Arbeitsrecht

Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz

Aktenzeichen  L 1 RS 4/13

Datum:
29.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
AAÜG AAÜG § 1 Abs. 1, § 8 Abs. 3 S. 1

 

Leitsatz

Nach der ständigen Rechtsprechung fallen unter volkseigene Produktionsbetriebe der Industrie oder des Bauwesens nur Produktionsdurchführungsbetriebe, denen unmittelbar die industrielle Massenproduktion von Sachgütern das Gepräge gibt (unter Bezugnahme auf BSG BeckRS 2013, 69990; BeckRS 2011, 78576; BeckRS 2011, 79214). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 47 R 846/12 2013-10-22 Urt SGMUENCHEN SG München

Tenor

I.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 22. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.
II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zutreffend abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 6. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. März 2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihrem Rechten. Die Klägerin hatte bei Inkrafttreten des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG) am 1. August 1991 keine Versorgungsanwartschaft im Sinne von § 1 Abs. 1 dieses Gesetzes. Die Beklagte hat es daher zu Recht abgelehnt, für die Klägerin Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum AAÜG als Pflichtbeitragszeiten nach dem AAÜG festzustellen. Das AAÜG ist für sie nicht anwendbar.
Anspruchsgrundlage für die begehrte Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem und weiterer Arbeitsentgelte ist § 8 Abs. 2, Abs. 3 S. 1 und Abs. 4 Nr. 1 AAÜG. Nach § 8 Abs. 3 Satz 1 AAÜG hat die Beklagte als Versorgungsträger der Klägerin durch Bescheid den Inhalt der Mitteilung nach § 8 Abs. 2 AAÜG bekanntzugeben. Diese Mitteilung hat u. a. die Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem, sowie das hieraus tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu enthalten. Allerdings hat der Versorgungsträger diese Daten nur festzustellen, wenn das AAÜG anwendbar ist. Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Denn die Klägerin hatte am 1. August 1991, also zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des AAÜG, keine Versorgungsanwartschaft im Sinne von § 1 Abs. 1 AAÜG.
Gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 AAÜG gilt das Gesetz für Versorgungsberechtigungen (Ansprüche oder Anwartschaften), die aufgrund der Zugehörigkeit zu Versorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind und beim Inkrafttreten dieses Gesetzes am 1. August 1991 bestanden haben. War ein Verlust der Versorgungsanwartschaften deswegen eingetreten, weil die Regelungen des Versorgungssystems ihn bei dem Ausscheiden vor dem Leistungsfall vorsahen, gilt dieser Anwartschaftsverlust nach § 1 Abs. 1 S. 2 AAÜG als nicht eingetreten. Nach § 1 Abs. 2 AAÜG sind Zusatzversorgungssysteme die in der Anlage 1 zum Gesetz genannten Systeme. Nach deren Ziff. 1 ist hier die gesetzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz maßgeblich.
Die Klägerin ist nicht Inhaberin einer am 1. August 1991 bestehenden Versorgungsanwartschaft. Es liegt weder eine Einzelfallentscheidung vor, durch die zu ihren Gunsten zu diesem Zeitpunkt eine Versorgungsanwartschaft zuerkannt worden wäre. Eine positive Statusentscheidung der Beklagten liegt ebenso wenig vor wie eine frühere Versorgungszusage aus einem nach Art. 19 S. 1 Einigungsvertrag bindend gebliebenen Verwaltungsakt. Auch ist die Klägerin nicht durch Einzelvertrag oder eine spätere Rehabilitationsentscheidung in das Versorgungssystem der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz einbezogen worden. Die steht für den Senat fest aufgrund der Angaben der Klägerin im Antrag vom 19. Dezember 2011.
Die Klägerin hatte auch nach dem am 1. August 1991 gültigen Bundesrecht und aufgrund der am 30. Juni 1990 gegebenen tatsächlichen Umstände aus bundesrechtlicher Sicht keinen Anspruch auf Erteilung einer fiktiven Versorgungszusage im Sinne der vom Bundessozialgericht (BSG) vorgenommenen erweiternden verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG (vgl. BSG SozR 3-8570 § 1 Nrn. 2, 4, 5, 6, 8).
Die fiktive Einbeziehung in die Altersversorgung der technischen Intelligenz setzt nach ständiger Rechtsprechung des BSG die kumulative Erfüllung der persönlichen, der sachlichen und der betrieblichen Voraussetzungen zum Stichtag 30. Juni 1990 voraus. Erforderlich ist, dass der Betreffende berechtigt war, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen, er die entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausgeübt hat und dies in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens oder in einer gleichgestellten Einrichtung erfolgt ist (BSG, Urteil vom 9. April 2002, B 4 RA 3/02 R, in juris).
Hier fehlt es an der Erfüllung der betrieblichen Voraussetzung, da die Klägerin zum Stichtag 30. Juni 1990 nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens oder in einer gleichgestellten Einrichtung beschäftigt war.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG fallen unter volkseigene Produktionsbetriebe der Industrie oder des Bauwesens nur Produktionsdurchführungsbetriebe, denen unmittelbar die industrielle Massenproduktion von Sachgütern das Gepräge gibt (vgl. BSG, Urteile vom 20. März 2013, B 5 RS 3/12, vom 19. Juli 2011, B 5 RS 7/10 R, vom 19. Juli 2011, B 5 RS 1/11, alle in juris). Hauptzweck bzw. Schwerpunkt muss die industrielle (serienmäßig wiederkehrende) Fertigstellung, Herstellung, Anfertigung, Fabrikation bzw. Produktion von Sachgütern oder die massenhafte Errichtung von baulichen Anlagen sein (vgl. etwa BSG, Urteil vom 19. Juli 2011, B 5 RS 7/10 R, in juris Rn. 27; BSG, Urteil vom 23. August 2007, B 5 RS 3/06 R, in juris Rn. 23). Nach der Auffassung des BSG ergibt sich diese Einschränkung aus dem in § 1 Abs. 2 der 2. Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 24. Mai 1951 (GBl 487; 2. DB) verwendeten Ausdruck des Produktionsbetriebs. Weil dort Betriebe und Einrichtungen aufgelistet seien, die einem Produktionsbetrieb gleichgestellt werden, werde klar, dass die Versorgungsordnung und auch § 1 Abs. 1 der 2. DB nur volkseigene Produktionsbetriebe erfasste. Dies werde auch durch § 1 der 1. DB vom 26. September 1950 bestätigt, nachdem nur bestimmte Berufsgruppen der technischen Intelligenz, die gerade in einem Produktionsbetrieb verantwortlich tätig waren, generell in den Kreis der Versorgungsberechtigten einbezogen werden sollten (vgl. BSG, Urteil vom 9. April 2002, B 4 RA 41/01 R, in juris). Die Einschränkung nur auf Produktionsbetriebe der Industrie ergebe sich aus der Einbeziehung des Ministeriums für Industrie in § 5 AVItech und aus der sprachlichen und sachlichen Gegenüberstellung von Produktionsbetrieben der Industrie und des Bauwesens einerseits und allen anderen volkseigenen Betrieben andererseits, welche die DDR spätestens ab den sechziger Jahren und jedenfalls am 30. Juni 1990 in ihren einschlägigen Gesetzestexten vorgenommen habe (vgl. die Gegenüberstellung von Kombinaten, Kombinatsbetrieben, übrigen volkseigenen Betriebe in der Industrie und im Bauwesen gegenüber denen aus anderen Bereichen der Volkswirtschaft in § 2 der Verordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der volkseigenen Betriebe, Kombinate und VVB vom 28. März 1973, DDR-GBl. I Nr. 15 S. 129; § 41 Abs. 1 1. Spiegelstrich, Abs. 2 Verordnung über die volkseigenen Kombinate, Kombinatsbetriebe und volkseigenen Betriebe vom 8. November 1979, DDR-GBl. I Nr. 38 S. 35; Kombinatsverordnung).
Wer Beschäftigungsbetrieb am maßgeblichen Stichtag 30. Juni 1990 ist, bestimmt sich nach der ständigen Rechtsprechung des BSG allein danach, wer Arbeitgeber im rechtlichen Sinne ist.
Nach Auffassung des Senats ist Arbeitgeber der Klägerin am 30. Juni 1990 der VEB Kombinat OGS Bezirk H-Stadt gewesen. Zwar ist im Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung insoweit der VEB Großhandel OGS H-Stadt angegeben. Nach § 4 Abs. 1 der „Ersten Durchführungsbestimmung zur Verordnung zur Verbesserung der Arbeitskräftelenkung und Berufsberatung – Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung -“ vom 4. Juli 1962 (DDR-GBl. II Nr. 50 S. 432) hatten die Betriebe, in denen die ausweispflichtigen Bürger beschäftigt waren, die entsprechenden Angaben, wie die Tätigkeit sowie die Lohn- bzw. Gehaltsgruppe für die ausgeübte Tätigkeit, einzutragen. Dies würde für eine Arbeitgebereigenschaft des VEB Großhandel OGS H-Stadt sprechen. Diese ist aber nach Auffassung des Gerichts überzeugend widerlegt worden durch den von der Klägerin vorgelegten Arbeitsvertrag vom 1. Februar 1985. Hierin ist als den Arbeitsvertrag schließende Parteien neben der Klägerin der VEB Kombinat OGS Bezirk H-Stadt vermerkt. Auch im Änderungsvertrag vom 15. Mai 1987 findet sich diese Angabe. Soweit daneben auch der VEB Großhandel OGS H-Stadt – Stammbetrieb – angegeben ist, hat dies die Klägerin plausibel damit erklärt, dass die gesamte Lohnbuchhaltung und Personalverwaltung über den VEB Großhandel OGS abgewickelt worden ist. Dies wurde auch von Herrn F. in seiner schriftlichen Zeugenaussage so bestätigt.
Der Senat ist jedoch davon überzeugt, dass der VEB Kombinat OGS H-Stadt kein Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens im Sinne des § 1 Abs. 1 der 2. DB war. Hauptzweck dieses Betriebs war weder die industrielle (serienmäßig wiederkehrende) Fertigstellung, Herstellung, Anfertigung, Fabrikation bzw. Produktion von Sachgütern noch die massenhafte Errichtung von baulichen Anlagen. Dies ergibt sich aus dem eigenen Vortrag der Klägerin sowie aus dem des Zeugen F … Nach den Ausführungen des Zeugen F. gab es neben 6 Großhandelsbetrieben 8 Verarbeitungsbetriebe (VEB OGIS). Letztere waren eigenständig für die Produktion, der VEB Kombinat OGS H-Stadt und in ihm die Klägerin waren hingegen für die technischen Belange des Betriebs zuständig. So war etwa die Planung neuer Verarbeitungsmaschinen sowie baulicher Maßnahmen sowohl für die Großhandelsbetriebe als auch für die Produktionsbetriebe Aufgabe des VEB Kombinat OGS. Von dort wurden Investitionen geplant, die nötigen Mittel beschafft, die Investitionen durchgeführt und überwacht. Daraus ergibt sich schon sehr deutlich, dass der VEB Kombinat OGS H-Stadt kein Produktionsbetrieb im oben genannten Sinne war. Es handelte sich bei ihm gerade eben nicht um einen Produktionsdurchführungsbetrieb, dem unmittelbar die industrielle Massenproduktion von Sachgütern das Gepräge gab. Dies lässt sich allenfalls für die VEB OGIS sagen, die allein für die industrielle Herstellung der diversen Lebensmittel verantwortlich zeichneten. Der VEB Kombinat OGS Bezirk H-Stadt war danach vielmehr ein Betrieb, in dem bestimmte Querschnittsaufgaben gebündelt waren, die u. a. eine Produktion in den VEB OGIS, aber auch einem möglichst optimalen Ablauf des Großhandels ermöglichen sollte, der selbst aber nicht mit der Massenproduktion von Gütern oder der massenhaften Errichtung von baulichen Anlagen betraut war.
Bestätigt wird diese Einschätzung auch durch die der Klägerin bekannten Erkenntnisse des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt in der Entscheidung vom 20. April 2006, Az. L 1 RA 126/03. Hierin hat das LSG Sachsen-Anhalt festgestellt, dass der VEB Kombinat OGS im statistischen Betriebsregister der Wirtschaftsgruppe 52232 zugeordnet gewesen sei. Dies sei die Eingruppierung für „Großhandelsbetriebe Lebensmittel/Obst und Gemüse“ sowie „Großhandel mit Fisch, Waren des täglichen Bedarfs, Obst, Gemüse und Speisekartoffeln Handelsunternehmen delikat“ gewesen. Aus der vom LSG Sachsen-Anhalt beigezogenen Betriebskartei ergab sich, dass der VEB Kombinat OGS Bezirk H-Stadt dem Rat des Bezirkes Abteilung und Handelsversorgung unterstellt gewesen war, also keinem Industrieministerium. Produziert hätten insbesondere die VEB OGIS. Auch habe der Nachfolgebetrieb H-S. Fruchthandelsgesellschaft mbH den Vertrieb von frischen und verarbeiteten Obst und Gemüse, Früchten aller Art, Getränken, Blumen und anderen Handelswaren zum Gegenstand gehabt. Es sei unwahrscheinlich, dass der VEB Kombinat OGS am 30. Juni 1990 seinen Schwerpunkt in der industriellen Massenproduktion hatte und der Nachfolgebetrieb am nächsten Tag überhaupt keine Waren mehr produziert habe. Dieser Einschätzung schließt sich der erkennende Senat an.
Der VEB Kombinat OGS Bezirk H-Stadt war – wie die VEB OGIS und VEB Großhandel auch – ein selbstständiges Unternehmen. Das Kombinat war gemäß § 3 Abs. 4 S. 1 und § 6 Abs. 2 S. 1, 2 der Kombinatsverordnung rechtsfähig. Gemäß § 3 Abs. 4 S. 2 Kombinatsverordnung stellt das Kombinat eine juristische Person dar, es begründet im eigenen Namen Verbindlichkeiten.
Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass die Klägerin nach ihren eigenen glaubwürdigen Angaben und den vom Senat ebenfalls nicht in Zweifel gezogenen Aussagen des ehemaligen Fachdirektors Wissenschaft und Technik/Grundfondswirtschaft des VEB Kombinat OGS H-Stadt R. F. nur die Verantwortung für die lebensmittelverarbeitenden Industriebetriebe des Kombinats gehabt hat, während für den Bereich der Großhandelsbetriebe eine andere Mitarbeiterin (Frau M.) zuständig war. Denn bei der Prüfung der betrieblichen Voraussetzung kommt es nicht darauf an, welche Tätigkeiten die Klägerin konkret verrichtet hat und ob sich diese wertsteigernd für einen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens im Sinne der Rechtsprechung des BSG oder für einen sonstigen Betrieb ausgewirkt haben. Entscheidend ist allein die Zweckbestimmung des Anstellungsbetriebs, hier also des VEB Kombinat OGS Bezirk H-Stadt. Dieser ist jedoch – wie ausgeführt – nicht als Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens zu qualifizieren.
Schließlich ist auch der VEB Kombinat OGS H-Stadt kein im Sinne von § 1 Abs. 2 der 2. DB einem volkseigenen Produktionsbetrieb gleichgestellter Betrieb. Die Festlegung, welche Betriebe gleichgestellt waren, wurde nicht in der Regierungsverordnung, sondern gemäß § 5 VO-AVItech in der Durchführungsbestimmung geregelt. Nach dieser Bestimmung werden volkseigenen Produktionsbetrieben gleichgestellt: Wissenschaftliche Institute; Forschungsinstitute; Versuchsstationen; Laboratorien; Konstruktionsbüros; technische Hochschulen; technische Schulen; Bauakademie und Bauschulen; Bergakademie und Bergbauschulen; Schulen, Institute und Betriebe der Eisenbahn, Schifffahrt sowie des Post- und Fernmeldewesens; Maschinen-Ausleih-Stationen und volkseigene Güter, Versorgungsbetriebe (Gas, Wasser, Energie); Vereinigungen volkseigener Betriebe, Hauptverwaltungen und Ministerien.
Die Klägerin war in dem VEB Kombinat OGS beschäftigt. Hierbei handelt es sich nicht um eine der dort genannten Einrichtungen. Insbesondere stellte der VEB Kombinat OGS H-Stadt keine Vereinigung volkseigener Betriebe (VVB) dar, sondern war vielmehr ein eigenständiger volkseigener Betrieb. Der Beschäftigungsbetrieb der Klägerin wurde weder in der Rechtsform des „VVB“ gegründet noch wurde er als „VVB“ in das Register der volkseigenen Wirtschaft eingetragen und hat auch nicht am 30. Juni 1990 unter der Bezeichnung „VVB“ firmiert. Ab 1. Januar 1980 existierten im Übrigen auch nur noch 6 VVB, nämlich VVB Industrielle Tierproduktion, VVB Saat- und Pflanzgut, VVB Tierzucht, VVB Zucker- und Stärkeindustrie, VVB Handelsbetriebe und VVB Warenhäuser CENTRUM (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20. November 2013, L 33 R 251/12, in juris Rn. 35 m. w. N.). Dabei kann dahinstehen, ob der VEB Kombinat OGS Zuständigkeiten hatte, die vor Einführung der Kombinate typischerweise von VVB als den Vorläufern der Kombinate erledigt wurden. Denn eine über den Wortlaut hinausgehende erweiternde Auslegung des § 1 Abs. 2 der 2. DB kommt nicht in Betracht. Vielmehr hat nach ständiger Rechtsprechung des BSG eine sich strikt am Wortlaut zu orientierende Auslegung zu erfolgen, damit die Neueinbeziehungsverbote, die aus dem zu Bundesrecht gewordenen Rentenangleichungsgesetz der DDR (vgl. Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet F Abschnitt III Nr. 8 zum Einigungsvertrag) und dem Einigungsvertrag (vgl. Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 9 Bst. A S. 1 Halbsatz 2 zum Einigungsvertrag) folgen, nicht unterlaufen werden (vgl. BSG, Beschluss vom 13. Februar 2008, Az. B 13 RS 133/07B, in juris Rn. 14).
Der Senat weist abschließend darauf hin, dass eine Anerkennung von Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum AAÜG auch dann nicht in Betracht kommt, wenn man (entsprechend der Auffassung der Beklagten) unter Berufung auf die Eintragungen im Sozialversicherungsausweis der Klägerin (ausgestellt vom VEB Großhandel OGS H-Stadt) sowie den Stempel „VEB Großhandel OGS H-Stadt – Stammbetrieb“ im Änderungsvertrag vom 15. Mai 1987 von einer Arbeitgebereigenschaft des VEB Großhandel OGS H-Stadt ausgeht. Denn ein Großhandelsbetrieb ist ersichtlich ebenfalls kein Produktionsdurchführungsbetrieb, dem unmittelbar die industrielle Massenproduktion von Sachgütern das Gepräge gibt. Betriebszweck ist vielmehr hier der Handel mit bereits produzierten Sachgütern. Großhandelsbetriebe fallen auch nicht unter die einem Produktionsbetrieb gleichgestellten Betriebe. In § 1 Abs. 2 der 2. DB sind Großhandelsbetriebe nicht aufgeführt. Die Klägerin könnte allenfalls dann dem AAÜG unterfallen, wenn sie zum 30. Juni 1990 bei einem der Produktionsbetriebe (VEB OGIS) beschäftigt gewesen wäre, in denen die diversen Lebensmittel verarbeitet worden sind. Der Senat kann hier offen lassen, ob die Auffassung des SG zutrifft, die Produktion und Bearbeitung von pflanzlichen Rohstoffen und Sachgütern stelle keine Sachgüterproduktion dar. Denn eine Beschäftigung der Klägerin bei einem der VEB OGIS wird von ihr schon nicht behauptet. Auch sprechen die vorliegenden Unterlagen (Sozialversicherungsausweis, Arbeitsverträge, schriftliche Aussage des Herrn F.) eindeutig gegen eine Beschäftigung der Klägerin dort.
Damit ist das AAÜG gemäß § 1 Abs. 1 AAÜG für die Klägerin nicht anzuwenden mit der Folge, dass für sie auch keine weiteren Arbeitsentgelte festzustellen waren.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Klägerin auch in der Berufungsinstanz erfolglos geblieben ist.
Gründe, die Revision zuzulassen (vgl. § 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.


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