Arbeitsrecht

Zur “konkreten” Erforderlichkeit der Beiziehung einer sachkundigen Person (§ 17 Abs. 1 MAVO)

Aktenzeichen  1 MV 19/16

Datum:
8.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Kirchliches Arbeitsgericht
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Kirchengerichte
Normen:
KAGO KAGO § 3 Abs. 1 S. 1, § 12 Abs. 1 S. 2, § 27, § 30 S. 2
MAVO-München/Freising § 17 Abs. 1, § 36 Abs. 1, § 38 Abs. 1
MAVO § 17 Abs. 1, § 36 Abs. 1, § 38 Abs. 1
ZPO ZPO § 264

 

Leitsatz

1 Liegt eine durch objektive Indizien unterlegte Wahrscheinlichkeit für eine Behinderung der (kirchen-) gesetzlichen Aufgabe der Mitarbeitervertretung vor, bleibt eine Rüge durch die Mitarbeitervertretung erfolglos und kommt keine innerkirchliche oder berufsständische Institutionen für eine geeignete Beratung/Unterstützung in Frage, kann die Mitarbeitervertretung gem. § 17 Abs. 1 S. 2 MAVO einen Rechtsanwalt als sachkundige Person auf Kosten des Dienstgebers beianziehen (hier verneint). (Rn. 18 – 24) (red. LS Ulf Kortstock)
2 Lehnt eine Mitarbeitervertretung Verhandlungen über den Abschluss einer Dienstvereinbarung unter Berufung auf die von ihr angenommene Zuständigkeit der Gesamtmitarbeitervertretung ab und drängt die Dienstgeberseite die Mitarbeitervertretung auch nicht weiter zu Verhandlungen, besteht zunächst kein Anspruch der Mitarbeitervertretung gem. § 17 Abs. 1 S. 2 MAVO auf Beiziehung eines Rechtsanwalts als sachkundige Person auf Kosten des Dienstgebers. (Rn. 25 – 27) (red. LS Ulf Kortstock)

Tenor

i. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die notwendigen Auslagen der Klägerin (anwaltliche Vertretung) für dieses Verfahren trägt der Beklagte.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Klage ist in der zuletzt beantragten Form zulässig.
Der Rechtsweg/ die sachliche Zuständigkeit des Kirchlichen Arbeitsgerichts ist gegeben, da eine Streitigkeit aus dem Mitarbeitervertretungsrecht vorliegt (§ 2 Abs. 2 KAGO).
Die teilweise Neuformulierung der Klageanträge (vorrangiger Leistungsantrag anstelle Feststellung) beinhaltet keine unzulässige Klageänderung (§§ 27 KAGO, 46 Abs. 2 ArbGG, 264 ZPO). Selbst wenn, läge eine Fiktion der Einwilligung des Beklagten vor (§ 30 S.2 KAGO), da er ohne Widerspruch seinen Sachantrag gestellt hat. Das Kirchliche Arbeitsgericht für die Bayerischen (Erz-) Diözesen ist nach § 3 Abs. 1 Satz 1 KAGO auch örtlich zuständig, weil der Beklagte seinen Sitz in dessen Gerichtsbezirk hat.
Der objektiven Klagehäufung (§ 260 ZPO) begegnen keine rechtlichen Bedenken.
II.
Die Klage ist unbegründet.
Zugunsten der Klägerin kann die Kammer des Kirchlichen Arbeitsgerichts eine Zustimmungspflicht des Beklagten für Kostenübernahme einer sachkundigen Person weder für die Prüfung einer möglichen Behinderung noch zur Beratung/Unterstützung bei Verhandlungen über den Abschluss einer DV zur Dienstplangestaltung und Arbeitszeitkonten erkennen (§ 17 Abs. 1, S. 2, 2. Spiegelstrich MAVO-München/ Freising [im Folgenden: MAVO]).
1. Der Dienstgeber kann zur Übernahme der durch die Beiziehung einer sachkundigen Person seitens der MAV entstandenen Kosten verpflichtet sein. Dabei müssen jedoch folgende tatbestandliche Voraussetzungen erfüllt sein:
– Die Beiziehung muss im Rahmen und zur ordnungsgemäßen Erfüllung der Aufgaben der MAV geschehen. Es muss sich also um originäre Rechte und Pflichten der MAV aus der MAVO handeln.
– Für die Beiziehung muss eine konkrete Erforderlichkeit bestehen, also der von außen zu gewinnende Sachverstand muss für die sachgerechte Bewältigung der MAV- Aufgaben existentiell sein. Im Rahmen des der MAV abzuverlangenden Abwägungsgebots ist insbesondere zu prüfen, ob kostenschonendere Möglichkeiten zur Erlangung einer entsprechenden Sachkenntnis bestehen, so z. B. vorhandene Fachkenntnisse/Schulungen oder innerverbandliche Beratung und Aufklärung (vgl. Freiburger Kommentar [FK]/Joussen, § 17 MAVO Rdnr. 28/29).
– Es muss die (vorherige) Zustimmung des Dienstgebers zur Beiziehung eingeholt worden sein. Dabei darf die Zustimmung aber nicht missbräuchlich verweigert werden (§ 17 Abs. 1, S.2, 2. Spiegelstrich, Halbsatz 2 MAVO). Sie kann Gegenstand einer (Leistungs-) Klage vor dem Kirchlichen Arbeitsgericht sein (FK/Joussen, a.a.O., Rdnr. 32)
2. Für das von der Klägerin geltend gemachte Erfordernis der Beiziehung wegen der Prüfung ihrer möglichen Behinderung ergibt sich in der Subsumtion obiger Grundsätze Folgendes:
Es ist ohne Weiteres davon auszugehen, dass eine MAV ihre Tätigkeit frei von Behinderungen durch die Dienstgeberseite auszuüben in der Lage sein muss. Gegenüber tatsächlichen Behinderungen besteht ein – durchsetzbarer – Abwehranspruch (vgl. Eichstätter Kommentar [EK]/Weber, § 18 Rdnr.34; Thiel/Fuhrmann/Jüngst, MAVO-Kommentar, § 18 Rdnr.14). In diesem Kontext kann es für die jeweils betroffene MAV auch den Bedarf für die Beratung durch eine sachkundige Person geben. Allerdings kann ein solches Bedürfnis nicht allein aus den subjektiven Befindlichkeiten der einzelnen MAV hergeleitet werden. Aus Rechtsgründen ist zufordern, dass für die von der MAV befürchteten Behinderungen zumindest ein erkennbares Maß an objektiven Indizien streitet. Andernfalls wäre eine lediglich subjektiv wahrgenommene Behinderungsvermutung und die daraus abgeleitete Kostenübernahme für eine sachkundige Beratung eine rechtlich kaum mehr eingegrenzte Kostenlast für den Dienstgeber. Solches entspricht erkennbar nicht der Teleologie der Bestimmungen aus §§ 17 Abs. 1, S.2, 18 Abs. 1 MAVO.
Eine solche durch objektive Indizien unterlegte Wahrscheinlichkeit zur vermuteten Behinderung ihrer (kirchen-) gesetzlichen Aufgaben hat die Klägerin hier nicht dargelegt. So hat sie lediglich vorgetragen, der Beklagte habe im Nachgang zu den gescheiterten Verhandlungen auf der Ebene der Gesamt-MAV einseitige Schuldzuweisungen gegenüber den Organen der Mitarbeitervertretungen erhoben sowie durch die örtliche Heimleitung unrichtige Informationen verbreiten lassen. Weiter seien bei mehreren Terminen durch die örtlichen Führungskräfte sehr kritische Äußerungen über die Arbeit der Klägerin gefallen und auch erklärt worden, die Wiederwahl der bisherigen Mitglieder der Klägerin sei untragbar. Auch habe die örtliche Heimleitung es zugelassen, dass (kritische) Unterschriftslisten in der Einrichtung ausgelegt werden konnten.
Ob die Klägerin damit ein erkennbares Maß an objektiven Indizien für eine Behinderung dargelegt hat, ist höchst zweifelhaft. Es ist nämlich völlig zweifelsfrei, dass der Dienstgeber bei strittigen Themen des Mitarbeitervertretungsrechts einen kritischen, inhaltlich auch zugespitzten Standpunkt einnehmen darf, ohne dass solches umgekehrt gleich zu einer Behinderung der MAV-Arbeit führen würde. Dies gebietet schon die allgemeine Meinungsfreiheit und die Wahrnehmung berechtigter Interessen (vgl. Thiel/Fuhrmann/Jüngst, a.a.O., § 18 Rdnr.6). Dass die insoweit gegebenen Grenzen von dem Beklagten überschritten worden wären, ist für die Kammer nicht ersichtlich geworden. Dabei war auch zu berücksichtigen, dass der Beklagte die Klägerin zu keinem Zeitpunkt gehindert hat, ihre eigene Position gegenüber der Mitarbeiterschaft darzulegen. Dies ist von der Klägerin nicht in prüfungsfähiger Form bestrittenen worden.
Im Weiteren fehlt es aber insbesondere an der Erforderlichkeit der Beiziehung einer außenstehenden sachkundigen Person. Der Beklagte hat nämlich ausgeführt, die Klägerin habe bis zu ihrem Beiziehungsbeschluss vom 19.09.2016 zu keinem Zeitpunkt eine (mögliche) Behinderung ihrer Arbeit durch die Organe des Beklagten reklamiert. Dem ist die Klägerin nicht in rechtserheblicher Weise entgegengetreten. Eine solche Rüge der (möglichen) Behinderung muss aber der Klägerin deshalb abverlangt werden, damit der Beklagte selbst ggf. ein rechtstreues Verhalten in der Einrichtung wiederherstellen kann. Dies ist hier auch deshalb geboten, weil die verantwortlich für den Beklagten handelnden Personen auf der Ebene der Diözesanleitung angesiedelt sind und deshalb nicht über jeden örtlichen Vorgang Kenntnis besitzen. Aus der Sicht der erkennenden Kammer ist es deshalb der Klägerin zuzumuten, vor der Inanspruchnahme eines außenstehenden Sachverstandes die Reaktion der diözesanen Leitungsebene des Beklagten abzuwarten. Dem ist die Klägerin nicht gerecht geworden. Weiter ist im Rahmen der Erforderlichkeit auch zu prüfen, ob innerkirchliche oder berufsständische Institutionen für eine geeignete Beratung/Unterstützung in Frage kommen (vgl. KAG Hamburg v. 14.04.2016, 1 MAVO 25/15; KAG Mainz v. 25.11.2010, M 20/10 Lb). Nach den Erklärungen der Parteien in der mündlichen Verhandlung ist dazu der juristische Berater der KAB München jedenfalls grundsätzlich in der Lage. Die Klägerin ist dort nicht vorstellig geworden, weil sie den KAB-Juristen für überlastet hielt. Eine solch subjektive Hypothese kann hier nicht genügen. Dies vor allem deshalb, weil es sich bei der Prüfung einer (möglichen) Behinderung in Anbetracht des hiesigen Tatsachenstoffs nicht um ein so komplexes und zeitaufwändiges Problem gehandelt hätte.
Insgesamt war danach ein Anspruch aus § 17 Abs. 1, S.2, 2. Spiegelstrich MAVO zugunsten der Klägerin nicht erkennbar.
3. Für die begehrte Beiziehung einer sachkundigen Person wegen Beratung/ Unterstützung zum Abschluss einer örtlichen DV über Dienstplangestaltung und Arbeitszeitkonten kann die Klage ebenfalls nicht erfolgreich sein:
Zweifelsfrei gehört der Abschluss von DV über die Mitbestimmungstatbestände nach §§ 36 Abs. 1 Nr.1, 38 Abs. 1 Nr.2 MAVO zu den originären Aufgaben der MAV. Dies entbindet jedoch nicht von der Prüfung der Erforderlichkeit für eine außenstehende sachkundige Beratung bei den Verhandlungen oder dem Abschluss einer solchen DV. Nun mögen die Verhandlungen über den Inhalt einer DV zur Dienstplangestaltung in Ausfüllung des Regelwerks der AVR-Caritas eine gewisse Komplexität durchaus beinhalten. Es ist jedoch zu fragen, ob sich vor dem Hintergrund des Verhandlungsstandes der Beratungsbedarf für die Klägerin schon hinreichend aktualisiert hatte. Der Beklagte hat dazu vorgetragen, die Klägerin habe auf eine Anfrage zum Abschluss einer örtlichen DV ablehnend reagiert, weil sie (die Klägerin) von einer Zuständigkeit der Gesamt-MAV ausgehe. Dies hat der Vorsitzende der Klägerin in der mündlichen Verhandlung weitgehend bestätigt, als er dort erklärte, er habe die Bereitschaft zu Verhandlungen über eine (örtliche) DV für den Fall bekundet, dass (kirchengerichtlich) die Zuständigkeit zwischen Gesamt-MAV und örtlicher MAV entschieden sei. Eine solche Klärung in einem Hauptsacheverfahren war aber im Herbst 2016 in keiner Weise geschehen; im Gegenteil, die Gesamt-MAV betrieb vor der Einigungsstelle ein Verfahren zum Abschluss einer Ge-samt-DV. Dieses Einigungsstellenverfahren war im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung in dem hiesigen Verfahren noch immer nicht abgeschlossen. Der Vorsitzende der Klägerin wusste als Mitglied der Gesamt-MAV über all diese Umstände auch hinlänglich Bescheid. Für eine Aktualisierung des dem Grunde nach bestehenden Beratungsbedarfs war demnach nichts erkennbar. Dies gilt weiter auch deshalb, weil die Klägerin nicht vorgetragen hat, dass der Beklagte nach ihrer (vorläufigen) Ablehnung der Verhandlungen weiter in aktiver Weise auf sie eingedrungen wäre, um sie an den „Verhandlungstisch“ zu bringen. Solange also die Verhandlungen nicht in eine aktive Phase eingetreten waren, kann die Kammer keinen Beratungs- und Unterstützungsbedarf durch einen außenstehenden Sachkundigen erkennen. Für eine Beratung quasi „auf Vorrat“ stellt § 17 Abs. 1, S.2, 2. Spiegelstrich MAVO keine Anspruchsgrundlage dar. Dazu fehlt es für den von der Klägerin reklamierten Beratungsbedarf schlicht an der aktuellen Notwendigkeit. Allgemeine Kenntnisse über die Rechte und Möglichkeiten nach §§ 36 Abs. 1, 38 Abs. 1 MAVO muss sich die Klägerin über den Schulungsanspruch nach § 16 Abs. 1 MAVO verschaffen. Soweit erkennbar, hat sie diesen Anspruch nicht ausgeschöpft.
Danach besteht auch für den Bereich Beratung/Unterstützung zum Abschluss einer örtlichen DV über Dienstplangestaltung und Arbeitszeitkonten kein Anspruch auf Zustimmung zur Kostenübernahme für eine sachkundige Person. Eine missbräuchliche Verweigerung des Beklagten ist in keiner Weise zu konstatieren (§ 17 Abs. 1, S.2, 2. Spiegelstrich, Halbsatz 2 MAVO).
Die Klage musste insgesamt erfolglos bleiben.
III.
Auf den Antrag der Klägerin waren deren außergerichtlichen Kosten dieses Verfahrens, nämlich diejenigen ihrer anwaltlichen Vertretung, dem Beklagten – unabhängig von der Entscheidung in der Sache – aufzuerlegen (§ 12 Abs. 1 Satz 2 KAGO i. Verbindung mit §§ 17 Abs. 1 Satz 1, Satz 2, 4.Spiegelstrich MAVO). Die Notwendigkeit der anwaltlichen Vertretung zur Rechtswahrung folgt zunächst aus der streitgegenständlichen Rechtsmaterie. Die Rechtsverfolgung selbst war nicht von vorneherein so offensichtlich ohne Erfolgsaussicht, dass die materielle Pflicht zur Kostenübernahme hätte verneint müssen.
Gerichtgebühren werden vor den kirchlichen Arbeitsgerichten nicht erhoben (§ 12 Abs. 1, S. 1 KAGO).
IV.
Die Zulassung der Revision kam nicht in Frage, da die (kirchen-) gesetzlichen Voraussetzungen nach § 47 Abs. 2 KAGO nicht vorlagen. Es war der vorgefundene Einzelfall zu entscheiden. Eine Divergenz ist nicht zu erkennen.


Ähnliche Artikel

Mobbing: Rechte und Ansprüche von Opfern

Ob in der Arbeitswelt, auf Schulhöfen oder im Internet – Mobbing tritt an vielen Stellen auf. Die körperlichen und psychischen Folgen müssen Mobbing-Opfer jedoch nicht einfach so hinnehmen. Wir klären Rechte und Ansprüche.
Mehr lesen

Das Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse dienen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers und helfen oft den Bewerbern in die engere Auswahl des Bewerberkreises zu gelangen.
Mehr lesen


Nach oben