Arbeitsrecht

Versorgungsausgleich: Ende der Ehezeit bei zunächst unwirksamer Rücknahme des Scheidungsantrages und Heilung der Unwirksamkeit erst nach Stellung des Gegenantrages

Aktenzeichen  7 UF 856/21

Datum:
25.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 39864
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VersAusglG § 3 Abs. 1
FamFG § 114 Abs. 4 Nr. 3
ZPO § 261 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Das Ehezeitende (§ 3 Abs. 1 VersAusglG) richtet sich bei Einreichung mehrerer Scheidungsanträge nach dem Zeitpunkt desjenigen Scheidungsantrags, der das zur Ehescheidung führende Verfahren eingeleitet hat, wobei maßgebend ist, ob der zweite Scheidungsantrag noch im Rahmen des auf den ersten Antrag anhängig gewordenen Scheidungsverfahrens – als Gegenantrag – gestellt worden ist oder ein neues Verfahren in Gang gesetzt hat (Anschluss an BGH BeckRS 2010, 12051). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dies gilt auch dann, wenn der ursprüngliche Scheidungsantrag in der mündlichen Verhandlung nicht mehr gestellt, die Ehe aber – in demselben anhängigen Verfahren – auf den Gegenantrag geschieden wird (Anschluss an BGH BeckRS 9998, 103184). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Rücknahme eines Scheidungsantrags durch einen nicht postulationsfähigen Beteiligten (§ 114 FamFG) ist unwirksam; die Unwirksamkeit kann nicht rückwirkend geheilt werden, sondern nur für die Zukunft. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

103 F 2170/13 — AGNUERNBERG AG Nürnberg

Tenor

I. Auf die Beschwerde der VBL. Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder, Anstalt des öffentlichen Rechts, wird der Endbeschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Nürnberg vom 04.08.2021 in Nummer 2 abgeändert und der sechste Absatz wie folgt neu gefasst:
Im Wege der internen Teilung wird zu Lasten des Anrechts der Antragsgegnerin bei der VBL. Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder, Anstalt des öffentlichen Rechts (VBL klassik, Vers. Nr. …) zugunsten des Antragstellers ein Anrecht in Höhe von 2,19 Versorgungspunkten nach Maßgabe des § 32a VBL-Satzung in der Fassung der 28. Satzungsänderung, bezogen auf den 30.06.2013, übertragen.
II. Von einer Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe

Der am … geborene Antragsteller und die am … geborene Antragsgegnerin schlossen am 15.11.1985 vor dem Standesbeamten des Standesamtes … die Ehe.
Im Laufe der Ehezeit erwarben beide Ehegatten Versorgungsanwartschaften aus einer Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes bei der VBL. Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder, Anstalt des öffentlichen Rechts (VBL klassik).
Hinsichtlich des am 31.07.2013 zugestellten Scheidungsantrags des Antragstellers, der von der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers eingereicht worden ist, hat dieser mit am 24.07.2021 bei Gericht eingegangenen privatschriftlichen Schreiben die Rücknahme erklärt. Mit Schriftsatz vom 09.04.2021, der am selben Tag beim Amtsgericht Nürnberg eingegangen ist, hat die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin für diese einen eigenen Scheidungsantrag gestellt. Dieser ist der Gegenseite nicht zugestellt, sondern nur formlos mitgeteilt worden. Mit Endbeschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 04.08.2021 wurde die Ehe der Beteiligten geschieden und der Versorgungsausgleich durchgeführt worden.
Der Entscheidung des Familiengerichts ist eine Auskunft der VBL. Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder vom 14.06.2021 (Bl. 87/90 d. Sonderheftes Va) zum Anrecht der Antragsgegnerin VBL klassik voraus gegangen. Der berechnete Ehezeitanteil ist mit 5,40 Versorgungspunkten angegeben, als Ausgleichswert der Wert von 2,19 Versorgungspunkten vorgeschlagen und der korrespondierende Kapitalwert mit 955,09 € angegeben worden.
In ihrer Auskunft vom 23.06.2021 über das Anrecht des Antragstellers VBL klassik (Bl. 101/104 d. Sonderheftes VA) hat die VBL. Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder den berechneten Ehezeitanteil mit 107,92 Versorgungspunkten angegeben und als Ausgleichswert den Wert von 58,45 Versorgungspunkten vorgeschlagen. Den korrespondierenden Kapitalwert hat sie mit 23.382,57 € angegeben.
Das Amtsgericht hat das Anrecht des Antragstellers ausgeglichen, dasjenige der Antragsgegnerin hingegen nicht. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Versorgungsanwartschaft der Antragsgegnerin nicht den Grenzwert des § 18 Abs. 3 VersAusglG von 3.234,00 € überschreite und daher gem. § 18 Abs. 2 VersAusglG vom Versorgungsausgleich ausgeschlossen werde.
Gegen diesen, der VBL. Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder am 10.08.2021 zugestellten Endbeschluss wendet sie sich mit ihrer am 08.09.2021 beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde. Zur Begründung führt die Beschwerdeführerin aus, die Regelung des § 18 Abs. 2 VersAusglG finde auf Anrechte gleicher Art i.S.v. § 18 Abs. 1 VersAusglG keine Anwendung, so dass auch die Versorgungsanwartschaft der Antragsgegnerin zu teilen sei.
Die übrigen Beteiligten haben Gelegenheit erhalten, zur Beschwerde Stellung zu nehmen. Von Seiten des Antragstellers sind keine Einwendungen gegen die Beschwerde vorgebracht worden. Die Antragsgegnerin meint, dass die Entscheidung über den Ausschluss des Versorgungsausgleichs bei Geringfügigkeit dem Familiengericht obliege, welches hinsichtlich der Fälle des § 18 Abs. 1 VersAusglG und § 18 Abs. 2 VersAusglG ein Ermessen habe.
Gegen die Absicht des Senats, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, wurden von den Beteiligten keine Einwände erhoben.
II.
1. Die Beschwerde der VBL. Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder ist statthaft (§ 58 Abs. 1 FamFG) und auch im Übrigen zulässig, da sie form- und fristgerecht eingelegt wurde (§ 63 Abs. 1, Abs. 3; § 64 Abs. 1, Abs. 2 FamFG) und die VBL. Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder durch die Entscheidung des Amtsgerichts bezüglich des bei ihr bestehenden Anrechts auch beschwert ist, § 59 Abs. 1 FamFG. Die Rechtsstellung eines Versorgungsträgers ist in den Fällen einer unrichtigen Beurteilung der gesetzlichen Anwendungsvoraussetzungen von § 18 VersAusglG beeinträchtigt (vgl. BGH, FamRZ 2013, 612 Rn. 20).
Auf den Beschwerdewert kommt es gem. § 228 FamFG nicht an, da es sich um keine Anfechtung einer Kostenentscheidung handelt.
Der Senat hat von einer mündlichen Erörterung abgesehen, da die Beteiligten rechtliches Gehör hatten und der Sachverhalt hinreichend geklärt ist (§§ 68 Abs. 3, 221 Abs. 1 FamFG).
Die Teilanfechtung des Versorgungsausgleichs ist zulässig (vgl. BGH FamRZ 2016, 794; BGH FamRZ 2011, 547).
Der Überprüfung durch den Senat unterliegt die Entscheidung des Amtsgerichts daher nur in Bezug auf das mit der Beschwerde angegriffene Anrecht.
2. In der Sache führt die Beschwerde zur Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung in dem sich aus dem Tenor dieser Entscheidung ergebenden Umfang.
a) Eine eigene Ermessensbetätigung nach § 18 VersAusglG obliegt nicht nur dem Familiengericht in erster Instanz, sondern auch dem Oberlandesgericht als Beschwerdeinstanz. Das Beschwerdegericht ist nicht darauf beschränkt zu überprüfen, ob eine Ermessensüberschreitung des Familiengerichts vorliegt, sondern es hat sein Ermessen selbst auszuüben (BGH FamRZ 2017, 97 Rn. 8).
b) Vorliegend kommt es aber gar nicht zur Eröffnung eines Ermessens nach § 18 VersAusglG wegen Geringfügigkeit. Die Versorgungsanwartschaft der Antragsgegnerin aus der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes bei der VBL. Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder ist vielmehr auszugleichen; insbesondere ist der Ausgleich nicht gemäß § 18 Abs. 2 VersAusglG auszuschließen.
Der Senat teilt die Auffassung der Beschwerdeführerin, dass die beiden Anrechte der Ehegatten aus der Pflichtversicherung der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes (VBL klassik) gleichartig im Sinne des § 18 Abs. 1 VersAusglG sind (vgl. hierzu Holzwarth, in: Johannsen/Henrich/Althammer, Familienrecht, 7. A. § 18 VersAusglG Rn. 5).
c) Zutreffend ist auch, dass die Differenz der Ausgleichswerte der beiden Versorgungen mit 22.427,48 € weit oberhalb der Grenze des § 18 Abs. 3 VersAusglG liegt.
Insbesondere ergeben sich hinsichtlich der Ermittlung der Ausgleichswerte keine Bedenken. Das Ehezeitende richtet sich bei Einreichung mehrerer Scheidungsanträge nach dem Zeitpunkt desjenigen Scheidungsantrags, der das zur Ehescheidung führende Verfahren eingeleitet hat; dies gilt auch, wenn die Ehe nur aufgrund des späteren Antrags der Antragsgegnerin geschieden wird. Voraussetzung ist lediglich, dass die verschiedenen Anträge in einem einheitlichen Verfahren gestellt worden sind (vgl. Borth, Versorgungsausgleich, 9.A., Kap. 1 Rn. 162 m.w.Nw.). Maßgeblich ist hierbei, ob der zweite Scheidungsantrag noch im Rahmen des auf den ersten Antrag anhängig gewordenen Scheidungsverfahrens gestellt worden ist oder ein neues Verfahren in Gang gesetzt hat (vgl. BGH FamRZ 1983, 38).
Zwar ist zum Zeitpunkt des Eingangs der Rücknahmeerklärung des Antragstellers am 24.07.2021 der Scheidungsantrag der Antragsgegnerin noch nicht rechtshängig gewesen. Eine Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags der Antragsgegnerin ist mangels Zustellung erst eingetreten, als dieser in der mündlichen Verhandlung gestellt worden ist, § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG i.V.m. § 261 Abs. 2 ZPO. Jedoch hat die privatschriftliche Rücknahmeerklärung des Antragstellers die Anhängigkeit des Scheidungsverfahrens nicht schon bei ihrem Eingang bei Gericht am 24.07.2021 nach § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG i.V.m. § 269 Abs. 3 S. 1 ZPO beendet. Denn eine Verfahrenshandlung, die ein Beteiligter selbst vornimmt, soweit Anwaltszwang herrscht, ist unwirksam (vgl. Weber, in: Keidel, FamFG, 20.A. § 114 FamFG Rn. 14). Die Rücknahme eines Scheidungsantrags unterliegt gem. § 114 Abs. 1 FamFG dem Anwaltszwang. Eine Ausnahme gilt insoweit gem. § 114 Abs. 4 Nr. 3 FamFG nur für die Zustimmung zur Rücknahme eines Scheidungsantrags. Zwar ist die Unwirksamkeit einer Verfahrenshandlung heilbar, dies aber nicht rückwirkend (vgl. Weber, in: Keidel, FamFG, 20.A. § 114 FamFG Rn. 15), so dass eine wirksame Rücknahme des ursprünglich gestellten Scheidungsantrags erst darin gesehen werden kann, dass die Antragstellervertreterin im Termin vor dem Familiengericht am 04.08.2021 nach Stellung des Scheidungsantrags durch die (anwaltlich vertretene) Antragsgegnerin keinen eigenen Scheidungsantrag gestellt, sondern der Scheidung zugestimmt hat. Wird der ursprüngliche Scheidungsantrag in der mündlichen Verhandlung nicht mehr gestellt, die Ehe aber – in demselben anhängigen Verfahren – auf einen Antrag des Gegners geschieden, verbleibt dies ohne Auswirkungen auf die Ehezeit (vgl. BGH FamRZ 1982, 153).
Die Auskünfte der VBL. Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder vom Juni 2021 haben daher unbeeinflusst von der späteren Rücknahme des Scheidungsantrags des Antragstellers ihre Gültigkeit beibehalten.
Damit kommt § 18 Abs. 2 VersAusglG nicht zur Anwendung. Denn der Ausschluss wegen geringer Wertdifferenz gleichartiger Anrechte (Abs. 1) ist vorrangig vor dem Ausschluss wegen eines geringen Ausgleichswerts (Abs. 2) zu prüfen. Dies folgt bereits aus der Systematik des § 18 VersAusglG. Zwischen den beiden Absätzen besteht kein bloßes Rang-, sondern nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch ein Ausschlussverhältnis. Auf Anrechte „gleicher Art“ i.S.d. § 18 Abs. 1 VersAusglG ist Abs. 2, der den Ausschluss einzelner geringwertiger Anrechte regelt, schon nicht anwendbar (vgl. BGH FamRZ 2016, 1654, Rn. 34).
d) Mithin ist im Wege der internen Teilung zu Lasten des Anrechts der Antragsgegnerin bei der VBL. Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder, Anstalt des öffentlichen Rechts (VBL klassik, Vers. Nr. 1006628288) zugunsten des Antragstellers ein Anrecht in Höhe von 2,19 Versorgungspunkten nach Maßgabe des § 32a VBL-Satzung in der Fassung der 28. Satzungsänderung, bezogen auf den 30.06.2013, zu übertragen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 150 FamFG, § 20 FamGKG. Der Senat hat von der Erhebung von Kosten abgesehen und die Kosten des Beschwerdeverfahrens trotz der Regelung des § 84 FamFG nicht der Beschwerdeführerin auferlegt, weil die Beschwerde auf einer unrichtigen Erfassung der mitgeteilten Anrechte bzw. deren Einordnung durch das Amtsgericht beruhte.
IV.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor. Deshalb ist der Beschluss des Senats mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht angreifbar.


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