Arbeitsrecht

Voraussetzungen für das Vorliegen einer Duldung

Aktenzeichen  B 6 K 20.535

Datum:
16.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 40900
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 5, § 25a Abs. 1 S. 1, § 58 Abs. 2, § 60a Abs. 4, § 60c

 

Leitsatz

1. Ein Ausländer ist geduldet, wenn er eine gültige Duldungsbescheinigung (§ 60a Abs. 4 AufenthG) besitzt oder – ohne im Besitz einer solchen zu sein – einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung hat (Anschluss an BVerwG BeckRS 2019, 37863 Rn. 24). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht beginnt mit dem rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens. Dies tritt bereits mit der mit der Rücknahme eines Berufungszulassungsantrags ein. Der Ablauf der im Bescheid des Bundesamts gesetzten Frist zur freiwilligen Ausreise ist keine Voraussetzung für die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht iSd § 58 Abs. 2 AufenthG. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1.    Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 27. Mai 2020 verpflichtet, dem Kläger die beantragte Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG zu erteilen.
2.    Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3.    Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

Die zulässige Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten gem. § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, hat in der Sache Erfolg, weil der Kläger einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG hat, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
1. Die Beteiligten streiten allein darum, ob der Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt als geduldeter Ausländer i.S.d. § 25a Abs. 1 Satz 1 AufenthG anzusehen ist.
Ein Ausländer ist geduldet in diesem Sinne, wenn er eine gültige Duldungsbescheinigung (§ 60a Abs. 4 AufenthG) besitzt oder – ohne im Besitz einer solchen zu sein – einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung hat (vgl. BVerwG, U.v. 18.12.2019 – 1 C 34/18 – NVwZ 2020, 1044 Rn. 24; Göbel-Zimmermann in Huber, AufenthG, 2. Aufl. 2016, § 25a Rn. 9). § 25a Abs. 1 AufenthG differenziert dabei nicht nach dem Duldungsgrund. Auch Inhaber einer Ausbildungsduldung gem. § 60c AufenthG, die nach der Gesetzessystematik ein Unterfall des § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG ist, sind daher als geduldet i.S.d. § 25a Abs. 1 Satz 1 AufenthG anzusehen (vgl. Röder in BeckOK MigR, Stand Okt. 2020, § 25a AufenthG Rn. 9; Zühlcke in HTK-AuslR, zu § 25a Abs. 1 AufenthG, Stand 21.8.2020, Rn. 46).
Der Kläger hat am 24. März 2020 das 21. Lebensjahr vollendet. Aufgrund der Altersgrenze des § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG muss er die allgemeinen und besonderen Erteilungsvoraussetzungen einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG daher sowohl im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung als auch im Zeitpunkt der Vollendung des 21. Lebensjahres erfüllen (vgl. Röcker in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 25a AufenthG Rn. 9; Röder in BeckOK MigR, § 25a AufenthG Rn. 28; Wiedmann in Dörig, Handbuch Migrations- und Integrationsrecht, 2. Aufl. 2020, Kap. 2 § 5, Rn. 282; Zühlcke in HTK-AuslR, zu § 25a Abs. 1 AufenthG, Rn. 169 f.; vgl. auch zu § 32 Abs. 2 AufenthG: BVerwG, U.v. 1.12.2009 – 1 C 32/08 – juris Rn. 12).
Es ist zunächst festzustellen, dass der Kläger aufgrund der mit Bescheid vom 2. April 2020 erteilten Ausbildungsduldung zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung geduldet ist.
Die Kammer hat darüber hinaus bereits im Prozesskostenhilfebeschluss vom 28. September 2020 die Auffassung vertreten, dass der Kläger auch zum Zeitpunkt der Vollendung des 21. Lebensjahres den erforderlichen Duldungsstatus inne hatte. Nach dem im Hauptsacheverfahren anzuwendenden Prüfungsmaßstab haben sich keine Erkenntnisse ergeben, die eine davon abweichende Würdigung der Sach- und Rechtslage rechtfertigen könnten. Der erforderliche Duldungsstatus ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Eine Duldung setzt zunächst die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht voraus (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Sept. 2020, § 60a AufenthG Rn. 117; Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand März 2020, § 60a Rn. 119). Entgegen der Auffassung des Beklagten war die Ausreisepflicht des Klägers zum Zeitpunkt der Vollendung des 21. Lebensjahrs vollziehbar. Denn mit dem rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens erlosch seine Aufenthaltsgestattung gem. § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AsylG und die Ausreisepflicht wurde gem. § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vollziehbar (vgl. auch Kluth in BeckOK AuslR, Stand Okt. 2020, § 58 Rn. 24). Dies war, worauf der Klägerbevollmächtigte zutreffend hingewiesen hat, bereits mit Rücknahme des Antrags auf Zulassung der Berufung mit Schriftsatz vom 27. Februar 2020 der Fall. Der nachfolgende Beschluss über die Einstellung des Berufungsverfahrens ist lediglich deklaratorisch. Die Rechtskraft tritt hingegen bereits mit der Rücknahme des Zulassungsantrags ein, wenn – wie hier – keine weiteren Rechtsmittel eingelegt werden können (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 126 Rn. 9 f.). Der Ablauf der im Bescheid des Bundesamts gesetzten Frist zur freiwilligen Ausreise ist hingegen keine Voraussetzung für die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht i.S.d. § 58 Abs. 2 AufenthG. Aus dem Gesetzeswortlaut des § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG („Der Ausländer ist abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist und …“) ergibt sich, dass der Ablauf der Ausreisefrist nicht Voraussetzung für die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht, sondern weitere Tatbestandsvoraussetzung für die zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht durch Abschiebung ist (vgl. auch VG Bayreuth, GB v. 18.5.2020 – B 6 K 18.327 – S. 9 d. Bescheidsabdrucks; Hocks in NK-AuslR, 2. Aufl. 2016, § 58 AufenthG Rn. 14; Masuch/Gordzielik in Huber, AufenthG, § 58 Rn. 7).
Ob die Erteilung einer Duldung darüber hinaus zwingend voraussetzt, dass die Frist zur freiwilligen Ausreise erfolglos abgelaufen ist, ist umstritten (vgl. einerseits OVG NW, B.v. 18.6.2012 – 18 E 491/12 – BeckRS 2012, 52620; andererseits Funke-Kaiser in GK-AufenthG, § 60a Rn. 121; Hailbronner, Ausländerrecht, § 60a AufenthG Rn. 117 ff.). Dies braucht hier jedoch nicht entschieden werden. Denn es muss nach Auffassung des Gerichts im vorliegenden Fall berücksichtigt werden, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Vollendung des 21. Lebensjahrs bereits dadurch eine gesicherte, nicht mehr einseitig entziehbare Rechtsposition erlangt hat, dass er bereits zu diesem Zeitpunkt alle Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60c Abs. 1 Satz Nr. 1a AufenthG (jedenfalls) nach Ablauf der Ausreisefrist erfüllt hat. Der Kläger hatte eine qualifizierte Berufsausbildung während des Asylverfahrens aufgenommen, die er nach Ablehnung des Asylantrags fortsetzen wollte. Versagungsgründe i.S.d. § 60c Abs. 2 AufenthG waren nicht ersichtlich. Auch wenn man für das Entstehen des Duldungsanspruchs des Klägers daher verlangt, dass die Ausreisefrist abgelaufen sein muss, so war die Anspruchsentstehung hier vom bloßen Verstreichen der noch verbleibenden (wenigen) Tage der Ausreisefrist abhängig. Dies zeigt sich auch dadurch, dass der Beklagte die beantragte Duldung unmittelbar nach dem von ihm berechneten Ende der Ausreisefrist erteilt hat. Eine Aufenthaltsbeendigung war nach Aktenlage hingegen vom Beklagten zu keinem Zeitpunkt angedacht. Es lag insofern ein durch § 60c AufenthG ermöglichter „bruchloser Übergang“ (Marx, Das neue Fachkräfteeinwandungsgesetz, 1. Aufl. 2020, Kap. 4 Rn. 8) von der Aufenthaltsgestattung zu einer Ausbildungsduldung vor. Die „Doppelprüfung“ der Tatbestandsvoraussetzungen des § 25a AufenthG dahingehend, dass diese auch bei Vollendung des 21. Lebensjahres vorliegen müssen, soll verhindern, dass die Altersgrenze des § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG durch eine lang andauernde Rechtsverfolgung umgangen wird (Röcker in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, § 25a AufenthG Rn. 9). Nach Auffassung der Kammer ist eine solche Umgehung im Falle des Klägers, der bereits zum Zeitpunkt seines 21. Geburtstages vollziehbar ausreisepflichtig war, die weiteren Anspruchsvoraussetzungen einer Ausbildungsduldung in nicht mehr einseitig entziehbarer Weise erfüllt hatte und dem die Ausbildungsduldung in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Vollendung des 21. Lebensjahres auch tatsächlich erteilt wurde, jedoch nicht zu befürchten.
2. Weitere Ablehnungsgründe sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Der Beklagte führt im Bescheid vom 27. Mai 2020 vielmehr selbst aus, dass die weiteren besonderen Erteilungsvoraussetzungen des § 25a Abs. 1 AufenthG vorliegen. Hinsichtlich der Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG führt er zudem im Bescheid aus, dass diese erfüllt sind bzw. von dem Visumserfordernis des § 5 Abs. 2 AufenthG entsprechend dem Gesetzeszweck abgesehen wird. Letzteres steht im Einklang mit der in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassung, dass im Hinblick auf die gesetzgeberische Intention, gut integrierten Jugendlichen und Heranwachsenden eine gesicherte Aufenthaltsperspektive einzuräumen, bei § 25a Abs. 1 AufenthG regelmäßig von der Visumspflicht abzusehen ist (VGH BW, B.v. 3.6.2020 – 11 S 427/20 – juris Rn. 42; Zühlcke in HTK-AuslR, zu § 25a Abs. 1 AufenthG, Rn. 34). Der Beklagte wurde zudem nach Erlass des Prozesskostenhilfebeschlusses vom 28. September 2020 mit gerichtlichem Schreiben vom 20. Oktober 2020 zur Äußerung aufgefordert, ob aus seiner Sicht weitere, im Prozesskostenhilfebeschluss nicht gewürdigte Ablehnungsgründe für die beantragte Aufenthaltserlaubnis vorliegen. Hierauf teilte der Beklagte mit Schriftsatz vom 4. November 2020 nur mit, dass an der bisherigen Auffassung festgehalten werde.
Auch sonst sind keine Umstände ersichtlich, die der Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis entgehen stehen. Die vorgelegten Schulzeugnisse lassen eine kontinuierliche Leistungssteigerung erkennen. Die Zeugnisse/Stellungnahmen betreffend die von dem Kläger absolvierte Ausbildung fallen durchweg positiv aus. Vor diesem Hintergrund ist auch nichts dafür ersichtlich, dass hier ein atypischer Fall vorliegen könnte, der entgegen dem gesetzlichen Regelermessen („soll“ – vgl. dazu VGH BW, B.v. 3.6.2020 – 11 S 427/20 – juris Rn. 43; Röcker in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, § 25a AufenthG Rn. 10) ausnahmsweise die Versagung der Aufenthaltserlaubnis rechtfertigen könnte.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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