Arbeitsrecht

Urlaubsabgeltung

Aktenzeichen  M 21a K 19.532

Datum:
24.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 15805
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
EUrlV § 10

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Entscheidung konnte im schriftlichen Verfahren ergehen, da die Beteiligten ihr Einverständnis erteilt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Abgeltung seines bei Eintritt in den Ruhestand nicht abgewickelten Erholungsurlaubs aus dem Jahr 2018. Der Bescheid der Beklagten vom … November 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Januar 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO).
Nach § 10 Abs. 1 EUrlV wird der Erholungsurlaub in Höhe des unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaubsanspruchs (Art. 7 Abs. 1 der RL 2003/88/EG) abgegolten, soweit er vor Beendigung des Beamtenverhältnisses wegen vorübergehender Dienstunfähigkeit nicht genommen worden ist. Im Urlaubsjahr bereits genommener Erholungsurlaub oder Zusatzurlaub ist auf den unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaubsanspruch (Art. 7 Abs. 1 der RL 2003/88/EG) anzurechnen, unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt der Anspruch entstanden ist, § 10 Abs. 2 EUrlV. Art. 7 Abs. 1 der RL 2003/88/EG sieht einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen vor (bei einer 4-Tage-Woche somit 16 Tage).
Auf den vom Kläger wiederholt zitierten § 3 BUrlG sowie den ebenfalls wiederholt zitierten und vom Kläger als höherrangige Gesetzesnorm im Vergleich zu § 10 Abs. 2 EUrlV bezeichneten § 7 Abs. 4 BUrlG kommt es entgegen der Auffassung des Klägers nicht an. Denn das Bundesurlaubsgesetz ist auf Beamte nicht anwendbar; deren Ansprüche auf Urlaub und Besoldung richten sich nach den jeweiligen beamtenrechtlichen Gesetzen und Verordnungen (vgl. auch BayVGH, B.v.16.2.2021 – 3 ZB 20.2862 – juris Rn. 9). Dementsprechend kann auch die vom Kläger zitierte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, welches das Bundesurlaubsgesetz heranzieht, nicht ohne weiteres auf Beamte übertragen werden (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation auch BayVGH, B.v.16.2.2021 – 3 ZB 20.2862 – juris Rn. 9). Zudem besteht angesichts der grundsätzlichen Strukturunterschiede zwischen Beamten- und Arbeitsverhältnissen im öffentlichen Dienst auch kein Anspruch der Beamten, in der Frage der Urlaubsabgeltung mit den Tarifbeschäftigten gleichgestellt zu werden (vgl. BayVGH, B.v.16.2.2021 – 3 ZB 20.2862 – juris Rn. 9 m.w.N.).
Soweit der Kläger mit seinem Hauptantrag eine Abgeltung des ihm nach § 5 EUrlV zustehenden, nicht genommenen Erholungsurlaubs begehrt, ist hierzu auszuführen, dass dies in der Erholungsurlaubsverordnung bereits nicht vorgesehen ist. Vielmehr begrenzt § 10 Abs. 1 EUrlV den Abgeltungsanspruch ausdrücklich auf den unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaubsanspruch (Art. 7 Abs. 1 der RL 2003/88/EG). Dies ist auch nicht zu beanstanden. Die RL 2003/88/EG stellt Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung auf. Es steht den Mitgliedstaaten jedoch frei, in ihrem jeweiligen nationalen Recht Bestimmungen zu treffen, die dem Beamten zusätzlich zu dem Anspruch auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen weitere Ansprüche auf bezahlten Urlaub gewähren, ohne dass die Zahlung einer finanziellen Vergütung für den Fall vorgesehen wäre, dass dem in den Ruhestand tretenden Beamten diese zusätzlichen Ansprüche nicht haben zugutekommen können (vgl. EuGH, U.v. 3.5.2012 – C-337/10 – juris Rn. 33 ff.).
Auch in seinem Urteil vom 19. November 2019 – C-609/17 und C-610/17 – (juris Rn. 35 ff.) führt der Europäische Gerichtshof aus, dass aus dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a, Art. 7 Abs. 1 und Art. 15 der RL 2003/88/EG ausdrücklich hervorgehe, dass die Richtlinie lediglich Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung enthalte und das Recht der Mitgliedstaaten unberührt bleibe, für den Schutz der Arbeitnehmer günstigere nationale Vorschriften anzuwenden. In solchen Fällen seien die Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub, die über das in Art. 7 Abs. 1 der RL 2003/88 vorgesehene Mindestmaß hinausgehen, nicht durch die Richtlinie geregelt, sondern durch das nationale Recht, außerhalb der Regelung der Richtlinie. Wie der Generalanwalt in Nr. 58 seiner Schlussanträge ausgeführt habe, sei es daher Sache der Mitgliedstaaten, zu entscheiden, ob sie den Arbeitnehmern einen über die in Art. 7 Abs. 1 der RL 2003/88 garantierte Mindestdauer von vier Wochen hinausgehenden Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub zuerkennen, und gegebenenfalls die Bedingungen für die Gewährung und das Erlöschen solcher zusätzlicher Urlaubstage festzulegen, ohne dass sie insoweit an die Schutzregeln gebunden seien, die der Gerichtshof in Bezug auf die Mindestdauer des bezahlten Jahresurlaubs herausgearbeitet hat.
Im Übrigen geht auch das Bundesarbeitsgericht, auf dessen Rechtsprechung der Kläger sich beruft, für den Bereich des Arbeitsrechts davon aus, dass die unionsrechtlichen Vorgaben grundsätzlich ausschließlich den gesetzlichen Urlaubsanspruch von vier Wochen betreffen, auch wenn sich abhängig von den Umständen des Einzelfalls und den dort jeweils getroffenen Vereinbarungen eine Anwendung der unionsrechtlichen Vorgaben auch auf den vereinbarten Mehrurlaub ergeben mag (vgl. etwa BAG, Vorlagebeschluss v. 29.9.2020 – 9 AZR 266/20 – juris – Rn. 26).
Der Kläger kann daher von vornherein allenfalls – wie im Hilfsantrag geschehen – eine Abgeltung des nicht abgewickelten unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaubs beanspruchen. Dabei handelt es sich bei dem mit Schriftsatz vom 19. März 2021 gestellten „Hilfsantrag“ um keinen echten Hilfsantrag, da er bereits als „minus“ im Hauptantrag bzw. im ursprünglichen Antrag enthalten ist.
Nach den von der Beklagten vorgelegten Unterlagen und den übereinstimmenden Angaben der Beteiligten hat der Kläger vor der Beendigung seines Beamtenverhältnisses im Jahr 2018 im Zeitraum vom … März 2018 bis zum … April 2018 17 Tage Urlaub abgewickelt, wobei es sich um Resturlaub aus dem Jahr 2017 handelte. Da das Beamtenverhältnis des Klägers mit Ablauf des Monats Juli 2018 endete und der Kläger im Jahr 2018 im Rahmen einer 4-Tage-Woche tätig war, betrug der ihm im Jahr 2018 unionsrechtlich gewährleistete Mindesturlaub 9 1/3 Tage (16 Urlaubstage x 12/7 = 9 1/3 Tage; vgl. zur Berechnung des (anteiligen) Urlaubsanspruchs BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 2 C 10/12 – juris Rn. 35). Demnach hat der Kläger den ihm im Jahr 2018 unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaub vollständig abgewickelt, sodass er auch keine Abgeltung beanspruchen kann.
Unerheblich ist, dass es sich bei dem vom Kläger im Jahr 2018 genommenen Urlaub um Resturlaub aus dem Jahr 2017 gehandelt hat. Bei der Berechnung der dem Beschäftigten zustehenden Urlaubstage im Rahmen der Ansprüche aus Art. 7 Abs. 1 und 2 der RL 2003/88/EG kommt es nach dem Zweck dieser Norm nur darauf an, ob und wie viel Urlaub der Betreffende im konkreten Jahr genommen hat. Unerheblich ist, ob es sich dabei um neuen oder um alten, also aus dem vorangegangenen Urlaubsjahr übertragenen Urlaub gehandelt hat (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 2 C 10/12 – juris Rn. 23; BayVGH, B.v. 25.11.2015 – 6 ZB 15.2167 – juris Rn. 9).
Der Kläger geht fehl, soweit er geltend macht, dass es sich bei den vorstehenden Ausführungen lediglich um eine nicht näher begründete Behauptung des Bundesverwaltungsgerichts handele, welches dabei die Verfassungswidrigkeit und Unionrechtswidrigkeit einer derartigen Berechnungsweise übersehe. Vielmehr hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 31. Januar 2013 – 2 C 10/12 – ausdrücklich auf den Zweck des Art. 7 Abs. 1 und 2 der RL 2003/88/EG abgestellt und damit sehr wohl eine Begründung für die vom Kläger beanstandete Berechnungsweise gegeben. Die entsprechenden Ausführungen werden vom Kläger selbst in seinem Schriftsatz vom 19. März 2021 wiedergegeben. Wenn der Europäische Gerichtshof in seinem – vorstehend bereits genannten – Urteil vom 19. November 2019 – C-609/17 und C-610/17 – (juris Rn. 39), welches sich mit der Festlegung von Bedingungen für die Gewährung und das Erlöschen zusätzlicher, über die in Art. 7 Abs. 1 der RL 2003/88/EG garantierte Mindestdauer von vier Wochen hinausgehender Urlaubstage befasst, darauf abstellt, dass jedenfalls der bezahlte Jahresurlaub, den der Arbeitnehmer tatsächlich hat, während er nicht infolge Krankheit arbeitsunfähig ist, die genannte Mindestdauer von vier Wochen nicht unterschreiten darf, bekräftigt diese Wortwahl („Jahresurlaub, den der Arbeitnehmer tatsächlich hat“) ebenfalls die Berechnungsweise des Bundesverwaltungsgerichts, nach welcher es unter Berücksichtigung des Zwecks des Art. 7 Abs. 1 und 2 der RL 2003/88/EG nur darauf ankommt, ob und wie viel Urlaub der Beamte im konkreten Jahr genommen hat.
Soweit der Kläger weiter vorbringt, dass es sich bei der „Behauptung“ des Bundesverwaltungsgerichts lediglich um eine sprachlich veränderte Fassung des Gesetzestextes des § 10 Abs. 2 EUrlV handele, sind diese Ausführungen bereits nicht nachvollziehbar, da die entsprechende Regelung erst im Jahr 2015 mit dem Siebten Besoldungsänderungsgesetz vom 3. Dezember 2015 (BGBl I Nr. 49) – anlässlich der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 3. Mai 2012 – C-337/10 – (juris) und der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. Januar 2013 – 2 C 10/12 – (juris) – in die Erholungsurlaubsverordnung eingeführt worden ist.
Was die vom Kläger vorgebrachte Verfassungswidrigkeit der Berechnungsweise des Bundesverwaltungsgerichts anbelangt, so kann er hiermit ebenfalls nicht durchdringen. So hat jedenfalls das Bundesverfassungsgericht diese Berechnungsweise nicht beanstandet (vgl. Nichtannahmebeschluss v. 15.5.2014 – 2 BvR 324/14 – juris). In seinem Nichtannahmebeschluss vom 15. Mai 2014 – 2 BvR 324/14 – (juris) führt das Bundesverfassungsgericht zudem aus, dass insbesondere aus der Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache Neidel (U.v. 3.5.2012 – C-337/10 – juris) eindeutig hervorgehe, dass eine Abgeltungspflicht nur für den unionsrechtlichen Mindesturlaub bestehe, nicht aber in Bezug auf darüber hinausgehenden Urlaub, den das nationale Recht gewährt.
Vor diesem Hintergrund kann der Kläger auch mit seinem Vorbringen, dass die Regelung in § 10 Abs. 2 EUrlV gegen das Alimentationsprinzip und die Fürsorgepflicht des Dienstherrn verstoße, nicht durchdringen. Denn ihm wird nicht, wie er meint, ein erworbener Anspruch auf den unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaub aus dem Jahr 2018 von 9,33 Tagen abgesprochen. Vielmehr hat der Kläger den unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaub vollständig abgewickelt. Lediglich der ihm darüber hinaus nach dem nationalen Recht gewährte, aber bei Eintritt in den Ruhestand nicht abgewickelte Urlaub wird nicht finanziell abgegolten.
Von der Regel, dass es nicht auf den Rechtsgrund für die genommenen Urlaubstage ankommt, wurde in der Rechtsprechung allerdings insoweit eine Ausnahme gemacht, als Mindesturlaub des laufenden Jahres nicht die Urlaubstage sein können, die Mindesturlaub des vorangegangenen Jahres sind. Ohne dass es einer genauen Zuordnung zum laufenden oder vorangegangenen Urlaubsjahr bedürfe, sollen Urlaubstage noch dem Vorjahr zugeordnet werden können, wenn der Mindesturlaub des Vorjahres noch nicht eingebracht wurde (vgl. VG Regensburg, U.v. 10.10.2014 – RN 1 K 13.1973 – juris Rn. 52).
Selbst unter Berücksichtigung dieser Ausnahme ergibt sich allerdings vorliegend nichts anderes. Zwar hat der Kläger im Jahr 2017 nach den von der Beklagten vorgelegten Unterlagen von dem ihm zustehenden Mindesturlaub von 16 Tagen nur 11 Tage im Jahr 2017 abgewickelt. Da der Kläger im Jahr 2018 bei einem Mindesturlaub von 9 1/3 Tagen aber 17 Tage Urlaub abgewickelt hat, hat er sowohl den unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaub aus 2018 als auch den unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaub aus 2017 vollständig abgewickelt.
Auf die weitere Argumentation der Beteiligten, insbesondere das Argument des Klägers zu sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ergebenden Mitwirkungs- und Hinweispflichten des Dienstherrn und den Verweis auf entsprechende aktuelle Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts für den Bereich des Arbeitsrechts, kommt es daher nicht mehr entscheidungserheblich an. Auch eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof war vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen nicht veranlasst (vgl. hierzu auch BayVGH, B.v. 25.11.2015 – 6 ZB 15.2167 – juris Rn. 9). Der vom Kläger angeführte Vorlagebeschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 29. September 2020 – 9 AZR 266/20 – (juris) betrifft die Frage der Verjährung des Urlaubsanspruchs, wenn der Arbeitgeber seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht erfüllt hat, und damit eine andere Fragestellung.
Die Klage ist nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung.


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