Arbeitsrecht

Versicherungspflichtiges Mitglied einer Krankenversicherung für Landwirte

Aktenzeichen  S 11 KR 916/18

Datum:
9.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 56530
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
KVLG § 2 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, Abs. 4, Abs. 4a
SGG § 54 Abs. 2 S. 1, § 65a Abs. 4, § 124 Abs. 2, § 193
SGB XI § 20 Abs. 1 Nr. 3

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Bescheid vom 02.08.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.10.2018 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte erstattet dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten.

Gründe

Die reine Anfechtungsklage ist zulässig und begründet. Der Bescheid vom 02.08.2018in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.10.2018 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Denn der Kläger war über den 30.06.2018 hinaus versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten.
Die Kammer konnte über die Klage aufgrund des zuvor von den Beteiligten jeweils erklärten Einverständnisses ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).
1. Die streitentscheidenden Normen finden sich in § 2 des Zweiten Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG).
a. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 KVLG sind mitarbeitende Familienangehörige eines landwirtschaftlichen Unternehmers, wenn sie das fünfzehnte Lebensjahr vollendet haben oder wenn sie als Auszubildende in dem landwirtschaftlichen Unternehmen beschäftigt sind, in der Krankenversicherung der Landwirte versicherungspflichtig. Mitarbeitende Familienangehörige sind u.a. Verwandte bis zum dritten Grad eines landwirtschaftlichen Unternehmers, der seine berufliche Tätigkeit selbständig ausübt (§ 2 Abs. 3 und 4 KVLG).
Diese Voraussetzungen waren ab 01.07.2015 unstreitig erfüllt, da der Kläger nach der Übergabe seines landwirtschaftlichen Unternehmens an den Sohn dort weiter mitgearbeitet hat.
b. Entgegen der Auffassung der Beklagten war die Versicherungspflicht auch nicht nach § 2 Abs. 4a KVLG ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift ist nicht versicherungspflichtig, wer außerhalb der Land- und Forstwirtschaft hauptberuflich selbständig erwerbstätig ist.
aa. Eine selbständige Erwerbstätigkeit ist dann als hauptberuflich anzusehen, wenn sie von der wirtschaftlichen Bedeutung und dem zeitlichen Umfang her die übrigen Erwerbstätigkeiten deutlich übersteigt (BSG, U.v. 29.9.1997 – 10 RK 2/97; BT-Drs. 12/5700 S. 95). Ein generell vordergründiges Abstellen auf die wirtschaftliche Bedeutung ist zur Überzeugung der Kammer nicht zulässig, wenngleich dieses Kriterium durch Auswertung von Steuerbescheiden trennschärfer erscheint. Maßgebliche Kriterien für die Beurteilung des Schwerpunkts der beruflichen Tätigkeit und der Versicherungspflicht des landwirtschaftlichen Unternehmers sind also allein der Zeitaufwand für und das erzielte Entgelt aus den verschiedenen Tätigkeiten, die gegeneinander abgewogen werden müssen (Schleswig-Holsteinisches LSG, U.v. 1.7.2010 – L 5 KR 69/09 – juris, Rn. 24). Der Entgeltfaktor und der Zeitfaktor müssen zur Überzeugung der Kammer kumulativ vorliegen (so auch LSG Hamburg, U.v. 1.10.2014 – L 1 KR 56/11 – juris).
Regelungszweck des § 2 Abs. 4a KVLG ist u. a. die Missbrauchsabwehr. So soll einerseits vermieden werden, dass ein nicht versicherungspflichtiger Selbständiger durch Aufnahme einer niedrig vergüteten, aber versicherungspflichtigen „Nebentätigkeit als Landwirt“ den umfassenden Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung erhält, obwohl er weder zu dem des Solidarschutzes bedürftigen Personenkreis gehört, noch nach seinem Arbeitseinkommen bzw. seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu den Lasten der Solidargemeinschaft beiträgt (BT-Drucks. 11/2237 S. 159; BSG, U.v. 30.3.2006 – B 10 KR 2/04 R – juris, Rz. 31). Zudem soll die Regelung des § 2 Abs. 4a KVLG verhindern, dass Haupterwerbslandwirte, die in der KVdL versicherungspflichtig sind, wegen einer abhängigen Nebenbeschäftigung in die allgemeine Krankenversicherung, also in ein anderes Sicherungssystem, abwandern (BSG, a.a.O.).
bb. Nach diesem Maßstab kann sich Kammer nicht davon überzeugen, dass der Kläger hauptberuflich selbständig Erwerbstätig ist.
Der Kläger beschäftigt keine Arbeitnehmer in den gewerblichen Unternehmen.
Zwar liegt der Schwerpunkt hinsichtlich der wirtschaftlichen Bedeutung bei der außerlandwirtschaftlichen selbständigen Tätigkeit, da der Kläger für die Tätigkeit als mitarbeitender Familienangehöriger am landwirtschaftlichen Unternehmen laut der Jahresmeldung für das Jahr 2017 Arbeitsentgelt in Höhe von 7.803,- €. Das außer landwirtschaftliche Arbeitseinkommen betrug ausweislich des Einkommensteuerbescheides 2015 dagegen insgesamt 68.522 €, nachdem Einkommensteuerbescheid 2016 insgesamt 50.526,- €. Davon erzielte der Kläger etwa 30.000,- € bis 45.000,- € aus dem Mähdrusch.
Allerdings ist der Kläger im landwirtschaftlichen Unternehmen durchschnittlich 30 bis 35 Stunden in der Woche beschäftigt. Die Beschäftigung als mitarbeitende Familienangehörige wird lediglich für die Dauer der Erntemonate, in dem Zeitraum vom Juli bis Oktober, unterbrochen. In diesem Zeitraum ist der Kläger je nach Bedarf als Lohnunternehmer/Mähdrusch tätig. Ansonsten erzielt er Einkünfte im Zusammenhang mit Photovoltaikanlagen. Der zeitliche Aufwand für das gewerbliche Unternehmen beträgt nach den unstreitigen Angaben des Klägers im Jahresdurchschnitt etwa vier Wochenarbeitsstunden für die Lohnunternehmertätigkeit und eine Stunde/Woche für die Kontrolle/Wartung der Photovoltaikanlage. Hinsichtlich der Beurteilung der aufgebrachten Arbeitszeiten für das land- und forstwirtschaftliche Unternehmen sowie für das gewerbliche Unternehmen ist mithin davon auszugehen, dass die überwiegende Arbeitszeit für die Mitarbeit im land- und forstwirtschaftlichen Unternehmen aufgebracht wird. Dies stellt auch die Beklagte nicht in Abrede.
Nach Ansicht der Kammer stellt demnach die Mithilfe im land- und forstwirtschaftlichen Betrieb der Familie den Mittelpunkt der Erwerbstätigkeit dar. Der deutlich überwiegende Zeitfaktor lässt hier keine andere Bewertung zu. Auch der Schutzzweck der Norm steht eine Fortführung der Pflichtversicherung nicht entgegen.
Die Versicherungspflicht der Versicherten in der sozialen Pflegeversicherung ergibt sich aus § 20 Abs. 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Elftes Buch – Soziale Pflegeversicherung (SGB XI).
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.


Ähnliche Artikel

Mobbing: Rechte und Ansprüche von Opfern

Ob in der Arbeitswelt, auf Schulhöfen oder im Internet – Mobbing tritt an vielen Stellen auf. Die körperlichen und psychischen Folgen müssen Mobbing-Opfer jedoch nicht einfach so hinnehmen. Wir klären Rechte und Ansprüche.
Mehr lesen

Das Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse dienen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers und helfen oft den Bewerbern in die engere Auswahl des Bewerberkreises zu gelangen.
Mehr lesen


Nach oben