Bankrecht

Beweislastumkehr bei unverschuldeter Beweisnot des Versicherers wegen Vernichtung von Unterlagen nach Ablauf von Aufbewahrungsfristen

Aktenzeichen  33 S 7/20

Datum:
3.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 16730
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Coburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VVG aF § 5a
VAG aF § 10a

 

Leitsatz

Bestreitet der Versicherungsnehmer einer im sog. Policenmodell abgeschlossenen Lebensversicherung den Zugang der nach § 5a VVG aF erforderlichen Widerspruchsbelehrung und/oder der nach § 10a VAG aF gebotenen Verbraucherinformation, kann sich der Versicherer, der nach Ablauf gesetzlicher Aufbewahrungsfristen aus seinem Bestand alleine Reproduktionen vorlegen kann, wegen unverschuldeter Beweisnot auf eine Beweislastumkehr berufen. (Rn. 10 und 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

17 C 1411/19 2020-01-08 Endurteil AGCOBURG AG Coburg

Tenor

Die Kammer beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Coburg vom 08.01.2020, Az. 17 C 1411/19, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil sie einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

Gründe

I. Die Parteien streiten um Rückabwicklungsansprüche nach einem vom Kläger erklärten Widerspruch gegen einen 1996 abgeschlossenen kapitalbildenden Lebensversicherungsvertrag mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung mit einem sog. „ungezillmerten“ Tarif. Nach anfänglichen Prämienzahlungen kündigte der Kläger den Vertrag zum 01.08.2000. Die Beklagte rechnete daraufhin ab und erstattete dem Kläger den Rückkaufswert nebst Überschussguthaben und führte Kapitalertragsteuer sowie Solidaritätszuschlag ab. Im weiteren Verlauf forderte der Kläger in den Jahren 2006 und 2008 eine Nachregulierung, die die Beklagte jeweils ablehnte. Am 14.09.2009 zeigte die Firma … die Abtretung der Ansprüche des Klägers aus dem Versicherungsverhältnis an und verlangte ebenfalls eine Nachregulierung, die die Beklagte erneut ablehnte. Am 24.3.2017 erklärte der Kläger einen „Widerruf“ und erhob nach Durchführung eines Schlichtungsverfahrens Klage auf Rückzahlung sämtlicher gezahlter Prämien zuzüglich gezogener Nutzungen unter Anrechnung des bereits ausgezahlten Rückkaufswertes. Hilfsweise begehrt der Kläger Auskunft.
Das Amtsgericht hat die Klage mit Endurteil vom 08.01.2020 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Kläger nicht aktivlegitimiert sei, da unstreitig geblieben sei, dass der Kläger sämtliche Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag an die Firma … abgetreten habe. Darüber hinaus habe der Kläger nicht nachgewiesen, dass die Widerspruchsbelehrung unzureichend gewesen sei. Insoweit sei weder substantiierter Vortrag noch Beweisantritt erfolgt.
Mit seiner form- und fristgemäß eingelegten Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Anträge im Wesentlichen weiter. Entgegen der Ansicht des Amtsgerichtes sei die Aktivlegitimation des Klägers nicht unstreitig (gemeint ist wohl die fehlende Aktivlegitimation). Tatsächlich liege eine wirksame Abtretung des Klägers nicht vor. Die Beklagte habe sich selbst widerlegt, da sich aus den von ihr vorgelegten Unterlagen ergebe, dass sie die fehlende Vollmacht gerügt hatte, die vom damaligen Klägervertreter nicht als Urkunde vorgelegt worden sei. Darüber hinaus habe das Amtsgericht auch die Beweislast des § 5a VVG (a.F.) verkannt, da die Versicherung den Zugang der nach § 5a Abs. 1 VVG erforderlichen Unterlagen und auch eine zutreffende Widerspruchsbelehrung beweisen müsse.
II. Die Berufung ist offensichtlich unbegründet, § 522 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
1. Zu Recht ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger seine Aktivlegitimation hinsichtlich der geltend gemachten Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag nicht nachgewiesen hat. Die Beklagte hatte im Rahmen der Klageerwiderung behauptet, der Kläger habe sämtliche Ansprüche aus dem Versicherungsverhältnis an die Firma … abgetreten und insoweit Korrespondenz mit dieser vorgelegt. Diesem Sachvortrag ist der Kläger nicht entgegengetreten. Auf die ihm bereits am 18.10.2019 zugestellte Klageerwiderung hat er bis zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 27.11.2019 nicht erwidert. Auch eine Schriftsatzfrist wurde im Termin vom Klägervertreter nicht beantragt. Das Amtsgericht ist daher zu Recht davon ausgegangen, dass eine Abtretung der streitgegenständlichen Ansprüche an die Firma … unstreitig war.
Soweit der Kläger nunmehr im Berufungsverfahren behauptet, dass eine wirksame Abtretung nicht vorliege, handelt es sich um neues Vorbringen, das im Berufungsverfahren nur eingeschränkt zuzulassen ist. Gründe für eine Zulassung sind allerdings weder ersichtlich noch vom Kläger vorgetragen.
Darüber hinaus hat der Kläger auch in der Berufungsbegründung keinerlei substantiierten Sachvortrag für seine Aktivlegitimation erbracht, geschweige denn Beweis angeboten. Soweit er auf die Rüge einer fehlenden Vollmacht durch die Beklagte gegenüber der Firma … hinweist, ist bereits nicht ersichtlich, weshalb aufgrund dessen die Abtretung unwirksam sein sollte. Es handelt sich ausschließlich um eine Rüge der Beklagten bezüglich einer fehlenden Vollmacht gegenüber der Firma … die lediglich in dem dortigen Rechtsverhältnis Auswirkungen hat. Damit hat sich die Beklagte weder „selbst widerlegt“ noch ergeben sich greifbare Anhaltspunkte dafür, dass die Abtretung des Klägers an die Firma … unwirksam war. Es bleibt unklar, welche Vollmacht die Beklagte hier überhaupt als fehlend gerügt hatte und welche Auswirkungen diese auf die Wirksamkeit eines Abtretungsvertrages haben sollte.
Bereits aus diesem Grunde ist die Klageabweisung zu Recht erfolgt.
2. Nur ergänzend und nicht mehr entscheidungserheblich ist darauf hinzuweisen, dass der Berufung auch aus anderen Gründen der Erfolg versagt bleiben muss:
Soweit der Kläger die vom Erstgericht angenommene Beweislast rügt, ist ihm zwar grundsätzlich zu folgen. Gemäß § 5 Abs: 2 Satz 2 VVG a.F. muss der Versicherer den Zugang der erforderlichen Informationen inklusive einer ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrung beweisen. Allerdings hat die Beklagte glaubhaft und nachvollziehbar – und im übrigen ebenfalls klägerseits unwidersprochen – vorgetragen, dass sie – bis auf die in den Anlagen befindlichen reproduzierten Schreiben – über keinerlei Vertragsunterlagen mehr verfügt, weil sie nach Ablauf der gesetzlichen Aufbewahrungsfristen die Unterlagen vernichtet hat. Sie befindet sich daher in unverschuldeter Beweisnot.
Aufgrund dessen ist eine Beweislastumkehr aus Gründen der Billigkeit wegen eines für die Beklagte infolge Zeitablaufs entstandenen Beweisnotstandes, jedenfalls aber eine Beweiserleichterung im Sinne einer dem Kläger aufzuerlegenden sekundären Darlegungs- und Substantiierungslast angezeigt. Eine andere Auffassung würde dazu führen, dass die Vorschriften über die gesetzlichen Aufbewahrungsfristen, die vorliegend 10 Jahre beträgt und mittlerweile längst abgelaufen ist, ihren Sinn weitgehend verfehlen würden, vgl. OLG Bamberg, Urteil vom 25.01.1995, Az. 3 U 68/94. Wenn die Vorschriften über bestimmte Aufbewahrungsfristen sinnvoll sein sollen, so können sie nicht ohne Auswirkung auf die Beweislast bleiben, vgl. BGH, Urteil vom 09.12.1971, Az. II ZR 268/67, Rn. 19. Lediglich in Bezug auf Sparbücher, die wie Sparbriefe zu den sogenannten Rektapapieren gehören, lehnen der Bundesgerichtshof und ihm folgend mehrere Oberlandesgerichte Beweiserleichterungen im Rahmen des Erfüllungseinwandes ab, vgl. z.B. OLG Bamberg, Urteil vom 08.03.2006, Az. 3 U 213/05, Rn. 41 mit Rechtsprechungsnachweisen. In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall kam zwar hinzu, dass die Beweisnot der dortigen verklagten Bank dem Anspruchsteller zuzurechnen war, weil dieser schon frühzeitig Anlass zur Nachfrage gehabt hätte. Jedoch steht dies der Beweislastumkehr keineswegs entgegen; dem Gesichtspunkt der Mitverursachung der Beweisnot kommt allenfalls untergeordnete Bedeutung zu, so OLG Bamberg, Urteil vom 25.01.1995, Az. 3 U 68/94.
Der Kläger hat nur pauschal und völlig unsubstantiiert behauptet, die Versicherungsunterlagen seien unvollständig gewesen und die Widerspruchsbelehrung sei unzureichend, also fehlerhaft erfolgt und damit rechtswidrig. Konkreter Vortrag dazu, welche Unterlagen gefehlt haben und welche Verstöße in der Widerspruchsbelehrung vorlagen, tätigt der Kläger allerdings nicht. Er legt nicht einmal die ihm überlassenen Vertragsunterlagen vor, sodass weder dem Erstgericht noch der Berufungskammer eine Nachprüfung möglich ist, ob tatsächlich die übersandten Unterlagen unvollständig waren bzw. die Widerspruchsbelehrung fehlerhaft war. Wenigstens dies wäre ihm aber abzuverlangen gewesen, zumal er auch keineswegs behauptet, nicht mehr im Besitz der fraglichen Unterlagen zu sein.
Hinzu kommt, dass der Kläger – offenbar seit dem Jahr 2006 in dieser Sache anwaltlich beraten – nach wirksam erklärter Kündigung 17 Jahre mit dem Widerspruch zugewartet hat, obgleich ihm ein solcher früher möglich gewesen wäre. Ein derart langes Zuwarten ist nicht nachvollziehbar. Insoweit kann sich der Kläger auch nicht auf ein ihm zustehendes ewiges Widerspruchsrecht berufen, da es mangels konkreter Anhaltspunkte und unsubstantiiertem Sachvortrag sowie Vorlage von Unterlagen weder möglich und schon gar nicht wahrscheinlich erscheint, dass hier überhaupt ein Verstoß der Beklagten gegen § 5a VVG a.F. vorliegt. Nicht einmal ein Anschein dafür ergibt sich aus dem Sachvortrag des Klägers. Es ist daher nicht ansatzweise ersichtlich, dass ein Widerspruchsrecht überhaupt in Betracht kommt.
III. Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.


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