Arbeitsrecht

Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz – fiktive Einbeziehung – betriebliche Voraussetzung – Betriebsumwandlung eines VEB in eine GmbH – Stichtag – Produktionsmittelübergang – “leere Hülle”

Aktenzeichen  B 5 RS 10/09 R

Datum:
15.6.2010
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BSG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BSG:2010:150610UB5RS1009R0
Normen:
§ 1 AAÜG
§ 5 AAÜG
§ 8 AAÜG
ZAVtIV
Art 9 EinigVtr
Art 17 EinigVtr
Art 19 EinigVtr
Anlage II Kap VIII H III Nr 9 EinigVtr
Anlage II Kap VIII H EinigVtr
Anl 1 Nr 1 AAÜG
§ 7 VoEigUmwV
§ 31 VoEigKombV
§ 37 VoEigKombV
§ 1 TreuhG
§ 11 TreuhG
§ 1 GmbHG
§§ 1ff GmbHG
§ 1 RVInkrsG
§ 18 RVInkrsG
Art 3 Abs 1 GG
§ 22 RAnglG
§ 19 ZGB DDR
Spruchkörper:
5. Senat

Leitsatz

1. Ansprüche und Anwartschaften sind auch dann aufgrund der “Zugehörigkeit” zu einem Versorgungssystem erworben, wenn aufgrund der am 30.6.1990 bestehenden Sachlage aus bundesrechtlicher Sicht ein fiktiver Anspruch auf Einbeziehung bestanden hat (Fortführung der stRspr des 4. Senats; vgl BSG vom 9.4.2002 – B 4 RA 3/02 R = SozR 3-8570 § 1 Nr 7).
2. Volkseigene Betriebe haben auf der Grundlage der Umwandlungsverordnung die Eigenschaft, sich als Wirtschaftssubjekt zu betätigen, vor dem 1.7.1990 nur und erst dann verloren, wenn die Registereintragung der Nachfolge-GmbH bis zum 30.6.1990 erfolgt war.

Verfahrensgang

vorgehend SG Dresden, 26. September 2008, Az: S 33 R 515/08, Urteilvorgehend Sächsisches Landessozialgericht, 8. September 2009, Az: L 4 R 583/08, Urteil

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 8. September 2009 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, die Zeit vom 1.1.1970 bis 30.6.1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) sowie die dabei erzielten Entgelte festzustellen.
2
Der im 1942 geborene Kläger besuchte erfolgreich die Ingenieurschule für Feinwerktechnik G. und erwarb am 16.1.1970 die Qualifikation eines Ingenieurs, Fachrichtung Technologie der Feinwerktechnik. Von Januar 1970 bis Dezember 1971 war er als Technischer Leiter beim Volkseigenen Betrieb (VEB) Z. und anschließend bis Dezember 1976 als Fachbereichsleiter Technik beim VEB S. im Kombinat Z. beschäftigt. Von Januar 1977 bis Dezember 1978 arbeitete er in gleicher Position und sodann bis Dezember 1980 als Betriebsleiter und Werkdirektor jeweils beim VEB R. Im Januar 1981 übernahm er die Objektleitung beim VEB-R. und ab Januar 1987 für vier Jahre die Leitung “Produktionswaagen”. Von Januar 1990 bis 30.6.1990 war der Kläger beim VEB R. Werkdirektor und danach bei dessen Rechtsnachfolgerin, der R. E. GmbH, Geschäftsbereichsleiter. Eine Versorgungszusage der AVItech erhielt er nicht. Seit dem 1.9.2007 bezieht er Regelaltersrente.
3
Am 30.6.1990 erklärten der VEB R. und die Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums (Treuhandanstalt), den VEB in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) umzuwandeln. Gleichzeitig übertrugen sie die Fondsmittel des VEB rückwirkend zum 1.6.1990 auf die neugegründete R. E. GmbH , die am 26.9.1990 ins Handelsregister eingetragen wurde.
4
Den Antrag des Klägers, seine Zusatzversorgungsanwartschaften festzustellen und zu überführen, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15.5.2007 ab. Widerspruch, Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben (Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 18.3.2008, Urteile des Sozialgerichts Dresden vom 26.9.2008 und des Sächsischen Landessozialgerichts vom 8.9.2009). Das LSG hat ausgeführt, für einen fiktiven Anspruch auf Einbeziehung in die AVItech fehle am 30.6.1990 (Stichtag) die betriebliche Voraussetzung. Denn der Kläger sei an diesem Tag um 24.00 Uhr weder in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens noch in einem gleichgestellten Betrieb tätig gewesen. Der VEB R. sei spätestens am 30.6.1990 auf Grund der Umwandlungserklärung und der rückwirkenden Übertragung seiner Fonds auf die teilrechtsfähige und nach außen handlungsfähige Vor-GmbH vermögenslos gewesen. Als “leere Hülle” habe er am Stichtag nicht mehr aktiv am Produktionsprozess teilnehmen können. Denn ein volkseigener Produktionsbetrieb habe nur dann industrielle Sachgüter produzieren können, wenn ihm entsprechende Fonds des einheitlichen staatlichen Volkseigentums zur Verfügung gestanden hätten. Versorgungsrechtlich bedeutungslos sei, dass die Umwandlung erst mit der später erfolgten Eintragung der GmbH in das Handelsregister wirksam geworden sei.
5
Mit der Revision, die das LSG zugelassen hat, rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts: Die Umwandlung und Übertragung von Fondsanteilen nach der “Verordnung zur Umwandlung von volkseigenen Kombinaten, Betrieben und Einrichtungen in Kapitalgesellschaften” (UmwVO) vom 1.3.1990 (GBl DDR I 107) sei am 30.6.1990 noch nicht vollendet gewesen, sondern erst mit der später erfolgten Eintragung der GmbH in das Handelsregister wirksam geworden. Der VEB R. habe am 30.6.1990 noch existiert und seine Produktionsmittel noch nicht an eine Vor-GmbH verloren, zumal das GmbH-Gesetz vom 20.4.1892, das in der DDR fortgegolten habe, diese Rechtsfigur gar nicht kenne. Im Übrigen gefährde die Auffassung des LSG die Verfassungsmäßigkeit der Stichtagsregelung.
6
           
Der Kläger beantragt,
        
die Urteile des Sächsischen Landessozialgerichts vom 8. September 2009 und des Sozialgerichts Dresden vom 26. September 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15. Mai 2007 und den Widerspruchsbescheid vom 18. März 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Zeit vom 1. Januar 1970 bis 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz sowie die erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.
7
           
Die Beklagte, die dem angefochtenen Urteil beipflichtet, beantragt,
        
die Revision zurückzuweisen.


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