Arbeitsrecht

Zum Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft – Begriff der Partnerschaft

Aktenzeichen  S 15 AS 697/16

Datum:
6.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB II SGB II § 7 Abs. 3 Nr. 3

 

Leitsatz

1. Zum Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft – Begriff der Partnerschaft – (amtlicher Leitsatz)
1 Eine eheähnliche Gemeinschaft liegt dann vor, wenn von beiden Partnern ein gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden kann. Nur wenn sich die Partner einer Gemeinschaft so sehr füreinander verantwortlich fühlen, dass sie zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt sicherstellen, bevor sie ihr persönliches Einkommen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse einsetzen, ist ihre Lage mit derjenigen nicht dauernd getrennt lebender Ehegatten im Hinblick auf die Bedürftigkeitsprüfung vergleichbar.  (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt i. S. v. § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II erfordert das Bestehen einer „Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft”. Entscheidend ist, dass der Haushalt von beiden Partnern geführt wird, wobei die Beteiligung an der Haushaltsführung von der jeweiligen wirtschaftlichen und körperlichen Leistungsfähigkeit der Partner abhängig ist. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Bescheid vom 23.03.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.06.2016 wird abgeändert und der Beklagte verurteilt, dem Kläger höhere vorläufige Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.04.2016 bis 30.09.2016 als Alleinstehender, ohne Anrechnung von Einkommen oder Vermögen des Zeugen B. zu gewähren.
II.
Die außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt der Beklagte.

Gründe

Die vor dem zuständigen Gericht erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage, § 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist zulässig.
Die Klage ist begründet.
Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Gewährung von höheren vorläufigen Leistungen nach dem SGB II im Zeitraum vom 01.04.2016 bis 30.09.2016 in gesetzlicher Höhe als Alleinstehender.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet bzw. die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig sowie hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige). Nicht erwerbsfähige Angehörige, die mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Sozialgeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches haben (§ 28 Abs. 1 Satz 1 SGB). Nach § 9 Abs. 1 SGB ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, aus dem zu berücksichtigen Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.
Zur Bedarfsgemeinschaft gehört nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 c) SGB II als Partnerin oder Partner des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten eine Person, die mit der erwerbsfähigen Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. § 7 Abs. 3 Nr. 3 c) SGB II normiert für das Vorliegen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft hiernach drei Voraussetzungen, die kumulativ vorliegen müssen:
Es muss sich in jedem Fall
1. um Partner handeln, die
2. in einem gemeinsamen Haushalt zusammenleben und dies
3. in einer Weise, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen
(vgl. Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 23.08.2012 – B 4 AS 34/12 R).
In Bezug auf § 7 Abs. 3 Nr. 3 lit. c) handelt es sich bei den Kriterien zu 1. und 2. (Partnerschaft und Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt) um objektive Tatbestandsvoraussetzungen, die nach der Systematik der Norm kumulativ zu der subjektiven Voraussetzung des Einstehens- und Verantwortungswillens gegeben sein müssen. Partnerschaft und Zusammenleben im gemeinsamen Haushalt sind indes zugleich Anknüpfungspunkte der Vermutung des § 7 Abs. 3a SGB II (Wolff-Dellen in Löns/Herold-Tews, SGB II, 3. Aufl. 2011, § 7 Rn. 31b).
Die subjektive Seite, dass die in einem Haushalt zusammenlebendenden Partner auch den gemeinsamen Willen füreinander Verantwortung zu tragen und füreinander einzustehen haben müssen, wird nach § 7 Abs. 3a SGB II bei positiver Feststellung einer der dort aufgezählten vier Fälle – die ebenso wie die beiden objektiven Kriterien von Amts wegen ermittelt werden müssen (§ 20 SGB X bzw. § 103 SGG) – vermutet. Es obliegt dann dem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, diese Vermutung zu widerlegen. § 7 Abs. 3a SGB II regelt mithin (nur) die subjektive Voraussetzung einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft und gibt mit den dort aufgezählten, nicht abschließenden (BT-Drucks 16/1410, 19) Fallgestaltungen Anknüpfungstatsachen mit deren Hilfe i. S. e. widerlegbaren Vermutung auf den inneren Willen, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, geschlossen werden kann (BSG, Urteil vom 23.08.2012 – B 4 AS 34/12 R; LSG Sachsen, Urteil vom 07.01.2011 – L 7 AS 115/09; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23.11.2011 – L 2 AS 842/11)
Schon der gesetzgeberischen Intention nach enthebt die Vermutungsregel des § 7 Abs. 3a SGB II weder Behörde noch Gericht vom Untersuchungsgrundsatz, nach dem der Sachverhalt von Amts wegen ermittelt und dabei alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen sind (BT- Drs. 16/1410, S. 19; Leopold in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 7, Rn. 174).
Der Begriff der Partnerschaft ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der keinen Ermessenserwägungen zugänglich ist.
Gemeint ist in § 7 Abs. 3 Nr. 3 lit. c SGB II eine Gemeinschaft, die nicht durch bloßes Zusammenleben begründet wird, sondern Ausschließlichkeitscharakter im Sinne einer Eheähnlichkeit aufweist und keine vergleichbare Lebensgemeinschaft daneben zulässt. Diese enge Auslegung ist geboten, um nicht die Bedürftigkeitsvermutung verfassungsrechtlich bedenklich auszuweiten (vgl. etwa Leopold in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 7 Rn. 172 m. w. N. und BSG, Urteil v. 23.08.2012 – B 4 AS 34/12 R). Aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Annahme einer eheähnlichen Gemeinschaft (BVerfG, Urteil vom 17.09.1992 – 1 BvL 8/87; Beschluss vom 02.09.2004 – 1 BvR 1962/04) erfordert § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II Bindungen der Partner in einem so engen Verhältnis, das von ihnen ein gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden kann. Nur wenn sich die Partner einer Gemeinschaft so sehr füreinander verantwortlich fühlen, dass sie zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt sicherstellen, bevor sie ihr persönliches Einkommen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse einsetzen, ist ihre Lage mit derjenigen nicht dauernd getrennt lebender Ehegatten im Hinblick auf die Bedürftigkeitsprüfung vergleichbar (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 22.12.2015 – L 7 AS 1619/15 B ER).
Ob eine derartige Partnerschaft vorliegt, ist anhand einer Gesamtwürdigung von Hinweistatsachen zu beurteilen. Solche – nicht abschließend aufzählbaren (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.04.2005 – L 9 B 6/05 SO ER – juris) – Indizien können sich u. a. aus der Dauer des Zusammenlebens ergeben. Ebenso kann auch die Dauer und Intensität der Bekanntschaft vor der Gründung der Wohngemeinschaft, der Anlass des Zusammenziehens, die Versorgung und Erziehung gemeinsamer Kinder oder sonstiger Angehöriger im gemeinsamen Haushalt oder die Pflege des bedürftigen anderen Partners, die das Zusammenleben prägt, zu berücksichtigen sein (vgl. Bayerisches LSG, Urteil v. vom 16.10.2008 – L 11 AS 368/07 – juris – m. w. N.).
Weitere Hinweistatsachen können sich aus der Ausgestaltung des Mietverhältnisses oder der Art des (räumlichen) Zusammenlebens ergeben, wobei das bloße Zusammenleben unter derselben Meldeadresse regelmäßig nicht zur Annahme einer Partnerschaft genügt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 02.09.2004 – 1 BvR 1962/04 – juris). So spricht das Nichtvorhandensein einer eigenen Intimsphäre innerhalb der Wohnung oder die gemeinsame Nutzung mehrerer Räume, insbesondere eines Schlafzimmers, für eine innere Bindung, wobei jedoch auch getrennte Wohn- oder Schlafbereiche nicht zwangsläufig zur Ablehnung der Annahme einer Partnerschaft führen wird. Auch der Frage, ob und inwieweit die Partner gemeinsam wirtschaften, ob etwa die Befugnis besteht, über Einkommen und Vermögen des jeweils anderen zu verfügen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.01.2006 – L 7 AS 5532/05 ER-B – juris), oder ob gar ein gemeinsames Konto besteht, kann Bedeutung zukommen. So stellt das Vorhandensein eines gemeinsamen Kontos zwar ein gewichtiges Indiz für das Vorliegen einer Partnerschaft dar, dessen Fehlen schließt eine solche jedoch nicht aus. Die Annahme einer Partnerschaft setzt hingegen nicht voraus, dass zwischen den Partnern geschlechtliche Beziehungen bestehen (vgl. BSG, Urteil vom 29.04.1998 – a. a. O. unter Hinweis auf BVerfG, Urteil vom 17.11.1992 – 1 BvL 8/87 – juris). Sind solche jedoch – ohne dass Ermittlungen durch den Leistungsträger in diese Richtung vorzunehmen sind (vgl. hierzu: BVerfG, Beschluss vom 17.11.1992 a. a. O.) – bekannt und damit verwertbar, so kann auch dies Indiz für eine enge innere Bindung sein.
Ein „Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt“ i. S. v. § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II erfordert das Bestehen einer „Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft“. Mithin bedarf es neben einem Zusammenleben auch einem „Wirtschaften aus einem Topf“. Dies bedeutet, dass die Partner in „einer Wohnung“ zusammenleben und die Haushaltsführung an sich sowie das Bestreiten der Kosten des Haushalts gemeinschaftlich durch beide erfolgen muss (vgl. BSG, Urteil vom 23.08.2012 – B 4 AS 34/12 R).
Die Anforderungen an das gemeinsame Wirtschaften gehen über die gemeinsame Nutzung von Bad, Küche und ggf. Gemeinschaftsräumen hinaus. Auch der in Wohngemeinschaften häufig anzutreffende gemeinsame Einkauf von Grundnahrungsmitteln, Reinigungs- und Sanitärartikeln aus einer von allen Mitbewohnern zu gleichen Teilen gespeisten Gemeinschaftskasse begründet noch keine Wirtschaftsgemeinschaft. Entscheidend ist, dass der Haushalt von beiden Partnern geführt wird, wobei die Beteiligung an der Haushaltsführung von der jeweiligen wirtschaftlichen und körperlichen Leistungsfähigkeit der Partner abhängig ist. Die Haushaltsführung an sich und das Bestreiten der Kosten des Haushalts müssen gemeinschaftlich durch beide Partner erfolgen, was allerdings nicht bedeutet, dass der finanzielle Anteil der Beteiligung am Haushalt oder der Wert der Haushaltsführung selbst gleichwertig sein müssen. Ausreichend ist eine Absprache zwischen den Partnern, wie sie die Haushaltsführung zum Wohle des partnerschaftlichen Zusammenlebens untereinander aufteilen (BSG, Urteil vom 23.08.2012 – B 4 AS 34/12 R und LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 22.12.2015 – L 7 AS 1619/15 B ER).
Der Beklagte hat im Rahmen seiner Ermittlungen den Umfang seiner Amtsermittlung deutlich verkannt. Im Rahmen des im Oktober 2014 durchgeführten Hausbesuches, den der Beklagte im Anschluss daran zum Anlass genommen hat, eine Bedarfsgemeinschaft anzunehmen, hat der Beklagte jegliche Amtsermittlung durch Einbeziehung des Klägers und des Zeugen B. unterlassen. Der Hausbesuch fand unter einer gänzlich anderen Prämisse statt, nämlich der Ermittlung des Heizbedarfs. Wenn sich dem Beklagten im Rahmen eines derartigen Hausbesuchs Anhaltspunkte für andere Ermittlungen aufdrängen, so hat er diesen im Rahmen seiner Amtsermittlung nachzugehen. Die hier durchgeführte Vorgehensweise des Beklagten, den Hausbesuch ohne jede Befragung des Klägers und des Zeugen B. zu beenden und im Anschluss eine Bedarfsgemeinschaft anzunehmen, grenzt an Willkürlichkeit.
Darüber hinaus ist grundsätzlich für jeden Bewilligungszeitraum, der nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts einen eigenen Streitgegenstand darstellt, erneut festzustellen, ob eine eheähnliche Gemeinschaft besteht oder nicht (Bayerisches LSG, Beschluss v. 02.08.2016 – L 7 AS 461/16 B ER). Hiernach hätte sich dem Beklagten nach dem gemeinsamen Umzug des Klägers und des Zeugen B. in eine neue Wohnung im Mai 2015 eine neue Ermittlung – gerade infolge des vorherigen Ermittlungsausfalls – aufdrängen müssen.
Nach Durchführung der gerichtlichen Ermittlungen – die Befragung des Klägers und des Zeugen B. in der mündlichen Verhandlung am 06.09.2016 – liegt unter Berücksichtigung der o. g. Voraussetzungen zur Überzeugung der erkennenden Kammer keine Partnerschaft im Sinne der Rechtsprechung vor.
Zwischen dem Kläger und dem Zeugen B. besteht zur Überzeugung der Kammer keine Liebesbeziehung. Es handelt sich vielmehr um eine kumpelhafte Männerfreundschaft, die sich in Anbetracht der ständigen Probleme mit dem Beklagten und den diesseitigen Vorgängen in wiederkehrende Streitigkeiten rund um die Mietzahlungen geändert hat. Die Angabe des Klägers als „Partner“ hat dieser im Rahmen der mündlichen Verhandlung klar gestellt. Mangels Wissen um die zweideutige Begrifflichkeit des Wortes, wollte dieser glaubhaft ausschließlich einen WG-Partner mitteilen.
Beide haben übereinstimmend dargelegt, dass das Problem um die nunmehr ausbleibende gänzliche Mietübernahme durch den Beklagten einen Streitpunkt darstellt und im Falle der weiteren Behandlung als Bedarfsgemeinschaft die Fortführung des gemeinsamen Haushaltes fragwürdig ist, da der Zeuge B. nicht willens ist, den Kläger finanziell zu unterstützen. Eine gegenseitige finanzielle Unterstützung lag ohnehin zu keinem Zeitpunkt vor, weder betreffend die Mietzahlungen, noch betreffend die Einkäufe des täglichen Lebens.
Der Zeuge B. geht zur Überzeugung der Kammer sogar davon aus, dass er selbst gar keine Leistungen von dem Beklagten bezieht, kennt also offensichtlich die Leistungsbescheide, in denen die Leistungen auch für ihn ausgewiesen sind nicht. Der Beklagte überweist auch nur noch den Mietanteil des Klägers auf das Konto des Zeugen B., alle anderen Leistungen, d. h. insbesondere aktuell den Mietanteil des Zeugen selbst, auf das Konto des Klägers. Es ist deutlich, dass eine Kommunikation zwischen dem Kläger und dem Zeugen rund um die vom Beklagten durchgeführte Leistungsberechnung überhaupt nicht existiert. Alleiniger Leistungsbegehrer ist der Kläger, der Zeuge selbst geht davon aus, überhaupt keinen Leistungsantrag gestellt zu haben.
Eine gemeinsame Haushaltskasse existiert im Übrigen nicht.
Ein gemeinsames Einkaufen findet zwar zeitweilig statt, dies aber dergestalt, dass jeder selbst seine Einkäufe an der Kasse bezahlt. Die Hintergründe um die Angabe des Klägers im Rahmen einer Darlehensbeantragung „um für zwei Personen essen zu kaufen“ haben dieser sowie der Zeuge in der mündlichen Verhandlung glaubwürdig dargelegt und dabei widerlegt, dass gemeinsam auf gemeinsame Kasse eingekauft werde.
In der Küche befinden sich zwei Kühlschränke, folglich für jeden separat und jeder verfügt über sein eigenes Geschirr, so dass nicht einmal diesbezüglich eine gemeinsame Nutzung erfolgt. Einen gemeinsamen Freundeskreis gibt es nicht. Feiertage, insbesondere Weihnachten werden nicht gemeinsam verbracht. Letztes Weihnachten hat der Kläger glaubhaft mit einer Bekannten verbracht, der Zeuge B. hat gearbeitet und ist nach eigener Aussage froh, diese Zeiten in der Arbeit verbringen zu können.
Bestehende Widersprüche in den Aussagen um die Putzgewohnheiten und die Maschinenwäsche zeugen mehr vom Wahrheitsgehalt der beiden Aussagen, als dass von einer Falschaussage auszugehen wäre. Die subjektiven Empfindungen gerade um den Bereich der Haushaltstätigkeiten sind gewohnheitsgemäß unterschiedlich und zeigen, dass sich der Kläger und der Zeuge wohl gerade nicht betreffend ihrer Aussagen vor ihrer Vernehmung abgestimmt haben. Es ist lebensüblich, dass die subjektive Eigenwahrnehmung, wie viel man selbst an Haushaltstätigkeiten übernimmt, nicht mit der Wahrnehmung von anderen in Einklang geht. Eben dies spiegelte sich in den Aussagen des Klägers und des Zeugen wider.
Übereinstimmend haben beide weiter erklärt, dass weder gemeinsam gekocht wird, noch dass es gemeinsame Unternehmungen gibt, noch gemeinsame Freunde. Es mangelt gänzlich an einem gemeinsamen Leben. Der jeweils andere konnte weder konkrete Angaben zu den Freizeitgewohnheiten des Anderen, noch zu dessen Beziehungsstatus machen, was für einen eher rudimentären Gesprächsaustausch spricht.
Die Begründung für das weitere Zusammenwohnen, obgleich ursprünglich nur als Übergangslösung gedacht, gaben beide nachvollziehbar mit der schwierigen finanziellen Lage und den hohen Wohnungspreisen in A-Stadt an.
Gemeinsame Anschaffungen haben beide nicht getätigt. Auch der Umzug erfolgte rein mit vorhandenen Möbeln, ohne Neuanschaffungen. Darüber hinaus musste jeder der beiden seinen jeweiligen Umzug selbst organisieren. Den des Klägers finanzierte der Beklagte, der Zeuge B. musste seinen Umzug selbst organisieren.
Die gemeinsame Nutzung des Wohnzimmers spricht zwar für eine eher geringe Privatsphäre des Zeugen, vermag aber in der Gesamtschau keine Bedarfsgemeinschaft zu begründen. Der Kläger hat angegeben, dass gerade wenn abends Besuche etwa durch die Nachbarin erfolgen, er sich mit dieser in der Wohnküche aufhält. Diese ist mit einem Tisch und Stühlen ausgestattet. Außerdem verfügen Kläger und Zeuge je über einen eigenen Fernseher, so dass auch keine gemeinsame Abendgestaltung besteht. Gemeinsames Kochen findet nicht statt, zum einen aufgrund der Arbeitszeiten des Zeugen (Rückkehr von der Arbeit oft erst gegen 21 Uhr) und zum anderen aufgrund der jeweiligen Essensgewohnheiten beider, die stark voneinander abweichen. Selbst mit der aktuellen Krankschreibung des Zeugen hat sich an der Essensgestaltung nichts geändert.
Wie in den obigen rechtlichen Ausführungen dargelegt, bedarf die Annahme einer Bedarfsgemeinschaft nicht zwingend einer sexuellen Beziehung, wenn andere Komponenten in der Gesamtschau auf anderem Wege eine nichteheliche Lebensgemeinschaft begründen können. Dennoch bedarf es auch bei einer fehlenden sexuellen Beziehung einem nicht unerheblichen gesellschaftlichen Miteinander, was beim Kläger und beim Zeugen sehr offensichtlich fehlt.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung ist von Seiten des Gerichts beim Sitzungsvertreter des Beklagten zu hinterfragen versucht worden, aus welchen Komponenten dieser das Vorliegen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft abzuleiten vermag. Die Nachweispflicht hierfür obliegt schließlich dem Beklagten. Mit der pauschalen Aussage, dass die Aussagen des Zeugen und des Klägers unglaubwürdig seien, verkennt der Beklagtenvertreter die umfassend nötige Würdigung der Aussagen indes und verkennt auch die Pflicht der Behörde, einen objektiven Bewertungsmaßstab bei seiner Beurteilung anzulegen.
Die Aussagen des Klägers und des Zeugen waren für die erkennende Kammer – gerade auch wegen der einzelnen oben genannten Widersprüche – glaubwürdig und in ihrer Gesamtheit aufzuarbeiten. Bei Beachtung sämtlicher von der Rechtsprechung aufgestellter Grundsätze für die Beurteilung einer Bedarfsgemeinschaft erfüllen der Kläger und der Zeuge vorliegend keine einzige Voraussetzung, welche in die Bewertung einzufließen hat. Im Einzelnen fällt darunter
– Fehlende sexuelle Beziehung
– Fehlende gemeinsame Freizeitgestaltung
– Fehlende gemeinsame Haushaltskasse
– Fehlendes gemeinsames Konto
– Fehlende gegenseitige finanzielle Unterstützung
– Fehlende gemeinsame Einnahme von Mahlzeiten
– Fehlende gemeinsame Haushaltsführung
– Fehlender Wille für finanzielle Haftung für den anderen
Selbst innerhalb einer Studenten-WG dürfte man eine größere gemeinsame Freizeit- und Haushaltsgestaltung finden, als beim Kläger und dem Zeugen. Die Annahme einer Bedarfsgemeinschaft liegt hier fern und kann sicher nicht dadurch begründet werden, dass überhaupt ein Zusammenzug erfolgt ist oder dann gelegentlich der Weg zum Supermarkt gemeinsam angetreten wird.
Der Klage war hiernach vollumfänglich stattzugeben.
Die Kostenfolge basiert auf § 193 SGG.


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