Arbeitsrecht

Verfassungsmäßigkeit des § 6 Abs 2 Nr 4 AAÜG idF vom 21.06.2005 – Vereinbarkeit der beschränkten Überleitung der Rentenansprüche und -anwartschaften von Ministern und Mitgliedern des Staats- oder Ministerrats der ehemaligen DDR sowie deren Stellvertretern mit Art 14 Abs 1 GG sowie mit Art 3 Abs 1 GG – Führungsposition im Staatsapparat der DDR als geeignetes Kriterium für Annahme eines Bezugs überhöhter Arbeitsverdienste – Zulässige Typisierung bei enger Begrenzung auf Personenkreis, der unzweifelhaft von ungerechtfertigten Vorteilen profitierte

Aktenzeichen  1 BvL 9/06, 1 BvL 2/08

Datum:
6.7.2010
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BVerfG:2010:ls20100706.1bvl000906
Normen:
Art 100 Abs 1 GG
Art 14 Abs 1 GG
Art 3 Abs 1 GG
§ 6 Abs 2 Nr 4 AAÜG vom 21.06.2005
Anl 5 AAÜG
AAÜGÄndG 1
§ 80 Abs 2 S 1 BVerfGG
Anlage II Kap VIII H EinigVtr
Anlage II Kap VIII H III Nr 9 Buchst b S 3 Ziff 1 EinigVtr
§ 23 Abs 2 RAnglG
Spruchkörper:
1. Senat

Leitsatz

1. Zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebiets.

Verfahrensgang

vorgehend SG Berlin, 9. Juni 2006, Az: S 35 RA 5653/97 W05, Vorlagebeschlussvorgehend Thüringer Landessozialgericht, 25. Februar 2008, Az: L 6 R 885/05, Vorlagebeschluss

Tenor

§ 6 Absatz 2 Nummer 4 des Gesetzes zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen
des Beitrittsgebiets (Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz) in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Änderung des
Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes vom 21. Juni 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite 1672) ist mit dem Grundgesetz
vereinbar.

Gründe

A.
1
Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Aussetzungs- und Vorlagebeschlüsse des Sozialgerichts Berlin und des Thüringer
Landessozialgerichts betreffen die gesetzliche Begrenzung des bei der Rentenberechnung berücksichtigungsfähigen Entgelts solcher
Personen, die in der Deutschen Demokratischen Republik (im Folgenden: DDR) eine Funktion als Minister, stellvertretender Minister
oder stimmberechtigtes Mitglied von Staats- oder Ministerrat oder als ihre jeweiligen Stellvertreter innehatten.

I.
2
1. Die Alterssicherung in der DDR beruhte neben der allgemeinen Sozialversicherung und der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung
auf einer Vielzahl spezieller Sicherungssysteme für bestimmte Personengruppen (Zusatz- und Sonderversorgungssysteme), deren
Ausgestaltung zum Teil erhebliche Unterschiede aufwies (vgl. BVerfGE 100, 1 ; 100, 59 ).

3
Während die Sonderversorgungssysteme Angehörigen der Nationalen Volksarmee, der Deutschen Volkspolizei, der Feuerwehr, des
Strafvollzugs, der Zollverwaltung und des Ministeriums für Staatssicherheit/Amtes für Nationale Sicherheit offenstanden (vgl.
BVerfGE 100, 1 ), erfassten die rund 60 unterschiedlich ausgestalteten Zusatzversorgungssysteme verschiedene Gruppen von
Begünstigten (hauptamtliche Mitarbeiter des Staatsapparates, der Gewerkschaft FDGB und der Parteien, aber auch Ärzte und Zahnärzte
mit eigener Praxis, Pädagogen und Hochschulprofessoren sowie künstlerisch Beschäftigte des Rundfunks, Fernsehens und Filmwesens,
vgl. Anlage 1 zum AAÜG). Sie boten neben der Sozialversicherungsrente eine Zusatzleistung in Höhe von 50 bis 80 % des letzten
Nettoeinkommens. Zum Teil waren für diese zusätzliche Versorgung Beiträge vom Einkommen abzuführen, zum Teil war die Versorgung
aber auch beitragsfrei.

4
2. In dem Vertrag vom 18. Mai 1990 über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (BGBl II S. 537; im Folgenden: Staatsvertrag) verpflichtete sich die
letztere, die Zusatz- und Sonderversorgungssysteme zu schließen und die entstandenen Anwartschaften in die gesetzliche Rentenversicherung
zu überführen. Bei der Überführung sollten Leistungen aufgrund von Sonderregelungen unter anderem mit dem Ziel überprüft werden,
“ungerechtfertigte Leistungen abzuschaffen und überhöhte Leistungen abzubauen” (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und 3 des Staatsvertrages).

5
Zur Durchführung dieser Verpflichtung erließ die DDR eine Reihe von Gesetzen, zu denen das Sozialversicherungsgesetz (Gesetz
über die Sozialversicherung vom 28. Juni 1990, GBl DDR I S. 486) und das Rentenangleichungsgesetz (Gesetz zur Angleichung
der Bestandsrenten an das Nettorentenniveau der Bundesrepublik Deutschland und zu weiteren rentenrechtlichen Regelungen vom
28. Juni 1990, GBl DDR I S. 495 – im Folgenden: Rentenangleichungsgesetz – RAnglG) gehörten.

6
Für die Überführung bereits gezahlter Renten und zusätzlicher Versorgungen bestimmte § 23 Abs. 1 RAnglG, dass die bis zum
30. Juni 1990 gezahlten Renten und zusätzlichen Versorgungen ab dem 1. Juli 1990 bis zur Überführung in die Rentenversicherung
“in unveränderter Höhe weitergezahlt” werden sollten (Zahlbetragsgarantie). Das galt allerdings nicht für verschiedene als
besonders “systemnah” angesehene Versorgungssysteme, unter anderem der Mitarbeiter des Staatsapparates. Für diese sah § 23
Abs. 2 RAnglG vor, dass solche zusätzlichen Versorgungen ab dem 1. Juli 1990 (dem Tag der Währungsumstellung in der DDR) maximal
in Höhe von 1.500 DM gezahlt werden durften. Zusammen mit der höchstmöglichen Rente aus der Sozialpflichtversicherung ergab
sich für solche Berechtigten eine Obergrenze von 2.010 DM monatlich (vgl. BVerfGE 100, 1 ). Für die weitere Zukunft sah
das Rentenangleichungsgesetz die Überführung der Versorgungsansprüche in die allgemeine Rentenversicherung vor. § 27 RAnglG
normierte ferner die Möglichkeit einer Kürzung von Ansprüchen und Anwartschaften aus zusätzlichen Versorgungssystemen nach
einer Prüfung im Einzelfall.

7
3. Dieses Programm des Rentenangleichungsgesetzes konnte wegen des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland nicht
mehr umgesetzt werden. In dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über
die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag – EV) vom 31. August 1990 (BGBl II S. 889) wurde in Anlage II Kapitel
VIII Sachgebiet H – Gesetzliche Rentenversicherung Abschnitt III zunächst das grundsätzliche Fortgelten des Rentenrechts der
DDR bis zum 31. Dezember 1991 festgelegt. Die Harmonisierung des materiellen Rentenrechts sollte zum 1. Januar 1992 auf der
Grundlage des bereits 1989 verkündeten Sozialgesetzbuches Sechstes Buch erfolgen (vgl. BVerfGE 100, 1 ). In Bezug auf
die Sonder- und Zusatzversorgungssysteme bestimmte der Einigungsvertrag in Nr. 9 Buchstabe b Satz 3 Ziff. 1 des genannten
Abschnitts:

8
Ansprüche und Anwartschaften sind, auch soweit sie bereits überführt sind oder das jeweilige Versorgungssystem bereits geschlossen
ist, nach Art, Grund und Umfang den Ansprüchen und Anwartschaften nach den allgemeinen Regelungen der Sozialversicherung in
dem in Artikel 3 des Vertrages genannten Gebiet unter Berücksichtigung der jeweiligen Beitragszahlungen anzupassen, wobei
ungerechtfertigte Leistungen abzuschaffen und überhöhte Leistungen abzubauen sind sowie eine Besserstellung gegenüber vergleichbaren
Ansprüchen und Anwartschaften aus anderen öffentlichen Versorgungssystemen nicht erfolgen darf.

9
Darüber hinaus sollten diese Ansprüche und Anwartschaften gekürzt oder aberkannt werden, wenn der Berechtigte gegen die Grundsätze
der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder
zum Nachteil anderer missbraucht hat (Nr. 9 Buchstabe b Satz 3 Ziff. 2 des genannten Abschnitts des Einigungsvertrages).

10
4. Im wiedervereinigten Deutschland wurden durch das Gesetz zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten-
und Unfallversicherung (Renten-Überleitungsgesetz – RÜG) vom 25. Juli 1991 (BGBl I S. 1606) die (zum 1. Januar 1992 im alten
Bundesgebiet in Kraft tretenden) rentenrechtlichen Regelungen des Sozialgesetzbuches Sechstes Buch auf das Beitrittsgebiet
erstreckt. Ein Kernpunkt der Rentenüberleitung war hierbei das als Art. 3 RÜG verkündete Gesetz zur Überführung der Ansprüche
und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebiets (Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz
– AAÜG) vom 25. Juli 1991 (BGBl I S. 1606, 1677).

11
Durch das Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz wurde eine pauschale Begrenzung der Sonderversorgungen und Sonderrenten
eingeführt. § 5 Abs. 1 Satz 1 AAÜG in seiner bis heute geltenden Fassung bestimmt, dass Zeiten der Zugehörigkeit zu einem
Versorgungssystem unabhängig von einer Beitragszahlung als Pflichtbeitragszeiten der Rentenversicherung gelten. Maßgeblich
für die Höhe der erzielbaren Rente ist das erzielte Einkommen, welches allerdings durch §§ 6 ff. AAÜG begrenzt wird. Aus §
6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG ergibt sich der Grundsatz, dass die erzielten Entgelte höchstens bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze
der Rentenversicherung zugrunde gelegt werden können. Diese Beitragsbemessungsgrenze entspricht dem circa 1,8-fachen des von
allen Versicherten erzielten Durchschnittsverdienstes.

12
§ 6 Abs. 2 AAÜG in der Fassung des Gesetzes zur Ergänzung der Rentenüberleitung (Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz – RÜ-ErgG)
vom 24. Juni 1993 (BGBl I S. 1038) führte für Angehörige bestimmter Zusatzversorgungssysteme eine so genannte progressiv-degressive
Entgeltbegrenzung ein (vgl. hierzu BVerfGE 100, 59). Neben dieser entgeltbezogenen Begrenzung folgte aus § 6 Abs. 3 AAÜG für
Personen, die bestimmte Funktionen ausgeübt hatten (z.B. als Betriebsdirektor, hauptamtlicher Parteifunktionär, Richter oder
Staatsanwalt) in gleicher Weise eine Entgeltbegrenzung.

13
Durch das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG-Änderungsgesetz – AAÜG-ÄndG)
vom 11. November 1996 (BGBl I S. 1674) wurden die Begrenzungsvorschriften für Leistungszeiträume ab dem 1. Januar 1997 erheblich
enger – also für die Betroffenen günstiger – gefasst. Durch das AAÜG-Änderungsgesetz sollten von Entgeltbegrenzungen künftig
nur noch Angehörige “staats- oder systemnaher” Zusatz- und Sonderversorgungssysteme in einkommensmäßig privilegierter Stellung,
Personen in “staats- oder systemnahen” Funktionen in (ebenfalls) einkommensmäßig privilegierter Stellung und hauptberufliche
Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit/Amtes für Nationale Sicherheit betroffen sein.

14
5. Mit seinen Urteilen vom 28. April 1999 erklärte das Bundesverfassungsgericht wesentliche Regelungen der Rentenüberleitung
für grundgesetzwidrig (vgl. BVerfGE 100, 1; 100, 59; 100, 104; 100, 138). Es befand § 6 Abs. 2 (i.V.m. den Anlagen 4, 5 und
8) und § 6 Abs. 3 Nr. 7 AAÜG in der Fassung des Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetzes vom 24. Juni 1993 seit dem 1. Juli 1993
für mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG unvereinbar und verpflichtete den Gesetzgeber, bis zum 30. Juni 2001 eine verfassungsgemäße
Regelung zu treffen (vgl. BVerfGE 100, 59 ff.).

15
Das vom Gesetzgeber mit der Begrenzungsregelung verfolgte Ziel sei zwar einsichtig und legitim. Die angegriffene Regelung
verfehle jedoch das angestrebte Ziel, indem sie unzulässig typisiere und damit Art. 3 Abs. 1 GG verletze. Denn bestimmte Gruppen
von Personen würden durch die Zugehörigkeit zu besonderen Versorgungssystemen und – zusätzlich – pauschal wegen der Höhe ihrer
Arbeitsentgelte benachteiligt. Zwar seien beide Kriterien nicht von vorneherein ungeeignet, den Tatbestand eines überhöhten
Entgelts zu erfassen. Es sei aber nichts dafür ersichtlich, dass ihre Umsetzung durch § 6 Abs. 2 AAÜG auf Tatsachen beruhte,
die die Annahme rechtfertigten, dass überhöhte Arbeitsentgelte an die vom Gesetz erfassten Gruppen gezahlt worden seien oder
dass Entgelte ab den vom Gesetz festgelegten Grenzen als überhöht angesehen werden müssten. Der Bestimmung von Überhöhungstatbeständen
von Arbeitnehmereinkommen müssten aber Kriterien zugrunde gelegt werden, die in den tatsächlichen Verhältnissen eine Entsprechung
fänden (vgl. BVerfGE 100, 59 ). Für die Angehörigen der in § 6 Abs. 2 AAÜG genannten Versorgungssysteme gebe es keine
hinreichenden Erkenntnisse, dass diese Personengruppen insgesamt oder auch nur überwiegend Entgelte erhalten hätten, die selbst
unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze noch als überhöht angesehen werden könnten. Der Gesetzgeber sei allerdings durch Art.
3 Abs. 1 GG nicht gehindert gewesen, Leitungsfunktionen in allen gesellschaftlich relevanten Bereichen daraufhin zu prüfen,
ob deren Inhaber überhöhte Arbeitsverdienste erhalten hätten. Es sei ihm jedoch verfassungsrechtlich verwehrt gewesen, dies
generell für die in § 6 Abs. 3 AAÜG erfassten Funktionsebenen anzunehmen, wenn es dafür keine tatsächlichen Anhaltspunkte
gegeben habe (vgl. BVerfGE 100, 59 ).

16
Hingegen erklärte das Bundesverfassungsgericht die Entgeltbegrenzungen nach § 7 AAÜG bei den Angehörigen des Ministeriums
für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit für grundsätzlich legitim und beanstandete lediglich den Umfang der Kürzung,
welche das berücksichtigungsfähige Entgelt unter das Durchschnittsentgelt aller Beschäftigten im Beitrittsgebiet abgesenkt
und damit für die Betroffenen eine übermäßige Eigentumsbeschränkung bedeutet hatte, weil sie dazu führte, dass eine bedürftigkeitsunabhängige
Altersversorgung nicht gewährleistet war (BVerfGE 100, 138 ). Der Gesetzgeber sei allerdings berechtigt gewesen, für
diese Personengruppe das berücksichtigungsfähige Entgelt grundsätzlich niedriger einzustufen als bei anderen Versicherten
aus dem Beitrittsgebiet, weil es insoweit Anhaltspunkte für allgemein deutlich überhöhte Entgelte bei den Mitarbeitern des
Ministeriums für Staatssicherheit gegeben habe. Hierbei habe sich der Gesetzgeber zusätzlich darauf stützen können, dass das
Ministerium für Staatssicherheit im Laufe der Zeit ein System von Einrichtungen aufgebaut hatte, das zwar der Form nach den
Einrichtungen in den Betrieben und sonstigen Institutionen der DDR entsprochen, tatsächlich die Mitarbeiter des Ministeriums
für Staatssicherheit aber in vielerlei Hinsicht privilegiert habe (vgl. BVerfGE 100, 138 ).

17
6. Die durch das Zweite Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (2. AAÜG-ÄndG)
vom 27. Juli 2001 (BGBl I S. 1939) hierauf getroffene Neuregelung sah vor, dass die zum 1. Januar 1997 (durch das AAÜG-ÄndG
von 1996) erfolgte Anhebung der Entgeltbegrenzungsstufe rückwirkend zum 1. Juli 1993 in Kraft gesetzt wurde.

18
Mit Beschluss vom 23. Juni 2004 (vgl. BVerfGE 111, 115) stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass auch § 6 Abs. 2 AAÜG
(i.V.m. den Anlagen 4 und 5) und § 6 Abs. 3 Nr. 8 AAÜG vom 25. Juli 1991 in der Fassung des AAÜG-ÄndG vom 11. November 1996
und des 2. AAÜG-ÄndG vom 27. Juli 2001 mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar sind. Dem Gesetzgeber wurde aufgegeben, bis zum 30.
Juni 2005 eine verfassungsgemäße Regelung zu treffen, anderenfalls trete Nichtigkeit der beanstandeten Vorschriften ein (vgl.
BVerfGE 111, 115 ). Unter Hinweis auf BVerfGE 100, 59 hielt das Gericht zwar fest, die Zugehörigkeit zu bestimmten Versorgungssystemen
und – als zusätzliches Kriterium – die Höhe der Arbeitsentgelte seien nicht von vornherein ungeeignet, den Tatbestand eines
überhöhten Entgelts zu erfassen; es forderte aber erneut, die Umsetzung einer solchen Regelung auf Tatsachen zu gründen, welche
die Annahme rechtfertigten, dass überhöhte Arbeitsentgelte gerade an die vom Gesetz erfassten Gruppen gezahlt worden seien
oder dass Entgelte ab den vom Gesetz festgelegten Grenzen als überhöht angesehen werden müssten; der Bestimmung von Überhöhungstatbeständen
müssten Kriterien zugrunde gelegt werden, die in den tatsächlichen Verhältnissen eine Entsprechung fänden (vgl. BVerfGE 111,
115 ). Dem würden die angegriffenen Vorschriften des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz nicht gerecht, weil
bei gleich bleibendem Mechanismus ohne weitere tatsächliche Erkenntnisse lediglich die benachteiligte Gruppe verkleinert und
der Kürzungsmechanismus beibehalten, aber vergröbert worden sei. Den Regelungen lägen weiterhin keine konkreten Erkenntnisse
darüber zugrunde, ob und gegebenenfalls in welchen Bereichen der DDR überhöhte Entgelte gezahlt worden seien. Die unzulässige
Gleichstellung von hohem Einkommen und überhöhtem Einkommen bestimme auch das Konzept der zur Beurteilung stehenden Vorschriften
(vgl. BVerfGE 111, 115 ).

19
7. Hierauf verabschiedete der Deutsche Bundestag am 21. Juni 2005 das Erste Gesetz zur Änderung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes
(1. AAÜG-ÄndG, BGBl I S. 1672). § 6 Abs. 3 AAÜG wurde aufgehoben und § 6 Abs. 2 AAÜG erhielt folgenden Wortlaut:

20
Für Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem nach Anlage 1 oder Anlage 2 Nr. 1 bis 3 bis zum 17. März 1990, in
denen eine Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt wurde als

21
1. Mitglied, Kandidat oder Staatssekretär im Politbüro der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands,

22
2. Generalsekretär, Sekretär oder Abteilungsleiter des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED)
sowie als Mitarbeiter der Abteilung Sicherheit bis zur Ebene der Sektorenleiter oder als die jeweiligen Stellvertreter,

23
3. Erster oder Zweiter Sekretär der SED-Bezirks- oder Kreisleitung sowie Abteilungs- oder Referatsleiter für Sicherheit oder
Abteilungsleiter für Staat und Recht,

24
4. Minister, stellvertretender Minister oder stimmberechtigtes Mitglied von Staats- oder Ministerrat oder als ihre jeweiligen
Stellvertreter,

25
5. Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates, Vorsitzender des Staatsrats oder Vorsitzender des Ministerrats sowie als
in diesen Ämtern ernannter Stellvertreter,

26
6. Staatsanwalt in den für vom Ministerium für Staatssicherheit sowie dem Amt für Nationale Sicherheit durchzuführenden Ermittlungsverfahren
zuständigen Abteilung I der Bezirksstaatsanwaltschaften,

27
7. Staatsanwalt der Generalstaatsanwaltschaft der DDR,

28
8. Mitglied der Bezirks- oder Kreis-Einsatzleitung,

29
9. Staatsanwalt oder Richter der I-A-Senate,

30
ist den Pflichtbeitragszeiten als Verdienst höchstens der jeweilige Betrag der Anlage 5 zugrunde zu legen.

31
Durch Art. 2 Abs. 3 des 1. AAÜG-ÄndG wurde die Vorschrift rückwirkend zum 1. Juni 1993 in Kraft gesetzt.

32
Die Vorschrift führt für den betroffenen Personenkreis zu einer Kürzung der maßgeblichen Entgelte auf den Durchschnittsverdienst
der Beschäftigten in der DDR. Die Deutsche Rentenversicherung Bund geht von ca. 1.000 bis 1.200 Betroffenen aus. Von diesen
erfasst die Vorschrift des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG eine kleine Personengruppe aus zwei der höchsten Staatsorgane der DDR.

33
Die Gesetzesbegründung führt hierzu aus, die (bisher an eine bestimmte Entgelthöhe geknüpfte) Entgeltbegrenzung werde auf
diejenigen Zeiten beschränkt, in denen insbesondere solche Funktionen im Parteiapparat der SED, in der Regierung oder im Staatsapparat
ausgeübt worden seien, die auch eine Weisungsbefugnis gegenüber dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) sowie dem Amt für
Nationale Sicherheit (AfNS) umfasst hätten. Ebenso würden auch Zeiten in Funktionen auf den höchsten Ebenen des so genannten
Kadernomenklatursystems der DDR einbezogen, da die Betreffenden – wie auch die MfS/AfNS-Mitarbeiter – einkommens- und versorgungsseitig
Teil eines Gesamtkonzepts der Selbstprivilegierung innerhalb des Staates gewesen seien. Auf diese Weise werde ein bei dem
ersatzlosen Wegfall der bisherigen Regelung drohender Wertungswiderspruch zu der vom Bundesverfassungsgericht bestätigten
und weiterhin geltenden Begrenzungsregelung für Personen, die dem Versorgungssystem des MfS/AfNS angehört hätten, vermieden
(BTDrucks 15/5314, S.1; 15/5488, S. 1).

II.
34
Den Ausgangsverfahren liegen folgende Sachverhalte zugrunde:

35
1. Der Kläger des Ausgangsverfahrens vor dem Sozialgericht Berlin (im Folgenden: Kläger) wurde am 30. März 1925 geboren. Er
wurde 1943 Anwärter der NSDAP und war bis 1945 Soldat der deutschen Wehrmacht. In der DDR trat er der Deutschen Bauernpartei
bei und war seit 1951 Mitglied des Parteivorstandes, seit 1982 ihr stellvertretender Vorsitzender.

36
Zwischen 1953 und 1990 übte der Kläger nach den Feststellungen des Sozialgerichts folgende Funktionen aus: Mai 1953 bis 1963
Minister für Landwirtschaft, 1963 bis Juli 1967 Stellvertreter des Ministers und Mitglied des Ministerrats, 1967 bis 1972
Staatssekretär im Ministerium für Landwirtschaft, März 1972 bis Januar 1990 Minister für Umweltschutz und Wasserwirtschaft.

37
Der Bruttoverdienst des Klägers lag in den Jahren von 1953 bis 1967 zwischen 42.000 und 48.000 Mark. In der Zeit seiner Tätigkeit
als Staatssekretär von 1967 bis 1971 erzielte er ein jährliches Bruttoarbeitsentgelt von 39.600 Mark. Als Umweltminister betrug
sein Verdienst 1972 52.217 Mark, von 1973 bis 1984 durchgehend 54.000 Mark, 1985 56.000 Mark und ab 1986 durchgehend 60.000
Mark jährlich. In der Zeit von 1971 bis 1990 gehörte der Kläger dem freiwilligen Zusatzversorgungssystem für Beschäftigte
im Staatsapparat an.

38
Ab dem 1. März 1990 bezog der Kläger eine Altersversorgung in Höhe von 2.992 Mark, die sich aus einer Rente der Sozialversicherung
von 504 Mark und einer zusätzlichen Versorgung für Mitarbeiter des Staatsapparates in Höhe von 2.488 Mark zusammensetzte.
Infolge der Kappungsregelung des § 23 Abs. 2 RAnglG erhielt der Kläger ab Juli 1990 allerdings schon in der DDR nur noch eine
Altersversorgung von insgesamt 2.004 DM.

39
Ab dem 1. Dezember 1995 stellte der Rentenversicherungsträger die Regelaltersrente des Klägers neu fest und berechnete einen
Rentenzahlbetrag von 1.986,92 DM. Für die Minderung des Rentenzahlbetrags waren dabei die Entgeltbegrenzungen des Anspruchs-
und Anwartschaftsüberführungsgesetzes auf den Durchschnittsverdienst in den Zeiten der Beschäftigung des Klägers als Minister,
stellvertretender Minister und Staatssekretär ursächlich. Im Rahmen der dagegen erhobenen Klage beim Sozialgericht Berlin
kam es zu verschiedenen Neufeststellungsbescheiden des Rentenversicherungsträgers, der die Regelaltersrente des Klägers zuletzt
für die Zeit ab dem 1. Juli 1993 neu festgestellt hat. Seit dem 1. Dezember 2005 beträgt der Zahlbetrag der Altersrente 1.179,45
Euro. Die letzte Neufeststellung zugunsten des Klägers erfolgte im Wesentlichen deshalb, weil durch das 1. Änderungsgesetz
zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz vom 21. Juni 2005 die Entgeltbegrenzung des § 6 Abs. 2 AAÜG für die Zeit
der Tätigkeit als Staatssekretär (Juli 1967 bis März 1972) entfallen war.

40
Neben den bereits genannten Rentenbescheiden hat die Deutsche Rentenversicherung Bund in ihrer Funktion als Versorgungsträger
für die Zusatzversorgungssysteme weitere Bescheide erlassen, mit denen sie die Arbeitsentgelte des Klägers in den Zeiten seiner
Tätigkeit als Minister beziehungsweise stellvertretender Minister – von Mai 1953 bis Juli 1967 und von März 1972 bis Januar
1990 – auf den Wert der Anlage 5 zum AAÜG begrenzt hat. Auch diese Bescheide hat der Kläger vor dem Sozialgericht Berlin angefochten.

41
Das Sozialgericht hat die Verfahren gegen den Rentenversicherungsträger und den Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme
zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und eine Rentenauskunft des Rentenversicherungsträgers eingeholt. Dieser
hat mitgeteilt, dass ohne die Anwendung des § 6 Abs. 2 AAÜG in der Fassung durch das 1. Änderungsgesetz zum Anspruchs- und
Anwartschaftsüberführungsgesetz die Rente des Klägers ab dem 1. Mai 2006 monatlich 1.805,43 Euro betragen würde; für die zurückliegenden
13 Jahre (ab 1. Juli 1993) wäre zudem eine Nachzahlung von rund 85.000 Euro zu leisten.

42
Im Rahmen der Beweisaufnahme hat das Sozialgericht den Kläger persönlich gehört. Er hat nähere Angaben zu seinem persönlichen
Werdegang und zu seiner Tätigkeit als Minister gemacht.

43
Das Sozialgericht hat eine Stellungnahme der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen
DDR eingeholt, die mitgeteilt hat, es gebe keine Erkenntnisse über eine Weisungsbefugnis von Fachministern oder ihrer Stellvertreter
gegenüber dem Ministerium für Staatssicherheit. Weiter hat das Sozialgericht den zuständigen Referatsleiter im Bundesministerium
für Arbeit und Soziales als sachverständigen Zeugen zu den gesetzgeberischen Motiven bei der Neufassung von § 6 Abs. 2 AAÜG
vernommen. Der ebenfalls als Zeuge geladene Referatsgruppenleiter bei der Bundesbeauftragten für die Staatssicherheit ist
zu den Verbindungen des Klägers mit der Staatssicherheit der DDR gehört worden. Er hat bekundet, dass eine Tätigkeit des Klägers
für das Ministerium für Staatssicherheit während seiner Zeit als Minister nicht bestanden habe. Eine Weisungsbefugnis gegenüber
dem Ministerium für Staatssicherheit habe dem Politbüro der SED, dem Zentralkomitee sowie dem Generalsekretär des Zentralkomitees
zugestanden, nicht aber einzelnen Fachministern.

44
Mit Beschluss vom 9. Juni 2006 hat das Sozialgericht das Verfahren ausgesetzt, weil es § 6 Abs. 2 AAÜG in der Fassung des
1. Änderungsgesetzes zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz vom 21. Juni 2005 für mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar
hält. Nach Maßgabe von § 6 Abs. 2 AAÜG sei die Klage abzuweisen, weil der Kläger in den streitbefangenen Zeiträumen als Minister
beziehungsweise stellvertretender Minister dem Zusatzversorgungssystem Nummer 19 der Anlage 1 zum AAÜG (Freiwillige zusätzliche
Altersversorgung für hauptamtliche Mitarbeiter des Staatsapparates) angehört und eine Funktion im Sinne von § 6 Abs. 2 Nr.
4 AAÜG ausgeübt habe. Die besondere Begrenzungsregelung des § 7 AAÜG für Angehörige des Versorgungssystems der Staatssicherheit
greife nicht ein, da der Kläger zwar bis Mai 1953 Geheimer Informator der Staatssicherheit gewesen sei, diese Verbindung jedoch
mit dem Amtsantritt als Minister geendet habe. Ab diesem Zeitpunkt habe der Kläger zwar noch in seiner offiziellen Funktion
als Minister Kontakt mit dem Ministerium für Staatssicherheit gehabt, er sei jedoch nicht im Sinne von § 7 Abs. 2 AAÜG hauptamtlicher
Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit gewesen, der als Offizier der Staatssicherheit im besonderen Einsatz oder
in einem Dienst- oder Arbeitsverhältnis zu dem Ministerium für Staatssicherheit verdeckt tätig gewesen sei. Die durch § 6
Abs. 2 AAÜG erfolgte Schlechterstellung der dort genannten Funktionsträger führe zu einer Benachteiligung dieser Personen
gegenüber anderen Rentnern aus dem Beitrittsgebiet, die nach dem Ergebnis der gerichtlichen Beweisaufnahme mit Art. 3 Abs.
1 GG im Widerspruch stehe. Das vom Gesetzgeber zur Begründung der Kürzungsregelung genannte Merkmal einer Weisungsbefugnis
gegenüber dem Ministerium für Staatssicherheit gehe in Bezug auf den Personenkreis der Minister, stellvertretenden Minister
oder stimmberechtigten Mitglieder von Staats- oder Ministerrat oder ihre jeweiligen Stellvertreter von falschen Voraussetzungen
aus, denn abgesehen vom Minister für Staatssicherheit habe keine dieser Personen – und zwar weder rechtlich noch faktisch
– eine Weisungsbefugnis gegenüber dem Ministerium für Staatssicherheit gehabt. Eine Weisungsbefugnis habe nur dem Politbüro
der SED als Organ, dem Zentralkomitee als Organ sowie dem Generalsekretär des Zentralkomitees zugestanden. Unabhängig davon
sei die abstrakte Weisungsbefugnis gegenüber dem Ministerium für Staatssicherheit ohnehin kein geeigneter Anknüpfungspunkt
für eine Ungleichbehandlung bei der Berechnung der allgemeinen Altersrente. Auf eine Einzelfallprüfung hinsichtlich schwerer
persönlicher Verfehlungen bei der Ausübung der beruflichen Stellung habe der Gesetzgeber bewusst verzichtet, sondern mit seiner
Regelung an die typisierende Vorgabe des Einigungsvertrages angeknüpft, die Renten solcher Personen zu kürzen, die politisch
begründete und damit überhöhte Rentenleistungen erhalten hätten. In diesem rentenrechtlichen Zusammenhang seien Menschenrechtsverletzungen
durch einzelne Menschen aus dieser Personengruppe unbeachtlich.

45
Eine rentenrechtliche Gleichsetzung von Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit und Funktionären mit Weisungsbefugnis
gegenüber dem Ministerium für Staatssicherheit könne also nur erfolgen, wenn festgestellt werde, dass beide Gruppen gleichermaßen
überhöhte Arbeitsverdienste in der DDR erhalten hätten. Anders als für die Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit,
für die das Bundesverfassungsgericht aufgrund von tatsächlichen Erkenntnissen ein solches System der Selbstprivilegierung
festgestellt habe, gebe es aber – insoweit habe sich im Vergleich zu den vom Bundesverfassungsgericht beanstandeten Vorgängerregelungen
nichts geändert – keine Tatsachen, die eine rentenrechtliche Gleichsetzung anderer Spitzenfunktionäre der DDR mit den Mitarbeitern
des Ministeriums für Staatssicherheit rechtfertigten. Den vom Bundesverfassungsgericht gewiesenen Weg, durch Ermittlungen
zur allgemeinen Lohn- und Gehaltsstruktur in der DDR eine Grundlage zur Feststellung überhöhter Entgelte zu schaffen, sei
der Gesetzgeber nicht gegangen, sondern der Aspekt der Gehaltsstruktur habe bei der Neuregelung überhaupt keine Rolle gespielt.
Maßgebend sei allein die Zugehörigkeit zu den höchsten Ebenen des Kadernomenklatursystems gewesen, also dass bestimmte berufliche
Positionen nur nach ausdrücklicher Bestätigung durch die SED besetzt werden durften und hierbei nicht nur die fachliche Qualifikation,
sondern auch die “Linientreue” maßgeblich gewesen sei. Bei der danach vorgenommenen Auswahl habe der Gesetzgeber aber die
von ihm selbst gewählten Ordnungsprinzipien verletzt. Denn die von § 6 Abs. 2 AAÜG erfassten Personenkreise seien dadurch
gekennzeichnet, dass es sich um solche Nomenklaturkader handele, die entweder direkt vom Politbüro oder durch das Sekretariat
des Zentralkomitees der SED hätten bestätigt werden müssen. Tatsächlich werde von § 6 Abs. 2 AAÜG aber nur ein kleiner Teil
dieser beiden Nomenklaturebenen erfasst, ohne dass ein sachlicher Grund erkennbar sei, warum nur diese für eine Rentenkürzung
ausgewählt worden seien. So würden etwa die Vorsitzenden der Blockparteien der DDR und die Mitglieder im Zentralkomitee der
SED nicht erfasst, obwohl sie zur höchsten Stufe des Kadernomenklatursystems der DDR gehört hätten. Vergleichbares gelte für
leitende Wirtschaftsfunktionäre, wie zum Beispiel Generaldirektoren großer Betriebe. Es sei nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber
die unterschiedliche Behandlung innerhalb der Nomenklaturebenen davon abhängig gemacht habe, dass die erfasste Gruppe im Hinblick
auf Einkommen und Versorgung besonders privilegiert gewesen sei. Tatsächlich sei dies auch kein geeigneter Ansatzpunkt. So
habe der Stellvertreter eines Ministers nach den einschlägigen Gehaltsregulativen sogar weniger verdient als die Generaldirektoren.
Daneben habe es in der DDR noch andere Gruppen von Spitzenverdienern gegeben, wie zum Beispiel “Spezialisten auf dem Gebiet
Wissenschaft und Technik”, die bis zu 15.000 Mark im Monat hätten verdienen können; auch diese seien jedoch nicht erfasst.
Bereits nach den allgemeinen Regeln des Rentenrechts flössen die erzielten Entgelte nur bis zum maximal 1,8-fachen des Durchschnittsverdienstes
in die Rentenberechnung ein; höhere Entgelte würden also bereits hierdurch gekappt. Es sei kein sachlicher Grund erkennbar,
warum darüber hinaus für den Personenkreis, den der Kläger repräsentiere, eine besondere Bemessungsgrenze angeordnet werde,
nicht hingegen für andere Spitzenverdiener. Eine besondere Staats- oder Systemnähe allein sei, wie das Bundesverfassungsgericht
hervorgehoben habe, keine Rechtfertigung für die Kürzung von Entgelten unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze. Die Kürzung
von Renten sei auch nicht durch andere Privilegien gerechtfertigt, die keinen Einfluss auf die Rentenberechnung gehabt hätten,
wie etwa Vorteile bei der medizinischen Versorgung oder bei der Versorgung mit anderen geldwerten Gütern. Schließlich könne
die festgestellte Ungleichbehandlung auch nicht mit einer gesetzgeberischen Typisierungsbefugnis begründet werden, denn es
handele sich nicht um vereinzelte Sonderfälle, sondern der Kläger repräsentiere den typischen Fall seiner Gruppe. Eine verfassungskonforme
Auslegung von § 6 Abs. 2 AAÜG scheide aus, da der Wortlaut ausnahmslos alle Zeiten in den genannten Funktionen erfasse.

46
2. Der Kläger des Ausgangsverfahrens vor dem Thüringer Landessozialgericht (im Folgenden: Kläger) wurde 1934 geboren und ist
gelernter Schriftsetzer und Typograf. Er war nach dem Abschluss eines Studiums der Wirtschaftswissenschaften, Fachrichtung
Industrieökonomik, ab 1958 zunächst bei verschiedenen Betrieben tätig, bevor er ab 1963 als Mitarbeiter, Sektoren- beziehungsweise
Abteilungsleiter beim Volkswirtschaftsrat der DDR und im Ministerium für Leichtindustrie arbeitete. Vom 1. Mai 1969 bis 31.
Juli 1970 war er Generaldirektor des VVB Polygraphische Industrie Leipzig, um anschließend die Tätigkeit eines stellvertretenden
Ministers im Ministerium für Leichtindustrie beziehungsweise Ministerium für bezirksgeleitete Industrie zu übernehmen; hier
war der Kläger vom 1. August 1970 bis 31. Juli 1983 tätig. Vom 1. August 1983 bis zum 30. Juni 1990 war er Intendant des Schauspielhauses
Berlin und im Anschluss daran von Juli 1990 bis Januar 1991 Geschäftsführer beim VEB Zeitschriftenvertriebsgesellschaft Berlin.

47
Mit Wirkung vom 1. November 1968 wurde der Kläger in die zusätzliche Altersversorgung der Intelligenz und mit Wirkung vom
1. März 1971 in die freiwillige zusätzliche Altersversorgung für Mitarbeiter des Staatsapparates aufgenommen. Sein Bruttojahresarbeitsentgelt
betrug in der Zeit als stellvertretender Minister zwischen 37.500 Mark und 41.100 Mark.

48
Gegenüber dem Kläger sind mehrere Bescheide der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte beziehungsweise der Deutschen Rentenversicherung
Bund als Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme ergangen. Der letzte Bescheid vom 14. November 2005 hat die Entgeltbegrenzungen
für die Zeit vom 1. Mai 1969 bis 31. Juli 1970, in welcher der Kläger als Generaldirektor des VVB Polygraphische Industrie
Leipzig tätig war, im Hinblick auf die Neuregelungen durch das 1. AAÜG-ÄndG aufgehoben, gleichzeitig aber festgestellt, dass
die in der Zeit vom 1. Januar 1971 bis 31. Juli 1983 erzielten Entgelte (weiterhin) der besonderen Beitragsbemessungsgrenze
nach § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG unterlägen. Die gegen den Versorgungsträger gerichtete Klage mit dem Ziel einer Entgeltfeststellung
ohne Absenkung der Entgelte nach § 6 Abs. 2 AAÜG ist vom Sozialgericht (Urteil vom 31. Mai 2002 – S 3 RA 951/00) und vom Landessozialgericht
Thüringen (Urteil vom 27. März 2006 – L 6 RA 542/02) als unzulässig verworfen worden. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat das
Bundessozialgericht mit Beschluss vom 2. Februar 2007 (B 4 RS 56/06 B) ebenfalls als unzulässig verworfen.

49
Ab dem 1. Mai 1999 wurde dem Kläger vom Rentenversicherungsträger Regelaltersrente in Höhe von 2.592,36 DM bewilligt (Bescheid
vom 5. Mai 1999). Mit Bescheid vom 19. Juni 2000 erfolgte eine Neuberechnung, aufgrund derer sich die Regelaltersrente ab
1. Mai 1999 auf 2.971,64 DM erhöhte. Die auf eine höhere Altersrente gerichtete Klage hat das Sozialgericht mit Urteil vom
31. Mai 2002 abgewiesen. Im Verlauf des Berufungsverfahrens hat der Rentenversicherungsträger aufgrund des erwähnten Bescheids
des Versorgungsträgers vom 14. November 2005 die Rente unter Berücksichtigung der höheren Entgelte für die Zeit vom 1. Mai
1969 bis 31. Juli 1970 neu festgestellt und dem Kläger ab dem 1. Mai 1999 eine Regelaltersrente von 2.809,59 DM bewilligt.

50
In einer Probeberechnung hat die Deutsche Rentenversicherung Bund festgestellt, dass sich ohne Anwendung des § 6 Abs. 2 AAÜG
ab dem 1. Mai 1999 eine Regelaltersrente in Höhe von 3.141,79 DM ergeben würde.

51
Das Thüringer Landessozialgericht hat mit Teilurteil vom 25. Februar 2008 die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts
insoweit zurückgewiesen, als sie sich nicht gegen die Anwendung des § 6 Abs. 2 AAÜG wendet. Im Übrigen hat es mit Beschluss
vom selben Tage das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht mit der Frage vorgelegt, ob § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG
in der Fassung des 1. Änderungsgesetzes zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz vom 21. Juni 2005 mit Art. 3 Abs.
1 und Art. 14 GG vereinbar sei. Für die Entscheidung des Rechtsstreits komme es darauf an, ob die vom Rentenversicherungsträger
vorgenommene Begrenzung der Arbeitsentgelte des Klägers in der Zeit seiner Tätigkeit als stellvertretender Minister vom 1.
Januar 1971 bis 31. Juli 1983, in der er der freiwilligen zusätzlichen Altersversorgung für hauptamtliche Mitarbeiter des
Staatsapparates angehört habe, wirksam sei. Die von dem Kläger im früheren Rechtsstreit erfolglos angefochtenen Bescheide
des Versorgungsträgers enthielten insoweit keine rechtsverbindlichen, dem Klagebegehren entgegenstehenden Feststellungen;
die Entscheidung darüber, welche Leistungsansprüche auf Altersversorgung nach dem Sozialgesetzbuch Sechstes Buch den Zusatz-
und Sonderversorgten zustünden, treffe vielmehr ausschließlich der Rentenversicherungsträger, gegen den sich die Klage auch
allein richte. Im Weiteren hat sich das Landessozialgericht die Ausführungen des Sozialgerichts Berlin im Vorlagebeschluss
vom 9. Juni 2006 zu Eigen gemacht. Es fehlten nachvollziehbare und überprüfbare Kriterien für die unterstellte Selbstprivilegierung
der von § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG erfassten Personengruppe. Zwar sei es durchaus nahe liegend, dass in den höchsten Rängen der
DDR politischer Zuverlässigkeit generell Vorrang vor fachlicher Eignung eingeräumt worden sei, ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte
hierfür existierten jedoch nicht. Ebenso wenig gebe es konkrete Anhaltspunkte für sonstige relevante Vorteile, die sich betragsmäßig
auf das Arbeitsentgelt und damit auf die Höhe der Versorgungsleistung ausgewirkt hätten.

III.
52
Zu den Vorlagen haben sich neben den Klägern beider Ausgangsverfahren im Verfahren 1 BvL 9/06 für die Bundesregierung das
Bundesministerium für Arbeit und Soziales, der 4. Senat des Bundessozialgerichts, der Seniorenverband – Bund der Ruhestandsbeamten,
Rentner und Hinterbliebenen -, die Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger bewaffneter
Organe und der Zollverwaltung der DDR – ISOR e.V. -, der Deutsche Bundeswehrverband sowie die Gesellschaft zum Schutz von
Bürgerrecht und Menschenwürde e.V. geäußert.

53
1. Die Kläger meinen, bei § 6 Abs. 2 AAÜG handele es sich um rückwirkendes, verfassungswidriges Rentenstrafrecht.

54
2. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales führt aus, der Typisierung bei der Neufassung von § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG habe
der Schluss zugrunde gelegen, dass das im Versorgungssystem des Ministeriums für Staatssicherheit für alle Qualifikationsstufen
festgestellte Gesamtkonzept der Selbstprivilegierung erst recht für die höchsten Partei- und Staatsämter gegolten habe. Minister
und stellvertretende Minister hätten mit an der Spitze des Kadernomenklatursystems gestanden. Das Nomenklatursystem sei Ausdruck
der führenden Rolle der SED gewesen, die mit Positionslisten, in denen praktisch alle in der DDR zu besetzenden Führungspositionen
verzeichnet gewesen seien, die Besetzung dieser Positionen gesteuert habe. Bei anderen Spitzenverdienern habe der Gesetzgeber
nicht von einer derartigen Selbstprivilegierung ausgehen müssen. Bereits der demokratisch gewählte Gesetzgeber der DDR habe
die maximale Zusatzversorgung für bestimmte Berufsgruppen durch § 23 Abs. 2 RAnglG auf 1.500 Mark beschränkt und damit eine
Auswahl dahingehend getroffen, dass insbesondere bei Mitarbeitern des Staatsapparates und der Parteien die versorgungsrechtlichen
Privilegien mittels einer Zahlbetragsbegrenzung eingeschränkt werden sollten. Dagegen sei für eine Reihe von Versorgungssystemen
die unveränderte Weiterzahlung der Zusatzversorgungen ohne diese Zahlbetragsbegrenzung vorgesehen gewesen, insbesondere für
die Zusatzversorgungssysteme der technischen und wissenschaftlichen Intelligenz. Der nach dem Recht der DDR zustehende Gesamtversorgungsbetrag
sei zugleich auch der zum 1. Juli 1990 besitzgeschützte Zahlbetrag gewesen. Die insoweit vom bundesdeutschen Gesetzgeber vorgenommenen
Zahlbetragsbegrenzungen habe das Bundesverfassungsgericht als Verstoß gegen den Einigungsvertrag und als mit Art. 14 Abs.
1 GG unvereinbar bewertet. Der Gesetzgeber habe damit vor der Verabschiedung des 1. AAÜG-ÄndG eine ursprünglich vom Gesetzgeber
der DDR gestaltete Rechtslage zur Fortgeltung und Abschaffung von Privilegien vorgefunden, die durch die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts noch verfestigt gewesen sei. Für Angehörige der technischen und wissenschaftlichen Intelligenz mit
Spitzenverdiensten, für die das Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz zu keinem Zeitpunkt Entgeltbegrenzungen vorgesehen
habe, habe der Gesetzgeber daher willkürfrei davon ausgehen können, dass diese nicht Teil eines Systems der Selbstprivilegierung
gewesen seien.

55
Auch die Nichteinbeziehung der Mitglieder des Zentralkomitees der SED sei aus Sachgründen gerechtfertigt. Bei dem Zentralkomitee,
welches 1989 aus 165 Mitgliedern und 57 Kandidaten bestanden habe, habe es sich um ein Repräsentativorgan gehandelt, in dem
hochrangige Partei- und Staatsfunktionäre – sofern Mitglied der SED – aus den unterschiedlichsten Berufsgruppen (u.a. Schauspieler,
Schriftsteller) bis hin zu verdienten Parteiveteranen vertreten gewesen seien. Dementsprechend hätten die ZK-Mitglieder ganz
unterschiedlichen Altersversorgungssystemen angehört und ebenso heterogen sei die Höhe der jeweiligen Versorgungen gewesen.
Die Mitgliedschaft im Zentralkomitee sei keine konkrete tatbestandliche Voraussetzung für die Gewährung einer besonderen Altersversorgung
gewesen, zumal die Mitgliedschaft im Zentralkomitee auch erst nach Abschluss des Berufslebens begründet werden konnte. Das
eigentliche Machtzentrum des Zentralkomitees sei das Generalsekretariat gewesen. Die dort beschäftigten Spitzenfunktionäre,
die auch gegenüber den Ministern weisungsbefugt gewesen seien, würden in § 6 Abs. 2 Nr. 2 AAÜG aber ausdrücklich benannt.

56
3. Der 4. Senat des Bundessozialgerichts trägt in seiner Stellungnahme vor, die vom Sozialgericht gerügte Ungleichbehandlung
der von § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG betroffenen Personen im Vergleich zu Spitzenfunktionären aus dem Zuständigkeitsbereich der Abteilung
Handel, Versorgung und Außenhandel, den Generaldirektoren der VEB und den Kombinatsdirektoren sei gerechtfertigt, weil diese
dem wirtschaftlichen und nicht dem parteilich-staatlichen Bereich zuzurechnen seien. Ein Gleichheitsverstoß könne allerdings
in der Nichteinbeziehung der Mitglieder des Zentralkomitees der SED gesehen werden. Gegenüber den allgemein Rentenberechtigten
der DDR dürfte es hingegen gerechtfertigt sein, die Regierungsmitglieder als Teil eines Systems der Selbstbegünstigung anzusehen
und bezüglich der Entgeltbegrenzung gleich zu behandeln, da die Regierungsmitglieder ebenso wie die Parteifunktionäre das
System wesentlich gestützt und unterhalten hätten. Würde diese Typisierung für unzulässig gehalten, stünde Art. 3 Abs. 1 GG
wohl jeder pauschalierenden und typisierenden Erfassung der Kader der ehemaligen DDR entgegen.

57
4. Der Seniorenverband – Bund der Ruhestandsbeamten, Rentner und Hinterbliebenen – ist der Auffassung, § 6 Abs. 2 AAÜG sei
verfassungswidrig. Die Vorschrift lasse keine Systematik erkennen und stelle die Sekretäre der SED-Kreisleitung neben die
Mitglieder des Politbüros der SED, jeden Staatsanwalt in der Generalstaatsanwaltschaft der DDR neben Mitglieder der Kreiseinsatzleitung.
Diese Auflistung werde nur durch den Verdacht zusammengehalten, dass diese Personengruppen für den Staat der DDR besonders
wichtig gewesen seien; dann aber fehlten, wie das Sozialgericht herausgearbeitet habe, wichtige Gruppen. Der Kläger des Ausgangsverfahrens
vor dem Sozialgericht Berlin habe, wie die bescheinigten Entgelte bewiesen, für seine herausgehobene und verantwortliche Position
keine überhöhte, sondern eher eine unterdurchschnittliche Vergütung erhalten, die zudem der allgemeinen Einkommensentwicklung
in der DDR hinterhergelaufen sei. Auf anderweitige Privilegien könne es nicht ankommen, weil allein überhöhte Entgelte maßgeblich
seien. Ohne die Kürzung stünde dem Kläger eine monatliche Rente in Höhe von 1.800 Euro zu; dies sei ein Bruchteil dessen,
was ein vergleichbarer Minister der Bundesrepublik Deutschland als Pension erhalte.

58
5. Die ISOR e.V. ist ebenfalls von der Verfassungswidrigkeit von § 6 Abs. 2 AAÜG überzeugt. Das Abstellen des Gesetzgebers
auf ein Gesamtkonzept der Selbstprivilegierung bei den höchsten Nomenklaturkadern sei unschlüssig, da das Nomenklatursystem
nicht nur den Partei- und Staatsapparat, sondern alle Bereiche der Gesellschaft erfasst habe. Deshalb sei auch der Hinweis,
dass in solchen Führungspositionen generell politischer Zuverlässigkeit der Vorrang vor fachlicher Eignung gegeben worden
sei, für die daran anknüpfende Kürzungsregelung ungeeignet; denn dieses Kriterium, in dessen Mittelpunkt die unbedingte Treue
zur Partei der Arbeiterklasse gestanden habe, sei für sämtliche Kadernomenklaturen – und nicht nur für die höchsten Ebenen
– kennzeichnend gewesen. Es gebe zudem keine Erkenntnisse, dass der von § 6 Abs. 2 AAÜG erfasste Personenkreis hinsichtlich
seines Einkommens privilegiert gewesen sei.

59
6. Der Deutsche Bundeswehrverband sieht in § 6 Abs. 2 AAÜG aus den vom Sozialgericht Berlin dargelegten Gründen einen Verstoß
gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG.

60
7. Die Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde e.V. führt aus, auch die Neufassung des § 6 Abs. 2 AAÜG ignoriere
die Aufforderung des Bundesverfassungsgerichts, Nachweise für überhöhte Entgeltzahlungen an die erfassten Personengruppen
zu erbringen. Das Kriterium einer Weisungsbefugnis gegenüber dem Ministerium für Staatssicherheit sei nicht nur für den übergroßen
Teil der von § 6 Abs. 2 AAÜG erfassten Personen unzutreffend, sondern widerspreche auch der Wertneutralität des Rentenrechts
und sei ein rechtsstaatswidriges Differenzierungsmerkmal.

B.
61
Die Vorlagen sind zulässig. Die Vorlagebeschlüsse bedürfen allerdings der einschränkenden Auslegung (vgl. hierzu BVerfGE 3,
187 ; 24, 220 ; 36, 41 ; 56, 1 ). Eine solche Beschränkung ist zulässig, wenn die zu prüfende Vorschrift
nach ihrem Wortlaut und Sinngehalt zwischen verschiedenen Tatbeständen, beispielsweise zwischen verschiedenen Personengruppen,
unterscheidet (vgl. BVerfGE 36, 41 ). Die vorlegenden Gerichte stellen die Vorschrift des § 6 Abs. 2 AAÜG insgesamt zur
Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht. Entscheidungserheblich ist jedoch in beiden Verfahren nur § 6 Abs. 2 Nr. 4
AAÜG. Denn die Kläger waren Minister und stellvertretende Minister der DDR; andere Funktionen, welche in § 6 Abs. 2 AAÜG genannt
werden, haben sie nicht ausgeübt.

C.
62
§ 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Änderung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes
vom 21. Juni 2005 ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

I.
63
1. Der Gesetzgeber hat seinen Ausgestaltungsauftrag im Rahmen des Art. 14 GG in nicht zu beanstandender Weise erfüllt. Den
in der DDR begründeten Rentenansprüchen und Rentenanwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen kommt verfassungsrechtlicher
Eigentumsschutz nach Art. 14 Abs. 1 GG mit der Maßgabe zu, dass ungerechtfertigte Leistungen abgeschafft und überhöhte Leistungen
abgebaut werden dürfen. Diesen Eigentumsschutz erlangen Rentenansprüche und Rentenanwartschaften nur in dem Umfang, den sie
aufgrund der Regelungen des Einigungsvertrages erhalten haben (vgl. BVerfGE 100, 1 ). Der Einigungsvertrag hat in Anlage
II Kapitel VIII Sachgebiet H – Gesetzliche Rentenversicherung Abschnitt III Nr. 9 Buchstabe b Satz 3 Ziffer 1 dem Gesetzgeber
einen Gestaltungsauftrag gegeben, den der Gesetzgeber mit § 6 Abs. 2 AAÜG in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Änderung
des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes vom 21. Juni 2005 in mit Art. 14 GG vereinbarer Weise erfüllt hat.

64
Dem Gesetzgeber kommt bei der Neuordnung sozialrechtlicher Rechtsverhältnisse im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung und
insbesondere bei der Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Rentenversicherung und der Überführung der im Beitrittsgebiet
erworbenen Ansprüche und Anwartschaften ein besonders großer Gestaltungsspielraum zu (vgl. BVerfGE 100, 1 ; 100, 59 <94
f.>). Er ist berechtigt, Rentenansprüche und Rentenanwartschaften zu beschränken, Leistungen zu kürzen und Ansprüche und Anwartschaften
umzugestalten, sofern dies einem Gemeinwohlzweck, insbesondere der Abschaffung ungerechtfertigter und dem Abbau überhöhter
Leistungen, dient und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt. Er darf dabei an Differenzierungen anknüpfen, die schon
der mit den Verhältnissen vertraute Gesetzgeber der DDR zur Grundlage von Entgeltkürzungen gemacht hat, und sie weiterführen
(vgl. BVerfGE 100, 138 ). Denn eine uneingeschränkte und bedingungslose Berücksichtigung der tatsächlichen Arbeitsverdienste
bei der Versorgungsüberleitung war bereits von der DDR nicht gewollt (vgl. BVerfGE 100, 59 ). Dabei kann auch berücksichtigt
werden, dass die Empfänger von Zusatz- und Sonderversorgungen grundsätzlich weniger schutzbedürftig als die sonstigen Rentner
sind (vgl. BVerfGE 100, 104 ). Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers verengt sich in dem Maß, in dem die Rentenansprüche
und Rentenanwartschaften durch den personalen Bezug des Anteils eigener Leistung des Versicherten geprägt sind (vgl. BVerfGE
100, 1 ). Zur Bestimmung, wann eine überhöhte Leistung vorliegt, kann der Gesetzgeber an die Zugehörigkeit zu einem bestimmten
Versorgungssystem oder an die Höhe des Arbeitsentgelts anknüpfen, falls dafür eine Tatsachengrundlage besteht (vgl. BVerfGE
100, 59 ). Er braucht beim Abbau überhöhter Leistungen nicht an der Beitragsbemessungsgrenze haltzumachen, da ungerechtfertigte
Privilegien auch im normalen Streubereich der Gehälter unterhalb dieser Grenze vorkommen können (vgl. BVerfGE 100, 59 ).

65
2. Bereits im Staatsvertrag zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland war vorgesehen, Leistungen aufgrund von Sonderregelungen
mit dem Ziel zu überprüfen, ungerechtfertigte Leistungen abzuschaffen und überhöhte Leistungen abzubauen (Art. 20 Abs. 2 Satz
2 Staatsvertrag). Dementsprechend wurde noch vom letzten, demokratisch gewählten Gesetzgeber der DDR durch § 23 Abs. 2 RAnglG
bestimmt, dass zusätzliche Versorgungen unter anderem aus dem Versorgungssystem für Mitarbeiter des Staatsapparates ab dem
1. Juli 1990 maximal in Höhe von 1.500 DM gezahlt werden durften, die Zahlbetragsgarantie des § 23 Abs. 1 RAnglG für dieses
als besonders “systemnah” angesehene Versorgungssystem also nicht gelten sollte. Der Einigungsvertrag vom 31. August 1990
wiederholte dann in Bezug auf die Ansprüche und Anwartschaften aus Sonder- und Zusatzversorgungssystemen die Maßgabe, “ungerechtfertigte
Leistungen abzuschaffen und überhöhte Leistungen abzubauen” sowie eine Besserstellung gegenüber vergleichbaren Ansprüchen
aus anderen öffentlichen Versorgungssystemen zu verhindern (Anlage 2 Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 9 Buchstabe
b Satz 3 EV). Damit wurden die durch den Einigungsvertrag grundsätzlich anerkannten Ansprüche und Anwartschaften aus den Zusatz-
und Sonderversorgungssystemen von vornherein nur in einem vom Gesetzgeber näher zu bezeichnenden Maß in die Eigentumsordnung
des Grundgesetzes überführt. Der Gesetzgeber durfte die generelle Wertung des Gesetzgebers der DDR aufgreifen und weiterführen
(vgl. BVerfGE 100, 138 ).

66
3. Die Vorschrift des § 6 Abs. 2 AAÜG alter Fassungen verstieß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, weil die Regelung
an Merkmale anknüpfte, die allein nicht als Indikatoren für ein überhöhtes Entgelt ausreichten (vgl. BVerfGE 100, 59 ;
ebenso später BVerfGE 111, 115 ).

67
Mit § 6 Abs. 2 AAÜG in der Fassung des 1. AAÜG-ÄndG knüpft der Gesetzgeber nunmehr sowohl an die Zugehörigkeit zu einem zusätzlichen
Versorgungssystem als auch an die Ausübung bestimmter leitender Funktionen im Partei- und Staatsapparat an. Auf das frühere
Tatbestandsmerkmal einer bestimmten Entgelthöhe hat der Gesetzgeber dagegen verzichtet. Damit entfällt die Notwendigkeit,
der gesetzlichen Regelung tatsächliche Erhebungen zu Lohn- und Gehaltsstrukturen in der DDR zugrunde zu legen.

68
Die Kürzung auf das Durchschnittsentgelt wird in den Gesetzesmaterialien zum einen damit gerechtfertigt, dass diejenigen,
welche eine Weisungsbefugnis gegenüber dem Ministerium für Staatssicherheit gehabt hätten, rentenrechtlich nicht besser stehen
dürften als die Mitarbeiter der Staatssicherheit selbst, deren Verdienste nach § 7 AAÜG pauschal auf das DDR-Durchschnittsentgelt
gekürzt würden; zum anderen stützt der Gesetzgeber die Kürzung auf ein System der Selbstprivilegierung der Personen auf der
höchsten Stufe des Kadernomenklatursystems der DDR (vgl. BTDrucks 15/5314, S. 1, 4; 15/5488, S. 4), dessen Fortsetzung im
Rentenrecht er verhindern will.

69
a) Eine Weisungsbefugnis gegenüber dem Ministerium für Staatssicherheit ist als Rechtfertigung für eine Kürzung des berücksichtigungsfähigen
Entgelts der von § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG erfassten Personengruppe (Minister, stellvertretender Minister oder stimmberechtigtes
Mitglied von Staats- oder Ministerrat oder als ihre jeweiligen Stellvertreter) ungeeignet. Dies folgt aus den unbeanstandet
gebliebenen Feststellungen des Sozialgerichts Berlin, wonach die Mitglieder des Ministerrats der DDR – abgesehen von dem Minister
für Staatssicherheit – keine Weisungsbefugnis gegenüber der Staatssicherheit hatten.

70
b) Die Rechtfertigung der Entgeltkürzungen durch § 6 Abs. 2 AAÜG mit dem Anliegen, ein rentenrechtliches Fortwirken des Systems
der Selbstprivilegierung zu verhindern, hält dagegen verfassungsrechtlicher Überprüfung stand. Insbesondere ist die durch
§ 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG vorgenommene Anknüpfung an bestimmte und durchweg sehr eng begrenzte Funktionen in Führungspositionen
des Staatsapparates der DDR ein geeignetes Kriterium, um der Vorgabe des Einigungsvertrages zu entsprechen, überhöhte Anwartschaften
abzubauen (vgl. BVerfGE 100, 59 ; 100, 138 ).

71
Während der Gesetzgeber im Bestreben, überhöhte Anwartschaften abzubauen, wegen der Sonderstellung des MfS die Mitarbeiter
der Staatssicherheit mit der Begrenzungsregelung des § 7 AAÜG unterschiedslos ohne Differenzierung nach der ausgeübten Tätigkeit
erfassen konnte (vgl. BVerfGE 100, 138 ), würde eine entsprechende Regelung für alle Mitarbeiter des Partei- und Staatsapparats
indessen zu weit gehen. Dementsprechend sieht das neue Regelungskonzept des § 6 Abs. 2 AAÜG durchweg eine sehr enge Begrenzung
auf Personen vor, die im Partei- und Staatsapparat der DDR an wichtigen Schaltstellen tätig waren. Bei dem von § 6 Abs. 2
Nr. 4 AAÜG erfassten Personenkreis im Besonderen handelt es sich um eine kleine Gruppe von Personen in höchsten staatlichen
Leitungsfunktionen, bei der der Gesetzgeber – dem letzten, demokratisch gewählten Gesetzgeber der DDR folgend – davon ausgehen
kann, dass jedenfalls sie einkommens- und versorgungsseitig von einem System der Selbstprivilegierung profitierten.

72
In Bezug auf die Sonderregelung des § 6 Abs. 3 AAÜG in der Fassung durch das Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz hat das Bundesverfassungsgericht
es offen gelassen, ob der Gesetzgeber daran anknüpfen durfte, dass die erfassten Personen “Förderer” des Systems waren, die
durch ihre besondere Stellung zur Stärkung oder Aufrechterhaltung des Staats- oder Gesellschaftssystems der DDR beitrugen
(vgl. BVerfGE 100, 59 ). Für den in § 6 Abs. 2 AAÜG neuer Fassung wesentlich enger und zielgenauer gefassten Personenkreis
mit im Staats- und Parteiapparat der DDR herausgehobener Funktion ist diese Frage zu bejahen.

73
§ 6 Abs. 2 AAÜG ist eine zulässige Ausgestaltung des Renteneigentums der betroffenen Personen. Die an die Ausübung einer Funktion
nach § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG (Minister, stellvertretender Minister oder stimmberechtigtes Mitglied von Staats- oder Ministerrat
oder als ihre jeweiligen Stellvertreter) anknüpfende Entgeltbegrenzung ist geeignet, den Gemeinwohlzweck zu erreichen. In
Bezug auf diesen eng gefassten Personenkreis ist der vom Bundesverfassungsgericht geforderte Schluss des Gesetzgebers gerechtfertigt,
dass “diese Personengruppen bei generalisierender Betrachtungsweise leistungsfremde, politisch begründete und damit überhöhte
Arbeitsverdienste bezogen haben” (vgl. BVerfGE 100, 59 ). Dass der Gesetzgeber gegenüber spezifisch eingegrenzten Gruppen
im Blick auf deren allgemein privilegierte Sonderstellung in der DDR ohne langwierige Ermittlungen des Gesetzgebers zu deren
Beschäftigungs- und Qualifikationsstruktur sowie zur Struktur des von dieser Gruppe erzielten Pro-Kopf-Einkommens zu solchen
Rentenkürzungen befugt sein kann, widerspricht den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an eine auf hinreichende Tatsachen
gegründete Differenzierung nicht (vgl. BVerfGE 100, 138 ).

74
c) Der Einwand, bei den Entgeltbegrenzungen des § 6 Abs. 2 AAÜG handele es sich um ein vom bundesdeutschen Gesetzgeber verfügtes
“Rentenstrafrecht” und die Regelung sei deshalb keine zulässige Ausgestaltung des Eigentums, geht fehl. Noch vor dem Inkrafttreten
des Einigungsvertrags hat der demokratisch gewählte Gesetzgeber der DDR durch den Staatsvertrag vom 18. Mai 1990 und die Begrenzungsregelungen
im Rentenangleichungsgesetz vom 28. Juni 1990 verdeutlicht, dass er bestimmte, unter den Bedingungen der Diktatur begründete
staatliche Bevorzugungen im Bereich der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme gerade nicht aufrechterhalten wollte, und deshalb
die Versorgungsansprüche von Bestandsrentnern mit Ansprüchen aus systemnahen Zusatz- und Sonderversorgungssystemen, in denen
es nach seinen Erkenntnissen strukturelle Entgeltüberhöhungen gegeben hatte, auf bestimmte Höchstbeträge beschränkt (vgl.
BVerfGE 100, 138 ). Das hat gerade die Mitarbeiter des Staatsapparates betroffen. Nur in dieser modifizierten Form
sind die Rentenansprüche und -anwartschaften aufgrund ihrer Anerkennung durch den Einigungsvertragsgesetzgeber in den Geltungsbereich
des Grundgesetzes als Rechtspositionen eingetreten (vgl. BVerfGE 100, 1 ). An die Differenzierungen des mit den Verhältnissen
vertrauten Gesetzgebers der DDR hat der bundesdeutsche Gesetzgeber bei der Gestaltung des Übergangsrechts anknüpfen dürfen
(vgl. BVerfGE 100, 138 ). § 6 Abs. 2 AAÜG sanktioniert nicht früheres Verhalten der Betroffenen durch Kürzung von Renten,
sondern versagt die Fortschreibung von Vorteilen aus dem System der DDR im Rentenrecht der Bundesrepublik. Insoweit knüpft
er freilich an eine besondere Verantwortung für das Regime der DDR an. Bezogen auf einen derart spezifischen und eng beschränkten
Personenkreis von Leistungsverantwortlichen ist dies verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

75
d) § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG erfasst Funktionen auf höchster Staatsebene, bei denen in typisierender Betrachtungsweise der Schluss
gerechtfertigt ist, dass die Position entscheidend durch Parteilichkeit und Systemtreue erlangt wurde und die gewährte Besoldung
und Versorgung eben diese honorierte.

76
Die Bedeutung der Kriterien Regimetreue und politische Zuverlässigkeit zeigt sich in der Einbindung der Minister der DDR in
das System der Überwachung und Informationsbeschaffung des Ministeriums für Staatssicherheit. So stellte das Sozialgericht
Berlin bei seinen Ermittlungen fest, dass der Status des Klägers als “Geheimer Informator” mit seiner Ernennung zum Minister
1953 beendet wurde, weil – so der Vermerk in der Akte des Ministeriums für Staatssicherheit – “die Verbindung zu ihm auch
offiziell bestehen kann”. Bei seiner Befragung durch das Sozialgericht Berlin hat der Kläger die enge Zusammenarbeit zwischen
seinem Ministerium und dem Ministerium für Staatssicherheit näher dargelegt und ausgeführt, dass er selbst regelmäßig Kontakt
mit dem für das Ministerium zuständigen Führungsoffizier der Staatssicherheit hatte. Zwar war der Kläger nicht weisungsbefugt
gegenüber den Mitarbeitern des Ministeriums für Staatsicherheit. Er arbeitete aber als Minister eng mit diesem zusammen, was
seine zuvor geheime Informantentätigkeit zu einer offiziellen machte.

77
Die von § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG erfassten Personen, welche an der Spitze der staatlichen Verwaltung standen, haben diese Position
aufgrund einer Berufung durch das Politbüro der SED erhalten, bei der die Auswahl in erster Linie nach politisch-ideologischen
Kriterien erfolgte (zur zentralen Rolle des Politbüros der SED bei der Besetzung von Staatsfunktionen vgl. auch BGHSt 45,
270 ). Gleichzeitig ist mit der Berufung in diese Position die Teilhabe an einem System vielfältiger Vergünstigungen
verbunden gewesen, von dem der Durchschnittsbürger ausgeschlossen war. Die Funktion eines Ministers oder stellvertretenden
Ministers war mit einer Selbstbegünstigung verbunden, die sich nicht allein in der Entgelthöhe spiegelt. Das lässt sich etwa
den Äußerungen des Klägers vor dem Sozialgericht Berlin bei seiner persönlichen Anhörung vor diesem Gericht entnehmen. Danach
hatte er Anspruch auf Wohnungsversorgung aus dem Kontingent des Ministerrates, die Möglichkeit der Pacht eines Gartengrundstücks,
Zugang zu Instandhaltungs- und Dekorationsarbeiten seitens der Wirtschaftsbetriebe des Ministerrats, Ferienaufenthalte in
Ferienheimen der Regierung und Gesundheitsversorgung in den Krankenhäusern der Regierung.

78
Dieser Befund trägt im Rahmen des hier besonders weiten Einschätzungsermessens die Annahme des Gesetzgebers, dass unabhängig
von der persönlichen und fachlichen Eignung im Einzelfall, die an solche Führungskräfte der DDR gezahlten Entgelte zu einem
gewissen Teil nicht als durch Leistung erworben, sondern als Belohnung für politische Anpassung und unbedingte Erfüllung des
Herrschaftsanspruchs der SED anzusehen sind. Er darf deshalb in Umsetzung des Einigungsvertrages, dass ungerechtfertigte Leistungen
abzuschaffen und überhöhte Leistungen abzubauen sind, solche politisch motivierten Einkommensteile bei der Überführung der
Renten und Anwartschaften in das Rentensystem der Bundesrepublik ohne Verstoß gegen Art. 14 GG von der Berücksichtigung ausschließen.
Die durch die Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der Mitarbeiter des Staatsapparates nachgewiesene Systemnähe und darüber
hinaus noch die im Staatsapparat erreichte Höhe im System sind zusammengenommen hinreichende Anknüpfungspunkte für die typisierende
Rentenbegrenzung des Gesetzgebers wegen überhöhter Honorierung.

79
Die durch § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG bewirkte Rentenkürzung, die nur die Zeiten einer Tätigkeit in weit herausgehobener Stellung
als Minister bzw. stellvertretender Minister erfasst, ist nicht unverhältnismäßig, da auch die nach der Kürzung verbleibenden
Renten der Kläger immer noch erheblich über der Durchschnittsrente eines früheren Bürgers der DDR liegen.

II.
80
1. Der allgemeine Gleichheitssatz ist nicht verletzt. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln.
Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt aber das Grundrecht, wenn er eine Gruppe
von Normadressaten anders als eine andere behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und
solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. BVerfGE 87, 1 ; 92, 53 ;
95, 143 ; 96, 315 ; stRspr). Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmal ergeben sich dabei unterschiedliche
Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse
reichen. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen ist der Gesetzgeber berechtigt, generalisierende, typisierende und pauschalierende
Regelungen zu verwenden, ohne allein wegen der damit verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen.
Allerdings setzt eine zulässige Typisierung voraus, dass diese Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären (vgl. BVerfGE
84, 348 ; 87, 234 ; stRspr), lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und der Verstoß
gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist (vgl. BVerfGE 63, 119 ; 84, 348 ; 117, 1 ; 120, 1 ).

81
2. § 6 Abs. 2 AAÜG führt zu einer Benachteiligung von Personengruppen, zu denen die Kläger der Ausgangsverfahren gehören,
gegenüber Rentnern aus dem Beitrittsgebiet, deren tatsächlich erzielte Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen bei der Rentenberechnung
nur durch die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung gekappt werden.

82
Allerdings sind jene Rentner, die nur in der Sozialpflichtversicherung und der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung versichert
waren, lediglich formal bessergestellt. Zwar sind bei ihnen die tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen
bis zur allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigungsfähig. Wegen der typischerweise niedrigeren Löhne und Gehälter
in der DDR erreicht der “Normalrentner” die Beitragsbemessungsgrenze jedoch regelmäßig tatsächlich nicht.

83
Besser gestellt sind aber Rentner, die einem der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme der DDR angehörten, jedoch keine der
in § 6 Abs. 2 AAÜG genannten Funktionen innehatten und damit nicht in den Kürzungsmechanismus dieser Bestimmung einbezogen
werden. Auch bei ihnen werden die erzielten Arbeitsentgelte bis zur Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigt.

84
3. Die Benachteiligung der in § 6 Abs. 2 AAÜG genannten Personengruppen ist durch hinreichende sachliche Gründe gerechtfertigt.
Das mit der Begrenzungsregelung verfolgte Ziel ist einsichtig und legitim (a), die angegriffene Regelung typisiert nicht in
unzulässiger Weise (b).

85
a) Die Begrenzungsregelung des § 6 Abs. 2 AAÜG hat – wie auch seine Vorgängervorschrift – das Ziel, überhöhte Arbeitsentgelte
oder Arbeitseinkommen bestimmter Personengruppen aus Tätigkeiten, in denen diese im Vergleich mit anderen Personengruppen
bei typisierender Betrachtung einen erheblichen Beitrag zur Stärkung oder Aufrechterhaltung des politischen Systems der DDR
geleistet haben, nicht in vollem Umfang in die Rentenversicherung zu übernehmen und bei der künftigen sozialen Sicherung fortwirken
zu lassen (vgl. BTDrucks 12/4810, S. 20 f.). Dieses Ziel ist ein legitimes Anliegen des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 100, 59
). Die Vorschrift dient der Umsetzung der in Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 9 Buchstabe b Satz
3 EV für den Gesetzgeber enthaltenen Vorgabe, im Zusammenhang mit der Überführung von Ansprüchen und Anwartschaften aus Versorgungssystemen
der DDR zu überprüfen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang dort erzielte Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen die Gewährung
einer Rente nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuches Sechstes Buch rechtfertigen (vgl. BRDrucks 197/91, S. 113; BTDrucks
12/405, S. 113).

86
b) Auch die vom Gesetzgeber in § 6 Abs. 2 AAÜG gewählte Typisierung ist nicht zu beanstanden.

87
aa) In Bezug auf die Vergleichsgruppe der allgemein Rentenberechtigten, die nur theoretisch bessergestellt sind, kann der
Gesetzgeber hinsichtlich der in § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG aufgeführten Personengruppen typisierend annehmen, dass anders als für
normale Arbeitnehmer ihr Arbeitsentgelt nicht allein eine entsprechende Arbeitsleistung honorierte, sondern das Entgelt unter
den Bedingungen der absoluten Parteiherrschaft der SED zu einem erheblichen Teil eine Belohnung für Anpassung und Linientreue
gewesen ist. Solche Prämien für Systemtreue konnte der Gesetzgeber in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise auf das durch
Arbeit und Leistung gerechtfertigte Maß begrenzen (vgl. BVerfGE 100, 59 ; 100, 138 ).

88
bb) Auch in Bezug auf die sonstigen Angehörigen von Zusatz- und Sonderversorgungssystemen, die nicht dem Kürzungsmechanismus
des § 6 Abs. 2 AAÜG unterworfen werden, typisiert die angegriffene Regelung nicht in unzulässiger Weise. Zwar schließt die
Zugehörigkeit zu bestimmten Versorgungssystemen nicht von vornherein den Tatbestand eines überhöhten Entgelts aus (vgl. BVerfGE
100, 59 ). Andererseits kann aber nicht generell davon ausgegangen werden, dass die Einbeziehung in eines der Zusatz-
oder Sonderversorgungssysteme stets mit der Zahlung überhöhter, nicht leistungsgerechter Entgelte einhergegangen ist. Eine
solche Annahme verbietet sich schon wegen der Vielzahl und Unterschiedlichkeit der in die Zusatz- und Sonderversorgungssysteme
einbezogenen Berufs- und Personengruppen, welche hauptamtliche Mitarbeiter des Staatsapparates ebenso umfasste wie die Angehörigen
der wissenschaftlichen und technischen Intelligenz, Ärzte und Zahnärzte mit eigener Praxis, Pädagogen und Hochschulprofessoren
sowie künstlerisch Beschäftigte des Rundfunks, Fernsehens und Filmwesens.

89
cc) Der Kritik des Sozialgerichts Berlin an der Lückenhaftigkeit des Katalogs in § 6 Abs. 2 AAÜG, mit dem der Gesetzgeber
sein gewähltes Ordnungsprinzip verletzt habe, weil § 6 Abs. 2 AAÜG nur einen kleinen Teil des Führungspersonals erfasse, ohne
dass ein sachlicher Grund erkennbar sei, warum nur diese Personengruppen ausgewählt wurden, ist nicht zu folgen. Der Gesetzgeber
war berechtigt, die Entgeltkürzungen auf die in § 6 Abs. 2 AAÜG genannten Personengruppen zu beschränken, ohne hierbei gegen
Art. 3 Abs. 1 GG zu verstoßen.

90
Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber einen besonders großen Gestaltungsspielraum bei der einigungsbedingten Überleitung
von DDR-Renten zugestanden. Mit § 6 Abs. 2 AAÜG knüpft der Gesetzgeber an die Ausübung bestimmter herausgehobener Funktionen
innerhalb des Parteiapparates der SED und des Staatsapparates der DDR an, bei denen in typisierender Weise der Schluss gerechtfertigt
ist, dass den Inhabern dieser Funktionen Entgelte gezahlt worden sind, die teilweise nicht leistungsbezogen waren, sondern
Prämien für Systemtreue darstellten.

91
Der Gesetzgeber durfte sich in § 6 Abs. 2 AAÜG auf die Personengruppen beschränken, die im politischen System der DDR in ihrer
herausgehobenen Position leicht und zweifelsfrei als besondere Nutznießer dieses Systems zu identifizieren waren. Selbst wenn
er in die Regelung in zulässiger Weise auch weitere Mitglieder des Zentralkomitees der SED hätte einbeziehen können, ist seine
engere Grenzziehung nicht zu beanstanden. Beschränkt sich der Gesetzgeber darauf, die Rentenhöhe nur solcher Personengruppen
zu begrenzen, die unzweifelhaft von ungerechtfertigten Vorteilen profitiert haben, so ist sein Gestaltungsspielraum weiter
als im umgekehrten Fall der Regelungserstreckung auf einen großen Personenkreis, bei der die Gefahr besteht, auch Personen
zu erfassen, deren höhere Leistungen gerechtfertigt sind. Schon die beiden vom Bundesverfassungsgericht beanstandeten Versuche
des Gesetzgebers, eine verfassungskonforme Abgrenzung des von der Rentenbegrenzung betroffenen Personenkreises zu schaffen,
zeigen, dass er sich hier in einem höchst komplexen und unübersichtlichen Regelungsbereich bewegt, in dem Härten nur unter
großen Schwierigkeiten vermeidbar sind. Um dennoch den Auftrag des Einigungsvertrags, ungerechtfertigte Leistungen abzuschaffen
und überhöhte Leistungen abzubauen, zu erfüllen, hat der Gesetzgeber den Kreis derjenigen, bei denen derartige ungerechtfertigte
und überhöhte Leistungen anzunehmen sind, nochmals deutlich eingegrenzt. Es ist insofern nicht zu beanstanden, dass er eine
besondere Systemnähe und damit verbundene ungerechtfertigte Entgeltvorteile nur bei Trägern höchster Funktionen im unmittelbaren
Bereich der Exekutive angenommen und auf diese Rentenbegrenzung beschränkt hat, während er Personen aus dem Bereich der Legislative,
der anderen in der DDR vertretenen Parteien oder leitender Wirtschaftsfunktionäre in § 6 Abs. 2 AAÜG davon ausgenommen hat.

92
Die Generaldirektoren und Kombinatsdirektoren wie auch die “besonders hervorragenden Spezialisten” waren nicht in das Versorgungssystem
der Mitarbeiter des Staatsapparates, sondern in das Altersversorgungssystem der technischen Intelligenz einbezogen. Während
für das Zusatzversorgungssystem der Mitarbeiter des Staatsapparates noch zu DDR-Zeiten durch § 23 Abs. 2 RAnglG eine Zahlbetragsbegrenzung
auf 1.500 DM eingeführt wurde, galt dies für die Zusatzversorgungssysteme der technischen Intelligenz wie auch der wissenschaftlichen
Intelligenz (Anlage 1 Nr. 4 zum AAÜG ) nicht. Die Renten der Angehörigen dieser Systeme waren nach dem Willen des demokratisch
gewählten Gesetzgebers der DDR keinen Zahlungsbegrenzungen unterworfen. Den späteren Versuch des Gesetzgebers der Bundesrepublik,
durch § 10 Abs. 1 Satz 2 AAÜG auch für diese Versorgungssysteme eine Zahlbetragsbegrenzung auf 2.010 DM bzw. später auf 2.700
DM zu erreichen, hat das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 28. April 1999 für mit Art. 14 Abs. 1 GG unvereinbar und
nichtig erklärt (vgl. BVerfGE 100, 1 ).

93
Für die Angehörigen der Zusatzversorgungssysteme der technischen und wissenschaftlichen Intelligenz sah § 6 AAÜG zu keinem
Zeitpunkt Begrenzungen des zu berücksichtigenden Einkommens auf Werte unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze vor. Angesichts
dessen bestand, wie die Bundesregierung nachvollziehbar ausführt, für den Gesetzgeber des Jahres 2005 bei der Neufassung von
§ 6 Abs. 2 AAÜG durch das 1. Änderungsgesetz zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz kein Anlass, erstmals die
Verdienste dieser Berufsgruppen zu begrenzen. In Bezug auf die “besonders hervorragenden Spezialisten”, welche nach der “Verordnung
über die Erhöhung des Arbeitslohnes für qualifizierte Arbeiter in den wichtigsten Industriezweigen vom 28. Juni 1952″ (GBl
DDR vom 2. Juli 1952, S. 501) Gehälter bis zu 15.000 Mark erreichen konnten, liegt es nahe, dass ihnen derart hohe Gehälter
nur gezahlt wurden, weil ihre Arbeitsleistung für die Volkswirtschaft der DDR unentbehrlich war. Nicht ihre Nichterfassung
in § 6 Abs. 2 AAÜG ist insofern problematisch, vielmehr wäre es ihre Einbeziehung.


Ähnliche Artikel

Mobbing: Rechte und Ansprüche von Opfern

Ob in der Arbeitswelt, auf Schulhöfen oder im Internet – Mobbing tritt an vielen Stellen auf. Die körperlichen und psychischen Folgen müssen Mobbing-Opfer jedoch nicht einfach so hinnehmen. Wir klären Rechte und Ansprüche.
Mehr lesen

Das Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse dienen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers und helfen oft den Bewerbern in die engere Auswahl des Bewerberkreises zu gelangen.
Mehr lesen


Nach oben