Arbeitsrecht

verfassungskonforme Auslegung der Promotionsordnung, Anspruch auf Abschluss einer Betreuungsvereinbarung (hier bejaht), Zulassung als Doktorandin

Aktenzeichen  W 2 K 20.474

Datum:
30.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 27736
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Promotionsordnung der Medizinischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg vom 10. Juni 2011 in der Fassung der Änderungssatzung vom 4. April 2017
GG Art. 5 Abs. 3 S. 1
GG Art. 12 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

I.Die Beklagte wird verpflichtet, unter Aufhebung ihres Bescheides vom 11. Juni 2018 und ihres Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 2020 mit der Klägerin eine Betreuungsvereinbarung über die Dissertation abzuschließen und sie als Doktorandin zuzulassen.
II.Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. 
III.Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt. 
IV.Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwen-den, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

1. Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 11. Juni 2018 und der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 17. Februar 2020 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 VwGO. Die Klägerin hat bei verfassungskonformer Auslegung der Promotionsordnung der Medizinischen Fakultät der Beklagten einen Anspruch auf Abschluss einer Betreuungsvereinbarung über die von ihr bereits fertig gestellte Dissertation sowie auf Zulassung als Doktorandin.
Nach § 4 Abs. 2 der Promotionsordnung der Medizinischen Fakultät der Beklagten vom 10. Juni 2011 in der Fassung der Änderungssatzung vom 4. April 2017 werden Promotionsvorhaben von einem in der Regel aus drei Personen bestehenden Promotionskomitee betreut, das durch den Vorsitzenden des Promotionsausschlusses bestellt wird und mit dem Promotionsbewerber gem. § 4 Abs. 3 eine schriftliche Betreuungsvereinbarung schließt. Entsprechendes gilt nach § 6 Abs. 2 und 3 der Promotionsordnung der Medizinischen Fakultät der Beklagten vom 1. Juni 2021.
Die Vorlage einer schriftlichen Betreuungsvereinbarung ist nach § 5 Abs. 6 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 Nr. 2 der Promotionsordnung vom 10. Juni 2011 in der Fassung der Änderungssatzung vom 4. April 2017 Voraussetzung für die Zulassung als Doktorrand. Gleiches gilt nach § 8 Abs. 4 Nr. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 der Promotionsordnung vom 1. Juni 2021.
Eine Promotion ist mithin nach geltendem Satzungsrecht an der Medizinischen Fakultät der Beklagten ohne den Abschluss einer Betreuungsvereinbarung nicht möglich. Bei verfassungskonformer Auslegung der Promotionsordnung muss daher Promotionsbewerbern, die eine Dissertation ohne Betreuungsvereinbarung erstellt haben und die übrigen Promotionsvoraussetzungen erfüllen, der Abschluss einer Betreuungsvereinbarung ermöglicht werden, sofern der Betreuung keine sachlichen Gründe entgegenstehen. Nur dann erweist sich das Erfordernis des Abschlusses einer Betreuungsvereinbarung als Promotionszulassungsvoraussetzung als rechtmäßig.
Regelungen zur Zulassung von Promotionen berühren sowohl den Schutzbereich der von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleisteten Wissenschaftsfreiheit als auch den Schutzbereich der von Art. 12 Abs. 1 GG garantierten Berufsfreiheit von Promotionsbewerbern (BVerwG, U.v. 30.9.2015 – 6 C 45/14 – juris).
Die Promotion ist eine akademische Würdigung, welche den Träger für eine eigenständige wissenschaftliche Leistung auszeichnet. Durch sie wird eine über das allgemeine Studienziel hinausgehende, besondere Befähigung zu vertiefter wissenschaftlicher Arbeit nachgewiesen (Art. 64 BayHSchG; vgl. auch BVerwG, U.v. 21.6.2017 – 6 C 3/16 – juris).
Das Promotionsrecht steht de facto weitgehend allein den Universitäten zu. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vermittelt Promotionsbewerbern daher ein Recht auf Teilhabe an der bei den Universitäten monopolisierten Ressource Promotion als Nachweis wissenschaftlicher Leistung, wenn sie die in rechtmäßiger Weise aufgestellten Voraussetzungen für die Zulassung zur Promotion erfüllen (BVerwG, U.v. 30.9.2015 – 6 C 45/14 – juris m.w.N.).
Darüber hinaus ist die Promotion – auch außerhalb des universitären Bereichs – von erheblicher Bedeutung für die Verwirklichung der von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit der Promotionsbewerber, da es sich für eine Vielzahl von beruflichen Tätigkeiten jedenfalls für die Berufsausübung als förderlich erweist, wenn die Berufstätigen auf einen Doktorgrad als Nachweis einer von ihnen erbrachten wissenschaftlichen Leistung verweisen können (BVerwG, U.v. 30.9.2015 – 6 C 45/14 – juris m.w.N.).
Promotionszulassungsvoraussetzungen, zu deren Regelung die Universitäten im Rahmen ihrer durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten akademischen Selbstverwaltung und der darin enthaltenen Satzungsautonomie berufen sind, müssen daher im Einklang mit den Grundrechten der Promotionsbewerber aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG stehen. Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Beschränkungen, die den Erwerb des Doktorgrades betreffen, kann sich zum Schutz der von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleisteten Funktionsfähigkeit der Hochschule in Wahrnehmung ihrer Aufgaben in Forschung und Lehre sowie der von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG garantierten Wissenschaftsfreiheit der Hochschullehrer ergeben, die mit den Grundrechten der Promotionsbewerber nach den Grundsätzen der praktischen Konkordanz in einen angemessen Ausgleich zu bringen sind. Die Universitäten haben dabei den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (BVerwG, U.v. 30.9.2015 – 6 C 45/14 – juris).
Vorliegend erweist sich das in der Promotionsordnung vorgesehene Erfordernis des Abschlusses einer Betreuungsvereinbarung nur dann als verhältnismäßig, wenn Promotionsbewerbern, die ohne Betreuungsvereinbarung eine Dissertation erstellt haben und die übrigen Promotionsvoraussetzungen erfüllen, der Abschluss einer Betreuungsvereinbarung durch die Hochschule ermöglicht wird, sofern keine sachlichen Gründe entgegenstehen (ähnlich Sieweke, JuS 2009, 283; BeckOK HochschulR BW/Keil, 20. Ed. 1.3.2021, LHG, Rn. 48 zu § 38; vgl. zur Frage der Rechtmäßigkeit des Erfordernisses einer Betreuungsvereinbarung als Promotionszulassungsvoraussetzung auch Löwisch/Wüttenberger, OdW 2014, 103; Epping, Niedersächsisches Hochschulgesetz, 1. Auflage 2016, Rn. 33 ff zu § 9; Hartmer in Hartmer/Detmer, Hochschulrecht, 3. Auflage 2017, Kapitel 5, Rn. 17 f; OVG Lüneburg, U.v. 2.12.2009 – 2 KN 906/06 – juris).
Im Hinblick auf das öffentliche Interesse an einer Fortentwicklung der wissenschaftlichen Forschung gehört es gem. Art. 9 Abs. 1 i.V.m. 2 Abs. 2 Satz 1 BayHSchG zu den Dienstpflichten eines Hochschullehrers, den wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern, und damit auch zu betreuen, wenn ihm dies möglich ist (vgl. hierzu auch Sieweke, JuS 2009, 283; Epping, Niedersächsisches Hochschulgesetz, 1. Auflage 2016, Rn. 36 zu § 9). Eine Verletzung der von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleisteten Wissenschaftsfreiheit der Hochschullehrer ist hiermit nicht verbunden (Sieweke, JuS 2009, 283; vgl. hierzu auch BVerwG, B.v. 25.7.1985 – 7 B 139.85 – juris). Zwar mag Hochschullehrern ein wissenschaftlich-pädagogischer Beurteilungsspielraum hinsichtlich des Vorhandenseins der Voraussetzungen für die Begründung eines Betreuungsverhältnisses zuzugestehen sein. Der Schwerpunkt hierbei muss jedoch – gerade bei bereits fertig gestellten Arbeiten – auf der wissenschaftlichen Beurteilung liegen (vgl. hierzu VGH Mannheim, B.v. 15.10.2014 – 9 S 1485/14 – juris; BVerwG, B.v. 25.7.1985 – 7 B 139.85 – juris; B.v. 5.11.1985 – 7 B 197/85 – juris). Eine Ablehnung kann etwa gerechtfertigt sein bei fehlender Kapazität oder mangelnder fachlicher Kompetenz für die Betreuung einer angestrebten Promotion (Sieweke, JuS 2009, 283; BeckOK HochschulR BW/Keil, 20. Ed. 1.3.2021, LHG Rn. 48 zu § 38).
Sachliche Gründe, die einer Betreuung der von der Klägerin angestrebten Promotion entgegenstehen, wurden von der Beklagten vorliegend nicht geltend gemacht. Laut der Behördenakte bestehen an der Medizinischen Fakultät sowohl Kapazitäten als auch die fachliche Kompetenz zur Betreuung der bereits fertig gestellten Arbeit. Dass die Arbeit „keinen Bezug“ zum Universitätsklinikum habe und die Medizinische Fakultät „kaum etwas von der Arbeit der Klägerin gehört“ habe und die Einrichtung nicht kenne, in der die experimentellen Arbeiten durchgeführt worden seien, vermag eine Ablehnung der Betreuung nicht zu rechtfertigen. Hierbei handelt es sich um keine fachlich-wissenschaftlichen Gesichtspunkte, die einen Ausschluss der Klägerin vom universitären Wissenschaftssystem begründen können.
Bei verfassungskonformer Auslegung der Promotionsordnung hat die Klägerin daher einen Anspruch auf Abschluss einer Betreuungsvereinbarung und Zulassung als Doktorandin durch die Beklagte.
Ob durch Prof. Dr. F. 2010 eine Betreuungszusage getroffen wurde, aus der sich zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch ein Anspruch auf Betreuung ableiten lässt, kann offen bleiben. Angesichts der von ihm erhobenen und im behördlichen Verfahren bekräftigten Vorwürfe gegen die Klägerin erscheint er für eine unvoreingenommene Betreuung der Arbeit nicht (mehr) geeignet.
Abschließend weist das Gericht darauf hin, dass im Rahmen der Betreuung des klägerischen Promotionsvorhabens zu prüfen sein wird, inwieweit die Arbeit der Klägerin im Hinblick auf die bereits erfolgten Veröffentlichungen von Prof. … eine selbständige wissenschaftliche Arbeit darstellt, die neue wissenschaftliche Erkenntnisse enthält (§ 8 der Promotionsordnung vom 10. Juni 2011 in der Fassung der Änderungssatzung vom 4. April 2017 bzw. § 11 der Promotionsordnung vom 1. Juni 2021).
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig i.S.d. § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO. Dies ist der Fall, wenn es dem Widerspruchsführer nach seinen persönlichen Verhältnissen und der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten ist, das Vorverfahren selbst zu führen. Maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts bedient hätte (BVerwG, B.v. 14.1.1999 – 6 B 118/98). Angesichts der Komplexität der Sach- und Rechtslage und der hohen Bedeutung des begehrten Abschlusses einer Betreuungsvereinbarung über ihre Dissertation sowie der Zulassung als Doktorandin für die Klägerin ist dies hier der Fall. Vom maßgeblichen Standpunkt einer verständigen, nicht rechtskundigen Partei durfte die Klägerin die Beauftragung eines Rechtsanwalts für erforderlich halten.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


Ähnliche Artikel

Mobbing: Rechte und Ansprüche von Opfern

Ob in der Arbeitswelt, auf Schulhöfen oder im Internet – Mobbing tritt an vielen Stellen auf. Die körperlichen und psychischen Folgen müssen Mobbing-Opfer jedoch nicht einfach so hinnehmen. Wir klären Rechte und Ansprüche.
Mehr lesen

Das Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse dienen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers und helfen oft den Bewerbern in die engere Auswahl des Bewerberkreises zu gelangen.
Mehr lesen


Nach oben