Arbeitsrecht

Zur Geltendmachung und Berechnung der Pauschgebühr für die Tätigkeit als Pflichtverteidiger und -beistand – Voraussetzung für Vorschussgewährung

Aktenzeichen  1 AR 209/17-1 AR 222/17

Datum:
1.6.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 116555
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
RVG § 42 Abs. 1 S. 4, § 51 Abs. 1 S. 1, S. 5

 

Leitsatz

1 Die Zahlung einer Pauschgebühr für die Tätigkeit als Verletztenbeistand nach § 51 Abs. 1 S. 1 RVG ist erst mit dem Abschluss des Verfahrens fällig, für das der Verletztenbeistand bestellt ist. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der nach § 51 Abs. 1 S. 5 RVG zu zahlende Vorschuss ist ein Ausgleich dafür, dass der Pflichtverteidiger, während er das Pflichtverteidigermandat bearbeiten muss, keine oder nur unbedeutende Umsätze erzielen kann und dadurch in eine wirtschaftlich existenzgefährdende Lage gerät. Deshalb sind unabhängig davon, ob eine reale Existenzgefährdung verlangt werden kann, jedenfalls Angaben des Pflichtverteidigers zu erheblichen Einschränkungen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit als Rechtsanwalt geboten, die er durch die Ausübung seines Pflichtmandats erlitten hat. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3 Für Pflichtverteidiger und -beistände kann die gesetzlich vorgesehene Höchstgrenze einer Pauschgebührenfestsetzung für Wahlverteidiger (§ 42 Abs. 1 S. 4 RVG) grundsätzlich nicht überschritten werden. Deshalb wird eine Pauschgebühr nach § 51 Abs. 1 S. 1 RVG in der Regel das Doppelte der dem Wahlbeistand zustehenden Höchstgebühren nicht überschreiten können. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
4 Bei der Festsetzung von Pauschgebühren kommt eine Abrechnung nach aufgewendeter Arbeitszeit nicht in Betracht. Die Arbeitszeit kann nur Indiz für Umfang und Schwierigkeit des Verfahrens, nicht aber unmittelbarer Maßstab für die Entscheidung über die Bewilligung einer Pauschvergütung sein (im Anschluss an BGH BeckRS 1995, 05875). (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Der Antrag des Rechtsanwalts W. D. auf Gewährung eines Vorschusses wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
Der Antragsteller vertritt die 15 Nebenklageberechtigten im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren des Generalstaatsanwalts wegen des „Oktoberfestattentats“ vom … Beschlüssen der Ermittlungsrichterin beim Bundesgerichtshof vom 08./09.02.2016 als Verletztenbeistand beigeordnet, §§ 406g Abs. 1, Abs. 3 S. 1 Nr. 1StPO (a.F.), 397a Abs. 1 StPO. Für die Entscheidung über den Antrag des Beistandes vom 28.04./25.05.2016 auf Gewährung einer Pauschalvergütung hat sich die Ermittlungsrichterin des Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 08.06.2016 für nicht zuständig erklärt.
Der Generalbundesanwalt beantragte mit Schreiben vom 07.12.2016 den Antrag des Beistandes zurückzuweisen.
Die Bezirksrevisorin hat in ihrer Stellungnahme vom 06.02.2017 die Gewährung eines Vorschusses in Höhe des Doppelten der Höchstgebühren eines Wahlbeistandes (also 2x 1830.- €) für angemessen gehalten und die Entscheidung im übrigen in das Ermessen des Senats gestellt.
Der Antragsteller hat mit Schreiben vom 09.03.2017 Stellung genommen. Er hält an seinem Antrag auf Gewährung eines Vorschusses in Hohe von 88.000,- € bis 110.000,- € fest.
Der Einzelrichter hat die Sache mit Beschluss vom 17.05.2017 dem Senat in der Besetzung mit 3 Richtern zur Entscheidung übertragen, §§ 51 Abs. 2 S. 4. 42 Abs. 3 S. 2 RVG.
II.
Der Antrag war aus folgenden Gründen zurückzuweisen.
1. Die Zahlung einer Pauschalgebühr ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats erst mit dem Abschluss des Verfahrens für das der Antragsteller bestellt ist, fällig (so auch OLG Braunschweig, B.v. 25.04.16, KG Berlin B. v. 15.04.15, OLG Celle B. 16.6.16, 1 Ars 34/16 P, juris -).
2. Der somit (nur) in Betracht kommende Vorschuss setzt nach dem Wortlaut des § 51 Abs. 1 S. 5 RVG voraus, dass dem Rechtsanwalt „insbesondere wegen der langen Dauer des Verfahrens und der Höhe der zu erwartenden Pauschgebühr nicht zugemutet werden kann, die Festsetzung der Pauschalgebühr abzuwarten“ (Hiervon OLG). Daran fehlt es.
a) Vorliegend ist der Antragsteller seit knapp 35 Jahren für Geschädigte des Oktoberfestattentats tätig. Für seine Tätigkeit im vorliegenden Verfahren werde er im Jahre 2008 – mithin vor 9 Jahren (erneut) mandatiert. Nach eigenen Angaben hat er für seine Tätigkeit während des gesamten Zeitraumes keine Zahlungen erhalten. Bereits aus diesem Grund erscheint es für ihn nicht unzumutbar, die – nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens allerdings naheliegende – Festsetzung einer Pauschgebühr abzuwarten.
b) Ein Vorschuss ist ein Ausgleich dafür, dass der Pflichtverteidiger während er das Pflichtverteidigermandat bearbeiten muss, keine oder nur unbedeutende Umsätze erzielen kann (zit. BverfG, B. v. vom 01. Juni 2011 – 1 BvR 3171/10 – dort Rn. 37, juris) und dadurch in eine wirtschaftlich existenzgefährdete Lage gerät. Der Staat darf den hoheitlich in Anspruch genommenen Pflichtverteidiger nicht sehenden Auges in eine existenzgefährdete Situation bringen, indem er ihm den Vorschuss auf die mit Sicherheit zu erwartende Pauschvergütung vorenthält und ihn auf eigene Anstrengungen zur Beseitigung der Existenzgefährdung verweist (zit. BverfG a.a.O. Rn 39). Der Senat hält daher – unabhängig davon, ob eine reale „Existenzgefährdung“ verlangt werden kann – jedenfalls Angaben des Antragstellers zu erheblichen Einschränkungen seiner wirtschaftschaftlichen Tätigkeit als Rechtsanwalt, die er durch die Ausübung seines Pflichtmandates erlitten hat, für geboten. Trotz eines entsprechenden Hinweises an den Antragsteller vom 08.02.2017 fehlt es daran vorliegend jedoch vollständig. Aus den vom Antragsteller vorgetragenen und glaubhaft gemachten bisherigen Tätigkeiten (mindestens 880 Stunden), entsprechend 110 Arbeitstage in 34 Jahren) ergibt sich jedenfalls keine Belastung, die ihn währenddessen an der Übernahme und Bearbeitung anderer Mandate nachhaltig und auf Dauer gehindert hätte.
c) Auch die Höhe des beantragten hohen Vorschusses geht im Übrigen fehl, da dieser die letztlich zu erwartende Pauschgebühr nicht überschreiten darf.
Eine solche ist zwar angesichts des exorbitanten Umfanges des überaus bedeutsamen Verfahrens und des glaubhaft gemachten, hohen Aufwandes des Antragstellers zu erwarten. Eine Pauschgebühr wird wegen der Vorschrift des § 42 Abs. 1 S. 4 RVG jedoch in der Regel das Doppelte der dem Wahlbestand zustehenden Höchstgebühren nicht überschreiten können. Der Senat ist der Auffassung, dass die gesetzlich vorgesehene Höchstgrenze einer Pauschgebührenfestsetzung für Wahlverteidiger – nämlich ohne Verdoppelung der Höchstgebühren – für Pflichtverteidiger (und –beistände) grundsätzlich nicht überschritten werden kann. Immerhin ist die Bestellung zum Pflichtverteidiger eine besondere Form der Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken. Dass der Vergütungsanspruch des Pflichtverteidigers unter den Rahmengebühren des Wahlverteidigers liegt, ist durch einen gemeinwohlorientierten Interessenausgleich gerechtfertigt, sofern die Grenze der Zumutbarkeit für den Pflichtverteidiger gewahrt ist. (vgl. BverfG, 06.11.1984, 2 BvL16/83, BverfGE 66, 237 253 ff. Hervorh. OLG). Daraus folgt nach Auffassung des Senats, dass der Pflichtverteidiger und der bestellte Beistand jedenfalls besser als Wahlverteidiger (anders als Pflichtverteidiger) gem. § 3a RVG eine höhere Vergütung vereinbaren können (Burhoff in Gerold/Schmitt, Komm. zum RVG, 22. Aufl., Rn. 41 zu § 51 m.w.N.), bei außergewöhnlich umfangreichen Verfahren auch vereinbaren werden und notfalls ein wirtschaftlich unzumutbares Wahlmandat beenden können. Vorliegend hat der Antragsteller jedoch – obwohl er vor seiner erst im Jahr 2016 erfolgten Bestellung über Jahrzehnte für eine Vielzahl von Mandaten tätig war – von einer solchen Vergütungsvereinbarung abgesehen und damit zu erkennen gegeben, dass ihm – jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt – die durch § 42 Abs. 1 S. 1 RVG beschränkten Maximalgebühren ausreichen.
Soweit der Antragsteller – wie bereits oben erwähnt – in seinem Antrag vom 28.04.2016 Berechnungen über geleistete Arbeitsstunden anstellt und daraus (fiktive) Verhandlungs- bzw. Arbeitstage ableitet, die er in Anlehnung an die Gebührenordnung abrechnet und zum Ausgangspunkt seiner Forderung macht, ist auf folgendes hinzuweisen: Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kommt bei der Festsetzung von Pauschgebühren eine Abrechnung nach aufgewendeter Arbeitszeit, die von zahlreichen Unwägbarkeiten und individuellen Faktoren beeinflusst sein kann nicht in Betracht. Die Arbeitszeit kann vielmehr nur Indiz für Umfang und Schwierigkeit des Verfahrens sein, nicht aber unmittelbarer Maßstab für die Entscheidung über die Bewilligung einer Pauschvergütung (BGH Rpfleger 1996, 169 Rdn. 9 nach juris) Das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz will zwar im Gegensatz zur Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung den Zeitaufwand des Rechtsanwalts stärker berücksichtigen. Es hat aber nicht Zeithonorare eingeführt, sondern es grundsätzlich bei Betragsrahmengebühren belassen (vgl. OLG Hamm Beschluss vom 13.03.2013 – 5 RVGs 108/12, Rdn. 19 nach juris) und lediglich bei den Terminsgebühren hinsichtlich der Zeitdauer der Hauptverhandlungstermine Abstufungen eingeführt (zit. OLG Nürnberg, Beschluss vom 30. Dezember 2014 – 2 AR 36/14 – juris).


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