Arbeitsrecht

Verfall des Urlaubsanspruchs bei langjähriger, dauerhafter Dienstunfähigkeit

Aktenzeichen  AN 16 K 19.02192

Datum:
18.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 38175
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BUrlG § 7
EUrlV § 10

 

Leitsatz

1. Im Rahmen des Verfalls des Urlaubsanspruchs kommt es, anders als bei einer Verjährung, nicht darauf an, ob der Urlaubsabgeltungsanspruch vor dem Verfall des Urlaubsanspruchs geltend gemacht wurde. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
2. Den Arbeitgeber/Dienstherrn trifft keine Obliegenheit, den Arbeitnehmer/Beamten über die Rechtsfolge des Nichtnehmens des Urlaubs, mithin den Verfall, aufzuklären, wenn dieser dauerhaft dienstunfähig ist und seinen Urlaub aufgrund der Dienstunfähigkeit schon tatsächlich nicht mehr nehmen kann. (Rn. 37 – 38) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der ablehnende Bescheid vom 24. Oktober 2018 und der Widerspruchsbescheid vom 22. März 2019 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Abgeltung ihres Urlaubes aus den Jahren 2015 und 2016.
I.
Die Klage ist zulässig, insbesondere wurde ein notwendiges Vorverfahren rechtmäßig durchgeführt.
1. Ein Vorverfahren war im vorliegenden Fall notwendig, da die Ansprüche und die entsprechenden Rechtsgrundlagen beamtenrechtlicher Natur sind.
Die Klägerin war im Zeitraum vom 1. Oktober 2008 bis 31. Juli 2018 beurlaubt. Der Umstand, dass es sich vorliegend um eine sog. In-sich-Beurlaubung handelt, ändert nichts daran, dass die Klägerin nunmehr aufgrund eines Arbeitsvertrages für die Beklagte tätig wurde. Zwar geht auch mit der Beurlaubung des Beamten dessen beamtenrechtliche Stellung mit all seinen Rechten und Pflichten nicht vollständig unter. Dennoch ist gerade hinsichtlich des Urlaubsanspruchs auf den Arbeits- bzw. den geltenden Tarifvertrag oder mangels einer Regelung auf das Bundesurlaubsgesetz abzustellen.
Der Urlaubsabgeltungsanspruch entsteht, wenn ein nicht verfallener und noch nicht genommener Urlaub aufgrund Beendigung des Dienst- bzw. Arbeitsverhältnisses nicht mehr genommen werden kann, vgl. § 10 Abs. 1 EUrlV bzw. § 7 Abs. 4 BUrlG. Im vorliegenden Fall wurde die Klägerin mit Wirkung zum 1. August 2018, 0.00 Uhr, wegen dauernder Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt. Ab diesen Zeitpunkt war sie damit Ruhestandsbeamtin. Die Beurlaubung der Klägerin wurde mit Ablauf des 31. Juli 2018, 24:00 Uhr, widerrufen. Dies bedeutet, dass die Beendigung des Dienstes zum 1. August 2018, 0:00 Uhr, eingetreten ist. Ab diesen Zeitpunkt war es der Klägerin nicht mehr möglich, einen nicht verfallenen Urlaub noch zu nehmen. Damit entstand ab diesen Zeitpunkt der Urlaubsabgeltungsanspruch der Klägerin. Zu diesem maßgeblichen Zeitpunkt bestand eine Beurlaubung der Klägerin nicht mehr, sie war nun wieder (ausschließlich) Beamtin.
Demnach richtet sich vorliegend der Anspruch der Klägerin nach der beamtenrechtlichen Regelung des § 10 Abs. 1 EUrlV.
Dem entsprechend bedurfte es vorliegend eines Vorverfahrens gemäß § 68 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 VwGO.
2. Das notwendige Vorverfahren wurde im folgenden Fall rechtmäßig durchgeführt.
Die Klägerin hat mit Schreiben vom 9. Oktober 2018 an die Beklagte einen monetären Abgeltungsanspruch für die Jahre 2015 und 2016 geltend gemacht.
Mit Bescheid vom 24. Oktober 2018 hat die Beklagte den Antrag abgelehnt. Das „Schreiben“ der Beklagten mag insoweit nicht den Vorgaben eines klassischen Bescheides entsprechen. Beispielsweise enthält das Schreiben keinen Tenor und auch keine Rechtsbehelfsbelehrung:. Jedoch erfüllt dieses „Schreiben“ alle Voraussetzungen, die an einen Verwaltungsakt im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG zu richten sind. Insbesondere wird klar erkennbar, dass es sich vorliegend um eine hoheitliche Maßnahme handelt, die die Beklagte an die Klägerin und damit nach außen hin richtet. Es wird hinreichend deutlich, dass die Beklagte eine Zahlung der Urlaubsabgeltung ablehnt. Damit trifft sie auch eine Regelung im Einzelfall.
Daher stellt das Schreiben der Beklagten vom 24. Oktober 2018 einen beamtenrechtlichen Verwaltungsakt dar.
Das Schreiben des Klägervertreters vom 4. März 2019 an die Beklagte stellt entsprechend einen Widerspruch im Sinne des § 69 VwGO dar. Auch hier wird, ggf. unter Zuhilfenahme der Auslegungsmöglichkeiten, klar erkennbar, dass man sich gegen die Entscheidung der Beklagten vom 24. Oktober 2018 richtet. Dass das Wort „Widerspruch“ nicht genannt ist, ist rechtlich unerheblich. Der Widerspruch ist auch fristgerecht erhoben worden, da es dem Schreiben vom 24. Oktober 2018 an einer Rechtsbehelfsbelehrung:mangelte, vgl. § 58 Abs. 2 VwGO.
Gleichermaßen stellt das „Schreiben“ der Beklagten vom 22. März 2019 einen Widerspruchsbescheid dar. Auch dieses „Schreiben“ erfüllt alle Voraussetzungen eines Verwaltungsakts gemäß § 35 Satz 1 VwVfG. Es wird wiederum klar erkennbar, dass sich die Beklagte nochmals ausführlich mit dem Sachverhalt und ihrer früher getroffenen Entscheidung auseinandergesetzt hat. Wiederum lehnte die Beklagte einen entsprechenden Anspruch der Klägerin ab und wies damit den Widerspruch zurück.
II.
Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Abgeltung ihres Erholungsurlaubes aus den Jahren 2015 und 2016, da der Urlaubsanspruch der Klägerin zum Zeitpunkt der Entstehung des Urlaubsabgeltungsanspruchs bereits verfallen war.
Rechtsgrundlage für einen Urlaubsabgeltungsanspruch des Beamten ist § 10 Abs. 1 EUrlV. Wie im Rahmen der Zulässigkeit bereits ausgeführt stand die Klägerin zum Zeitpunkt der Entstehung des Urlaubsabgeltungsanspruch zum 1. August 2018, 0:00 Uhr, wieder ausschließlich in einem Beamtenverhältnis; ihre Beurlaubung wurde zum 31. Juli 2018, 24:00 Uhr, beendet.
Der Urlaubsanspruch der Klägerin aus den Jahren 2015 und 2016 war zum Zeitpunkt der Entstehung des Urlaubsabgeltungsanspruchs (Beendigung des Dienstverhältnisses und Eintritt in den Ruhestand) bereits verfallen.
Rechtsgrundlage des Urlaubsanspruchs der Klägerin für die Jahre 2015 und 2016 sind der Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag sowie ergänzend das BUrlG. Zum Zeitpunkt der Entstehung des Urlaubsanspruchs zum Beginn der Jahre 2015 und 2016 stand die Klägerin bei der Beklagten aufgrund einer In-sich-Beurlaubung in einem Angestelltenverhältnis; dem entsprechend richtet sich der Urlaubsanspruch, anders als der Urlaubsabgeltungsanspruch, nicht nach der beamtenrechtlichen EUrlV. Gemäß § 29 Abs. 2 des Tarifvertrags für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Bundesagentur für Arbeit (TV-BA) gilt neben den dort genannten Regelungen das BUrlG. Gemäß der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes, der das Gericht folgt, verfallen gesetzliche Urlaubsansprüche aufgrund unionsrechtskonformer Auslegung des § 7 Abs. 3 BUrlG 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres, wenn ein Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen an seiner Ableistung gehindert ist. Nach Ablauf der Verfallsfrist von 15 Monaten kann der Sinn und Zweck der gesetzlichen Urlaubsregelung nicht mehr erreicht werden. Hintergrund der Urlaubsregelungen ist, dass jeder Arbeitnehmer in einem regelmäßigen Rhythmus eine gewisse Zeit der Erholung auch tatsächlich erhält (vgl. BAG, Urt. v. 7.8.2012 – 9 AZR 353/10 – BAGE 142, 371 – juris). Eine solche Verfallsfrist in dieser Länge hatte der Europäische Gerichtshof für zulässig angesehen (siehe EuGH, Urt. v. 22.11.2011 – C-214/10 – juris). Damit ist der Urlaubsanspruch der Klägerin aus dem Jahr 2015 zum Ablauf des 31. März 2017 und der Urlaubsanspruch aus dem Jahr 2016 zum Ablauf des 31. März 2018 verfallen. Beide Urlaubsansprüche sind demnach vor Entstehung des Abgeltungsanspruchs zum 1. August 2018 verfallen.
Unerheblich ist es dabei, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch vor dem Verfall des Urlaubsanspruchs geltend gemacht wurde. Im Rahmen des Verfalls ist dies, anders als bei einer Verjährung, unerheblich (vgl. EuGH, Urt. v. 12.6.2014 – C-118/13 – juris). Ist der Urlaubsabgeltungsanspruch bereits nicht entstanden, kommt es auf eine Verjährung bzw. Hemmung der Verjährung aufgrund Geltendmachung nicht an (vgl. BVerwG, B. v. 9.4.2014 – 2 B 95.13 – juris).
Dabei ist es vorliegend ohne Belang, dass die Beklagte die Klägerin nicht zum Nehmen des Urlaubs aufgefordert und sie auch nicht auf die Rechtsfolgen, also den Verfall des Urlaubsanspruches bei Nichtnehmen, hingewiesen hat.
Gemäß Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urt. v. 6.11.2018 – C -619/16 – juris) verfällt der Urlaub auch nach Ablauf von 15 Monaten nicht, wenn der Arbeitgeber/Dienstherr es unterlässt, den Arbeitnehmer/Beamten erforderlichenfalls förmlich aufzufordern und ihn tatsächlich in die Lage zu versetzen, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, um damit sicherzustellen, dass der Urlaub ihm noch die Erholung und Entspannung bieten kann, zu der er beitragen soll. Zudem muss der Arbeitgeber/Dienstherr klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub, wenn der Arbeitnehmer/Beamte ihn nicht nimmt, am Ende des Bezugs- oder eines zulässigen Übertragungszeitraumes oder am Ende des Arbeitsverhältnisses verfallen wird (EuGH, Urt. v. 6.11.2028 a.a.O. – juris – Rn. 52). Der Arbeitgeber/Dienstherr muss sich bei der Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten auf einen konkret bezeichneten Urlaubsanspruch eines bestimmten Jahres beziehen und den Anforderungen an eine völlige Transparenz genügen. Er kann seine Obliegenheit z.B. dadurch erfüllen, dass er zu Beginn des Kalenderjahres in Textform mitteilt, wie viele Arbeitstage dem Arbeitnehmer/Beamten im Kalenderjahr zustehen, ihn auffordert, seinen Jahresurlaub so rechtzeitig zu beantragen, dass er innerhalb des laufenden Urlaubsjahres genommen werden kann, und ihn über die Konsequenzen belehrt, die eintreten, wenn dieser den Urlaub nicht entsprechend der Aufforderung beantragt (BAG, Urt. v. 19.2.2019 – 9 AZR 423/16 – juris Rn. 40).
Unerheblich ist, dass die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu einem Zeitpunkt ergangen ist, als der Urlaubsanspruch der Klägerin bereits verfallen war. Denn die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs gemäß Art. 267 AEUV haben ex tunc-Wirkung (vgl. BAG, Urt. v. 19.2.2019 a.a.O. – juris Rn. 35).
Diese Rechtsprechung findet jedoch vorliegend keine Anwendung. In den vom Europäischen Gerichtshof und dem Bundesarbeitsgericht zu entscheidenden Fällen war der Sachverhalt dergestalt, dass die Kläger durchaus zumindest theoretisch in der Lage gewesen wären, ihren Urlaub auch tatsächlich zu nehmen. Im vorliegenden Fall ist die Situation jedoch eine andere. Die Klägerin war seit dem 31. März 2015 bis zu ihrem Ruhestandseintritt durchgehend und dauerhaft dienstunfähig. Einen Urlaub aus den Jahren 2015 und 2016 konnte sie aufgrund ihrer Dienstunfähigkeit schon tatsächlich nicht mehr nehmen.
In einem solchen Fall ist das Gericht vorliegend der Auffassung, dass den Arbeitgeber/Dienstherrn keine Obliegenheit trifft, den Arbeitnehmer/Beamten über die Rechtsfolge des Nichtnehmens des Urlaubs, sprich: den Verfall, aufzuklären und ihn klar und transparent sowie ausführlich zum Nehmen des Urlaubs aufzufordern. Zum einen erscheint die Obliegenheit zur Aufforderung und zur Aufklärung als bloße Förmelei, da es dem Beamten/Arbeitnehmer überhaupt nicht möglich ist, dieser Aufforderung auch nachzukommen. Zudem ist sehr fraglich, ob es mit der Fürsorgepflicht des Dienstherrn vereinbar ist, wenn er den Beamten, trotz bekannter dauerhafter Dienstunfähigkeit, zum Nehmen des Urlaubes auffordert. Vor allem aber kann auch der Sinn und Zweck dieser Obliegenheit nicht mehr erfüllt werden: Hintergrund ist, dass es dem Arbeitnehmer/Beamten, der sich möglicherweise in einer schwächeren Position gegenüber seinem Dienstherrn/Arbeitgeber befindet, auch tatsächlich möglich sein soll, seinen Urlaub zu nehmen. Dem Arbeitgeber/Dienstherrn soll die Möglichkeit genommen werden, den Beamten/Arbeitnehmer am Nehmen seines Urlaubs zu hindern. Dieser Sinn und Zweck kann aber in einem Fall wie dem vorliegenden nicht mehr erreicht werden, wenn der Beamte auch tatsächlich überhaupt nicht mehr in der Lage ist, den Urlaub zu nehmen (vgl. auch LAG Rheinland Pfalz, Urt. v. 15.1.2020 – 7 Sa 284/19 – juris Rn. 28 ff.; LAG Hamm, Urt. v. 24.7.2019 – 5 Sa 676/19 – juris; a.A. ArbG Berlin, Urt. v. 13.6.2029 – 42 Ca 3229/19 – juris).
Die unbegründete Klage war deshalb abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO.


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