Arbeitsrecht

Unzulässige Klage

Aktenzeichen  S 20 SO 129/18

Datum:
8.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 834
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB XII § 95
SGG § 77, § 78 Abs. 1
BGB § 164 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Eine Klage ist unzulässig, wenn das gesetzlich vorgeschriebene Vorverfahren nicht in erforderlicher Weise durchgeführt worden ist und auch nicht nachgeholt werden kann. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird als unzulässig zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Gerichtskosten werden für das Verfahren nicht erhoben.

Gründe

Die kombinierte Verpflichtungs- und Leistungsklage ist unzulässig.
I.
Gemäß § 105 SGG kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid im Sinne einer Klagabweisung wegen fehlenden Vorverfahrens mit gerichtlicher Verfügung vom 06.11.2018 gehört worden.
II.
Die Klage ist unzulässig, weil das gesetzlich vorgeschriebene Vorverfahren nicht in erforderlicher Weise durchgeführt worden ist und auch nicht nachgeholt werden kann.
Gemäß § 78 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist vor Erhebung der Anfechtungsklage Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit eines Verwaltungsaktes (=Bescheid) in einem Vorverfahren (=Widerspruchsverfahren) nachzuprüfen.
Dies gilt nach Absatz 3 der Vorschrift auch für die Verpflichtungsklage in Form der sogenannten Versagungsgegenklage. Statthafte Klageart ist vorliegend die Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage.
Vor Erhebung einer solchen Klage ist daher ein Vorverfahren durchzuführen. Es beginnt mit der Erhebung eines Widerspruchs gegen den Bescheid.
Nach § 84 SGG ist der Widerspruch innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheides zu erheben.
Der Kläger hat zwar durch den von ihm Bevollmächtigten Rechtsanwalt A. am 31.07.2017 gegen den streitgegenständlichen Bescheid vom 12.07.2017 Widerspruch erhoben.
Der Widerspruch ist jedoch entgegen der Auffassung des Klägers rechtswirksam durch seinen Bevollmächtigten durch Schreiben vom 15.01.2018 zurückgenommen worden.
Die am 27.07.2017 vom Kläger dem Rechtsanwalt A. erteilte Vollmacht umfasste insbesondere in Ziffer 4 die Befugnis, sonstige Verfahren zu führen, auch öffentlich-rechtliche Verfahren einschließlich Vorverfahren und umfasst die Befugnis, Rechtsmittel einzulegen und zurückzunehmen.
Die Rücknahme des am 31.07.2017 erhobenen Widerspruchs ist von der am 27.07.2017 erteilten Vollmacht umfasst. Sie wirkt nach § 164 Abs. 1 Satz Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unmittelbar für und gegen den Vertretenen, also für und gegen den Kläger.
§ 164 Abs. 1 Satz 1 BGB lautet:
„Eine Willenserklärung, die jemand innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht im Namen des Vertretenen abgibt, wirkt unmittelbar für und gegen den Vertretenen.“
Demgegenüber kann der Kläger nicht mit seinem Einwand durchdringen, die Widerspruchsrücknahme sei nicht in seinem Auftrag erfolgt: Für die Wirksamkeit im Außenverhältnis, also gegenüber einem Dritten, kommt es einzig auf die auf der Vollmacht beruhende formelle Vertretungsmacht des Vertreters, also des bevollmächtigten Rechtsanwaltes an. Dies ist der Fall, solange eine Vollmacht nicht widerrufen ist.
Diesbezüglich bestimmt § 170 BGB:
„Wird die Vollmacht durch Erklärung gegenüber einem Dritten erteilt, so bleibt sie diesem gegenüber in Kraft, bis ihm das Erlöschen von dem Vollmachtgeber angezeigt wird.“
Ausdrücklich widerrufen hat der Kläger die seinem Anwalt erteilte Vollmacht der Beklagten gegenüber überhaupt nicht, wenn überhaupt, so konkludent durch die vorliegende Klageerhebung am 24.07.2018, und somit zeitlich nach der Widerspruchsrücknahme. Jedenfalls bis dahin konnte sein Anwalt gegenüber der Beklagten mit Vertretungsmacht für und gegen den Kläger im Rahmen der Vollmacht rechtswirksam handeln. Dies dient der Sicherheit im Rechtsverkehr.
Die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob sein bevollmächtigter Rechtsanwalt die Widerspruchsrücknahme tatsächlich im Auftrag des Klägers erklärt hat oder nicht, betrifft lediglich das Auftragsverhältnis zwischen dem Kläger und seinem Bevollmächtigten, ändert aber nichts an der formell aufgrund der Vollmacht im Außenverhältnis bestehenden Vertretungsmacht gegenüber der Beklagten und betrifft daher auch nicht die Rechtswirksamkeit der Rücknahmeerklärung.
Dies ergibt sich aus § 174 Satz 1 BGB:
„Ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber vornimmt, ist unwirksam, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist.“
Vorliegend handelte der Rechtsanwalt aber aufgrund einer vorgelegten Prozessvollmacht, die nach § 170 BGB bis zum Widerruf gegenüber der Beklagten Geltung besitzt.
Eine Anfechtbarkeit wegen (Erklärungs-)Irrtums nach §§ 119ff BGB deswegen, weil der Kläger keinen Auftrag erteilt habe zur Widerspruchsrücknahme und sich möglicherweise persönlich überhaupt nicht über die Tatsache im klaren gewesen ist, dass sein Vertreter eine solche abgegeben hat, ist wegen § 166 Abs. 1 BGB ausgeschlossen. Die Vorschrift lautet:
„Soweit die rechtlichen Folgen einer Willenserklärung durch Willensmängel oder durch die Kenntnis oder das Kennenmüssen gewisser Umstände beeinflusst werden, kommt nicht die Person des Vertretenen, sondern die des Vertreters in Betracht.“
Auch dies dient der Sicherheit im Rechtsverkehr.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Widerspruch vom 31.07.2017 gegen den Bescheid vom 12.07.2017 mit Wirkung für und gegen den Kläger durch Erklärung von dessen Bevollmächtigten am 15.01.2018 zurückgenommen worden ist.
Der Bescheid vom 12.07.2017 ist damit gemäß § 77 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bestandskräftig und bindet die Beteiligten sowie auch das erkennende Gericht.
Die am 24.07.2018 gegen den Bescheid vom 12.07.2017 erhobene Klage ist unzulässig, weil das nach § 78 SGG vorgeschriebene Widerspruchsverfahren nicht durchgeführt worden ist. Ein solches setzt eine Ablehnung des Widerspruchs durch einen Widerspruchsbescheid voraus (vgl. B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt SGG, Sozialgerichtsgesetz Kommentar, 12. Auflage, § 78, RdNr. 2). Gerade daran fehlt es vorliegend, weil das Widerspruchsverfahren nicht durch Widerspruchsbescheid, sondern durch Rücknahme des Widerspruchs beendet worden ist.
Es kann auch nicht mehr nachgeholt werden.
Die Klage ist daher wegen fehlenden Vorverfahrens unzulässig und demzufolge zurückzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung der §§ 193, 183 SGG und § 64 SGB X.


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