Bankrecht

Berufung, AGB, Wirksamkeit, Zahlung, Anlageentscheidung, Vertrag, Verbraucher, Ablauf, Vereinbarung, Zinsen, Zeitpunkt, Anlage, Klage, Vertragsauslegung, konkrete Ausgestaltung

Aktenzeichen  14 U 3259/20

Datum:
29.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
ZIP – 2022, 683
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

10 O 5615/19 2020-09-15 TeU LGNUERNBERGFUERTH LG Nürnberg-Fürth

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Teilurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 15.09.2020 in Nr. 1 des Tenors abgeändert.
2. Es wird festgestellt, dass der Sparvertrag Nr. … zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 24.06.2019 beendet worden ist.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn der Kläger nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
5. Die Revision gegen dieses Urteil zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 8.400,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Kündigung eines Prämiensparvertrages durch die Beklagte.
Die Parteien schlossen am 31.10.2001 einen als „S-Prämiensparen flexibel“ bezeichneten Prämiensparvertrag (Anlage K1).
Ziffer 3 des Vertrages hat folgenden Wortlaut:
3. Zinsen und Prämien
Die Sparkasse zahlt neben dem jeweils gültigen Zinssatz, zzt. 2,500 %, am Ende eines Kalender-/Sparjahres eine verzinsliche S-Pramie gemäß der nachfolgenden Prämienstaffel auf die geleisteten Sparbeiträge des jeweils abgelaufenen Sparjahres, und zwar erstmals am
31.12.2004. Das Sparjahr beginnt jeweils am 01.11. und endet jeweils am 31.10. des Folgejahres.
Die S-Prämie beträgt nach
6J 8,000 %
10J 25,000 %
14J 45,000 %
18J 50,000 %
3J 3,000 %
7J 10,000 %
11J 30,000 %
15J 50,000 %
19J 50,000 %
4J 4,000 %
8J 15,000 %
12J 35,000 %
16J 50,000 %
20J 50,000 %
5J 6,000 %
9J 20,000 %
13J 40,000 %
17J 50,000 %
FJ 50,000 %
Gem. Ziffer 5.2 des Vertrages sollen ergänzend die „derzeit geltenden Bedingungen“ der Beklagten für den Sparverkehr und ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) Vertragsbestandteil sein.
Nr. 26 Abs. 1 S. 1 der im Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten lautet:
Soweit weder eine Laufzeit noch eine abweichende Kündigungsregelung vereinbart sind, können der Kunde und bei Vorliegen eines sachgerechten Grundes auch die Sparkasse die gesamte Geschäftsbeziehung oder einzelne Geschäftszweige jederzeit ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen.
Mit Schreiben vom 24.06.2019 kündigte die Beklagte den Vertrag unter Berufung auf die „grundlegende Änderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den vergangenen Jahren“ mit Wirkung zum 1.10.2019 (Anlage K2). Der Kl. wies die Kündigung als unvereinbar mit den vertraglichen Abreden der Parteien zurück.
Wegen des erstinstanzlichen Parteivorbringens sowie der dortigen Anträge wird auf den Tatbestand des Teilurteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 15.09.2020 Bezug genommen.
Mit diesem Urteil ist die Klage hinsichtlich des auf Feststellung gerichteten Antrags, dass der Sparvertrag durch die Kündigung der Beklagten vom 24.06.2019 nicht beendet wurde, abgewiesen worden. Dies greift der Kläger mit seiner Berufung an.
Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam, weil sich die Beklagte mit der im Vertrag enthaltenen Prämienstaffel jedenfalls bis zum Ablauf des 20. Sparjahres zur Zahlung der dort angegebenen Sparprämien verpflichtet habe. Zwar werde die höchste Prämienstufe von 50 % bereits nach 15 Sparjahren erreicht. Jedoch führe die Prämienstaffel explizit die Sparjahre 3 bis 20 auf und weise diesen jeweils individuelle Prämiensätze zu. Der Kläger habe daher darauf vertrauen dürfen, die im Vertrag benannten Prämien für die explizit aufgeführten Sparjahre auch sicher erhalten zu können, ohne dass die Beklagte diese Ansprüche im Wege der ordentlichen Kündigung zunichtemachen könne. Die Relevanz der Nennung der explizit bezeichneten Sparjahre ergebe sich auch daraus, dass das Formular erst für die Zeit nach dem 20. Sparjahr pauschal von „FJ“, d.h. von Folgejahren, spreche. Etwaige Unklarheiten ihres eigenen Vertragsformulars gingen im Übrigen gem. § 305 Abs. 2 BGB zu Lasten der Beklagten.
Der Kläger beantragt:
In Abänderung des am 15.09.2020 verkündeten Teilurteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth, Az. 10 O 5615/19 wird festgestellt, dass der Sparvertrag Nr. … zwischen dem Kläger und der Beklagten vom 31.01.2001 nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 24.06.2019 beendet wurde.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte beruft sich im Wesentlichen auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14.5.2019 – XI ZR 345/18 (BGHZ 222, 74). Danach stehe fest, dass in der Entwicklung des allgemeinen Zinsniveaus seit 2008 ein sachgerechter Grund zur ordentlichen Kündigung auch von Prämiensparverträgen liege und dass die Sparer Vertrauensschutz allein bis zum Erreichen der höchsten Prämienstufe (d.h. bis zum Ablauf des fünfzehnten Sparjahres) genössen, weil nur insoweit ein besonderer Sparanreiz bestehe. Da das Formular ab dem Zeitpunkt des Erreichens der höchsten Prämienstufe keine Veränderung der Prämienhöhe vorsehe, seien alle nach dem fünfzehnten Sparjahr liegenden Zeiträume mangels weitergehenden Sparanreizes gleich zu behandeln, zumal der Vertrag als unbefristeter im Zweifelsfall der ordentlichen Kündigung durch beide Seiten zugänglich sei. Ferner beruhe die explizite Erwähnung der Sparjahre 16 bis 20 in der Prämienstaffel allein auf redaktionellen Gründen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung ist auch begründet, da der zwischen den Parteien geschlossene Prämiensparvertrag nicht wirksam durch die Kündigung der Beklagten vom 24.06.2019 beendet worden ist.
1. Die Klage ist nicht wegen Unzulässigkeit des klägerischen Feststellungsbegehrens abzuweisen. Der Kläger hat Feststellung beantragt, dass der zwischen den Parteien bestehende Sparvertrag nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 24.6.2019 beendet worden sei. Darin liegt entgegen der nur im Ausgangspunkt zutreffenden Rechtsansicht der Beklagten nicht etwa ein unzulässiger Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung (dazu BGH, Urt. vom 29.09.1999 – XII ZR 313/98, NJW 2000, 354, 355 f., Rn. 44 sowie BGH, Urt. vom 01.08.2017 – XI ZR 469/16, NJW-RR 2017, 1260, Rn. 13). Vielmehr begehrt der Kläger – lediglich in verneinender Form formuliert – in statthafter Weise die nach den vorstehend genannten Urteilen des Bundesgerichtshofs zulässige Feststellung des Fortbestands des Vertrages.
2. Die Klage ist auch begründet, weil der zwischen den Parteien geschlossene Prämiensparvertrag nicht wirksam durch die Beklagte beendet worden ist. Zwar steht der Beklagten grundsätzlich ein ordentliches Kündigungsrecht zu (dazu unter a), doch ist dieses vorliegend wirksam bis zum Ablauf des zwanzigsten Sparjahres abbedungen worden (dazu unter b).
a) Gemäß Nr. 26 Nr. 1 ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen kann die Beklagte die gesamte Geschäftsbeziehung oder einzelne Geschäftszweige jederzeit ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist aus sachgerechtem Grund kündigen, soweit weder eine Laufzeit noch eine abweichende Kündigungsregel vereinbart ist. Dieses Kündigungsrecht steht der Beklagten grundsätzlich auch in Bezug auf den streitgegenständlichen Prämiensparvertrag zu, da die tatsächlichen Voraussetzungen der Einbeziehung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten in die Geschäftsbeziehung der Parteien unstreitig sind, auch im vorliegenden Vertragsformular (unter Ziffer 5.2) auf die ergänzende Geltung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten hingewiesen wird und der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 14.5.2019 – XI ZR 345/18 (BGHZ 222, 74) entschieden hat, dass Ziffer 26 Nr. 1 AGB-Sparkassen in der bei Vertragsschluss geltenden Fassung keinen inhaltlichen Bedenken nach Maßgabe der § 307 BGB unterliegt (vgl. BGH a.a.O., Rn. 34), die Klausel auch die Kündigung einzelner Vertragsbeziehungen umfasst (BGH a.a.O., Rn. 35) und in dem veränderten Zinsumfeld ein sachgerechter Grund zur ordentlichen Kündigung i.S.d. Klausel zu sehen ist (BGH a.a.O., Rn. 44-46).
b) Die Parteien haben dieses Kündigungsrecht jedoch vorliegend durch die in Ziffer 3 des Prämiensparvertrages enthaltene Prämienstaffel konkludent bis zum Ablauf des zwanzigsten Sparjahres abbedungen; eine vorherige Vertragsbeendigung war der Beklagten daher nicht im Wege der ordentlichen Kündigung möglich.
aa) Ob sich aus den Vertragsbedingungen der Beklagten für das „S-Prämiensparen flexibel“ ein konkludenter Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts der Beklagten gem. Nr. 26 Abs. 1 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten ergibt, ist im Wege der Auslegung der Abreden über den Prämiensparvertrag zu ermitteln (vgl. BGH, Urt. vom 14.5.2019 – XI ZR 345/18, BGHZ 222, 74, Rn. 38). Da der Prämiensparvertrag vorliegend auf einem für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsformular der Beklagten beruht, sind insoweit die für die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen geltenden Grundsätze anzuwenden. Nach ständiger Rechtsprechung sind AGB nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Kreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen, rechtlich nicht vorgebildeten Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind und der Wortlaut der Klausel vorrangig zu berücksichtigen ist (vgl. jew. m.w.N. etwa BGH, Urt. vom 12.10.2005 – IV ZR 162/03, BGHZ 164, 297, 317; BGH, Urt. vom 05.10.2016 – VIII ZR 222/15, BGHZ 212, 140, Rn. 40; BGH, Urt. vom 05.06.2018 – XI ZR 790/16, BGHZ 219, 35, Rn. 37; speziell zu Prämiensparverträgen BGH, Urt. vom 14.5.2019 – XI ZR 345/18, BGHZ 222, 74, Rn. 28; BGH, Urt. vom 06.10.2021 – XI ZR 234/20, NJW 2022, 311, Rn. 44; Basedow, in: MünchKommBGB, 8. Aufl. 2019, § 305c Rn. 33 ff.; Staudinger/Mäsch (2019), § 305c Rn. 119 ff.). Verbleiben bei Anwendung dieses Maßstabs Zweifel bei der Auslegung der Klausel, gehen diese gem. § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders, so dass im Ergebnis die verbraucherfreundlichere Auslegung Maß gibt (ausf. Basedow, in: MünchKommBGB, 8. Aufl. 2019, § 305c Rn. 48 ff.; Staudinger/Mäsch (2019), § 305c Rn. 92 ff.).
bb) Nach diesen Auslegungsgrundsätzen ist die Abrede über die Prämienstaffel gem. Ziffer 3 des Prämiensparvertrages der Beklagten im Sinne eines konkludenten Ausschlusses des ordentlichen Kündigungsrechts der Beklagten aus Nr. 26 ihrer AGB bis zum Ablauf des zwanzigsten Sparjahres zu verstehen.
aaa) Nach dem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs vom 14.5.2019 (Az. XI ZR 345/18, BGHZ 222, 74) beinhaltet die in einem Prämiensparvertrag beinhaltete Vereinbarung einer Prämienstaffel mit kontinuierlich steigenden Prämien jedenfalls den konkludenten Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts der Sparkasse bis zum Erreichen der höchsten Prämienstufe. Die Sparkasse darf bei einem derartigen Vertrag die von ihr selbst hervorgerufene Prämienerwartung des Verbrauchers, d.h. den durch die Prämienstaffel verursachten Sparanreiz, nicht dadurch frustrieren, dass sie den Vertrag vorzeitig unter Berufung auf Nr. 26 der ehem. AGB-Sparkassen aus „sachgerechtem Grund“ kündigt (BGH, Urt. vom 14.5.2019 a.a.O., Rn. 39; bestätigt durch BGH, Urt. vom 06.10.2021 – XI ZR 234/20, NJW 2022, 311, Rn. 43). Diese Erwägung ist ohne weiteres auch auf den vorliegenden Fall übertragbar, da die Ziffern 3 und 5.2 des vom BGH zu beurteilenden Prämiensparvertrags – abgesehen von der Anzahl der genannten Jahre, in denen eine Prämie gezahlt werden soll – ebenso formuliert waren wie die entsprechenden Ziffern des streitgegenständlichen, von der Beklagten verwendeten Vertragsmusters.
bbb) Welche Bedeutung der Vereinbarung einer Prämienstaffel zukommt, die wie im vorliegenden Fall auch für den Zeitraum nach Erreichen der höchsten Prämienstufe explizit weitere Sparjahre und die für diese geltenden Prämien ausweist, ist entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten höchstrichterlich noch nicht entschieden.
Insbesondere hatte sich der Bundesgerichtshof in dem bereits zitierten Urteil vom 14.05.2019 (Az. XI ZR 345/18, BGHZ 222, 74) nicht mit einer der streitgegenständlichen vergleichbaren Prämienstaffel zu befassen. Ziffer 3 des der Entscheidung des BGH zugrundeliegenden Vertragsformulars formulierte zwar ebenso wie Ziffer 3 der streitgegenständlichen Vertragsformulars der Beklagten, dass eine Pflicht der Sparkasse zur Zahlung einer Prämie (nur) „gemäß der nachfolgenden Prämienstaffel“ bestehe. Die vom BGH zu beurteilende Prämienstaffel beinhaltete jedoch – insoweit anders als das Vertragsformular der Beklagten – lediglich die ersten fünfzehn Vertragsjahre bis zur höchsten Prämienstufe; weitere Vertragsjahre und eine in diesen etwa zu zahlende Prämie waren in dem dort relevanten Mustervertrag nicht genannt, auch fand sich dort kein pauschaler Hinweis auf in etwaigen „Folgejahren“ zu zahlende Prämien. Der Bundesgerichtshof folgerte hieraus für den von ihm zu entscheidenden Fall, dass die Sparkasse nach dem Inhalt des Vertragsformulars die Zahlung einer Sparprämie von vornherein lediglich bis zum 15. Sparjahr versprochen habe (BGH, Urt. vom 14.05.2019 a.a.O. Rn. 41).
Auch das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 6.10.2021 (Az. XI ZR 234/20, NJW 2022, 311) hat die vorliegend relevante Auslegungsfrage nicht im Sinne der Beklagten geklärt. Denn in dieser Entscheidung ging es weder im Allgemeinen noch in der die Kündigungsfrage obiter ansprechenden Rn. 43 um die Frage der (Un-)Wirksamkeit der Kündigung des dort streitgegenständlichen Prämiensparvertrages, sondern allein um die vorliegend nicht relevante Problematik der „Ersetzung“ der unwirksamen Zinsanpassungsregel gem. Ziffer 3 für die „Basisverzinsung“ der Sparguthaben im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung.
ccc) Nach dem Wortlaut des Vertragsmusters der Beklagten erscheint dessen Auslegung dahingehend denkbar, dass die Beklagte durch Abdruck der Prämienstaffel allein eine Vertragsbindung für mindestens 15 Vertragsjahre eingehen wollte. Diese Sichtweise vertreten neben der Beklagten etwa das BayObLG (Hinweisbeschl. vom 27.1.2021 – 101 MK 1/20, unter 11.1., Anlage BB1), das OLG Celle (Beschl. vom 18.10.2021 – 3 U 140/21, juris, Rn. 30), das OLG Bamberg (Hinweisbeschl. vom 9.12.2021 – 8 U 173/21), das OLG München (Beschl. vom 11.11.2021 – 5 U 4934/21, unter 2. der Gründe, Anlage BB6) sowie die weiteren von der Beklagten angeführten instanzgerichtlichen Entscheidungen.
Für diese Ansicht spricht, dass die Verträge über das Modell „S-Prämiensparen flexibel“ keine feste Vertragslaufzeit vorsehen und folglich auf unbefristete Zeit abgeschlossen worden sind. Selbst der nicht rechtlich vorgebildete durchschnittliche Verbraucher muss bei einem unbefristeten Vertrag grundsätzlich damit rechnen, dass dieser zu einem späteren Zeitpunkt im Wege der ordentlichen Kündigung auch von der Vertragsgegenseite beendet werden kann. Vor diesem Hintergrund erscheint bereits eine Vertragsbindung bis zum Erreichen der höchsten Prämienstufe (vorliegend nach fünfzehn Jahren, im Fall des OLG Celle nach 22 Sparjahren) so lang, dass man für einen noch weitergehenden Kündigungsausschluss die Vereinbarung einer festen Laufzeit erwarten könnte, an der es vorliegend indes fehlt. Ebenfalls scheint es keinen entscheidenden Unterschied zu machen, ob die Prämienstaffel die auf das fünfzehnte Sparjahr folgenden Sparjahre explizit benennt oder pauschal als „FJ“ („Folgejahre“) oder in vergleichbarer Art bezeichnet, da sich diese Jahre in der Prämienhöhe gerade nicht unterscheiden.
Ferner könnte ab dem Erreichen der höchsten Prämienstufe kein „besonderer zusätzlicher Sparanreiz“ mehr bestehen, der nach den Urteilen des Bundesgerichtshofs vom 14.5.2019 a.a.O. sowie vom 6.10.2021 a.a.O. den Ausschluss des Kündigungsrechts der Bank rechtfertigt. Dies könnte man bereits aus dem ersten „optischen“ Eindruck des Verbrauchers vom Vertrag ableiten, weil die Prämie ab dem 15. Sparjahr auf dem Höchstniveau von fünfzig Prozent verharrt. Zutreffend hat die Beklagte ferner darauf hingewiesen, dass auch bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise der Sparanreiz ab dem 16. Sparjahr geringer wird, wenn man den aus der Prämie folgenden Zinsaufschlag ins Verhältnis zum „eingesetzten“, d.h. eingezahlten Kapital setzt: Danach entwickelt sich der so ermittelte Zinsaufschlag degressiv und auch der Gesamtzinssatz des Gesamtanlagebetrages nähert sich langfristig – infolge der Begrenzung der Prämie auf die im jeweiligen Vertragsjahr geleisteten Einzahlungen und des immer geringeren Anteils der mit der Prämie verzinsten neuen Einzahlungen am Gesamtbetrag der Spareinlage – der Basisverzinsung an.
ddd) Der Senat ist demgegenüber der Ansicht, dass durch die konkrete Ausgestaltung der Prämienstaffel das ordentliche Kündigungsrecht der Beklagten für die Dauer sämtlicher im Vertrag explizit genannter Sparjahre ausgeschlossen sein soll, d.h. bis einschließlich des zwanzigsten Sparjahres.
So ist der Prämiensparvertrag nach dem Formular für das „Prämiensparen flexibel“ zwar in der Tat nicht befristet und enthält auch keinen expliziten Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts der Sparkasse. Allerdings ist die Gestaltung des Vertragsformulars gerade in Hinblick auf die Beendigungsrechte der Parteien verwirrend gestaltet; es erweckt für den durchschnittlichen, rechtlich nicht vorgebildeten Verbraucher eher den Eindruck, dass überhaupt nur die Kunden den Vertrag ordentlich kündigen können: So normiert das Vertragsformular (in seiner Ziffer 4) explizit überhaupt nur ein ordentliches Kündigungsrecht des Kunden. Ein ordentliches Kündigungsrecht der Sparkasse wird weder explizit geregelt noch zumindest im systematischen Kontext der Ziffer 4 des Prämiensparvertrages darauf verwiesen, dass Nr. 26 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten unberührt bleibe. Dass die Beklagte zur ordentlichen Kündigung berechtigt sein soll, ergibt sich daher nur aus dem pauschalen Verweis der Ziffer 5.2 des Formulars auf die ergänzende Geltung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten, die vom typischen Verbraucher indes nicht gelesen werden. Zwar ist das Kündigungsrecht nach der besagten Nr. 26 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten damit nicht pauschal ausgeschlossen. In Anbetracht der großen Bedeutung des Kündigungsrechts für die Renditeerwartungen der Verbraucher kommt der Erwähnung bestimmter Sparjahre in der Prämienstaffel gem. Ziffer 3 des Vertrages indes aus Verbrauchersicht eine besonders herausgehobene Bedeutung zu.
Für den durchschnittlichen Verbraucher legt ferner die sprachliche Unterscheidung des Formulars zwischen den auf das fünfzehnte Sparjahr folgenden Sparjahren 16 bis 20 einerseits und dem als „Folgejahre“ bezeichneten anschließenden Zeitraum andererseits auch eine unterschiedliche vertragliche Behandlung dieser Zeiträume nahe. Aus Sicht des durchschnittlichen Verbrauchers wäre zu erwarten, dass die Beklagte dann, wenn sie sämtliche auf das fünfzehnte Sparjahr folgenden Sparjahre hätte gleich behandeln wollen, dies auch sprachlich zum Ausdruck gebracht hätte, da ein objektiver Grund für die Unterscheidung sonst nicht erkennbar ist. Insbesondere ist für den Verbraucher keinesfalls nachvollziehbar, dass die Beklagte die Differenzierung offenbar aus rein gestalterischen Gründen vorgenommen haben will, da ohne weiteres auch eine eindeutige Gestaltung der Prämientabelle (etwa durch Reduzierung der Anzahl der Zeilen oder Spalten) möglich gewesen wäre. Zudem dürfte die Prämienstaffel der Beklagten durch Nennung der nominal extrem hohen Prämien für den Zeitraum bis zum Ablauf des zwanzigsten Sparjahres gerade einen besonderen subjektiven Sparanreiz bei solchen Verbrauchern geweckt haben, die die langfristig abnehmende wirtschaftliche Relevanz der Prämien im Verhältnis zur Basisverzinsung nicht verstanden haben. Es erschiene bedenklich, wenn die Beklagte einerseits den Verbrauchern eine (wenn auch langfristig nur scheinbar) besonders hohe Rendite in Aussicht hätte stellen dürfen, sie indes andererseits dieses Renditeversprechen im Wege der ordentlichen Kündigung jederzeit hätte frustrieren können.
Für einen längerfristigen Ausschluss des Kündigungsrechts spricht ferner, dass der vom Bundesgerichtshof für relevant erachtete besondere wirtschaftliche Sparanreiz der Prämienstaffel auch über das Jahr des erstmaligen Erreichens der höchsten Prämienstufe hinaus bestehen kann: Es hängt letztlich auch von der Entwicklung der Basisverzinsung ab, ob die bei wirtschaftlicher Betrachtung des Anlageproduktes einzig relevante Gesamtverzinsung des gesamten Anlagebetrages nicht auch über das fünfzehnte Sparjahr hinaus zunimmt. So wäre in dem hypothetischen Fall, dass die Basisverzinsung des Guthabens gleichbleibend über 20 Jahre hinweg 2,6 % p.a. betragen hätte, die Gesamtrendite bis zum 17. Sparjahr angestiegen und wäre erst danach langsam wieder zurückgegangen. Unter welchen Voraussetzungen das Produkt tatsächlich einen besonderen Sparanreiz bietet, dürfte für den durchschnittlichen Verbraucher allerdings kaum nachvollziehbar gewesen sein und war im Zeitpunkt des Vertragsschlusses auch für finanztechnisch versierte Verbraucher nicht vollständig vorhersehbar. Demzufolge dürfte der durchschnittliche Verbraucher das Muster gerade so verstanden haben, dass er zumindest für die in der Prämienstaffel genannten Jahre auf die Prämienzahlung sollte vertrauen dürfen.
Weiterhin ist für den objektiven Empfängerhorizont des durchschnittlichen Verbrauchers nicht allein die wirtschaftliche Binnenlogik des konkreten Anlageproduktes maßgeblich, da der Verbraucher seine Anlageentscheidung auch vor dem Hintergrund alternativer Anlagemöglichkeiten und der ihm dort angebotenen Konditionen trifft. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass gerade bei in der Zeit vor 2008 abgeschlossenen Sparverträgen alternative Anlageformen wie etwa Bausparverträge existierten, bei denen trotz hoher Verzinsung ein Kündigungsrecht des Kreditinstituts langfristig ausgeschlossen war; selbst ein langjähriger Ausschluss des Kündigungsrechts war aus der Perspektive des Zeitpunkts des Vertragsschlusses daher keinesfalls fernliegend.
eee) Im Ergebnis kann letztlich dahinstehen, welcher der Auslegungsvarianten der Vorzug zu geben ist. Denn gem. § 305c Abs. 2 BGB trägt die Beklagte als Verwenderin des Vertragsformulars das Risiko der für sie unschwer vermeidbaren Unklarheit der von ihr gestellten Vertragsbedingungen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, § 709 S. 2, § 711 S. 1 u. 2 ZPO.
Die Revision ist gem. § 543 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Zuständig ist der Bundesgerichtshof (§ 7 Abs. 1 EGZPO, § 8 EGGVG, Art. 11 AGGVG). Es ist gerichtsbekannt, dass das hier verwendete Vertragsformular bundesweit im Sparkassenverbund zum Einsatz gekommen ist und zahlreiche vergleichbare Rechtsstreitigkeiten über die Zulässigkeit der ordentlichen Kündigung dieser Prämiensparverträge in den Bezirken mehrerer Oberlandesgerichte rechtshängig sind. Darüber hinaus weicht der Senat von auch von Obergerichten geäußerten gegenteiligen Ansichten ab.


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