Arbeitsrecht

Verjährung Urlaubsabgeltungsanspruch

Aktenzeichen  B 5 K 19.600

Datum:
14.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 33048
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
RL 2003/88/EG Art. 7 Abs. 2
UrlMV § 8 S. 4, § 9
BayBG Art. 66

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Aufgrund der mit Schriftsätzen vom 17.05.2020 bzw. 26.05.2020 erklärten Zustimmung der Beteiligten kann das Gericht nach § 101 Abs. 2 VwGO über die Verwaltungsstreitsache ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Bescheid des Beklagten vom 28.03.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.05.2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Urlaubsabgeltung für das Jahr 2016.
1. Ein Anspruch auf finanzielle Abgeltung der nicht in Anspruch genommenen Urlaubstage ergibt sich vorliegend weder aus § 9 UrlMV noch aus Art. 7 Abs. 2 RL 2003/88/EG.
Nach früherer Rechtsprechung (vgl. u.a. BVerwG, B.v. 31.7.1997 – 2 B 138/96 – juris) wurde ein Urlaubsabgeltungsanspruch eines Beamten mangels nationaler Regelung abgelehnt. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist aber mittlerweile geklärt, dass auch Beamte Arbeitnehmer im Sinne der RL 2003/88/EG sind und damit einen Urlaubsabgeltungsanspruch haben (EuGH, B.v. 14.7.2005 – Rs. C-52/04 – Slg. 2005, I-7111, Rn. 57ff.; U.v. 3.5.2012 – Rs. C-337/10, Neidel – Abl. EU 2012, Nr. C 174 S. 4 = NVwZ 2012, 688, Rn. 22).
Art. 7 Abs. 2 RL 2003/88/EG hat zwar unmittelbar nur den Inhalt, dass der in Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG geregelte bezahlte Mindesturlaub von vier Wochen (bei einer Fünf-Tage-Woche somit 20 Tage) „außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden“ darf. Durch die Regelung wird aber ein Urlaubsabgeltungsanspruch für diesen Mindesturlaub begründet, da die Beendigung des Beamtenverhältnisses durch Eintritt oder Versetzung in den Ruhestand nach § 21 Nr. 4 BeamtStG eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Sinne des Art. 7 Abs. 2 RL 2003/88/EG ist (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 2 C 10/12 – NVwZ 2013, 1295).
Nach der Rechtsprechung des EuGH (U.v. 1.12.2005 – Rs. C-14/04, Dellas – Slg. 2005, I-10253, Rn. 53) bleibt zwar nach Art. 15 RL 2003/88/EG u.a. das Recht der Mitgliedstaaten unberührt, für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer günstigere Rechts- und Verwaltungsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen. Zu der insoweit wortgleichen Vorgängerrichtlinie RL 93/104/EG hat der EuGH auch entschieden, dass unabhängig von günstigeren nationalstaatlichen Regelungen die praktische Wirksamkeit der durch die Arbeitszeitrichtlinie verliehenen Rechte in vollem Umfang gewährleistet werden müsse. Dies führe zur Verpflichtung, die Einhaltung jeder der in dieser Richtlinie aufgestellten Mindestvorschriften zu gewährleisten.
Aus diesem Grund weist das Bundesverwaltungsgericht darauf hin, dass der Umfang des Urlaubsabgeltungsanspruchs nach Art. 7 Abs. 2 RL 2003/88/EG auf die sich aus Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG ergebenden vier Wochen Erholungsurlaub im Jahr beschränkt ist. Der EuGH hat im Urteil vom 03.05.2012 (Rs. C-337/10 – NVwZ 2012, 688 Rn. 35ff.) hervorgehoben, dass die Arbeitszeitrichtlinie sich auf die Aufstellung von Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz beschränkt; es sei Sache der Mitgliedstaaten zu entscheiden, ob sie den Beamten weitere Ansprüche auf bezahlten Urlaub gewähren, sowie ob und unter welchen Voraussetzungen sie eine finanzielle Vergütung für den Fall vorsehen, dass einem in den Ruhestand tretenden Beamten diese zusätzlichen Ansprüche krankheitsbedingt nicht haben zugute kommen können. Deshalb sind Urlaubstage, die über den nach Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaub hinausgehen, nicht vom Urlaubsabgeltungsanspruch nach Art. 7 Abs. 2 RL 2003/88/EG erfasst (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 2 C 10/12 – NVwZ 2013, 1295 Rn. 12).
Entsprechendes sieht nunmehr auch § 9 Abs. 1 Satz 1 UrlMV vor. Demnach ist, soweit bei der Beendigung des Beamtenverhältnisses die vorherige Einbringung von Erholungsurlaub auf Grund einer Dienstunfähigkeit nicht möglich war, der Urlaub der einzelnen Kalenderjahre in dem Umfang abzugelten, in dem der eingebrachte Erholungsurlaub jeweils hinter einem Mindesturlaub von 20 Tagen zurückbleibt. Mithin beschränkt sich auch die nunmehr geschaffene nationale Abgeltungsregelung auf den Mindesturlaub.
Bei der Berechnung der dem Beschäftigten zustehenden Urlaubstage im Rahmen der Ansprüche aus Art. 7 Abs. 1 und 2 RL 2003/88/EG kommt es nach dem Zweck dieser Norm nur darauf an, ob und wie viel Urlaub der Betreffende im konkreten Jahr genommen hat. Unerheblich ist, ob es sich dabei um neuen oder um alten, also aus dem vorangegangenen Urlaubsjahr übertragenen Urlaub gehandelt hat (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 2 C 10/12 – NVwZ 2013, 1295 Rn. 24). Von der Regel, dass es nicht auf den Rechtsgrund für die genommenen Urlaubstage ankommt, gibt es nur insoweit eine Ausnahme, als Mindesturlaub des laufenden Jahres nicht die Urlaubstage sein können, die Mindesturlaub des vorangegangenen Jahres sind. Ohne dass es einer genauen Zuordnung zum laufenden oder vorangegangenen Urlaubsjahr bedarf, können Urlaubstage noch dem Vorjahr zugeordnet werden, wenn der Mindesturlaub des Vorjahres noch nicht eingebracht wurde (vgl. VG Regensburg, U.v. 10.10.2014 – RN 1 K 13.1973 – juris Rn. 52).
Gemessen an diesen Maßstäben steht der Klägerin eine finanzielle Abgeltung der nicht eingebrachten Urlaubstage nicht zu.
a) Zwar ist es zutreffend, wie die Klägerin geltend macht, dass sie in der Vergangenheit zulässigerweise von der Möglichkeit des § 8 Satz 1 und 2 UrlMV Gebrauch gemacht und eine Ansparung von Urlaubstagen aus vorangegangenen Jahren vorgenommen hat. Damit waren abgeltungsfähige Urlaubstage grundsätzlich vorhanden.
Unschädlich ist dabei auch, dass die Klägerin zwar in dem streitgegenständlichen Zeitraum teilweise Dienst getan und somit auch die Möglichkeit gehabt hätte, weitere Tage in Form von Erholungsurlaub einzubringen. Dem Entstehen des Abgeltungsanspruchs steht grundsätzlich ihre subjektive Einschätzung nicht entgegen, dass sie während dieser Fehlzeit einen derart hohen Arbeitsrückstand angehäuft habe, dass sie nicht guten Gewissens habe Urlaub in Anspruch nehmen können, weil sie ihr Referat wieder in Ordnung zu bringen hatte. Nach der Rechtsprechung besteht der Urlaubsabgeltungsanspruch grundsätzlich auch dann, wenn der Beschäftigte im Urlaubsjahr teilweise arbeits- bzw. dienstfähig war, in dieser Zeit den Urlaub aber nicht oder nicht vollständig genommen hat. Das gilt sowohl für das Jahr, in dem die längerfristige Dienstunfähigkeit beginnt, als auch für das Jahr oder für die Jahre, in dem oder in denen der Betreffende vorübergehend wieder dienstfähig war. In beiden Fällen kann der Beschäftigte krankheitsbedingt und damit unabhängig von seinem Willensentschluss den ihm zustehenden (Mindest-)Urlaub nach Eintritt in den Ruhestand nicht mehr nehmen. Aus der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 7 Abs. 2 RL 2003/88/EG gibt es keine Anhaltspunkte für eine andere Auslegung dieser Bestimmung (BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, Az.: 2 C 10/12 Rn. 17, NVwZ 2013, 1295, beck-online).
b) Der von der Klägerin begehrte Abgeltungsanspruch scheitert jedoch an der Verjährungsregelung des § 9 Abs. 1 Satz 4 UrlMV.
Nach dieser Regelung bleiben Kalenderjahre, die bei der Beendigung des Beamtenverhältnisses seit mehr als 24 Monaten abgelaufen sind, unberücksichtigt.
Die Klägerin ist mit Wirkung vom … dienstunfähigkeitsbedingt in den vorzeitigen Ruhestand getreten und hat mit entsprechendem Antrag im Widerspruchsschreiben vom 07.05.2019 Urlaubstage aus dem Jahr 2016 zur Abgeltung beantragt. Im Zeitpunkt der Geltendmachung des begehrten Anspruchs war somit ein Zeitraum von mehr als 24 Monaten bereits abgelaufen und der Abgeltungsanspruch verjährt.
Dem stehen auch die von der Klägerin zitierten europarechtlichen Regelungen und Entscheidungen nicht entgegen. Wie bereits ausgeführt werden hier lediglich Mindeststandards festgelegt, von denen die Mitgliedstaaten mit weiterreichenden Regelungen zugunsten des Arbeitnehmers bzw. Beamten abweichen dürfen, nicht aber zu dessen Lasten.
Hierzu hat der EuGH im Urteil vom 22.11.2011 (Az.: C-214/10) ausgeführt:
„Gleichwohl ist festzustellen, dass der Anspruch eines während mehrerer Bezugszeiträume in Folge arbeitsunfähigen Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub beiden in Rdnr. 31 des vorliegenden Urteils genannten Zweckbestimmungen nur insoweit entsprechen kann, als der Übertrag eine gewisse zeitliche Grenze nicht überschreitet. Über eine solche Grenze hinaus fehlt dem Jahresurlaub nämlich seine positive Wirkung für den Arbeitnehmer als Erholungszeit; erhalten bleibt ihm lediglich seine Eigenschaft als Zeitraum für Entspannung und Freizeit.
In Anbetracht des Zwecks des jedem Arbeitnehmer unmittelbar durch das Unionsrecht gewährten Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub kann in Folge dessen ein während mehrerer Jahre in Folge arbeitsunfähiger Arbeitnehmer, der seinen bezahlten Jahresurlaub nach dem nationalen Recht nicht während dieses Zeitraums nehmen kann, nicht berechtigt sein, in diesem Zeitraum erworbene Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub unbegrenzt anzusammeln.
… Unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen kann vernünftigerweise davon ausgegangen werden, dass ein Zeitraum von 15 Monaten wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende, in dem die Übertragung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub möglich ist, dem Zweck dieses Anspruchs nicht zuwiderläuft, da er dessen positive Wirkung für den Arbeitnehmer als Erholungszeit gewährleistet.“
(NZA 2011, 1333 Rn. 33, 34, 43, beck-online)
Im vorliegenden Fall stellt § 9 UrlMV, wie bereits ausgeführt, die nationalstaatliche Umsetzung dieser europarechtlichen Vorgaben dar und geht mit einer Verjährungsfrist von 24 Monaten deutlich über die europarechtlich festgelegten Mindeststandards hinaus, sodass ein Verstoß gegen höherrangiges Recht nicht erkennbar ist.
Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch war im Zeitpunkt der Beantragung somit bereits verjährt.
c) Diese Folge steht auch nicht, wie von der Klägerin vorgetragen, im Widerspruch zu den Vorgaben des § 8 UrlMV, nach dessen Regelungsgehalt die Ansparmöglichkeit zeitlich über die Frist des § 9 Abs. 1 Satz 4 UrlMV hinausgeht. Nach § 8 Satz 1 UrlMV ist zwar angesparter Erholungsurlaub spätestens bis zum Ablauf des dritten Jahres anzutreten, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem der Urlaubsanspruch entstanden ist. Damit reicht die Frist der Ansparmöglichkeit um ein Jahr über die Frist der Abgeltungsmöglichkeit hinaus.
Ein Widerspruch liegt hierin jedoch nicht. Sinn und Zweck beider Vorschriften unterscheiden sich nicht unerheblich. Während die Vorgaben des § 8 UrlMV die Möglichkeit implizieren, dass der Betroffene noch von der Erholungs- und Rehabilitationsfunktion der noch nicht in Anspruch genommenen Urlaubstage profitieren kann, setzt § 9 UrlMV die Unmöglichkeit dieser Zweckerreichung voraus. Aufgrund dieser unterschiedlichen Zwecksetzungen und der Tatsache, dass auch Art. 7 RL 2003/88/EG die Abgeltungsmöglichkeit nur als Ausnahmefall ansieht, führt die Festsetzung unterschiedlicher Verjährungs- bzw. Verfallsvorschriften auch nicht zu einer in der Sache widersprüchlichen Differenzierung. Zudem hat auch das Bundesverwaltungsgericht hierzu ausgeführt, dass es bei der Berechnung der dem Beschäftigten zustehenden Urlaubstage im Rahmen der Ansprüche aus Art. 7 Abs. 1 und Abs. 2 RL 2003/88/EG nach dem Zweck dieser Norm nur darauf ankommt, ob und wie viel Urlaub der Betreffende im konkreten Jahr genommen hat. Unerheblich ist, ob es sich dabei um neuen oder um alten, also aus dem vorangegangenen Urlaubsjahr übertragenen Urlaub gehandelt hat (BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, Az.: 2 C 10/12, NVwZ 2013, 1295 Rn. 23, beck-online). Somit sieht im Fall des Abgeltungsanspruchs auch das Bundesverwaltungsgericht keinen Anlass, von der absoluten Fristenregelung in diesem Bereich Abweichungen zuzulassen.
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
2. Die Kostenentscheidung zu Lasten der Klägerin folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der unterlegene Beteiligte die Kosten des Verfahrens zu tragen hat.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO).
4. Gründe für eine Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht nach § 124 Abs. 1, § 124 a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 VwGO liegen nicht vor.


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