Arbeitsrecht

Verdienstausfallentschädigungsanspruch, Covid-19-Pandemie, subjektives Leistungshindernis, tarifvertraglicher Lohnfortzahlungsanspruch gegen den Arbeitgeber

Aktenzeichen  B 7 K 21.428

Datum:
13.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 31136
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
IfSG § 56 Abs. 1 und Abs. 5
§ 10 des Manteltarifvertrages für medizinische Fachangestellte

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen. 
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. 
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. 

Gründe

1. Gegenstand der Klage sind fünf Klagebegehren, gerichtet jeweils auf Erstattung der Verdienstausfallentschädigung für die Mitarbeiterinnen … Z …, … S …, … W …, … B … und … G … Die Begehren konnten im Wege der objektiven Klagehäufung zusammen verfolgt werden, da sie sich jeweils gegen den Freistaat Bayern, vertreten durch die Regierung von Oberfranken, richten, inhaltlich in engem sachlichen und rechtlichen Zusammenhang stehen und jeweils das Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth zuständig ist (§ 44 VwGO).
2. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung einer Verdienstausfallentschädigung für seine Mitarbeiterinnen … Z …, … S …, … W …, … B … und … G … (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Der geltend gemachte Anspruch auf Erstattung einer Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG besteht schon deswegen nicht, weil die Arbeitnehmerinnen des Klägers keinen Verdienstausfall i.S.d. § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG erlitten haben. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG in der maßgeblichen Fassung (vgl. zur Frage der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Rahmen des § 56 IfSG grundlegend: VG Bayreuth, U.v. 21.6.2021 – B 7 K 21.110 – juris) erhält, wer aufgrund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern i.S.v. § 31 Satz 2 IfSG Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet, eine Entschädigung in Geld. Das Gleiche gilt gem. § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG für Personen, die als Ausscheider, Ansteckungsverdächtige oder Krankheitsverdächtige abgesondert wurden oder werden, bei Ausscheidern jedoch nur, wenn sie andere Schutzmaßnahmen nicht befolgen können. Nach § 56 Abs. 5 Satz 1 IfSG hat bei Arbeitnehmern der Arbeitgeber die Entschädigung für die zuständige Behörde auszuzahlen. Auf Antrag werden dem Arbeitgeber von der zuständigen Behörde die ausgezahlten Beträge erstattet (§ 56 Abs. 5 Satz 2 IfSG).
Am Tatbestandsmerkmal des „Verdienstausfalles“ fehlt es, wen die Arbeitnehmer für die gesamte Dauer des in Rede stehenden Quarantänezeitraums (hier vom 26. bzw. 27.11. bis 06.12.2020) einen Lohnfortzahlungsanspruch unmittelbar ihrem Arbeitgeber gegenüber haben. So liegt es hier, weil die Mitarbeiterinnen des Klägers diesem gegenüber Anspruch auf Lohnfortzahlung nach § 10 MTV i.V.m. mit § 14 des jeweiligen Arbeitsvertrages haben. Die Voraussetzungen für eine Lohnfortzahlung nach § 10 MTV bestehen dem Grunde nach (dazu unter lit. a) und decken auf der Rechtsfolgenseite den gesamten Quarantänezeitraum ab (dazu unter lit. b).
a) Dass § 10 MTV über die Bezugnahmeklausel in § 14 der Arbeitsverträge der Mitarbeiterinnen des Klägers in den vorliegenden Fällen Vertragsbestandteil ist, steht außer Frage und wird auch klägerseits nicht in Abrede gestellt. Auf der Tatbestandsseite der Norm steht als Voraussetzung für einen Lohnfortzahlungsanspruch, dass es seitens der Medizinischen Fachangestellten zu einem unverschuldeten Arbeitsversäumnis infolge eines in ihrer Person liegenden Grundes gekommen ist (auf die Tatbestandsalternative der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit kommt es ersichtlich nicht an). Beide Voraussetzungen – ein in der Person liegender Grund und fehlendes Verschulden – finden sich inhaltsgleich in § 616 BGB. Hierzu hat die Kammer bereits mit Gerichtbescheid vom 05.05.2021 (B 7 K 21.210 – juris Rn. 29 f.) grundsätzlich entschieden, dass die für den Verdienstausfall anlassgebenden Quarantäneanordnungen für Ansteckungsverdächtige ein in der Person des jeweiligen Arbeitnehmers liegender Grund im Sinne eines subjektiven Leistungshindernisses sind (ebenso NdsOVG, B.v. 2.7.2021 – 13 LA 258/21 – juris Rn. 10 unter Bestätigung von VG Oldenburg, U.v. 26.4.2021 – 7 A 1497/21 – juris Rn. 16; VG Koblenz, U.v. 10.5.2021 – 3 K 108/21.KO – juris Rn. 26; VG Freiburg (Breisgau), U.v. 2.7.2021 – 10 K 547/21 – juris Rn. 20).
Die Kammer führte insoweit aus:
„Die Quarantäne, die für die Arbeitnehmerin als Ansteckungsverdächtige angeordnet wurde, ist ein in der Person der Arbeitnehmerin liegender Grund im Sinne eines subjektiven Leistungshindernisses (wohl h.M, vgl. schon BGH, U.v. 30.11.1978 – III ZR 43/77 – juris Rn. 20; so auch z.B. Henssler in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, § 616 Rn. 25; Bieder in: BeckOK BGB, Stand 01.02.2020, § 616 Rn. 17; Meßling in: Schlegel/Meßling/Bockholdt, Covid-19-Gesetzgebung – Gesundheit und Soziales, 1. Aufl. 2020, § 19 Rn. 10; Hohenstatt/Krois, NZA 2020, 413, 414 f.; Preis/Mazurek/Schmid, NZA 2020, 1137, 1140; Noack, NZA 2021, 251, 253; a.A. z.B. Klein, NJ 2020, 377, 378; Sievers, jM 2020, 189, 190; Weller/Lieberknecht/Habrich, NJW 2020, 1017, 1018 f.). Denn auch wenn die Pandemie als solche ein globales und gesamtgesellschaftliches Ereignis ist, ist der Anlass der Quarantäneanordnung im Einzelfall in hohem Grade von der betroffenen Person und den jeweiligen Umständen abhängig. Erst eine konkrete, infektionsgefährliche Situation im Sinne eines „Kategorie-I-Kontakts“ oder ein positives Covid-19-Testergebnis kann zur Einordnung einer Person als „Ausscheider“, „Ansteckungsverdächtiger“ oder „Krankheitsverdächtiger“ führen und sie damit zum Adressaten einer Isolierungsanordnung i.S.d. § 56 Abs. 1 i.V.m. § 31 IfSG machen. Gerade die Beurteilung der jeweiligen Kontaktsituation auf der Tatbestandsseite im Hinblick darauf, in welchem Maße eine Übertragungsgefahr besteht, erfordert eine umfassende individuelle Beurteilung der Gegebenheiten anhand zahlreicher Kriterien, wie z.B. Dauer und räumliche Nähe des Kontakts, Lüftungsverhältnisse, das Tragen von Masken etc. (vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Kontaktperson/Management.html, Stand 21.04.2021). Die bloße Möglichkeit, dass von einer gefährlichen Kontaktsituation im Einzelfall mehrere Personen betroffen sein können (z.B. durch eine Anreicherung infektiöser Aerosole im Raum) lässt das Erfordernis einer einzelfallbezogenen Beurteilung der Infektionsgefahr für jeden Betroffenen nicht entfallen, ändert demgemäß auch nichts am Charakter der Quarantäneanordnung als individualisiertem, einzelfallabhängigen Verwaltungsakt und führt – mit Blick auf die arbeitsrechtlichen Folgen – mithin auch ersichtlich nicht zu einem objektiven Charakter des daraus resultierenden Leistungshindernisses (nicht überzeugend daher Kraayvanger/Schrader, NZA-RR 2020, 623, 625 f.).“
Diese Ausführungen sind in den vorliegenden Fällen hinsichtlich der als Ansteckungsverdächtige abgesonderten Mitarbeiterinnen … Z …, … S …, … W … und … B … sowie der als (in Ermangelung bekannter Symptome) Ausscheiderin abgesonderten … G … in gleicher Weise gültig.
Weitere Tatbestandsmerkmale enthält § 10 MTV nicht. Insbesondere fehlt im Vergleich zu § 616 BGB das Tatbestandsmerkmal der „verhältnismäßig nicht erheblichen Zeit“. Die zeitliche Höchstgrenze von sechs Wochen in § 10 MTV ist vielmehr, wie bei § 3 EFZG, klar ersichtlich auf der Rechtsfolgenseite verortet (vgl. zur Abgrenzung VG Bayreuth, GB v. 5.5.2021 – B 7 K 21.210 – juris Rn. 40). § 10 MTV verbindet insofern den Tatbestand des § 616 BGB mit der Rechtsfolge, wie sie sich auch bei § 3 EFZG ergibt. Die Anspruchsgrundlage ist sachlich – anders als § 3 EFZG – nicht auf Fälle der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit beschränkt, sondern greift – wie § 616 BGB – auch in allen übrigen Fällen subjektiver Leistungshindernisse, jedoch – anders als bei § 616 BGB – unabhängig von deren Dauer. Vielmehr ist die Norm – wie § 3 EFZG – eine „Alles-oder-Nichts“-Vorschrift, d.h. bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen tritt die Fortzahlungspflicht für den gesamten Zeitraum bis zur festgelegten Höchstgrenze ein (vgl. zu der vergleichbaren Vorschrift des § 19 des Berufsbildungsgesetzes – BBiG: VG Bayreuth, GB v. 19.5.2021 – B 7 K 21.80).
b) Die in Rede stehenden Quarantänezeiträume (26. bzw 27.11. bis 06.12.2020) liegen ersichtlich innerhalb der Höchstgrenze von sechs Wochen, für die die Fortzahlungspflicht des Arbeitgebers nach § 10 MTV besteht. Auch ist den Arbeitnehmern hiernach der Arbeitslohn in voller Höhe auszuzahlen. Insofern verbleibt in keiner Hinsicht Raum für eine Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 1 IfSG.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO). Der Einräumung einer Abwendungsbefugnis bedurfte es angesichts der allenfalls geringen vorläufig vollstreckbaren Aufwendungen des Beklagten nicht.
4. Gründe für die vom Kläger angeregte Zulassung der Berufung liegen nicht vor. Namentlich liegt zur subjektiv-rechtlichen Eigenschaft der Quarantäneanordnung als Leistungshindernis bereits (auch ober-)verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung vor, die – soweit ersichtlich – in diesem Punk einheitlich ist. Die Frage, ob der Anspruch nach § 10 MTV auf eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit beschränkt ist, beantwortet sich allein am (insoweit eindeutigen) Gesetzeswortlaut.


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