Arbeitsrecht

Verfall tariflichen Mehrurlaubs

Aktenzeichen  2 Ca 332/20

Datum:
18.11.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
ArbG Gera 2. Kammer
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:ARBGERA:2021:1118.2CA332.20.00
Normen:
§ 7 Abs 3 BUrlG
§ 26 TVöD
Art 7 EGRL 88/2003
Spruchkörper:
undefined

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
3. Der Wert des Streitgegenstands wird auf 1.331,73 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten darum, ob die Klägerin weitere neun Urlaubstage aus dem Jahr 2019 noch zustehen.
Die Klägerin ist bei der Beklagten seit 01.01.1996 mit Arbeitsvertrag gleichen Datums als Angestellte beschäftigt. Die Beklagte ist eine Gemeinde i. S. d. § 1 ThürKO. Nur auf das Arbeitsverhältnis finden die Regelungen des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) Anwendung. Gemäß § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD stehen der Klägerin im Urlaubsjahr 30 Tage Erholungsurlaub zu, da arbeitsvertraglich eine Fünftagewoche vereinbart ist.
Die Regelung lautet auszugsweise wie folgt:
§ 26 Erholungsurlaub(1) Beschäftigte haben in jedem Kalenderjahr Anspruch auf Erholungsurlaub unter Fortzahlung des Entgelts (§ 21). Bei Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf fünf Tage in der Kalenderwoche beträgt der Urlaubsanspruch in jedem Kalenderjahr 30 Arbeitstage. Bei einer anderen Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit als auf fünf Tage in der Woche erhöht oder vermindert sich der Urlaubsanspruch entsprechend. Verbleibt bei der Berechnung des Urlaubs ein Bruchteil, der mindestens einen halben Urlaubstag ergibt, wird er auf einen vollen Urlaubstag aufgerundet; Bruchteile von weniger als einem halben Urlaubstag bleiben unberücksichtigt. Der Erholungsurlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und kann auch in Teilen genommen werden. […](2) Im Übrigen gilt das Bundesurlaubsgesetz mit folgenden Maßgaben:a) Im Falle der Übertragung muss der Erholungsurlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres angetreten werden. Kann der Erholungsurlaub wegen Arbeitsunfähigkeit oder aus betrieblichen/dienstlichen Gründen nicht bis zum 31. März angetreten werden, ist er bis zum 31. Mai anzutreten. […]
Von denen der Klägerin zustehenden 30 Urlaubstagen für das Urlaubsjahr 2019 trat die Klägerin bis einschließlich 03.01.2020 21 Urlaubstage in natura an. Die verbleibenden neun Urlaubstage des Urlaubsjahres 2019 wollte die Klägerin im Februar 2020 nach der Rückkehr einer ebenfalls im Urlaub befindlichen Kollegin nehmen. Die Urlaubsplanung war insoweit bereits mit der Kollegin abgestimmt.
Mit Schreiben vom 20.01.2020, das der Klägerin am 27.01.2020 zuging, wies die Beklagte darauf hin, dass der Resturlaub von neun Tagen bis 31.03.2020 zu nehmen sei. Sonst würde dieser gemäß der tarifvertraglichen Regelung verfallen.
Ab dem 28.01.2020 bis einschließlich zum 10.08.2020 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt, diese Arbeitsunfähigkeit war lediglich durch einen Arbeitstag am 05.02.2020 unterbrochen. Erst ab 11.08.2020 war die Klägerin wieder arbeitsfähig. Nach ihrer Gesundung wollte die Klägerin den Resturlaub 2019 antreten, was allerdings die Beklagte mit Hinweis auf die Regelung des § 26 TVöD ablehnte.
Daraufhin hat die Klägerin am 09.09.2020 Klage erhoben.
Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagtenseite habe ihre Hinweispflicht nicht in ausreichender Weise ausgeübt. Insbesondere habe die Beklagte auch bereits im Jahr 2019 auf den drohenden Verfall des Urlaubs hinweisen müssen. Des Weiteren sei zu berücksichtigen, dass der Klägerin die Wahrnahme des Urlaubs bis zum Mai 2020 auf Grund der Erkrankung nicht möglich war, was nicht zu ihren Lasten gehen könne.
Die Klägerin beantragt,
festzustellen, dass ihr aus dem Jahr 2019 noch neun Urlaubstage zustehen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, die Beklagte habe mit ihrem Schreiben vom 22.01.2020 ihrer Hinweispflicht Genüge getan. Weder sei es erforderlich gewesen, bereits im Jahr 2019 einen Hinweis zu erteilen, noch habe die Beklagte während der Erkrankungszeiten der Klägerin erneut hinweisen müssen. Im Übrigen wäre es der Klägerin auch möglich gewesen, die noch bestehenden Urlaubstage bereits im Januar 2020 anzutreten.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die Gerichtsakte ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat keinen Erfolg, denn sie ist zwar zulässig, aber nicht begründet.
Die Klage ist zunächst zulässig, insbesondere besteht auch ein rechtlich geschütztes Interesse an der begehrten Feststellung im Sinne des § 256 ZPO. Im noch laufenden Arbeitsverhältnis kann das Bestehen von Urlaubsansprüchen, die in natura genommen werden sollen, mittels Feststellungsklage verfolgt werden, wenn kein Vorrang der Leistungsklage gegeben ist und durch die Feststellungsklage der Streit im Ganzen beigelegt werden kann. Dies ist insbesondere der Fall, wenn festgestellt werden soll, dass aus einem bestimmten Urlaubsjahr noch eine bestimmte Zahl von Urlaubstagen zusteht (BAG 12.7.2016, BeckRS 2016, 73354; 27.6.2017, NZA 2017, 1215; zu den Grenzen zulässiger Feststellungsklagen BAG 3.12.2019, NZA 2020, 541; Körlings DB 2020, 1348). Eine solche Klage ist jedenfalls dann zulässig, wenn der Arbeitnehmer aus der unterbliebenen Gewährung des Urlaubs noch Rechtsfolgen für die Gegenwart ableitet (BAG 17.5.2011, NZA 2011, 1033; Fischer FA 2012, 137 ff.; ErfK/Gallner, 22. Aufl. 2022, BUrlG § 7 Rn. 32). So liegt der Fall hier.
Die Klage ist jedoch nicht begründet, denn der Anspruch der Klägerin auf Urlaubsgewährung aus dem Jahr 2019 ist aufgrund der Regelung § 26 Abs. 2 Ziff. a TVöD verfallen, sodass die Klägerin diesen Resturlaub von neun Arbeitstagen nicht mehr beanspruchen kann.
Für den gesetzlichen Mindesturlaub iSd §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG schreibt § 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG vor, dass der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden muss. Nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG verfiel nicht genommener Urlaub unabhängig davon, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hatte, den Urlaub zu nehmen, nach § 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG mit Ablauf des Urlaubsjahres, sofern kein Übertragungsgrund iSv § 7 Abs. 3 S. 2 und 4 BUrlG gegeben war (vgl. BAG, NZA 2018, 1480 = AP BUrlG § 7 Nr. 82 Rn. 14; NZA 2017, 271 Rn. 13). Dies galt selbst dann, wenn der Arbeitnehmer rechtzeitig vor Ablauf des Urlaubsjahres die Gewährung des Urlaubs verlangte und der Arbeitgeber den verlangten Urlaub nicht gewährte. Jedoch trat, wenn sich der Arbeitgeber mit der Urlaubsgewährung in Verzug befand, gem. §§ 275 Abs. 1 und 4, 280 Abs. 1 und 3, 283 S. 1, 286 Abs. 1 S. 1, 287 S. 2 und 249 Abs. 1 BGB an die Stelle des im Verzugszeitraum verfallenen Urlaubs ein Schadensersatzanspruch, der die Gewährung von Ersatzurlaub zum Inhalt hatte (vgl. BAGE 159, 106 = NZA 2017, 1056 = AP BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 105 Rn. 12) und – mit Ausnahme des Fristenregimes (vgl. BAG, AP BUrlG § 7 Übertragung Nr. 28 = NJOZ 2007, 115 Rn. 24 = NZA 2007, 56 Os.) – hinsichtlich Inanspruchnahme und Abgeltung den Modalitäten des verfallenen Urlaubs unterlag (vgl. BAG, NZA 2017, 1056 = AP BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 105 Rn. 13).
Mit Beschluss vom 13.12.2016 (BAG, NZA 2017, 271) hat der 9. Senat des BAG den EuGH gem. Art. 267 AEUV um Vorabentscheidung ersucht, ob Art. 7 der RL 2003/88/EG oder Art. 31 Abs. 2 GRCh einer nationalen Regelung entgegenstehen, die vorsieht, dass der Arbeitnehmer Urlaub unter Angabe seiner Wünsche zu dessen zeitlicher Festlegung beantragen muss, damit der Urlaubsanspruch am Ende des Bezugszeitraums nicht ersatzlos untergeht, und die den Arbeitgeber damit nicht verpflichtet, von sich aus einseitig und für den Arbeitnehmer verbindlich die zeitliche Lage des Urlaubs innerhalb des Bezugszeitraums festzulegen. Sollte die Frage bejaht werden, hat der Senat den Gerichtshof weiter um Auskunft ersucht, ob dies auch für ein Arbeitsverhältnis zwischen Privatpersonen gilt.
Der Gerichtshof hat durch Urteil vom 6.11.2018 (EuGH, ECLI:EU:C:2018:874 = NZA 2018, 1474 = AP RL 2003/88/EG Nr. 26 – Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften) entschieden, dass Art. 7 der RL 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRCh einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der ein Arbeitnehmer, der im betreffenden Bezugszeitraum keinen Antrag auf Wahrnehmung seines Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub gestellt hat, am Ende des Bezugszeitraums die ihm gemäß diesen Bestimmungen für den Bezugszeitraum zustehenden Urlaubstage und entsprechend seinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Urlaub automatisch verliert (vgl. EuGH, ECLI:EU:C:2018:874 = NZA 2018, 1474 = AP RL 2003/88/EG Nr. 26 Rn. 61 – Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften). Art. 7 der RL 2003/88/EG könne zwar nicht dahin gehend ausgelegt werden, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub und – im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses – der an seine Stelle tretende Anspruch auf Vergütung, dem Arbeitnehmer völlig unabhängig von den Umständen erhalten bleiben müssten, die dazu geführt hätten, dass er den bezahlten Jahresurlaub nicht genommen habe (EuGH, ECLI:EU:C:2018:874 = NZA 2018, 1474 = AP RL 2003/88/EG Nr. 26 Rn. 30 – Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften; vgl. so bereits zum Verfall des Urlaubs bei Vorliegen besonderer, dies rechtfertigender Umstände, insbesondere bei Erkrankung des Arbeitnehmers: EuGH, ECLI:EU:C:2017:914 = NZA 2017, 1591 = AP RL 2003/88/EG Nr. 23 Rn. 56 ff. – King; ECLI:EU:C:2011:761 = Slg. 2011, I-11794 = NZA 2011, 1333 = AP RL 2003/88/EG Nr. 6 Rn. 28, 38, 44 – KHS). Eine nationale Regelung wie § 7 Abs. 1 und 3 BUrlG, die vorsehe, dass bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen seien, es sei denn, dass dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer vorlägen, die den Vorrang verdienten, oder dass der Urlaub grundsätzlich im Bezugsjahr zu nehmen sei, falle zwar in den Bereich der Modalitäten für die Wahrnehmung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub iSv Art. 7 Abs. 1 der RL 2003/88/EG. Eine solche Regelung gehöre zu den auf die Festlegung des Urlaubs der Arbeitnehmer anwendbaren Bestimmungen und Verfahren des nationalen Rechts, deren Ziel es sei, den verschiedenen widerstreitenden Interessen Rechnung zu tragen (EuGH, ECLI: EU:C:2018:874 = NZA 2018, 1474 = AP RL 2003/88/EG Nr. 26 Rn. 36 f. – Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften). Die Grenzen, die von den Mitgliedstaaten bei der Festlegung dieser Modalitäten zwingend einzuhalten seien, würden jedoch verkannt, wenn die Vorschriften des nationalen Rechts dahin gehend ausgelegt würden, dass der Arbeitnehmer seinen Urlaubsanspruch am Ende des Bezugszeitraums und entsprechend seinen Anspruch auf eine Vergütung für den bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Urlaub automatisch verlöre, auch wenn er nicht in die Lage versetzt wurde, den Anspruch wahrzunehmen (vgl. EuGH, ECLI:EU:C:2018:874 = NZA 2018, 1474 = AP RL 2003/88/EG Nr. 26 Rn. 40 ff. – Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften). Der Arbeitgeber kann sich nach der vom Gerichtshof vorgenommenen Auslegung auf einen fehlenden bzw. nicht rechtzeitigen Urlaubsantrag des Arbeitnehmers deshalb nur berufen, wenn er zuvor konkret und in völliger Transparenz dafür Sorge getragen hat, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage war, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, dies zu tun, und ihm klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Urlaub, wenn er ihn nicht nimmt, am Ende des Bezugszeitraums oder eines zulässigen Übertragungszeitraums verfallen wird.
§ 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG wird seitdem vom BAG in ständiger Rechtsprechung richtlinienkonform dahin gehend ausgelegt, dass der Arbeitgeber bei der ihm durch das Bundesurlaubsgesetz zugewiesenen Festlegung des Urlaubs die vom Gerichtshof aus Art. 7 der RL 2003/88/EG abgeleiteten Mitwirkungsobliegenheiten zu beachten hat. Der nicht erfüllte Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erlischt in der Regel nur dann am Ende des Kalenderjahres, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Bei einem richtlinienkonformen Verständnis des § 7 Abs. 3 BUrlG ist die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers damit grundsätzlich Voraussetzung für das Eingreifen des urlaubsrechtlichen Fristenregimes. Der Arbeitgeber muss sich bei Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten auf einen „konkret“ bezeichneten Urlaubsanspruch eines bestimmten Jahres beziehen und den Anforderungen an eine „völlige Transparenz“ genügen. Er kann seine Mitwirkungsobliegenheiten regelmäßig zum Beispiel dadurch erfüllen, dass er dem Arbeitnehmer zu Beginn des Kalenderjahres in Textform mitteilt, wie viele Arbeitstage Urlaub ihm im Kalenderjahr zustehen, ihn auffordert, seinen Jahresurlaub so rechtzeitig zu beantragen, dass er innerhalb des laufenden Urlaubsjahres genommen werden kann, und ihn über die Konsequenzen belehrt, die eintreten, wenn dieser den Urlaub nicht entsprechend der Aufforderung beantragt (BAG Urt. v. 19.2.2019 – 9 AZR 423/16 = NZA 2019, 977).
Hat der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten im jeweiligen Urlaubsjahr nicht entsprochen, tritt der am 31.12. des Urlaubsjahres nicht verfallene Urlaub zu dem Urlaubsanspruch hinzu, der am 1.1. des Folgejahres entsteht. Dieser Teil des Urlaubsanspruchs ist gegenüber dem Teil, den der Arbeitnehmer zu Beginn des aktuellen Urlaubsjahres erworben hat, nicht privilegiert. Für ihn gelten, wie für den neu entstandenen Urlaubsanspruch, die Regelungen des § 7 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 BUrlG. Der Arbeitgeber kann deshalb das uneingeschränkte Kumulieren von Urlaubsansprüchen aus mehreren Jahren dadurch vermeiden, dass er seine Mitwirkungsobliegenheiten für den Urlaub aus zurückliegenden Urlaubsjahren im aktuellen Urlaubsjahr nachholt. Nimmt der Arbeitnehmer in einem solchen Fall den kumulierten Urlaubsanspruch im laufenden Urlaubsjahr nicht wahr, obwohl es ihm möglich gewesen wäre, verfällt der Urlaub am Ende des Kalenderjahres bzw. eines (zulässigen) Übertragungszeitraums (BAG, Urt. v. 19.2.2019 – 9 AZR 541/15 = NZA 2019, 982 Rn. 46, beck-online).
Letztgenannter Hinweis des BAG ist nach Auffassung der erkennenden Kammer so zu verstehen, dass der Arbeitgeber grundsätzlich seiner Hinweispflicht hinsichtlich des ins Folgejahr übertragenen Urlaubs dadurch genügen kann, dass er auf die geltenden Übertragungs- und Verfallsfristen hinweist und den Arbeitnehmer auffordert, diesen Resturlaub entsprechend rechtzeitig zu nehmen. Dies dürfte jedenfalls dann gelten, wenn der Arbeitgeber den Hinweis so rechtzeitig tätigt, dass aus einer ex-ante-Perspektive gesehen eine rechtzeitige Wahrnahme des übertragenen Resturlaubs durch den Arbeitnehmer im Zeitpunkt des arbeitgeberseitigen Hinweises noch möglich ist. Dies ist hier der Fall. Bei gewöhnlichem Lauf der Dinge wäre der Hinweis der Beklagten vom 22.01.2020 so rechtzeitig erfolgt, dass die Klägerin noch vor dem Ablauf der Übertragungsfrist ihren Urlaub hätte wahrnehmen können. Dass der krankheitsbedingte Ausfall der Klägerin für den Arbeitgeber im Hinweiszeitpunkt absehbar gewesen wäre, ist nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich. Mithin ist davon auszugehen, dass die Beklagte ihrer Hinweispflicht im Sinne der Rechtsprechung von BAG und EuGH genügt hat.
Weiterhin fordert das BAG infolge der Rechtsprechung des EuGH (EuGH 20.1.2009, BeckRS 2009, 70077 – Schultz-Hoff), dass dem Arbeitnehmer die Wahrnahme des Urlaubs nicht krankheitsbedingt verwehrt gewesen sein darf (BAG Urt. v. 24.3.2009, 9 AZR 983/07 = NZA 2009, 538). „Der Anspruch auf Abgeltung gesetzlichen Voll- oder Teilurlaubs erlischt nicht, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums erkrankt und deshalb arbeitsunfähig ist. § 7 Abs. 3 und Abs. 4 ist im Verhältnis zu privaten Arbeitgebern nach den Vorgaben des Art. 7 der RL 2003/88/EG gemeinschaftsrechtskonform fortzubilden.“ (Leitsatz des BAG aaO.; dazu auch BeckOK ArbR/Lampe, 61. Ed. 1.9.2021, BUrlG § 7 Rn. 19b).
Beide Vorgaben, sowohl die Hinweispflicht als auch der Umstand, dass dem Arbeitnehmer die Wahrnahme des Urlaubs nicht krankheitsbedingt unmöglich gewesen sein darf, gelten grundsätzlich auch für den tariflichen Mehrurlaub (BAG, Urt. v. 19.2.2019 – 9 AZR 541/15 = NZA 2019, 982, beck-online). Dies soll jedenfalls dann gelten, wenn die einschlägigen tarifvertraglichen Regelungen nicht deutlich auf den Willen zum Abweichen vom gesetzlichen Modell schließen lassen (BAG, Urt. v. 19.2.2019 – 9 AZR 541/15 = NZA 2019, 982, beck-online Rn. 34 ff.). Die unionsrechtlichen Vorgaben beträfen zwar ausschließlich den gesetzlichen Urlaubsanspruch von vier Wochen. Die Tarifvertragsparteien könnten Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der RL 2003/88/EG gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, daher frei regeln. Ihre Regelungsmacht sei nicht durch die für gesetzliche Urlaubsansprüche erforderliche richtlinienkonforme Auslegung der §§ 1, 7 BUrlG beschränkt (vgl. BAG aaO. NZA 2019, 982 Rn. 35, beck-online). Für § 26 TVöD hat das BAG in dieser Entscheidung vom 19.02.2019 festgestellt, dass sich jedenfalls hinsichtlich der Hinweispflicht den tarifvertraglichen Regelungen kein Wille entnehmen lässt, eine vom gesetzlichen Modell abweichende Regelung zu treffen. Daher sei der tarifliche Mehrurlaub insoweit mit dem gesetzlichen Urlaub gleich zu behandeln und die Hinweispflicht des Arbeitgebers bestehe gleichermaßen für den tariflichen Mehrurlaub. Offen gelassen hat das BAG indessen, ob dies auch für die Verfallsregelungen gilt. Insoweit ist die Kammer der Überzeugung, dass sich den tarifvertraglichen Regelungen des § 26 TVöD ein hinreichend deutlich vom gesetzlichen Grundmodell abweichendes Regime entnehmen lässt. Insbesondere trifft § 26 Abs. 2 Buchst. a S. 2 TVöD eine ausdrückliche Verfallsregelung für den Fall, dass innerhalb des Übertragungszeitraums von drei Monaten der Urlaub wegen Arbeitsunfähigkeit oder aus betrieblichen Gründen der Resturlaub nicht angetreten werden kann. In einem solchen Fall ist der Urlaub spätestens bis 31. Mai anzutreten. Eine solche Regelung ist im Bundesurlaubsgesetz nicht getroffen. Aus ihr geht hinreichend deutlich ein über die gesetzliche Regelung hinausgehender Regelungswille der Tarifvertragsparteien hervor, der sich auf einen (endgültigen) Verfall des übertragenen Urlaubs nach einem festgelegten weiteren Zeitablauf bezieht. Insoweit ist also davon auszugehen, dass eine im Sinne der Rechtsprechung des BAG grundsätzlich zulässige abweichende Regelung für den tariflichen Mehrurlaub getroffen wurde. Dieser verfällt somit spätestens zum 31.05. des Übertragungsjahres.
Da es sich bei den noch offen stehenden neun Urlaubstagen der Klägerin aus dem Jahr 2019 um über den gesetzlichen Urlaubsanspruch hinausgehenden tariflichen Mehrurlaub handelt, gelten die soeben dargelegten Grundsätze. Da die Klägerin diesen Urlaub nicht bis zum 31.05.2020 angetreten hat, ist er wegen § 26 Abs. 2 Buchst. a S. 2 TVöD verfallen, ohne dass es darauf ankommt, ob der Klägerin die Wahrnahme des Urlaubs tatsächlich möglich war.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO iVm. § 46 Abs. 2 ArbGG.
Der Wert des Streitgegenstands wurde gem. § 61 Abs. 1 ArbGG festgesetzt anhand eines angenommenen Wertes eines Urlaubstages von 147,97 € bei einem Bruttoverdienst von 3.206,10 € im Monat.


Ähnliche Artikel

Mobbing: Rechte und Ansprüche von Opfern

Ob in der Arbeitswelt, auf Schulhöfen oder im Internet – Mobbing tritt an vielen Stellen auf. Die körperlichen und psychischen Folgen müssen Mobbing-Opfer jedoch nicht einfach so hinnehmen. Wir klären Rechte und Ansprüche.
Mehr lesen

Das Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse dienen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers und helfen oft den Bewerbern in die engere Auswahl des Bewerberkreises zu gelangen.
Mehr lesen


Nach oben