Arbeitsrecht

Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt, Drogenstraftaten

Aktenzeichen  W 7 K 20.358

Datum:
16.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 47523
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FreizügG/EU § 6 Abs. 1, 2, § 6 Abs. 3, § 7 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.  

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 13. Februar 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage der angefochtenen Verlustfeststellung ist § 6 Abs. 1 FreizgG/EU. Nach dieser Vorschrift kann der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 unbeschadet des § 2 Abs. 7 und des § 5 Abs. 4 nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit festgestellt werden. Gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU genügt die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung für sich alleine nicht, um die Verlustfeststellung zu begründen. Es dürfen nach § 6 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU nur im Bundeszentralregister nicht getilgte strafrechtliche Verurteilungen und diese nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihnen zugrundeliegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Es muss gemäß § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Bei der Entscheidung über die Verlustfeststellung sind gemäß § 6 Abs. 3 FreizügG/EU insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen in Deutschland, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.
Bei der Prüfung, ob im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch ein persönliches Verhalten des Betroffenen zu erkennen ist, haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Auch das Gewicht des bedrohten Rechtsguts ist dabei zu berücksichtigen; an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit dürfen andererseits keine zu geringen Anforderungen gestellt werden (BayVGH, B.v. 8.4.2019 – 10 ZB 18.2284 m.w.N.). Gerade bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung des Ausländers beruhen, kann nach der ständigen Rechtsprechung des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs von einem Wegfall der für die Ausweisung – und damit auch für die Verlustfeststellung – erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen hat und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat. Denn solange sich der Ausländer nicht außerhalb des Straf- und Maßregelvollzugs bewährt hat, kann nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung geschlossen werden, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde (BayVGH, B.v. 8.4.2019 – 10 ZB 18.2284 m.w.N.).
Gemessen an diesen Vorgaben ist nach Überzeugung der Kammer von einer Wiederholungsgefahr auszugehen. Die betroffenen Schutzgüter, denen durch das Verhalten des Klägers eine Beeinträchtigung droht, sind unter anderem das Leben und die körperliche Unversehrtheit, also Schutzgüter von besonderem Gewicht. Der illegale Drogenhandel gehört gemäß Art. 83 Abs. 1 AEUV zu den dort definierten Bereichen besonders schwerer Kriminalität, die aufgrund der Art oder der Auswirkungen der Straftaten oder aufgrund einer besonderen Notwendigkeit, sie auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen, eine grenzüberschreitende Dimension haben. Zu berücksichtigen ist insbesondere, dass der Kläger über einen längeren Zeitraum im organisatorischen Zusammenwirken mit zwei anderen Personen mit großen Mengen an Betäubungsmitteln gehandelt hat – wobei das Maß der nicht geringen Menge um das 208fache überschritten war. Dabei hat der Kläger auch teilweise mit ein höheres Gefährdungspotential aufweisenden Betäubungsmitteln wie Kokain Handel betrieben. Nach den Feststellungen im Strafurteil geschah dies (auch) zur Finanzierung der eigenen Drogensucht. Dabei konsumierte Kläger zuletzt Kokain in einem Umfang von 2 g pro Tag in Form von vier Injektionen, war also massiv drogenabhängig; der Drogenkonsum begann bereits im Alter von 17 Jahren. Der Kläger ist zudem (in geringem Maße) einschlägig vorbestraft.
Zwar verkennt die Kammer demgegenüber nicht die positive Entwicklung, die der Kläger im Maßregelvollzug genommen hat. Aus der gutachterlichen Stellungnahme des Krankenhauses für Psychiatrie-, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin Lohr a.M. vom 22. Juni 2020 ergibt sich, dass dem Kläger aufgrund seines guten Verhaltens und der glaubhaften Distanzierung vom Drogenkonsum die Lockerungsstufe C1 gewährt werden konnte; nach seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung befindet er sich mittlerweile in der Lockerungsstufe D1 und geht einer Berufstätigkeit bei McDonald’s nach. In der zusammenfassenden Beurteilung der genannten Stellungnahme wird der bisherige Behandlungsverlauf des Klägers als sehr zufriedenstellend bewertet, wobei es zu keinen nachweisbaren Suchtmittelrückfällen gekommen ist. Gleichwohl wird ausgeführt, dass der Kläger trotz seiner Änderungsmotivation und der glaubhaften Distanzierung vom Konsum illegaler Substanzen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht über ausreichend erprobte Rückfallpräventionsstrategien verfügt, die schon jetzt eine gute Legalprognose rechtfertigen würden. Außerhalb der strukturierenden Bedingungen des Maßregelvollzugs seien daher Suchtmittelrückfälle noch nicht mit ausreichender Sicherheit auszuschließen. Angesichts der Suchtbiographie des Patienten könnte es zu einer Reaktualisierung früherer Konsummuster führen. In diesem Fall wären erneute Straftaten zumindest nach dem Anlassdelikt zu erwarten. Abschließend wird daher empfohlen, die Fortdauer der Maßregel anzuordnen, um die bisher erworbenen Rückfallpräventionsstrategien in höheren Freiheitsgraden zu erproben und zu festigen.
Gerade diese Ausführungen belegen, dass nach wie vor von einer Wiederholungsgefahr auszugehen ist. Es ist konkret zu befürchten, dass der Kläger nach Entlassung aus dem Maßregelvollzug wieder in alte Verhaltensmuster fällt und dann wiederum Drogenstraftaten begeht. Von einer dauerhaften Festigung seines Verhaltens kann jedenfalls derzeit noch nicht gesprochen werden. Die vom Kläger ausgeübte Beschäftigung und insbesondere die Beziehung/Verlobung mit Frau N. und das Verhältnis zu deren Sohn können zu keiner anderen Beurteilung führen. Denn in diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass der Kläger nach seinen eigenen Angaben bereits seit Juni 2017 mit Frau N. verlobt ist und deren Sohn seit dessen Geburt kennt. Die Beziehung bestand – die Angaben des Klägers als wahr unterstellt – schon zum Zeitpunkt der Begehung der maßgeblichen Drogenstraftaten, führte aber gleichwohl nicht dazu, dass der Kläger von diesen Abstand genommen hat. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass auf Grund dieser Beziehung ein ausreichend stabiles soziales Umfeld vorliegt, das weitere Drogenstraftaten des Klägers ausschließen würde. Es liegt daher nach wie vor in der Person des Klägers eine tatsächlich und hinreichend schwere Gefährdung vor, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Das verhängte Strafmaß von sechs Jahren und vier Monaten bewegt sich in einem Bereich, der sogar zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU darstellen kann.
Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen einer Verlustfeststellung vor, bedarf es für deren Erlass stets einer behördliche Ermessensentscheidung, bei der das Interesse des Betroffenen an seinem Verbleib im Bundesgebiet den die Verlustfeststellung tragenden Gründen gegenüber zu stellen ist. Für die Prüfung des individuellen Einzelfalls enthält § 6 Abs. 3 FreizügG/EU einen – nicht abschließenden – Katalog verschiedener in die Entscheidung einzustellender Belange. Zu berücksichtigen sind demnach die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen in Deutschland, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindungen zu seinem Herkunftsstaat. Darüber hinaus bietet die vorzunehmende Ermessensentscheidung auch Raum für die Berücksichtigung der Schutzwirkungen des Art. 6 GG sowie des Art. 8 EMRK (BeckOK, AuslR/Kurzidem, FreizügG/EU, § 6 Rn. 33). Diesen Vorgaben genügt die von der Beklagten getroffene Entscheidung. In den Vordergrund stellt die Beklagte die Straffälligkeit des Klägers, auch im Zusammenhang mit Dauer und Umfang der Drogenabhängigkeit im Hinblick auf das Alter des Klägers. Die in der mündlichen Verhandlung dargestellte positive Entwicklung (Lockerungsstufe D1, Beschäftigung beim McDonalds) wurde von der Beklagtenseite nachträglich berücksichtigt. Gleichwohl ist nicht zu beanstanden, dass im angefochtenen Bescheid die erheblichen Verstöße des Klägers gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung berücksichtigt wurden, sowie die Tatsache, dass er über einen Schulabschluss verfügt; auch kann er keine nennenswerten Integrationsleistungen vorweisen, insbesondere, da er erst seit kurzem Deutsch lernt. Nicht als ermessensfehlerhaft zu erachten ist weiterhin die Beurteilung der familiären Situation des Klägers. Denn die Ermessenserwägungen gehen davon aus, dass, selbst wenn die Verlobung vorliegt – woran die Beklagte Zweifel hat -, es dem Kläger sowie seiner Verlobten und deren Sohn angesichts der Tatsache, dass diese ebenfalls tschechische Staatsangehörige sind, zumutbar ist, gemeinsam ihren Wohnsitz in Tschechien zu nehmen. Der klägerische Vortrag, der Sohn der Verlobten besuche in Aschaffenburg eine Förderschule, so dass der Lebensmittelpunkt nicht in Tschechien gewählt werden könne, führt zu einem anderen Ergebnis. Denn besondere Umstände, die einen Schulwechsel ausschließen würden, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die Ermessensentscheidung der Beklagten ist somit nicht zu beanstanden; Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides ist rechtmäßig.
Auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 7 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU auf vier Jahre ist nicht zu beanstanden. Nach dieser Vorschrift dürfen Unionsbürger, die ihr Freizügigkeitsrecht nach § 6 Abs. 1 verloren haben, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Das Verbot ist gemäß § 7 Abs. 2 Satz 5 FreizügG/EU von Amts wegen zu befristen. Die Frist ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen und darf fünf Jahre nur in den Fällen des § 6 Abs. 1 überschreiten (§ 7 Abs. 2 Satz 6 FreizügG/EU).
Die von der Beklagten getroffene Befristungsentscheidung ist nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat diese unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festgesetzt und bei seiner Ausübung weder die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten noch von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht (vgl. § 114 Satz 1 VwGO). Die Beklagte hat insbesondere die Schwere der Straftaten sowie die in der Person des Klägers liegende Wiederholungsgefahr aufgrund der noch nicht abgeschlossenen Drogentherapie, andererseits aber auch die Beziehung zu Frau N. berücksichtigt. Insbesondere wurde dargelegt, dass im Falle der Verfestigung der Beziehung bzw. im Fall der Eheschließung die Frist auch noch verkürzt werden könne. Die für die Ausübung des Ermessens wesentlichen Gesichtspunkte wurden damit berücksichtigt und angemessen gewichtet.
Die Abschiebungsandrohung aus der Haft (Ziffer 3) sowie die Abschiebungsandrohung für den Fall der Entlassung aus der Haft sowie die Ausreisefrist (§ 7 Abs. 1 Sätze 2 und 3 FreizügG/EU) sind rechtlich nicht zu beanstanden.
Die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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