Arbeitsrecht

Vertragsärztliche Vergütung und Therapieabbruch

Aktenzeichen  S 38 KA 1352/12

Datum:
27.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 34190
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 27 Abs. 1 S. 1, § 72 Abs. 2, § 775 Abs. 1, § 783 S. 1, § 785 Abs. 3 S. 1
BMV-Ä § 21 Abs. 1 S. 1, § 46

 

Leitsatz

1. Die GOP 10324 EBM (Behandlung von Naevi flammei und/oder Hämangiomen) ist nicht je „Behandlungsfall“ abrechenbar. Der Wortlaut der Leistungslegende, der für die Auslegung von Gebührenordnungspositionen maßgeblich ist (BSG, SozR 3-5535 Nr. 119 Nr. 1 S. 5), ist eindeutig und bedarf keiner Anwendung weiterer Auslegungsregelungen.
2. Zum obligatorischen Leistungsinhalt der GOP 10324 EBM (Behandlung von Naevi flammei und/oder Hämangiomen) gehört eine metrische und fotografische Dokumentation vor und nach Abschluss der Therapie. Findet diese nicht statt, ist die Leistung nicht abrechenbar. Dies gilt auch in dem Fall, dass der Abbruch der Therapie auf ein Fernbleiben des Patienten zurückzuführen ist und insofern eine Abschlussdokumentation nicht mehr möglich ist. Es handelt sich hierbei um das allgemeine Risiko des Vertragsarztes, dass im Fall eines Therapieabbruchs die Leistungslegende nicht erfüllt wird und dann keine Leistung abgerechnet werden kann.
1. Die vertragsärztliche Vergütung für die Entfernung eines Feuermals/Blutschwämmchens setzt eine Fotodokumentation vor und nach der Behandlung voraus. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Fehlt diese Dokumentation ist die entsprechende Geühr auch dann icht abrechenbar, wenn die Dokumentaton aufgrund Behandlungsabbruches durch den Versicherten nicht mehr erstellt werden konnte. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Grundsatz der leistungsproportionalen Vergütung betrifft die Aufteilung der Gesamtvergütungsanteile auf einzelne Arztgruppen durch  Honorartöpfe bzw. Honorarkontingente, nicht jedoch die Auslegung einzelner Gebührenordnungspositionen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die zum Sozialgericht eingelegte Klage ist zulässig, erweist sich aber als unbegründet.
Nach der langjährigen Rechtsprechung der Sozialgerichte zur Auslegung von Gebührenordnungspositionen im Vertrags-(zahn) arztrecht kommt es in erster Linie auf den Wortlaut der Leistungslegenden an. Eine systematische Interpretation im Sinne einer Gesamtschau der im inneren Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen Gebührenregelungen kann nur bei unklaren oder mehrdeutigen Regelungen ergänzend herangezogen werden (BSG, SozR 3-5535 Nr. 119 Nr. 1 S. 5). Bei eindeutigem Wortlaut der Leistungslegende ist auch eine teleologische Reduktion nicht angezeigt.
Die Gebührenordnungsposition 10324 lautet wie folgt:
Behandlung von Naevi flammei und/oder Hämangiomen Obligatorischer Leistungsinhalt
– Therapie mittels Laser,
– Metrische und fotografische Dokumentation vor Beginn und nach Abschluss der Therapie, Fakultativer Leistungsinhalt
– Behandlung in mehreren Sitzungen, Abrechnungsbestimmung bis zur 1 cm² Gesamtfläche des behandelnden Areals und für jeden weiteren 1 cm² je einmal Anmerkung
… Die Leistung nach der Nr. 10324 ist im Behandlungsfall nicht neben den Leistungen nach den Nrn. 10320, 10322 und 10330 berechnungsfähig.“
Anders als beispielsweise bei den hautärztlichen Gebührenordnungspositionen 10330 und 10210 ff. ist als Leistungslegende die Formulierung „einmal im Behandlungsfall“ nicht hinterlegt. Daraus folgt, dass die Gebührenordnungsposition 10324 nicht einmal im Behandlungsfall abrechenbar ist, sondern bis zu 1 cm² Gesamtfläche des behandelten Areals. Nach Auffassung des Gerichts ist der Wortlaut eindeutig, so dass kein Raum für die anderen Auslegungsregeln (systematische Auslegung, Auslegung der Sinn und Zweck, historische Auslegung) gibt.
Etwas anderes folgt auch nicht aus Satz 5 der Anmerkungen zur Gebührenordnungsposition 10324. Danach ist die Leistung nach der Nr. 10324 nicht neben den Leistungen nach den Nrn. 10320, 10322 und 10330 berechnungsfähig. Mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem GKV-Spitzenverband ist die Anmerkung so zu verstehen, dass nicht ein Areal mit der GOP 10324 und ein anderes Areal beispielsweise mit der GOP 10320 behandelt und abgerechnet werden. Es handelt sich nicht um eine Bestimmung eines Abrechnungszeitraums, sondern um einen Leistungsausschluss.
Selbst wenn die historische Auslegung zum Tragen käme, was aufgrund der Eindeutigkeit des Wortlauts der GOP 10324 nicht der Fall ist, spräche das Ergebnis der Auslegung ebenfalls dafür, dass kein Quartalsbezug der strittigen Leistung besteht. Denn die Vorgängerreglung (GOP 2173) lautete auf „Vollständige oder teilweise laserchirurgische Entfernung eines Naevus flammeus, je Behandlungsfall“. Der Bewertungsausschuss hat in der Neuregelung des EBM 2000plus den Abrechnungszeitraum „je Behandlungsfall“ der Vorgängerreglung nicht übernommen, was nur bedeuten kann, dass kein Quartalsbezug mehr stattfinden soll. Ebenfalls würde eine teleologische Auslegung nicht für den Quartalsbezug sprechen. Wie der GKV-Spitzenverband in seiner Stellungnahme ausgeführt hat, kommt es nur in extrem seltenen Fällen zu einem Rezidiv im Sinne einer Revaskularisierung der Tumore.
Die Klagebegründung wird hauptsächlich auf zwei Gutachten gestützt, zum einen auf das Gutachten von D. zur GOP 10320 vom 27.08.2009 und zum anderen auf das Gutachten von Prof. Dr. C. vom 24.07.2014 ebenfalls zur GOP 10320. Nach Auffassung des Gerichts überzeugen die Gutachten jedoch nicht.
Im Gutachten von D. zur GOP 10320 wird ausgeführt, die Auslegung, wie sie von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns vorgenommen werde, verstoße gegen verschiedene Grundprinzipien des Sozialgesetzbuchs. Genannt wird ein Verstoß gegen § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V (Verstoß gegen das Sachleistungsprinzip). Hierzu ist das Gericht der Meinung, dass das Sachleistungsprinzip gewahrt wird, indem dem Versicherten die Leistung nach der GOP 10324 gewährt wird, wenn auch eingeschränkt. Auch ist ein Verstoß gegen den Grundsatz der Angemessenheit der Vergütung (§ 72 Abs. 2 SGB V) nicht erkennbar. Denn nach gefestigter Rechtsprechung können sich einzelne Ärzte auf dieses Gebot berufen, „wenn durch eine zu niedrige Honorierung ärztlicher Leistungen das vertragsärztliche Versorgungssystem als Ganzes – bzw. zumindest hinsichtlich eines Teilgebiets und als Folge davon auch die berufliche Existenz der an dem Versorgungssystem beteiligten ärztlichen Leistungserbringer gefährdet wäre, oder dann, wenn in einem – fachlichen oder örtlichen – Teilbereich kein ausreichender finanzieller Anreiz mehr besteht, vertragsärztlich tätig zu werden, und dadurch in diesem Bereich die Funktionsfähigkeit der vertragsärztlichen Versorgung gefährdet ist“ (vgl. BSG, Beschluss vom 11.03.2009, Az. B 6 KA 31/08 B). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Hinzu kommt, dass es sich um eine sogenannte Mischkalkulation handelt.
Genauso wenig ist ein Verstoß gegen den Grundsatz der leistungsproportionalen Vergütung (§ 85 Abs. 4 S. 3 SGB V) erkennbar. Dieser Grundsatz ist insbesondere von Bedeutung bei der Aufteilung der Gesamtvergütungsanteile auf einzelne Arztgruppen durch Bildung sogenannter Honorartöpfe bzw. Honorarkontingente (BSG, Urteil vom 23.03.2011, Az. B 6 KA 6/10 R). Im streitgegenständlichen Verfahren wendet sich der Kläger aber gegen eine einzelne Gebührenordnungsposition bzw. deren Auslegung durch die Beklagte. Deshalb ist äußerst fraglich, ob dieser Grundsatz zu beachten ist.
Soweit im Gutachten die Auffassung vertreten wird, es handle sich um ein rechtswidriges Eingreifen des Bewertungsausschusses in den Zulassungsstatus (Verstoß gegen § 85 Abs. 3 S. 1 SGB V) und auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH, Urteil vom 04.06.1981, BGHZ 81,21) Bezug genommen wird, ist nicht ersichtlich, inwiefern hier eine Vergleichbarkeit bestehen soll.
Das Gutachten von Prof. Dr. C. begründet seine Auffassung, die Auslegung der Gebührenordnungsposition 10320 sei nicht im Sinne der Kassenärztlichen Vereinigung als „Einmal-Leistung“ (im Leben) zu verstehen, damit, es finde eine „Verkoppelung“ von BMV-Ä und EBM-Ä durch § 21 Abs. 1 S. 1 BMV-Ä statt. Somit sei das sogenannte Quartalsprinzip ergänzend heranzuziehen. Eine andere Auslegung sei „fernliegend“. Das Gericht weist darauf hin, dass diese Auffassung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Auslegung von der Gebührenordnungspositionen (Auslegung primär nach dem Wortlaut) und auch mit der Gestaltungsfreiheit des Normgebers nicht vereinbar wäre. Insbesondere ist – folgte man der Auffassung von Prof. Dr. C. – nicht zu erklären, warum bei einer hohen Anzahl an EBM-Ziffern die Formulierung „je Behandlungsfall“ enthalten ist. Dies wäre bei einer ergänzenden Heranziehung des Quartalsprinzips durch § 21 Abs. 1 S. 1 BMV-Ä obsolet.
Abgesehen davon gehört zum obligatorischen Leistungsinhalt der GOP 10324 eine metrische und fotografische Dokumentation vor und nach Abschluss der Therapie. Der Kläger hat keine entsprechende fotografische und metrische Dokumentation vor und nach Abschluss der geprüften Fälle vorgelegt. Daraus folgt, dass er den Leistungsinhalt nicht erfüllt hat und daher eine Abrechnung der GOP 10324 auch deshalb nicht möglich ist (vgl. Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26.04.2017, Az. L 5 KA 929/15). Daran ändert auch nichts, dass nach dem Vorbringen der Klägerseite die Behandlung noch nicht abgeschlossen war, die Patienten die Therapie beim Kläger nicht mehr fortsetzten und folglich eine metrische und fotografische Abschlussdokumentation nicht möglich war. Zugegebenermaßen ist die Therapie in manchen Fällen nicht mit einer einmaligen Sitzung abgeschlossen, sondern bedarf mehrerer Sitzungen, wie sich auch aus der Leistungslegende ergibt. Es handelt sich hierbei aber um das allgemeine Risiko des Vertragsarztes, dass im Fall eines Therapieabbruchs die Leistungslegende nicht erfüllt wird und dann keine Leistung abgerechnet werden kann.
Aus den genannten Gründen war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.


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