Arbeitsrecht

Zuschlag für geleistete Nachtschichtarbeit – Auslegung eines Tarifvertrags

Aktenzeichen  7 Sa 20/18

Datum:
19.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 32725
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
TVG § 1
Manteltarifvertrag für Braugewerbe in Bayern vom 6.10.1999 (MTV) § 4 Ziff. 2, § 5 Ziff. 1b), Ziff. 1d)

 

Leitsatz

Der einschlägige Tarifvertrag sieht für Nachtschichtarbeit einen Zuschlag in Höhe von 30% und für Nachtarbeit in Höhe von 50% vor. Der Kläger arbeitet in der Abteilung Abfüllung in Früh-/Spätschicht. Wegen Umbaumaßnahmen wurde für die Abteilung Abfüllung mit Zustimmung des Betriebsrats für eine Kalenderwoche eine Nachtschicht eingeführt. Dem Kläger steht für diese Zeit kein Zuschlag für Nachtarbeit zu, auch wenn er in der Regel nicht in einer Nachtschicht arbeitet. Die sachgerechte Auslegung des Tarifvertrages ergibt, dass eine mit 50% zuschlagspflichtige Nachtarbeit nur dann vorliegt, wenn sie kurzfristig in unplanbaren Ausnahmefällen anfällt, während der Kläger mit einer Vorlaufzeit von über drei Wochen Kenntnis von der Nachtschicht hatte. (Rn. 21 – 29)

Verfahrensgang

3 Ca 1043/17 2017-12-06 Urt ARBGKEMPTEN ArbG Kempten

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kempten vom 06.12.2017 – 3 Ca 1043/17 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthaft sowie frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO).
II.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf einen Zuschlag für geleistete Nachtarbeit iHv. 50% zum vereinbarten Stundenentgelt nach § 5 Ziff. 1b) des Manteltarifvertrags für das Braugewerbe in Bayern, denn er hat in dem streitgegenständlichen Zeitraum in Nachtschichtarbeit iSv. § 5 Ziff. 1d) MTV gearbeitet und hat den dafür vorgesehenen Zuschlag iHv. 30% auch erhalten. Zunächst wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts Bezug genommen (§ 69 Abs. 3 Satz 2 ArbGG). Im Hinblick auf die Berufungsangriffe sind die folgenden Ausführungen veranlasst:
Der maßgebliche Manteltarifvertrag für das Braugewerbe in Bayern (fortan: MTV) definiert die Begrifflichkeiten „Nachtarbeit“ und „Nachtschichtarbeit“ nicht mit der Folge, dass sie im Wege der Auslegung zu konkretisieren sind.
Die Auslegung des normativen Teils von Tarifverträgen folgt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Wortlaut zu haften (§ 133 BGB). Bei nicht eindeutigem Wortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und der Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (ständige Rechtsprechung des BAG vgl. 21.03.2012 – 4 AZR 254/10; 07.07.2004 – 4 AZR 433/03). Insoweit ist es auch unzutreffend, wenn der Kläger meint, im Zusammenhang mit der Auslegung der Begriffe Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit müsse erstrangig auf den Standpunkt des einzelnen Arbeitnehmers abgestellt werden, denn die Auslegung des normativen Teils von Tarifverträgen folgt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln.
a) Bereits die Auslegung nach dem Wortlaut der einschlägigen Regelung im MTV zeigt, dass Voraussetzung für das Vorliegen einer Nachtschichtarbeit ist, dass ein Schichtplan für die Arbeit in der Nacht existiert und dass dementsprechend eine „Nachtarbeit“ iSv. § 5
Ziff. 1b) MTV regelmäßig nicht vorliegen kann, wenn ein Schichtplan vorliegt, wie dies hier der Fall ist.
b) Ein ausschließliches Abstellen auf den Wortlaut wäre aber nicht sachgerecht, da damit der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm nicht hinreichend Berücksichtigung fände. Daher ist für eine sachgerechte Abgrenzung der im MTV verwendeten Begriffe „Nachtarbeit“ und „Nachtschichtarbeit“ weiter darauf abzustellen, dass die Nachtschichtarbeit auch vorhersehbar und planbar ist. Denn in aller Regel wird eine „Schicht“ in die die Arbeitnehmer eingeteilt sind -ggf. unter Beteiligung und Zustimmung eines Betriebsrats – nicht kurzfristig und überraschend angekündigt, sondern mit einem angemessenen zeitlichen Vorlauf. Diesem Kriterium würde ausnahmsweise ein Schichtplan nur dann nicht entsprechen, wenn er kurzfristig und damit eben auch nicht mehr vorhersehbar und planbar für einen einzelnen Arbeitnehmer erstellt oder abgeändert wird. Es ist offensichtlich, dass die tarifliche Begrifflichkeit „Nachtarbeit“ für unvorhergesehene und damit nicht planbare Ausnahmefälle gelten soll, wie etwa für das kurzfristige Einteilen eines Arbeitnehmers in die Schicht wegen Ausfällen oder Vertretungen oder bei einem betrieblichen Eiloder Notfall. Solche Fallkonstellationen liegen aber beim Kläger nicht vor. Soweit der Kläger im Rahmen der vorzunehmenden Auslegung auf eine Begrifflichkeit „regelmäßig“ abstellen will, widerspricht dies dem Sinn und Zweck der Tarifnorm, aber auch deren Wortlaut, denn die Tarifpartner haben den Begriff „regelmäßig“ nicht im Tarifvertrag verwendet, sondern die Begrifflichkeit „Schicht“ und Schichten und Schichtsysteme sind wiederum einem gewissen Wechsel und Wandel unterworfen und beinhalten per se keine Regelmäßigkeit.
c) Der Kläger und die weiteren in die Schicht eingeteilten Mitarbeiter hatten aber seit geraumer Zeit – über drei Wochen – Kenntnis von ihrer Einteilung in den entsprechenden Schichtplan für die Zeit vom 19.02.2017 bis 24.02.2017 und gerade aufgrund dieser Kenntnis war für sie die anstehende Nachtschichtarbeit vorhersehbar und sie konnten sich mit einem hinreichenden Zeitvorlauf darauf einstellen. Insbesondere waren auch die Ankündigungsfristen nach der im Betrieb bestehenden Betriebsvereinbarung gewahrt und bei dieser Fallkonstellation kann nicht mehr von einer nicht vorhersehbaren oder unplanbaren Nachtarbeit gesprochen werden.
d) Nach dem Sinn und Zweck der tariflichen Regelung zum Vorliegen einer Nachschichtarbeit ist auch nicht darauf abzustellen, dass der Kläger in der Abfüllerei ansonsten in einem Zwei-Schicht-System arbeitet und dass jegliches Abweichen von diesem Schichtsystem bereits eine Nachschicht iSd. Tarifvertrags auslösen würde. Denn ein reines Abstellen auf ein früheres Schichtsystem würde im Ergebnis zu dem absurden Ergebnis führen, dass wenn für den Abfüllbetrieb über mehrere Monate, wenn auch nur vorübergehend, ein Drei-Schicht-Betrieb-System eingeführt wird, der Kläger, da er zuvor in einem Zwei-Schicht-System war, einen fünfzigprozentigen Nachtarbeitszuschlag erhält während andere Arbeitnehmer wie die Brauer, die in Nachtschichtarbeit arbeiten, lediglich den dreißigprozentigen Zuschlag erhalten. Dass dies zu einer eklatanten Ungleichbehandlung führen würde und nicht Sinn und Zweck der vorliegenden Tarifnormen entsprechen würde, ist offensichtlich
e) Die erzielte Auslegung führt auch zu einer sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Zulagenregelung nach dem Manteltarifvertrag, denn dieser beinhaltet ein abgestuftes System mit entsprechenden Zuschlägen, ausgerichtet an entsprechenden zusätzlichen Belastungen und daraus ergibt sich wiederum, dass der Zuschlag für „reine“ Nachtarbeit gerade auf Grund seiner Höhe Sonder- bzw. Ausnahmefällen vorbehalten ist. Ein solcher Sonderfall ist beim vorliegenden Sachverhalt nicht gegeben.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. § 97 Abs. 1 ZPO wonach der Kläger die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels zu tragen hat.
IV.
Die Revision wurde zugelassen, da der Auslegung der streitgegenständlichen Tarifvorschrift grundsätzliche Bedeutung zukommt.


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