Arbeitsrecht

Vergütung der psychotherapeutischen Institutsambulanzen

Aktenzeichen  S 38 KA 345/17

Datum:
4.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 16933
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
PsychTG § 6
SGB V § 87, § 112 Abs. 2 S. 1, § 117 Abs. 2 S. 3, § 120 Abs. 2
GG Art. 3

 

Leitsatz

1. I. Auch eine psychotherapeutische Institutsambulanz, deren Vergütung in einem sog. Beauftragungsvertrag geregelt ist, hat Anspruch auf die vom EBA zum 01.01.2012 beschlossene rückwirkende Erhöhung der antrags- und genehmigungspflichtigen Leistungen in Abschnitt 35.2 EBM, ohne dass es hierfür einer Anpassung des Beauftragungsvertrages vom 12.03.2004 durch die Vertragspartner bedarf. (Rn. 12)
2. II. § 120 Abs. 2 SGB V schreibt vor, dass die erbrachten Leistungen angemessen unter Berücksichtigung des Entgelts für vergleichbare Leistungen zu vergüten sind. (Rn. 15)
3. III. Auf die Begründung des Erweiterten Bewertungsausschusses (EBA) zur Erhöhung der Vergütung kommt es nicht an. Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Bewertungsmaßstabes ist zu beachten.  (Rn. 20 – 22)

Tenor

I. Der Honorarbescheid der Beklagten für das Quartal in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 12.07.2017 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verurteilt, über den Honoraranspruch der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
III. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich die der Klägerin entstandenen Aufwendungen im Widerspruchsverfahren.
IV. Es wird festgestellt, dass die Einschaltung eines Anwalts im Widerspruchsverfahren notwendig war.

Gründe

Die zum Sozialgericht München erhobene Klage ist zulässig und erweist sich auch als begründet. Es handelt sich um eine kombinierte Anfechtungs- und Verbescheidungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG. Die Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten.
Gegenstand des Rechtsstreits ist nicht die Gewährung einer Strukturpauschale auch für Institutsambulanzen und Hochschulambulanzen entsprechend dem Beschluss des EBA in seiner 43. Sitzung am 22.09.2015. Vielmehr ist strittig, ob Institutsambulanzen und Hochschulambulanzen an der ebenfalls beschlossenen Erhöhung der Bewertung der antrags- und genehmigungspflichtigen Leistungen im Abschnitt 35.2 EBM rückwirkend zum 01.01.2012 um 2,7% teilnehmen. Insofern kann die Entscheidung des Sozialgerichts Berlin vom 24.05.2017 (Aktenzeichen S 83 BKA 934/16), bei der Gegenstand des Verfahrens die Gewährung der Strukturpauschale war, nicht herangezogen werden.
Nach Auffassung des Gerichts hat die Klägerin in ihrer Eigenschaft als psychotherapeutische Institutsambulanz ebenfalls Anspruch auf die vom EBA zum 01.01.2012 rückwirkende Erhöhung der antrags-und genehmigungspflichtigen Leistungen in Abschnitt 35.2 EBM, ohne dass es hierfür einer Anpassung des Beauftragungsvertrages vom 12.03.2004 durch die Vertragspartner bedarf.
Wie sich aus § 117 Abs. 2 S. 3 in Verbindung mit § 120 Abs. 2 SGB V ergibt, erfolgt die Vergütung von Leistungen der psychiatrischen Institutsambulanzen und Hochschulambulanzen außerhalb der Gesamtvergütung unmittelbar mit den Krankenkassen und wird zwischen den Ambulanzen und den Krankenkassen vereinbart. Auf dieser Rechtsgrundlage wurde ein sogenannter „Beauftragungsvertrag“ zwischen den Kassen und den Ausbildungsstätten unter Beteiligung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns geschlossen. Laut Vorbemerkung gilt die Abrechnungsbeauftragung unbefristet und beginnt zum ersten Quartal 2004. Es handelt sich um einen dreiseitigen Vertrag (Ausbildungsstätten, Kassen, KVB), in dem die Durchführung der Abrechnung geregelt ist (vgl. Ziff. 4). Er enthält aber auch Bestimmungen über die Honorierung der Leistungen. So lautet Ziff. 3 des Beauftragungsvertrages wie folgt:
„Die Honorierung der Leistungen der Institute erfolgt über feste Euro-Beträge für die EBM-Positionen in der im Jahr 2003 gesamtvertraglich vereinbarten beziehungsweise sich aus der Honorarverteilung der Quartale 4/2002-3/2003 durchschnittlich ergebenden Höhe, soweit Krankenkassen und Institute keine anderweitige Regelung treffen… Die Kennzeichnung sowie die vorläufige Bewertung der abrechnungsfähigen Leistungen sind in Anlage 2 aufgeführt…Über die endgültige Höhe der Euro-Beträge müssen sich die Institute und die bayerischen Krankenkassen noch einigen. Die Vertragspartner stimmen überein, dass vorzunehmende Änderungen der Beträge nicht rückwirkend, sondern in zukünftigen, noch abzurechnenden Quartalen durch entsprechende Zu- oder Abschläge zu den Leistungen dieses Quartals verrechnet werden.“
Das Sozialgericht München war bereits im Verfahren unter dem Aktenzeichen S 38 KA 741/11 mit den Regelungen des Beauftragungsvertrages befasst und hat in seinem Urteil vom 05.02.2014 wie folgt ausgeführt:
„Der Vertrag stellt somit ein Konglomerat an Regelungen zur Durchführung der Abrechnung und Honorierung der Leistungen dar. Dabei bleibt die Regelungsdichte bezüglich der Honorierung der Leistungen rudimentär. Insbesondere, was Klarheit und Bestimmtheit eines Vertragskonstrukts bei „essentialia“ betrifft, weicht dieser Vertrag von den üblichen Maßstäben erheblich ab. Dies führt allerdings nicht zwingend zur Unwirksamkeit. So ist dem Wortlaut des Vertrages nicht unmittelbar zu entnehmen, wie die in Anlage 2 aufgeführte Bewertung der abrechnungsfähigen Leistungen zu Stande kommt, unter welchen Voraussetzungen die Bewertung anzupassen ist, ob diese Anpassung automatisch erfolgt oder eine Zusatzvereinbarung der Vertragspartner erforderlich ist.“
In Gesamtschau der Rechtsgrundlagen (§ 117 Abs. 2 S. 3 in Verbindung mit § 120 Abs. 2 S. 1 SGB V) und des Beauftragungsvertrages ergibt sich als deren Sinn und Zweck eine angemessene Honorierung der erbrachten Leistungen (vgl. § 120 Abs. 2 S. 3 SGB V) unter Berücksichtigung des Entgelts für vergleichbare Leistungen (vgl. § 120 Abs. 2 S. 4 SGB V). Folgerichtig stellt der Beauftragungsvertrag unter Ziff. 3 S. 1 auf „feste Euro-Beträge für EBM-Positionen“ ab. Die Vertragspartner orientieren sich also an dem jeweils gültigen EBM. Insofern handelt es sich um eine dynamische Verweisung. Damit eine Gleichbehandlung von ambulanten Praxen und Ausbildungsstätten erreicht werden kann, geht das Gericht von einer automatischen Anpassung der Bewertung aus, ohne dass es einer vorherigen Einigung der Institute mit den Kassen bedarf (eine Zustimmung der KVB erscheint ohnehin obsolet, da diese lediglich als Abrechnungsstelle und Durchlaufstelle fungiert). Dagegen spricht auch nicht Ziff. 3 S. 5 des Beauftragungsvertrages, wonach sich die Institute und die Bayerischen Krankenkassen über die endgültige Höhe der Euro-Beträge noch einigen müssen. Denn nach dem Kontext bezieht sich diese Regelung auf die erstmalige Bewertung der Leistungen und nicht auf deren spätere Anpassungen. Gegen diese Auslegung spricht auch nicht Ziff. 3 S. 6 des Beauftragungsvertrages „Die Vertragspartner stimmen überein, dass vorzunehmende Änderungen der Beträge nicht rückwirkend, sondern in zukünftigen, noch abzurechnenden Quartalen durch entsprechende Zu- oder Abschläge zu den Leistungen dieses Quartals verrechnet werden.“. Denn hier geht es lediglich um die Verrechnung und nicht um die Vergütung der Leistungen. Letztendlich maßgeblich ist auch, wie es zu der Anpassung zum 01.04.2009 (Primärkassen) beziehungsweise zum 01.10.2009 (Ersatzkassen) in der Anlage 2 zum Beauftragungsvertrag kam. Auch für eine Anpassung zu diesen Zeitpunkten erfolgte nach der Aktenlage und den Einlassungen der Beteiligten keine Zusatzvereinbarung durch die „eigentlichen“ Vertragspartner. In den in der mündlichen Verhandlung am 05.02.2014 zum Verfahren unter dem Aktenzeichen S 38 KA 741/11 überreichten e-mails, gewechselt zwischen der KVB und den Kassen ging es lediglich um die Umsetzbarkeit neuer Euro-Pauschalen.“
Nach Auffassung des Gerichts ist auch diese Begründung für das hier streitgegenständliche Verfahren entscheidungserheblich, auch wenn in dem früheren Verfahren über einen anderen Klagegegenstand zu befinden war (Zeitpunkt der Anhebung einer höheren EBM-Bewertung für Institutsambulanzen und Hochschulambulanzen).
Das Sozialgericht München sieht seine Auffassung auch durch die in der Niederschrift des Bayerischen Landessozialgerichts vom 02.12.2015 (Berufungsverfahren unter Az. L 12 KA 45/14 zum Verfahren des SG München unter dem Az. S 38 KA 741/11) dargelegten Aspekte bestätigt. Das BayLSG hat dort auf die Begründung des Sozialgerichts München hingewiesen und zusätzlich ausgeführt, „dass nach Mitteilung der Verhandlungs- und Vertragsparteien (AOK Bayern einerseits und Frau Dr. U. auf Seiten der Ausbildungsinstitute andererseits) zu der streitgegenständlichen Thematik eine mündliche Vereinbarung existiert, nach der Änderungen des EBM zeit- und inhaltsgleich jeweils für die Vergütung auch dieser Institute maßgeblich sein sollten.“
Dieser Rechtsstandpunkt erweist sich auch aus anderen, in der mündlichen Verhandlung am 04.07.2017 deutlich gewordenen Gesichtspunkten als tragfähig. So geht das Gericht davon aus, dass die Vertragspartner des Beauftragungsvertrages, wie sich aus den Formulierungen zumindest indirekt ergibt, eine automatische Übertragung von EBMÄnderungen wollten. Dafür spricht auch, dass erst jüngst eine Vereinbarung (vgl. Protokoll der SAAP über die Sitzung am 08.05.2018) erzielt wurde, wonach die Strukturpauschale rückwirkend ab 2012 bewilligt und ausgezahlt werden soll. Auch hier erfolgte offensichtlich keine Anpassung des Beauftragungsvertrages. Des Weiteren ergibt sich aus dem Urteil im KV-Bezirk Berlin-Brandenburg, dass dort die Erhöhung der EBM-Positionen – wenn auch vorbehaltlich – bezahlt wurde.
Dem Vernehmen nach befinden sich die Vertragspartner des Beauftragungsvertrages in Verhandlungen über eine Anpassung bzw. Änderung desselben. Ihnen musste nicht zuletzt aufgrund der mittlerweile schon länger zurückliegenden Gerichtsverfahren die Rechtsauffassung der Gerichte bekannt sein. Solange keine Änderung des Beauftragungsvertrages erfolgt, gilt die hierzu vertretene Rechtsauffassung fort.
Dagegen kann nicht eingewandt werden, die Praxis- bzw. Personalkosten einer psychotherapeutischen Praxis würden sich von denen für psychiatrische Institutsambulanzen und Hochschulambulanzen unterscheiden. Aus diesem Grund könne der Beschluss nicht uneingeschränkt auf Institute umgelegt werden. Denn auf die Begründung des EBA, weshalb sich dieser aufgrund der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu einer Erhöhung veranlasst sah, kommt es nicht an. Die Begründung ist nämlich grundsätzlicher Art für die Berechnung der Anpassung. Dabei bedient sich der EBA hypothetischer Annahmen einer vollausgelasteten psychotherapeutischen Praxis und deren vermeintlicher Praxisund Personalstruktur. Diese Begründung kann aber nicht dazu führen, dass sich letztendlich die Vergütungshöhe nach der jeweils vorliegenden Praxis- und Personalstruktur orientiert. Denn der Bewertungsmaßstab bestimmt für jeden Vertragsarzt einheitlich den Inhalt seiner abrechnungsfähigen Leistungen und zwar unabhängig davon, welche Praxisund Personalstruktur seine Praxis aufweist (vgl. § 87 Abs. 1, 2 SGB V). Eine Differenzierung wäre unpraktikabel und systemwidrig, da sie zur Folge hätte, dass jeweils im Einzelfall geprüft werden müsste, ob die jeweilige Praxis eine vergleichbare Praxis- und Personalkostenstruktur hätte.
Im Übrigen wird die Erhöhung allen psychotherapeutischen Praxen gewährt, unabhängig davon, ob diese den vom EBA angestellten Annahmen zu Praxis- und Personalkosten entsprechen. Somit erhält auch eine psychotherapeutische Praxis, die – aus welchen Gründen auch immer – eine günstigere Praxisund Personalstruktur aufweist, als diese den Annahmen des EBA zugrunde liegt, die vom EBA beschlossene Erhöhung.
Nichts Anderes kann für Institutsambulanzen und Hochschulambulanzen gelten. Ansonsten würde ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 GGG vorliegen und der Grundsatz der Einheitlichkeit des Bewertungsmaßstabes in § 87 SGB V systemwidrig durchbrochen.
Abgesehen davon kann nach Auffassung des Gerichts nicht nachvollzogen werden, warum Institutsambulanzen und Hochschulambulanz unterschiedliche Praxis- und Personalstrukturen aufweisen sollen, die eine solche Erhöhung nicht rechtfertigen würden. Dies gilt speziell für die Klägerin, die einen quartalsmäßigen Honorarumsatz von immerhin ca. 500.000 € aufweist. Der hohe Honorarumsatz deutet darauf hin, dass dort eine Vielzahl von Patienten behandelt wird. Damit verbunden sind entsprechende Praxis- und Personalkosten. Deshalb besteht gerade im streitgegenständlichen Fall sehr wohl eine Vergleichbarkeit.
Zusammenfassend kommt das Gericht daher zu dem Ergebnis, dass die Klägerin im Quartal Anspruch auf die vom EBA beschlossene Erhöhung hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.
Die Zuziehung eines Rechtsanwalts für das Widerspruchsverfahren ist im Hinblick auf die nicht einfache Beurteilung der Sach- und Rechtslage als notwendig anzusehen (§ 63 Abs. 3 S. 2 SGB X).


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