Kosten- und Gebührenrecht

Vorläufigen Amtsenthebung eines Notars wegen einer die Interessen der Rechtsuchenden gefährdenden Art der Wirtschaftsführung; Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Richter des Notarsenats bei Anfechtung eines Bescheides der Präsidentin desselben Oberlandesgerichts

Aktenzeichen  NotZ (Brfg) 3/20

Datum:
20.7.2020
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2020:200720BNOTZ.BRFG.3.20.0
Normen:
§ 50 Abs 1 Nr 8 Alt 2 BNotO
§ 54 Abs 1 S 1 Nr 2 BNotO
Art 6 Abs 1 S 1 MRK
Spruchkörper:
Senat für Notarsachen

Leitsatz

1. Zur vorläufigen Amtsenthebung eines Notars wegen einer die Interessen der Rechtsuchenden gefährdenden Art der Wirtschaftsführung.
2. Zur Frage, ob Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Richter des Notarsenats eines Oberlandesgerichts bestehen können, wenn es um die Anfechtung eines Bescheides geht, den die Präsidentin desselben Oberlandesgerichts erlassen hat.

Verfahrensgang

vorgehend OLG Celle, 20. Dezember 2019, Az: Not 7/19

Tenor

Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Notarsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 20. Dezember 2019 zuzulassen, wird abgelehnt.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Der Streitwert wird auf 50.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger ist Rechtsanwalt und wurde 1992 zum Notar bestellt.
2
Durch Bescheid vom 26. April 2019 enthob die Beklagte ihn vorläufig seines Amtes als Notar, weil dringende Gründe dafür sprächen, dass seine wirtschaftlichen Verhältnisse und/oder die Art seiner Wirtschaftsführung die Interessen der Rechtsuchenden gefährdeten. Zur Begründung führte sie an: Der Kläger habe hohe Steuerrückstände verspätet beglichen, so dass es deswegen zu einer Kontopfändung bei ihm gekommen sei. Er habe umfangreiche Privatdarlehen aufgenommen, die er in einer von der Beklagten eingeforderten Vermögensauskunft vom 14. März 2016 nicht erwähnt habe, aus eigenen Mitteln nicht habe tilgen können und Zivilprozesse mit Pfändungsmaßnahmen nach sich gezogen hätten. Ferner habe der Kläger im Jahre 2018 im Rahmen seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt mehrfach Fremdgelder deutlich verzögert an seine Mandanten weitergeleitet, zahlreiche Auszahlungen und Überweisungen zu eigenen Zwecken von seinem Sammelanderkonto veranlasst sowie Baraus- und -einzahlungen auf beziehungsweise von seinen Konten in einer Größenordnung vorgenommen, die einem üblichen Geschäftsgebaren nicht entspreche.
3
Die gegen diesen Bescheid erhobene Anfechtungsklage hat das Oberlandesgericht abgewiesen. Die Berufung hat es nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung, mit der er sein Klagebegehren weiterverfolgen möchte.
II.
4
1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg. Ein Grund zur Zulassung der Berufung (§ 124a Abs. 5 Satz 2, § 124 Abs. 2 VwGO iVm § 111d Satz 2 BNotO) liegt nicht vor. Entgegen der Auffassung des Klägers bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf und hat auch keine grundsätzliche Bedeutung. Ein Verfahrensmangel liegt ebenfalls nicht vor.
5
a) Der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO iVm § 111d Satz 2 BNotO) ist nur gegeben, wenn der Antragsteller im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hat (s. zB Senat, Beschlüsse vom 20. Juli 2015 – NotZ(Brfg) 12/14, DNotZ 2015, 872, 875 Rn. 19 und vom 23. November 2015 – NotSt(Brfg) 5/15, DNotZ 2016, 311, 312 Rn. 5, jeweils mwN; vgl. auch Senat, Beschluss vom 23. April 2018 – NotZ(Brfg) 6/17, NJW 2018, 2567, 2568 Rn. 11 mwN). Das ist hier nicht der Fall. Das Oberlandesgericht hat die Anfechtungsklage zu Recht abgewiesen. Die dagegen vom Kläger vorgebrachten Einwände greifen nicht durch.
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aa) Die vorläufige Amtsenthebung eines Notars kommt nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 iVm § 50 Abs. 1 Nr. 8 Fall 2 BNotO in Betracht, wenn die Art seiner Wirtschaftsführung die Interessen der Rechtsuchenden gefährdet. Bei der Bestimmung über die Amtsenthebung wegen Unzuverlässigkeit des Notars in Bezug auf seine Wirtschaftsführung handelt es sich um einen abstrakten Gefährdungstatbestand; zu konkreten Missständen bei der notariellen Amtstätigkeit muss es noch nicht gekommen sein (Senat, Beschlüsse vom 17. November 2008 – NotZ 130/07, NJW-RR 2009, 783, 784 Rn. 10; vom 26. Oktober 2009 – NotZ 14/08, BeckRS 2009, 29969 Rn. 12, 29; vom 15. November 2010 – NotZ 6/10, NJW-RR 2011, 642, 643 Rn. 9; vom 25. November 2013 – NotZ(Brfg) 7/13, WM 2014, 805, 807 Rn. 13; vom 17. März 2014 – NotZ(Brfg) 17/13, DNotZ 2014, 548, 549 Rn. 5 und vom 24. November 2014 – NotZ(Brfg) 9/14, WM 2015, 354, 355 Rn. 6). Ausreichend und erforderlich ist die objektive Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden; unbeachtlich ist demgegenüber, ob den Notar ein Verschulden daran trifft, dass er in eine Situation geraten ist, die Bedenken gegen seine Wirtschaftsführung im Sinne des § 50 Abs. 1 Nr. 8 Fall 2 BNotO begründet (s. Senat, Beschluss vom 26. Oktober 2009 aaO Rn. 27; Urteil vom 22. Juli 2013 – NotZ(Brfg) 13/12, NJW-RR 2013, 1397, 1398 Rn. 15; Beschlüsse vom 25. November 2013 aaO S. 806 Rn. 8; vom 24. November 2014 aaO Rn. 9 und vom 21. November 2016 – NotZ(Brfg) 3/16, DNotZ 2017, 314, 315 Rn. 6; vgl. auch Senat, Beschluss vom 12. Oktober 1990 – NotZ 21/89, DNotZ 1991, 94 [zu § 50 Abs. 1 Nr. 7 BNotO aF]).
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(1) Eine die Interessen der Rechtsuchenden gefährdende Art der Wirtschaftsführung muss bereits dann angenommen werden, wenn Gläubiger gezwungen sind, wegen berechtigter Forderungen gegen den Notar Zwangsmaßnahmen zu ergreifen, auch wenn sich schlechte wirtschaftliche Verhältnisse im Einzelfall nicht feststellen lassen. Dass der Notar in eine derartige Lage gerät, kann als solches nicht hingenommen werden (Senat, Beschlüsse vom 12. Oktober 1990 aaO S. 95 f [zu § 50 Abs. 1 Nr. 7 BNotO aF]; vom 8. Juli 2002 – NotZ 1/02, NJW 2002, 2791, 2792; vom 17. November 2008 aaO S. 783 f Rn. 9; vom 26. Oktober 2009 aaO Rn. 11, 25; vom 15. November 2010 aaO S. 642 Rn. 8; vom 26. November 2012 – NotZ(Brfg) 10/12, BeckRS 2012, 25506 Rn. 11; Urteil vom 22. Juli 2013 aaO S. 1397 f Rn. 15; Beschlüsse vom 25. November 2013 aaO S. 806 f Rn. 8, 11 f; vom 17. März 2014 aaO S. 548 Rn. 4; vom 24. November 2014 aaO Rn. 4 und vom 21. November 2016 aaO S. 314 f Rn. 6). Zahlungsschwierigkeiten des Notars und insbesondere gegen ihn geführte oder ihm drohende Maßnahmen der Zwangsvollstreckung begründen die Gefahr, dass er etwa Kostenvorschüsse nicht auftragsgemäß verwendet oder gar zur Tilgung eigener Verbindlichkeiten auf ihm treuhänderisch anvertraute Gelder zurückgreift (s. Senat, Beschlüsse vom 17. November 2008 aaO S. 784 Rn. 10; vom 26. Oktober 2009 aaO Rn. 12 und vom 25. November 2013 aaO S. 807 Rn. 13). Ohne Belang ist dabei, ob die Zwangsmaßnahmen wegen schlechter wirtschaftlicher Verhältnisse, Vermögenslosigkeit oder Überschuldung des Notars oder aus anderen Gründen ergriffen werden mussten (Senat, Beschlüsse vom 17. November 2008 aaO S. 783 f Rn. 9; vom 26. Oktober 2009 aaO Rn. 11; vom 26. November 2012 aaO Rn. 11; Urteil vom 22. Juli 2013 aaO S. 1398 Rn. 15; Beschlüsse vom 25. November 2013 aaO S. 806 Rn. 8 und vom 24. November 2014 aaO Rn. 9). Für die Voraussetzungen des § 50 Abs. 1 Nr. 8 Fall 2 BNotO ist es ebenfalls unbeachtlich, wenn Zwangsvollstreckungsaufträge nicht mehr zu Vollstreckungsmaßnahmen führen, weil der Notar die zugrundeliegenden Ansprüche zuvor befriedigt hat (s. Senat, Beschlüsse vom 17. März 2014 aaO S. 548 f Rn. 4 und vom 24. November 2014 aaO Rn. 4; vgl. auch Senat, Beschluss vom 26. November 2012 aaO Rn. 11).
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(2) Auch weitere das geschäftliche Verhalten betreffende Umstände können die Amtsenthebung rechtfertigen und eine Unzuverlässigkeit des Notars in Bezug auf seine Wirtschaftsführung begründen oder verstärken. So ist unverzichtbar, dass der Notar – auch in einer wirtschaftlichen Krise – die für sein Amt erforderliche Zuverlässigkeit und Integrität wahrt (Senat, Beschlüsse vom 17. November 2008 aaO S. 784 Rn. 11; vom 15. November 2010 aaO S. 643 Rn. 9; vom 17. März 2014 aaO S. 549 Rn. 5 und vom 24. November 2014 aaO Rn. 5). Deshalb ist bei der Würdigung, ob eine ordentliche Wirtschaftsführung des Notars gegeben ist, auch in Betracht zu ziehen, ob der Notar etwa falsche oder unvollständige Angaben gemacht hat; wenn er Auskunft gibt, muss diese richtig und vollständig sein (vgl. Senat, Beschlüsse vom 17. November 2008 aaO S. 784 Rn. 11; vom 17. März 2014 aaO S. 549 f Rn. 5 ff, 9; vom 21. November 2016 aaO S. 316 Rn. 17). Auch eine nicht nur vereinzelt nachlässige Handhabung steuerlicher Verpflichtungen stellt eine für einen Notar nicht hinnehmbare Art der Wirtschaftsführung dar, die erhebliche Zweifel an seiner wirtschaftlichen Zuverlässigkeit begründet (Senat, Urteil vom 22. Juli 2013 aaO S. 1398 Rn. 17; Beschlüsse vom 25. November 2013 aaO S. 806 Rn. 10 und vom 24. November 2014 aaO S. 356 Rn. 12). Die Wirtschaftsführung des Notars gefährdet die Interessen der Rechtsuchenden auch dann, wenn die Art der Behandlung fremder Gelder zu erheblichen Bedenken gegen seine Zuverlässigkeit führt (Senat, Beschlüsse vom 12. Oktober 1990 aaO S. 94 [zu § 50 Abs. 1 Nr. 7 BNotO aF]; vom 3. Dezember 2001 – NotZ 13/01, DNotZ 2002, 236 und vom 8. Juli 2002 aaO S. 2792). Treten die Unregelmäßigkeiten bei der Durchführung notarieller Verwahrungsgeschäfte auf, greift der besondere Tatbestand des § 50 Abs. 1 Nr. 8 Fall 3 BNotO ein. Liegen die Mängel in der anwaltlichen Geschäftsführung des (Anwalts-)Notars, kommt der allgemeine Tatbestand der Unzuverlässigkeit wegen der Art der Wirtschaftsführung nach § 50 Abs. 1 Nr. 8 Fall 2 BNotO in Frage (Senat, Beschluss vom 8. Juli 2002 aaO).
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bb) Diesen Maßgaben wird die Beurteilung des Oberlandesgerichts, dass die Voraussetzungen einer vorläufigen Amtsenthebung des Klägers gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 iVm § 50 Abs. 1 Nr. 8 Fall 2 BNotO erfüllt sind, gerecht. Die festgestellten Vorfälle rechtfertigen die Annahme, dass die Art der Wirtschaftsführung des Klägers die Interessen der Rechtsuchenden gefährdet.
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(1) Eine solche Gefährdung liegt bereits darin, dass es der Kläger zu Zwangsvollstreckungsmaßnahmen und beträchtlichen Steuerrückständen hat kommen lassen. Im Dezember 2015 waren Steuerrückstände von 169.670,48 € aufgelaufen, die er erst nach Einleitung von Pfändungsmaßnahmen und einem Hinweis der Beklagten auf eine drohende Amtsenthebung beglich. In der Folgezeit kam es zwar, abgesehen von geringeren Rückständen im Jahre 2018 über einen Zeitraum von einem Monat, nicht zu erheblichen weiteren Missachtungen steuerlicher Verpflichtungen. Im Jahre 2017 zahlte der Kläger jedoch eine Darlehensforderung von 84.237,84 € nebst Zinsen und Kosten, die Gegenstand eines Zivilprozesses war, erst unter dem Druck eines vorläufigen Zahlungsverbots. Dass sich dieses nicht auf geschäftliche, sondern auf private Konten bezog, ist unerheblich, weil Zwangsvollstreckungsmaßnahmen unabhängig von einem Bezug auf geschäftliche Verbindlichkeiten die wirtschaftliche Integrität des Notars in schwerwiegende Zweifel ziehen. Entgegen der Auffassung des Klägers ist es insoweit ohne Belang, dass die betreffenden Verbindlichkeiten – unter Einsatz erheblicher an ihn geschenkter Mittel seiner Ehefrau – getilgt werden konnten.
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(2) Des Weiteren hat der Kläger in seiner von der Beklagten eingeforderten Vermögensauskunft vom 14. März 2016 eine private Verbindlichkeit von 200.000 € nicht angegeben. Hierzu wäre er auch unter Berücksichtigung seiner eigenen Erklärung verpflichtet gewesen, nach der die Schuld nicht auf einem Darlehen im engeren Sinne beruht habe und noch ungeklärt gewesen sei, mit welchen Modalitäten sie zurückzuzahlen sei; denn das Bestehen der Forderung bliebe hiervon unberührt. Der Kläger hatte keine Vorsorge für die Rückzahlung dieses nicht unerheblichen Betrages getroffen und verfügte dementsprechend nicht über ausreichend eigene Mittel, um diese Verbindlichkeit bei Eintritt ihrer Fälligkeit zu begleichen. Entgegen der Rüge des Klägers hat das Oberlandesgericht nicht die Aufnahme eines Privatdarlehens solchen Umfangs an sich für bedenklich gehalten, sondern dessen Nichterwähnung in der Vermögensauskunft und die fehlende Vorsorge für seine Tilgung.
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(3) Hinzu tritt die nicht nur vereinzelte Vermengung von Eigen- und Fremdgeldern auf dem vom Kläger als Rechtsanwalt geführten Sammelanderkonto. Hierin liegt eine nicht hinnehmbare Gefährdung der Interessen Rechtsuchender. Der Kläger hat im Jahre 2018 von diesem Sammelanderkonto in zahlreichen Fällen Barauszahlungen, Überweisungen auf ein eigenes Konto und Überweisungen zur Tilgung eigener Verbindlichkeiten vorgenommen. Dieses Vorgehen belegt, dass der Kläger das Anderkonto nicht nur zur Verwaltung von Fremdgeldern genutzt hat. Sollten auf dem Anderkonto, wie der Kläger vorbringt, auch ihm selbst zustehende Honorare eingegangen sein, so wäre er als Rechtsanwalt verpflichtet gewesen, Eigengelder unverzüglich auszusondern und auf ein anderes Konto zu übertragen, denn ein Anderkonto darf als offenes Treuhandkonto mit treuhänderischer Bindung zugunsten der wirtschaftlichen Inhaber der verwahrten Beträge ausschließlich für fremde und nicht auch für eigene Gelder des Rechtsanwalts genutzt werden (s. dazu etwa Scharmer in Hartung/Scharmer, BORA/FAO, 6. Aufl., § 4 BORA Rn. 10; Träger in Weyland, BRAO, 10. Aufl., § 43a Rn. 92; Zuck in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl., § 4 BORA Rn. 8; vgl. auch Ziffer 4 der “Bedingungen für Anwaltskonten und Anwaltsdepots von Rechtsanwälten und Gesellschaften von Rechtsanwälten” in der Fassung 9/2018 bei Zuck aaO Rn. 9 mit dortiger Fn. 14). Verstößt der Rechtsanwalt gegen diese Pflicht, indem er eigene Gelder auf dem Anderkonto belässt, gefährdet er die Absicherung der Fremdgeldgläubiger. Denn ein Anderkonto, auf dem neben Fremdgeldern auch eigene Gelder verwaltet werden, verliert seine Eigenschaft als (offenes) Treuhandkonto und den damit verbundenen Schutz der Gläubiger (s. dazu bspw. BGH, Urteile vom 24. Juni 2003 – IX ZR 120/02, WM 2003, 1641 f und vom 10. Februar 2011 – IX ZR 49/10, BGHZ 188, 317, 320 ff Rn. 13 ff; Brandenburgisches OLG, WM 1999, 267, 269; Hadding/Häuser in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechtshandbuch I, 5. Aufl., § 37 Rn. 39; Zuck aaO Rn. 8). Entgegen der Meinung des Klägers können Mängel in der anwaltlichen Geschäftsführung auch die Art der Wirtschaftsführung des Notars im Sinne von § 50 Abs. 1 Nr. 8 Fall 2 BNotO in Zweifel ziehen (Senat, Beschluss vom 8. Juli 2002 aaO). Aus dem Urteil des Senats vom 18. November 2019 (NotSt(Brfg) 6/18, NJW-RR 2020, 240) ergibt sich nichts Abweichendes, denn dort ging es nicht um die Amtsenthebung als verwaltungsrechtliche Maßnahme der Notaraufsicht, sondern um die disziplinarische Ahndung von Pflichtverletzungen eines Anwaltsnotars nach der Regelung des § 110 BNotO. Auf eine konkrete Gefährdung von Ansprüchen einzelner Mandanten kommt es nicht an; wie ausgeführt, genügt die abstrakte Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden. Eine solche besteht, wenn Fremdgelder nicht getrennt von eigenem Geld verwahrt werden. Ob die Unterscheidung zwischen Fremd- und Eigengeldern anhand der Buchhaltung nachvollzogen werden kann, ist unbeachtlich, weil dies an der Gefährdung des Schutzes der Fremdgeldgläubiger, der durch die treuhänderische Bindung des Anderkontos gewährleistet werden soll, nichts ändert.
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cc) Hiernach ist die vorläufige Amtsenthebung des Klägers angezeigt und auch verhältnismäßig.
14
(1) Soweit der Kläger geltend macht, ein Vermögensverfall sei nicht eingetreten, verkennt er die Voraussetzungen des Amtsenthebungsgrundes nach § 50 Abs. 1 Nr. 8 Fall 2 BNotO. Dieser erfordert – im Gegensatz zu § 50 Abs. 1 Nr. 6 und Nr. 8 Fall 1 BNotO – weder eine Überschuldung noch gar einen Vermögensverfall des Notars, sondern sieht dessen Amtsenthebung bei objektiven Umständen vor, die eine die Interessen der Rechtsuchenden gefährdende Art der Wirtschaftsführung belegen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 12. Oktober 1990 aaO S. 95 f; vom 15. November 2010 aaO S. 642 Rn. 8 und vom 17. März 2014 aaO S. 551 Rn. 16).
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(2) Die hier in Rede stehenden Vorkommnisse erstrecken sich auf mehrere Jahre innerhalb eines nahe zurückliegenden Zeitraums. Die zu Bedenken Anlass gebende Wirtschaftsführung hat nicht nur in einer kurzen, vorübergehenden und inzwischen überwundenen Phase der beruflichen Tätigkeit des Klägers bestanden (vgl. dazu Senat, Beschlüsse vom 25. November 2013 aaO S. 806 Rn. 10; vom 24. November 2014 aaO S. 355 Rn. 11 und vom 21. November 2016 aaO S. 316 Rn. 15). Er konnte seine von Verschuldung und Liquiditätsengpässen geprägte wirtschaftliche Situation zwar zumindest teilweise stabilisieren. Hierzu war er aber nicht aus eigener Kraft, sondern nur durch Schenkungen seiner Ehefrau in der Lage. Dies begründet Zweifel, ob der Kläger imstande sein wird, eine künftige finanzielle Schieflage abzuwenden. Eine der Beurteilung durch einen Sachverständigen vorbehaltene Unternehmensbewertung hat das Oberlandesgericht – entgegen der Rüge des Klägers – nicht vorgenommen; es hat lediglich die Angaben zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen in die Gesamtwürdigung einbezogen, ohne aus ihnen Schlüsse zu ziehen, für die es besonderen wirtschaftlichen Sachverstandes bedürfte. Hierauf kommt es indes ebenso wie auf die Ertragslage der Kanzlei des Klägers letztlich nicht entscheidend an. Denn auch bei einer etwaigen langfristigeren Stabilisierung der Finanzen des Klägers wären die – insbesondere durch die Führung des Sammelanderkontos begründeten – Zweifel an seiner Art der Wirtschaftsführung nicht ausgeräumt.
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(3) Die vorläufige Amtsenthebung ist in Anbetracht der Anzahl, des Umfangs und der Dauer der Unregelmäßigkeiten bei der Wirtschaftsführung des Klägers verhältnismäßig. Wirtschaftliche Einbußen sind für den Notar mit der Amtsenthebung regelmäßig verbunden und demzufolge hinzunehmen, zumal dann, wenn der Notar – wie auch hier – weiterhin als Rechtsanwalt zugelassen und tätig ist (vgl. Senat, Beschluss vom 14. Oktober 1985 – NotSt(B) 3/85, DNotZ 1986, 310, 313). Besondere Umstände, die die vorläufige Amtsenthebung im hier vorliegenden konkreten Fall als unverhältnismäßig erscheinen lassen könnten, sind nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich.
17
b) Auch der Zulassungsgrund der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegt nicht vor. Eine Rechtssache weist dann besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf, wenn sie wegen einer erheblich über dem Durchschnitt liegenden Komplexität des Verfahrens oder der ihr zugrundeliegenden Rechtsmaterie in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht und sich damit von den üblichen Streitigkeiten deutlich abhebt (s. zB Senat, Beschlüsse vom 13. November 2017 – NotZ(Brfg) 2/17, DNotZ 2018, 469, 476 Rn. 29 und vom 8. April 2019 – NotZ(Brfg) 9/18, WM 2019, 2038, 2041 Rn. 28, jeweils mwN). Diese Voraussetzungen legt die Antragsbegründungsschrift nicht ausreichend dar (zu den diesbezüglichen Anforderungen s. Senat, Beschluss vom 25. November 2013 – NotZ(Brfg) 10/13, BeckRS 2013, 22411 Rn. 11 [insoweit in DNotZ 2014, 311 nicht mit abgedruckt]) und sind – wie sich aus den obigen Ausführungen (zu a) ergibt – auch im Übrigen nicht ersichtlich.
18
c) Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO iVm § 111d Satz 2 BNotO) ist erfüllt, wenn es im konkreten Fall auf eine Tatsachen- oder Rechtsfrage ankommt, die über den von der ersten Instanz entschiedenen Fall hinausgeht und an deren Klärung daher im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts auch für vergleichbare Fälle ein Interesse besteht (Senat, Beschlüsse vom 20. Juli 2015 – NotZ(Brfg) 12/14, DNotZ 2015, 872, 873 Rn. 9; vom 23. November 2015 – NotSt(Brfg) 5/15, DNotZ 2016, 311, 316 Rn. 19 und vom 21. November 2016 – NotZ(Brfg) 1/16, BGHZ 213, 42, 51 Rn. 22; jeweils mwN). Diese Voraussetzungen legt die Antragsbegründung nicht dar und sind auch sonst nicht ersichtlich. Das Verhältnis zwischen vorläufiger und endgültiger Amtsenthebung ergibt sich aus dem Gesetz (§§ 50, 54 BNotO) und wird dadurch konkretisiert, dass nach Anordnung der vorläufigen Amtsenthebung das Amtsenthebungsverfahren in der Hauptsache alsbald einzuleiten, mit Beschleunigung zu betreiben und abzuschließen ist (BVerfG, NJW 1977, 1959, 1960; Bracker in Schippel/Bracker, BNotO, 9. Aufl., § 54 Rn. 5). Auf die Voraussetzungen des Vermögensverfalls kommt es für den Amtsenthebungsgrund des § 50 Abs. 1 Nr. 8 Fall 2 BNotO nicht an. Für die Entscheidung des Falles unerheblich ist auch die Frage, ob ein Notar private Darlehen oder Zuwendungen aus einer Lebensgemeinschaft entgegennehmen darf.
19
d) Auch der Zulassungsgrund eines entscheidungserheblichen Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO i. V. m. § 111d Satz 2 BNotO) liegt nicht vor.
20
aa) Der Kläger beruft sich auf eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK. Er macht unter Bezugnahme auf ein Urteil der V. Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Folgenden: Gerichtshof) vom 30. Januar 2020 (Rs. 29295/16, BeckRS 2020, 759 [engl.], NLMR 2020, 28 [dt. Übers.]) geltend, die Doppelrolle der Präsidentin des Oberlandesgerichts Celle als Vorstand der Justizbehörde, welche die vorläufige Amtsenthebung ausgesprochen hat, und als Präsidentin des Gerichts, das über die hiergegen gerichtete Anfechtungsklage entscheidet, könne geeignet sein, begründete Befürchtungen hinsichtlich der Unabhängigkeit und objektiven Unparteilichkeit der Richter des dortigen Notarsenats hervorzurufen. Die Zulassung der Berufung sei geboten, weil andernfalls eine nachträgliche umfassende Kontrolle durch den Bundesgerichtshof nicht eröffnet werde.
21
bb) Mit dieser Rüge gelangt der Zulassungsantrag bereits deshalb nicht zum Erfolg, weil der Kläger im Verfahren vor dem Oberlandesgericht davon abgesehen hat, ein Befangenheitsgesuch anzubringen, und deshalb mit einem – etwaigen – Rügerecht ausgeschlossen ist. Hat ein Verfahrensbeteiligter in Kenntnis der aus seiner Sicht die Befangenheit begründenden Umstände zur Sache verhandelt, ohne ein Ablehnungsgesuch gestellt zu haben, kann die Ablehnung nicht im Berufungszulassungsverfahren nachgeholt werden (Senat, Beschluss vom 13. November 2017 – NotSt(Brfg) 3/17, NJW 2018, 1607, 1609 Rn. 12 f mwN). So verhält es sich hier. Die Umstände, die der Kläger nunmehr für eine Besorgnis der Befangenheit der Mitglieder des Notarsenats des Oberlandesgerichts vorbringt, lagen bereits im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Oberlandesgericht vor und waren dem Kläger auch bekannt.
22
cc) Unbeschadet dessen sieht der erkennende Senat im Gegensatz zu den Überlegungen des Gerichtshofs (aaO Rn. 65 ff, 79) allein darin, dass die Oberlandesgerichtspräsidentin als Justizbehörde die angefochtene vorläufige Amtsenthebung angeordnet hat, keinen hinreichenden Grund für vernünftige Zweifel an der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit der Mitglieder des Notarsenats des Oberlandesgerichts (vgl. dazu auch Senat, Beschlüsse vom 25. November 2013 – NotZ(Brfg) 7/13, WM 2014, 805, 806 Rn. 4; vom 24. November 2014 – NotZ(Brfg) 6/14, DNotZ 2015, 475, 476 Rn. 12 und vom 13. November 2017 aaO Rn. 14 ff).
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(1) Angesichts der in Deutschland bestehenden und dort auch in der Rechtswirklichkeit beachteten Schutzvorrichtungen und Garantien für die sachliche und persönliche Unabhängigkeit der Richter (Art. 97 GG, § 1 GVG, §§ 25 ff DRiG) besteht aus objektiver Sicht kein begründeter Anlass für die Besorgnis, dass Richter über die Anfechtung von Verwaltungsakten, die vom Präsidenten ihres Gerichts erlassen werden, nicht mit der gebotenen Unparteilichkeit befinden könnten, sofern nicht im Einzelfall besondere Umstände hinzutreten. Eine derartige Besorgnis rechtfertigt sich weder aus der Mitwirkung des Präsidenten im Präsidium seines Gerichts noch aus seiner Dienstaufsichtsbefugnis.
24
(2) Als Vorsitzender des Präsidiums (§ 21a Abs. 2 GVG), das über die Besetzung der Spruchkörper und damit auch des Notarsenats entscheidet, handelt der Oberlandesgerichtspräsident nicht als Organ der Justizverwaltung, sondern ebenso wie die übrigen Mitglieder des Präsidiums in richterlicher Unabhängigkeit (Kissel/Mayer, GVG, 9. Aufl., § 21a Rn. 15). Ihm kommt dabei kein höheres Stimmengewicht zu als den anderen Präsidiumsmitgliedern (§ 21e Abs. 7 Satz 1 GVG; vgl. Kissel/Mayer aaO § 21e Rn. 71). Außerdem werden die Mitglieder des Notarsenats vorab für einen längeren Zeitraum, nämlich für die Dauer von fünf Jahren, fest bestellt (§ 102 Satz 1, § 103 Abs. 5 Satz 1 BNotO).
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(3) Auch die Unterstellung unter die Dienstaufsicht des Gerichtspräsidenten (einschließlich der dienstlichen Beurteilung) vermag ohne Hinzutreten besonderer Umstände im Einzelfall keine Zweifel an der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit eines Richters zu rechtfertigen. Wie auch der Gerichtshof nicht verkennt (aaO Rn. 78), sind disziplinarische Maßnahmen gegen Richter ihrerseits der gerichtlichen Überprüfung unterstellt und unzulässig, wenn und soweit hierdurch die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigt wird (§ 26 DRiG). Die theoretische Möglichkeit, Richter könnten zur Förderung ihrer Aufstiegschancen bestrebt sein, in ihrer Entscheidungspraxis denjenigen Amtsträgern, die über Beförderungen zu entscheiden haben, zu gefallen, erfährt ein Gegengewicht durch die Gesetzesbindung und die verfassungsrechtliche Garantie der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit jedes Richters sowie die diese absichernden Rechtsschutzmöglichkeiten. Ohnedies sichern § 196 Abs. 1 GVG und das Beratungsgeheimnis (§ 43 DRiG), dass die Zuordnung des Entscheidungsergebnisses zum einzelnen Richter nicht möglich ist.
26
(4) Besondere Umstände, die vorliegend Bedenken gegen die Unvoreingenommenheit der Mitglieder des Notarsenats des Oberlandesgerichts begründen könnten, hat der Kläger nicht vorgetragen und sind auch im Übrigen nicht ersichtlich.
27
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 111b Abs. 1 Satz 1 BNotO iVm § 154 Abs. 2 VwGO. Die Wertfestsetzung beruht auf § 111g Abs. 2 Satz 1 BNotO.
Herrmann     
      
Tombrink     
      
Müller
      
Strzyz     
      
Frank     
      


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