Arbeitsrecht

Verfahrensrecht: Widerspruch durch E-Mail und Widerruf eines Verwaltungsakts mit Nebenbestimmungen

Aktenzeichen  L 7 AS 343/20

Datum:
7.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 40753
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 77, § 84 Abs. 2 S. 3, § 86, § 87
SGB X § 32 Abs. 2 Nr. 3, § 47

 

Leitsatz

Ein Widerspruch mittels E-Mail ist formunwirksam. (Rn. 14)
1. Es ist hinsichtlich der Widerspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn die Behörde es unterlassen hat, den Betroffenen auf die Formunwirksamkeit hinzuweisen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Steht die Förderung von Umzugskosten unter dem Widerrufsvorbehalt nach § 32 Abs. 2 Nr. 3 SGB X bei Nichtvorlage des Arbeitsvertrages, hat die Behörde kein Ermessen, wenn der Arbeitsvertrag nicht vorgelegt wird, sondern muss widerrufen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 46 AS 2339/16 2020-04-29 GeB SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 29. April 2020 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143,144, 151 SGG) ist unbegründet.
Der per E-Mail eingelegte Widerspruch vom 30.5.2016 ist formunwirksam. Eine einfache E-Mail erfüllt das Erfordernis der Schriftform nicht, § 84 Abs. 1 SGG (vgl. Bay. LSG vom 24.2.2012, L 8 SO 9/12 B ER; LSG Berlin-Brandenburg vom 28.9.2010, L 18 AL 76/10).
Unabhängig davon ist dem Kläger Wiedereinsetzung in die versäumte Widerspruchsfrist zu gewähren. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGG i.V.m. §§ 66, 67 SGG zu gewähren, wenn die Behörde es unterlassen hat, den Betroffenen auf die Formunwirksamkeit hinzuweisen (vgl. jurisPK-SGG § 84 Rn 41). Nachdem der Zugang des Schreibens vom 9.8.2016 nicht feststellbar ist, kann ein entsprechender Hinweis nicht als erfolgt angesehen werden.
Eine schriftliche Widerspruchseinlegung erfolgte zusammen mit der Klageerhebung am 5.10.2016. Wiedereinsetzung kann auch das Gericht ohne Antrag gewähren (vgl. BSG vom 3.11.1976, 7 RAr 101/75).
Klage und Berufung sind unbegründet.
Der Bescheid vom 3.3.2015 ist bestandskräftig und zwischen den Beteiligten nach § 77 SGG bindend. Die Förderung der Umzugskosten nach § 16 SGB II i.V.m. § 44 SGB III stand im pflichtgemäßen Ermessen des Beklagten. Eine Ermessensentscheidung kann mit einer Nebenbestimmung versehen werden, vgl. § 32 Abs. 1 SGB X. Die Förderung stand unter dem Widerrufsvorbehalt nach § 32 Abs. 2 Nr. 3 SGB X im Falle der Nichtvorlage des Arbeitsvertrages. Der Kläger hat entgegen seiner Behauptung den Arbeitsvertrag nicht vorgelegt. Der Arbeitsvertrag findet sich nicht in den Akten.
In der Sache handelt es sich um einen Widerruf für die Vergangenheit nach § 47 Abs. 2 SGB X. Auf Vertrauensschutz kann sich der Kläger nicht berufen, denn im Bescheid vom 3.3.2015 wurde er ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Bescheid widerrufen wird, sollte er den Arbeitsvertrag nicht vorlegen. Zur zeitnahen Vorlage des Arbeitsvertrages war allein der Kläger im Stande. Die Firma selbst ist allein mit den Angaben in der damaligen E-Mail nicht weiter identifizierbar. Die Behauptung des Klägers, dass er keine Unterlagen mehr habe und wichtige Unterlagen infolge des Rückumzugs nach B verloren gegangen seien, sind wenig glaubhaft. Wenig überzeugend sind in diesem Zusammenhang auch die Erinnerungslücken des Klägers. So will er sich zwar einerseits nicht mehr daran erinnern können, um welches Arbeitsverhältnis es sich gehandelt habe, andererseits will er aber genau wissen, dass er das Schreiben vom 9.8.2016 nicht erhalten hat. Aus den Angaben der E-Mail ist die fragliche Firma jedoch nicht identifizier- und auffindbar. So ermöglicht es der Kläger dem Beklagten nicht einmal, im Nachhinein zu ermitteln, ob es damals zur Arbeitsaufnahme gekommen ist.
Das Ermessen des Beklagten für den Widerruf ist auf Null reduziert. Die Förderung wurde allein zu dem Zweck der Arbeitsaufnahme geleistet. Aufgrund des unmittelbar bevorstehenden Umzugs war ein schnelles Handeln durch den Beklagten erforderlich. Der Kläger hat nicht mitgewirkt, obwohl es ihm ohne weiteres möglich gewesen wäre, den Arbeitsvertrag damals zeitnah vorzulegen. Dies hat der Kläger ohne sachlichen Grund nicht getan und damit die Erreichung des Förderzwecks vereitelt. Angesichts dieser Umstände im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung der Pflicht des Beklagten zur sparsamen und wirtschaftlichen Mittelverwendung ist zur Überzeugung des Senats eine andere Entscheidung als ein Widerruf vorliegend nicht rechtmäßig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision i.S.v. § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.


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