeitszeit das Kriterium darstellt, an das die Differenzierung hinsichtlich der unterschiedlichen Arbeitsbedingungen anknüpft (vgl. BAG vom 23. März 2017 – 6 AZR 161/16 zitiert nach juris). Eine solche liegt hier in § 2 a Ziff. 1 Abs. 2 Satz 2 MTV vor, wie das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 23. Juli 2019 – 9 AZR 372/18, zitiert nach juris, ausgeführt hat.
Die Herabsetzung der wöchentlichen Arbeitszeit entsprechend der tarifvertraglichen Regelung unter Fortzahlung des Entgeltes nach Maßgabe von § 2 a Ziff. 5 MTV führt bei den Begünstigten zu einer Erhöhung des Arbeitsentgeltes pro Arbeitsstunde. Teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer erhalten, obwohl sie das 58 Lebensjahr vollendet haben, eine geringere Vergütung pro geleisteter Stunde, weil ihr Monatsentgelt nicht entsprechend angehoben wird. Die in § 2 a Ziff. 1 Abs. 2 Satz 1 MTV vorgesehene Beschränkung des Anspruchs auf bezahlte Altersfreizeit auf Vollzeitarbeitnehmer verstößt auch unter Berücksichtigung des den Tarifvertragsparteien zustehenden Gestaltungsspielraums gegen § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG. Insoweit hat das Arbeitsgericht zwar zutreffend ausgeführt, dass die Tarifvertragsparteien grundsätzlich darin frei sind, den Zweck einer tariflichen Leistung zu bestimmen und ihnen steht bei der Normsetzung auch ein weiter Gestaltungsspielraum zu (vgl. BAG vom 19. Juni 2018 – 9 AZR 564/17, zitiert nach juris). Tarifliche Regelungen müssen jedoch mit höherrangigem Recht vereinbar sein. Verstößt eine Tarifnorm gegen § 4 Abs. 1 Satz 1 und 2 TzBfG ist sie nichtig (BAG vom 04. Mai 2010 – 9 AZR 181/09 zitiert nach juris). Der den Tarifvertragsparteien zuzubilligende Gestaltungsspielraum ist jedoch vorliegend überschritten.
2. § 2 a Ziff. 1 Abs. 1 MTV geht von einer mit zunehmendem Alter sinkenden Belastbarkeit und infolgedessen von einem gesteigerten Erholungsbedürfnis der Arbeitnehmer aus, die das 58 Lebensjahr vollendet haben. Für Teilzeitkräfte, die das 58 Lebensjahr vollendet haben, legt der Tarifvertrag, in dem er deren Arbeitszeit nicht proportional zu ihrer individuellen Arbeitszeit absenkt, eine höhere individuelle Belastungsgrenze fest, als wie für Vollzeitbeschäftigte und regelt dementsprechend einen geringeren Entlastungsbedarf. Zutreffend führt das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 23.07.2019, Aktenzeichen: 9 AZR 372/18, zitiert nach juris, aus, dass sich diese von der konkreten Tätigkeit unabhängige, sich allein am Umfang der wöchentlichen Arbeitszeit von älteren Arbeitnehmern orientierte Differenzierung bei der Gewährung vergüteter Altersfreizeit nicht durch Unterschiede im Tatsächlichen nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG sachlich rechtfertigen lässt.
Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, der die Annahme rechtfertigen könnte, bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38 Stunden bestehe für alle Arbeitnehmer ab Vollendung des 58 Lebensjahres eine qualitative Belastung, die bei Teilzeitbeschäftigten derselben Altersgruppe nicht in einem Maß auftritt, der dem Umfang ihrer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit entspricht. Ebenso wenig existiert ein allgemeiner Erfahrungssatz, dass die mit der Erbringung der Arbeitsleistung einhergehende Belastung erst dann ansteigt, wenn ein Vollzeitarbeitsverhältnis vorliegt und sich das gesteigerte Erholungsbedürfnis von Arbeitnehmern, die das 58 Lebensjahr vollendet haben, mit sinkender Zahl der zu leistenden Wochenarbeitsstunden nicht linear vermindert, sondern bei einer Wochenarbeitszeit von weniger als 38 Stunden vollständig entfällt. Der Zweck der tariflichen Altersfreizeit, älteren Arbeitnehmern zu ihrer Entlastung bezahlte Freistellung zu gewähren, rechtfertigt es deshalb nicht, gleichaltrige in Teilzeit beschäftigte Arbeitnehmer, deren Wochenarbeitszeit die einer Vollzeitkraft unterschreitet, entgegen § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG von dieser geldwerten Leistung generell auszuschließen.
Wie das Bundesarbeitsgericht in der genannten Entscheidung ausführt, ist Rechtsfolge des Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG, dass der Klägerin die ihr zu Unrecht vorenthaltene vergütete Altersfreizeit in dem Umfang zu gewähren ist, der dem Anteil ihrer Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspricht. Bei einer vereinbarten Arbeitszeit der Klägerin von 20 Wochenstunden und einer regelmäßigen tariflichen Wochenarbeitszeit von 38 Stunden entspricht die der Klägerin zu gewährende Altersfreizeit mindestens der von ihr beantragten Stunde pro Woche.
III.
1. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§ 91 Abs. 1 ZPO).
2. Für die Zulassung der Revision bestand kein gesetzlich begründeter Anlass (§ 72 Abs. 1 und 2 ArbGG).


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