Arbeitsrecht

Weiterbeschäftigung auf der bisherigen Stelle im Wege einstweiligen Rechtsschutzes nach Versetzung

Aktenzeichen  9 Ga 45/17

Datum:
5.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 146268
Gerichtsart:
ArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
GewO § 106
BGB § 611, § 315
ZPO § 259, § 935, § 940

 

Leitsatz

1. Soweit ein Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst auf eine Stelle versetzt wird, die seiner bisherigen Entgeltgruppe entspricht, liegt keine offensichtliche Rechtswidrigkeit der Weisung vor. (Rn. 24 – 26)
2. Selbst wenn es einem Arbeitnehmer nicht zuzumuten wäre, einer Versetzungsanordnung zunächst Folge zu leisten, wäre der Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht nötig, da er nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB nicht – auch nicht vorläufig – an eine Weisung des Arbeitgebers gebunden ist, die die Grenzen billigen Ermessens nicht wahrt (BAG vom 14.06.2017 – 10 AZR 33/16 (A)). (Rn. 31 – 34)

Tenor

I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 07.08.2017 wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Antragstellerin.
III. Der Streitwert wird festgesetzt auf 2.694,98 €.
IV. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Gründe

I.
1. Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist eröffnet, §§ 2 Abs. 1 Nr.3a, 46, 48 ArbGG, §§ 17 ff. GVG.
2. Der Antrag ist zulässig.
Die örtliche Zuständigkeit ist gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG, §§ 12, 17 ZPO gegeben, da der Antragsgegner seinen Sitz im Gerichtsbezirk des Arbeitsgerichts Nürnberg hat.
Die Antragstellerin hat ein aktuelles Rechtschutzbedürfnis an dem zur Entscheidung gestellten Antrag.
Bei einem Streit über die Berechtigung einer Versetzung bestehen für den Arbeitnehmer zwei Möglichkeiten. Er kann die Berechtigung der Versetzung im Rahmen einer Feststellungsklage klären lassen. Darüber hinaus hat er die Möglichkeit, den Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung im Rahmen einer Klage auf künftige Leistung gemäß § 259 ZPO durchzusetzen (BAG, 25.08.2010 – 10 AZR 275/09, NZA 2010, 1355 Rn. 12 m.w.N). So liegt der Fall hier. Die Antragstellerin nimmt den Standpunkt ein, dass die ihr von dem Antragsgegner erteilte Weisung unwirksam und er deshalb verpflichtet sei, sie wie vor der streitgegenständlichen Versetzung zu beschäftigen. Der Antragsgegner nimmt hingegen den Standpunkt ein, seine Weisung sei wirksam und er sei deshalb nicht verpflichtet, die Antragstellerin wie bisher zu beschäftigen. Beide Auffassungen betreffen danach aktuell eine Verpflichtung aus dem zwischen ihnen derzeit unstreitig bestehenden Arbeitsverhältnis.
II.
Der Antrag ist nicht begründet. Es kann dahinstehen, ob ein Verfügungsanspruch besteht. Jedenfalls fehlt es der Antragstellerin an einem Verfügungsgrund.
1. Ein Verfügungsgrund setzt voraus, dass eine besondere Dringlichkeit besteht, die eine vorweggenommene Entscheidung im einstweiligen Verfügungsverfahren rechtfertigt. Gem. §§ 935 und 940 ZPO erfordert dies insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen die Abwendung wesentlicher Nachteile. Die drohenden Nachteile müssen dabei schwer wiegen und außer Verhältnis stehen zu dem Schaden, den die gegnerische Partei erleiden kann. Es muss eine besondere Eilbedürftigkeit gegeben sein, welche es erforderlich macht, zur Abwendung der Nachteile bereits vor einer Klärung strittiger Rechtsfragen im regulären arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren vorab im Wege einer summarischen Prüfung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine vorläufige Regelung zu treffen. Soll eine sog. Leistungsverfügung erlassen werden, dürfen an das Vorliegen eines Verfügungsgrundes jedenfalls keine zu geringen Anforderungen gestellt werden (vgl. umfassend LAG Rheinland-Pfalz, 20.04.2011 – 7 SaGa 3/11, Rn. 23). Vor allem im Falle einer Entscheidung, die einer Befriedigung des Verfügungsgläubigers gleichkommt, ist das Vorliegen besonderer Umstände vorauszusetzen, die es rechtfertigen, dass der Verfügungskläger ein ordentliches Verfahren nicht abwarten kann (ArbG Münster, 20.08.2009 – 1 Ga 39/09, Rn. 47; ArbG Mannheim, 28.08.2013 – 10 Ga 3/13 – Rn. 56).
Ein Verfügungsgrund kann nur dann angenommen werden, wenn die begehrte Regelung eines einstweiligen Zustandes notwendig ist, um ansonsten drohende wesentliche Nachteile des Antragstellers abzuwenden. Es muss eine besondere Eilbedürftigkeit gegeben sein, welche es erforderlich macht, zur Abwendung wesentlicher Nachteile bereits vor einer Klärung strittiger Rechtsfragen im regulären arbeitsgerichtlichen Hauptsacheverfahren vorab im Wege einer summarischen Prüfung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine vorläufige Regelung zu treffen. Soll eine so genannte Leistungsverfügung getroffen werden, dürfen an das Vorliegen eines Verfügungsgrundes jedenfalls keine zu geringen Anforderungen gestellt werden. Wesentliche Nachteile sind bei der summarischen Überprüfung von Versetzungsanordnungen des Arbeitgebers nur in Ausnahmefällen anzunehmen (LAG Köln vom 10.02.2017 – 4 SaGa 3/17).
Allein der Umstand, dass eine möglicherweise vertragswidrige Beschäftigung des Arbeitnehmers nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, reicht hierfür nicht aus (LAG Köln, Beschluss vom 24. Juni 2010 – 9 Ta 192/10 -, Rn. 19, juris; LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 10. November 2011 – 5 SaGa 12/11 -, Rn. 25, juris; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20. März 2014 – 5 SaGa 13/13 -, Rn. 26, juris). Vielmehr erfordert die Bejahung eines Verfügungsgrundes für eine einstweilige Verfügung gegen Weisungen des Arbeitgebers zu Inhalt, Ort und Art der Arbeitsleistung, ein deutlich gesteigertes Abwehrinteresse des Arbeitnehmers, wie es allenfalls bei erheblichen Gesundheitsgefahren, einer drohenden irreparablen Schädigung des beruflichen Ansehens oder bei schweren Gewissenskonflikten bestehen kann. Einem Arbeitnehmer ist es mithin in der Regel zuzumuten, einer Versetzungsanordnung oder arbeitsvertraglichen Weisung zunächst Folge zu leisten und sodann den Umfang des Direktionsrechts in einem Hauptsacheverfahren klären zu lassen. Neben einem gesteigerten Abwehrinteresse des Arbeitnehmers erkennt die Rechtsprechung lediglich in Fällen einer offenkundigen Rechtswidrigkeit der arbeitgeberseitigen Maßnahme das Bestehen eines Verfügungsgrundes an (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20. März 2014 – 5 SaGa 13/13 -, Rn. 26, juris).
2. Unter Anwendung dieser Grundsätze hat die Antragstellerin einen Verfügungsgrund nach der durch die Kammer vorzunehmenden summarischen Prüfung nicht glaubhaft gemacht.
a) Eine offensichtliche Rechtswidrigkeit der Weisung liegt nicht vor.
Arbeitnehmer eines öffentlichen Dienstherrn sind grundsätzlich verpflichtet, jede ihnen zugewiesene Tätigkeit zu verrichten, die dem Merkmal ihrer Vergütungsgruppe entspricht, soweit ihnen dies billigerweise zugemutet werden kann (BAG vom 22.01.2004 – 1 AZR 495/01).
Die neuen Tätigkeiten der Antragstellerin sind wie ihre bisherige Tätigkeit der Entgeltgruppe 4 zugeordnet. Die Versetzung auf die Stelle einer Amtsbotin erweist sich daher nicht als offensichtlich unwirksam. Eine offensichtliche Rechtswidrigkeit der Weisung ergibt sich auch nicht daraus, dass der Antragstellerin nur geringer wertige Aufgaben zugewiesen wurden. Vorliegend kann im Rahmen der summarischen Prüfung nicht eindeutig festgestellt werden, ob der neue Aufgabenbereich der Antragstellerin tatsächlich nicht gleichwertig zu den bisherigen Tätigkeiten ist. Eine Reduzierung der Vergütung ist unstreitig mit der Versetzung nicht verbunden, so dass die Weisung jedenfalls nicht offensichtlich rechtswidrig ist.
b) Die Antragstellerin erleidet keine unzumutbaren Nachteile, die eine besondere Dringlichkeit einer vorläufigen Entscheidung zu ihren Gunsten rechtfertigten. Es wurden weder erhebliche Gesundheitsgefahren noch eine drohende irreparable Schädigung des beruflichen Ansehens noch schwere Gewissenskonflikte durch die Antragstellerin dargelegt und glaubhaft gemacht.
Die Antragstellerin hat lediglich pauschal behauptet, sie würde durch die neuen Aufgaben gesundheitliche Schäden erleiden und beruft sich u.a. auf das in der mündlichen Verhandlung vorgelegte ärztliche Attest vom 22.09.2017. Hierin wird der Antragstellerin bescheinigt, dass sie keine schweren Lasten heben oder tragen könne. Auch Treppen steigen sei bei ihr mit Luftnot verbunden sowie mit Schmerzen in den Knien und Rücken. Aus diesen Gründen sei es der Antragstellerin nicht möglich Arbeiten, die mit körperlichen Anstrengungen verbunden sind, zu verrichten. Das Attest enthält jedoch weder Angaben darüber, welches Gewicht unter „schwere Lasten“ fällt oder welche konkreten Tätigkeiten mit körperlichen Anstrengungen verbunden sind, noch hat die Antragstellerin ausreichend dargelegt, welche Lasten mit welchem konkreten Gewicht von ihr im Rahmen der Erfüllung ihrer neuen Aufgaben getragen werden müssen und weshalb das Tragen dieser Lasten nicht durch die Nutzung von zur Verfügung gestellten Hilfsmitteln wie Transportwägen, Aufzügen, etc. vermieden werden können. Soweit die Antragstellerin auf ihre Aufzugsphobie hinweist, wäre es durchaus möglich, die Lasten mit dem Aufzug zu transportieren ohne diesen selbst nutzen zu müssen. Soweit die Antragstellerin darauf verweist, dass sie aus gesundheitlichen Gründen nicht Treppen steigen könne, steht dies jedoch im Widerspruch zu ihrem tatsächlichen Verhalten. So hat sie in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, stets die Toiletten im zweiten Stock aufgesucht zu haben, obwohl im Erdgeschoss und ersten Stock Toiletten vorhanden sind.
Der Vortrag der Antragstellerin rechtfertigt somit nicht die Annahme, dass sie durch die Erfüllung der neuen Aufgaben erheblichen Gesundheitsgefahren ausgesetzt ist.
Eine drohende irreparable Schädigung des beruflichen Ansehens kann das Gericht durch die Ausübung der neuen Tätigkeiten ebenfalls nicht erkennen. Mit den neuen Aufgaben verbundene Gewissenskonflikte wurden nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich.
3. Selbst wenn es der Antragstellerin nicht zuzumuten wäre, der streitgegenständlichen Versetzungsanordnung zunächst Folge zu leisten und sodann den Umfang des Direktionsrechts in einem Hauptsacheverfahren klären zu lassen, wäre der Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht nötig. Es bestünde auch in diesem Fall nicht die Gefahr, dass Rechte der Antragstellerin vereitelt würden oder ihr sonstige Nachteile entstünden, wenn sie die Entscheidung im Hauptsacheverfahren abwartet.
Denn wenn die der Antragstellerin zugewiesene Tätigkeit keine dem Antragsgegner geschuldete Arbeit ist, dann kann sie diese nicht geschuldete Arbeit einfach verweigern (LAG München vom 01.12.2004 – 5 Sa 913/04).
Der Arbeitnehmer muss gemäß § 611 BGB – als Schuldner – dem Arbeitgeber als Gläubiger nur die Arbeitsleistung erbringen, zu der er aufgrund des Arbeitsvertrages und einer gemäß § 106 GewO i. V. m. § 315 BGB wirksamen Weisung des Arbeitgebers verpflichtet ist (LAG München, a. a. O.). Ein Arbeitnehmer ist nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB nicht – auch nicht vorläufig – an eine Weisung des Arbeitgebers gebunden, die die Grenzen billigen Ermessens nicht wahrt (BAG vom 14.06.2017 – 10 AZR 330/16 (A)).
Auch wenn zuzugeben ist, dass es für die Arbeitnehmerin unbehaglich sein mag, bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren ohne die vorausblickende Gewissheit von dessen Ausgang vor der Alternative zu stehen, entweder der für rechtswidrig gehaltenen Weisung vorläufig nachzukommen oder die Arbeit einstweilen zu verweigern, vermag dies für sich genommen nicht den Erlass einer einstweiligen Verfügung zu begründen, die von ihrem Inhalt her mangels verbindlicher Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung ohnehin nichts weiter darstellen könnte als ein in Urteilsform gefasstes Zwischengutachten des Gerichtes zur Rechtslage (LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 29.06.2006 – 1 Sa 51/06).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG, § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO und begründet sich mit dem Unterliegen der Antragstellerin.
Der Streitwert war gemäß §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG, §§ 3 ff. ZPO, § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG festzusetzen. Für den Antrag hat das Gericht ein Bruttomonatsgehalt für angemessen erachtet.
Die Entscheidung über die Zulassung der Berufung ergeht gemäß § 64 Abs. 3a ArbGG. Die Berufung kann gemäß § 64 Abs. 2 ArbGG eingelegt werden. Umstände, welche die gesonderte Zulassung der Berufung gemäß § 64 Abs. 3 ArbGG begründet hätten sind nicht gegeben.


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