Bankrecht

Darlehensvertrag, Staatsanwaltschaft, Vollziehung, Aufsichtsrat, Darlehen, Beteiligung, Untersuchungshaft, Sperrwirkung, Gesellschaft, Zustimmung, Vorstand, Zwangsvollstreckung, Forderung, Widerspruch, Due Diligence, unerlaubte Handlung, unternehmerische Entscheidung

Aktenzeichen  5 HK O 17659/21

Datum:
9.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 12865
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Arrestbefehl des Landgerichts München I vom 30.12.2021, Az. 5 HKO 17659/21 wird in Ziffer I. aufrechterhalten.
II. Im Übrigen wird der Arrestbefehl hinsichtlich seiner Ziffer II. aufgehoben und der Antrag auf Erlass eines Arrestbefehls zurückgewiesen.
III. Von den Gerichtskosten trägt der Arrestkläger 1/5, der Arrestbeklagte zu 1) 4/5. Der Arrestbeklagte zu 1) trägt 4/5 der außergerichtlichen Kosten des Klägers. Der Arrestkläger trägt die außergerichtlichen Kosten der Arrestbeklagten zu 2). Im Übrigen trägt jede Partei ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Gründe

A.
Der Antrag gegen den Beklagten zu 1) auf Erlass des dinglichen Arrests ist zulässig und begründet.
I. Der Arrestantrag gegen den Beklagten zu 1) ist zulässig, insbesondere muss das Rechtsschutzbedürfnis bejaht werden. Es kann nämlich nicht davon ausgegangen werden, eine Pfändung in Geldforderungen oder weitere Vermögenswerte sei von vorneherein ausgeschlossen. Daher kann gerade nicht davon ausgegangen werden, der Kläger könne aus dem Arrest keinerlei Verbesserung seiner Vermögensposition herleiten. Das Rechtsschutzbedürfnis lässt sich namentlich nicht unter dem Gesichtspunkt der Sperrwirkung des § 111 h Abs. 2 Satz 1 StPO verneinen. Nach dieser Vorschrift sind Zwangsvollstreckungen in Gegenstände, die im Wege der Arrestvollziehung gepfändet worden sind, während der Dauer der Arrestvollziehung nicht zulässig. Zwar wird in der Rechtsprechung zum Teil die Auffassung vertreten, aufgrund der Sperrwirkung des § 111 h Abs. 2 Satz 1 StPO komme eine Pfändung nicht in Betracht (vgl. OLG München, Urteil vom 19.1.2022, Az. 13 U 7646/21), weil nur so dem Normzweck des § 111 h Abs. 2 Satz 1 StPO Rechnung getragen werden könne. Dieser Auffassung vermag die Kammer jedoch nicht zu folgen. Eine Forderungspfändung in Höhe des Anspruchs hat regelmäßig die Bedeutung einer Teilpfändung. Danach bleibt der den gepfändeten Teil übersteigende Restbetrag pfandfrei; da jede der gepfändeten Forderungen (Konten, Depots etc.) der Pfändungsverstrickung nur in Höhe eines Betrages von € 35 Mio. unterliegt, kann auf den jeweils darüberhinausgehenden Betrag – soweit vorhanden – vom Kläger noch zugegriffen werden (vgl. OLG München WM 2021, 2432, 2433 = NZI 2021, 1035, 1036; OLG München, Beschluss vom 5.10.2021, Az: 3 W 1414/21 – zit. nach juris; Haidn WuB 2022, 92 f.; Köllner NZI 2021, 1036; Mayer in: BeckOK ZPO, 44. Edition Stand 1.3.2022, § 916 Rn. 17; Bittmann in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl., § 111 h Rn. 2). Diese Auffassung steht gerade nicht in Widerspruch zum Normzweck des § 111 h Abs. 2 Satz 1 StPO. Diese Regelung soll nach dem Willen des Gesetzgebers durch die Abschaffung des Prioritätsgrundsatzes verhindern, dass sich Geschädigte ein „Windhundrennen“ um den ersten Zugriff auf das Tätervermögen liefern und die Gleichbehandlung der Tatgeschädigten gewährleisten. Auch soll verhindert werden, dass durch Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen zwischen der Arrestvollziehung und der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Absonderungsrechte einzelner Gläubiger entstehen, die die Vermögensmasse zu Lasten der Verletzten schmälern würde (vgl. BT-Drucks. 18/9525 S. 1 und 78 Spillecke in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 8. Aufl., § 111 h Rn. 3). In der hier gegebenen Konstellation der eingeschränkten Pfändbarkeit bleibt aber der Wille des Gesetzgebers beachtet – solange der Vermögensarrest Bestand hat, kann der Kläger auf die gepfändeten Vermögenswerte im Umfang der Vollziehung des Vermögensarrests keinen Zugriff nehmen. Allerdings ist nicht erkennbar, warum auf einen überschießenden Teil oder im Falle der Aufhebung des Vermögensarrests im weiteren Verlauf des Strafverfahrens durch die dafür zuständigen Organe die Pfändung dann keine Bedeutung erlangen könnte. Ein so weitgehender Ausschluss wird dem Willen des Gesetzgebers nicht gerecht. Hierfür spricht insbesondere auch die Erwägung, dass der Kläger als Gläubiger nicht beweisen bzw. glaubhaft machen muss, dass die zu pfändende Forderung tatsächlich besteht. Es wird nämlich nur geprüft, ob das Vorbringen des Gläubigers die Forderung als Gegenstand der Zwangsvollstreckung im Schuldnervermögen pfändbar ausweist. Dafür genügt, dass dem Schuldner die Forderung aus irgendeinem vertretbaren Rechtsgrund zustehen kann (vgl. BGH WM 2003, 1875, 1876 = MDR 2003, 1378 = ZVI 2003, 458, 459 = NJW-RR 2003, 1650; OLG München WM 2021, 2432, 2433 = NZI 2021, 1035; Smid in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl., § 829 Rn. 23). Davon muss bei den Vermögensgegenständen der Beklagten zu 1) ausgegangen werden, ohne dass es für die Wirksamkeit der Pfändung auf das tatsächliche Bestehen einer weitergehenden Forderung insbesondere auch gegen die als Drittschuldner bezeichneten Kreditinstitute ankommen kann.
Soweit der Beklagte zu 1) über Vermögensgegenstände im Ausland verfügt, kann die Vorschrift des § 111 h Abs. 2 Satz 1 StPO auch aus einem weiteren Grund keine Anwendung finden. Die Wirkung dieser Norm beschränkt sich auf Vollstreckungsmaßnahmen gegen im Inland, also dem Geltungsbereich der StPO gelegenen Vermögen. Art. 23 Abs. 1 VO EU 2018/1805 über die jeweilige Anerkennung von Sicherstellungs- und Einziehungsmaßnahmen macht nämlich deutlich, dass hierfür das österreichische bzw. französische Zwangsvollstreckungsrecht maßgeblich ist. Für die Vollstreckung der Sicherstellungsentscheidung oder Einziehungsentscheidung ist nach dieser Vorschrift das Recht des Vollstreckungsstaates maßgebend; dessen Behörden entscheiden allein, auf welche Weise deren Vollstreckung erfolgt und welche Maßnahmen zu diesem Zweck getroffen werden. Vollstreckungsstaat ist gemäß Art. 2 Abs. 7 VO EU 2018/1805 der Mitgliedstaat, dem eine Sicherstellungs- oder Einziehungsentscheidung zum Zwecke der Anerkennung und Vollstreckung übermittelt wird – vorliegend also Österreich und Frankreich. Andernfalls wäre es nicht zur Eintragung der Sicherungsmaßnahmen betreffend die Grundstücke in Österreich und Frankreich sowie der Pfändung einer Forderung gegen Frau Dr. … Z. gekommen. Angesichts dessen ist nicht erkennbar, dass es in diesen beiden Staaten eine § 111 h Abs. 2 Satz 1 StPO vergleichbare Vorschrift gäbe. Abgesehen davon steht § 111 h Abs. 2 Satz 1 StPO der Vollziehung des Arrests auch aus den oben dargelegten Gründen nicht entgegen.
Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, Art. 23 Abs. 1 VO EU 2018/1805 müsse im Lichte des deutschen Rechts ausgelegt werden. Das europäische Primärrecht ist in allererster Linie autonom auszulegen, also losgelöst von den Regeln eines nationalen Rechts (vgl. EuGH, Urteil vom 5.6.2014, C-360/12; Hausmann in: Staudinger, Neubearb. 2019, Art. 3 EGBGB Rn. 39).
II. Der Arrestantrag gegen den Beklagten zu 1) ist begründet, weil sowohl der Arrestanspruch als auch der Arrestgrund zu bejahen sind, weshalb der Arrestbefehl insoweit aufrechtzuerhalten war.
1. Der Arrestanspruch gegen den Beklagten zu 1) als vormaligen Vorstand der Schuldnerin im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Maßnahmen ergibt sich aus § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG. Danach sind Vorstandsmitglieder, die ihre Pflichten verletzen, der Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet. Aufgrund von § 93 Abs. 1 AktG haben die Vorstandsmitglieder bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns anzuwenden. Eine Pflichtverletzung liegt nach § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Unter Zugrundelegung dieses Prüfungsmaßstabes und Beachtung der Voraussetzungen der Darlegungs- und Beweislast müssen die Voraussetzungen einer Haftung des Beklagten als glaubhaft gemacht angesehen werden.
a. Bei dem dem Beklagten zu 1) gemachten Vorwurf des Abschlusses des Darlehensvertrages mit der O. sowie der Zeichnung von Schuldverschreibungen zugunsten der O. L. handelt es sich jeweils um eine unternehmerische Entscheidung im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG. Eine solche Entscheidung liegt dann vor, wenn das Vorstandsmitglied die Möglichkeit hat, zwischen mehreren Verhaltensalternativen zu wählen, wobei im Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht feststehen darf, welche dieser Alternativen sich für das Unternehmen im Nachhinein als vorteilhaft herausstellen wird. Der Vorstand muss also unter Unsicherheit handeln und eine Prognose anstellen, wie sich seine Entscheidung in tatsächlicher Hinsicht auswirken könnte. Dabei sind die denkbaren Szenarien im Gremium mit ihren Vor- und Nachteilen gegeneinander abzuwägen (vgl. BT-Drucks. 15/5092 S. 11; Fleischer in: BeckOGK AktG, a.a.O., § 93 Rdn. 73; Koch, AktG, 16. Aufl., § 93 Rdn. 35; Spindler in: Münchener Kommentar zum AktG, 5. Aufl., § 93 Rdn. 48 ff.; Illert/Meyer in: Illert/Ghassemi-Tabar/Cordes, Handbuch Vorstand und Aufsichtsrat, 1. Aufl., § 2 Rdn. 31).
(1) Den Kläger trifft die Darlegungs- und Beweislast bzw. hier die Glaubhaftmachungslast nur dafür, dass und inwieweit der Schuldnerin durch ein an sich möglicherweise pflichtwidrig sich darstellendes Verhalten des Organs in dessen Pflichtenkreis ein Schaden erwachsen ist, wobei ihm die Erleichterungen des § 287 ZPO zugutekommen können, während demgegenüber das beklagte Organmitglied darlegen und erforderlichenfalls beweisen bzw. hier glaubhaft machen muss, dass es seinen Sorgfaltspflichten objektiv nachgekommen ist oder ihn subjektiv kein Verschulden trifft oder dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre (vgl. BGH ZIP 2011, 766, 767 = AG 2011, 378, 379; NJW 2013, 1958, 1959 = NZG 2013, 293, 294 = AG 2013, 259 = ZIP 2013, 455, 456 = DB 2013, 507, 508 = MDR 2013, 472; NZG 2020, 1343, 1347 = ZIP 2020, 2117, 2121 = WM 2020, 2035, 2039 = DB 2020, 2348, 2352 = Der Konzern 2021, 34, 38 = GmbHR 2020, 1344, 1349 = DZWIR 2020, 633, 637 = DStR 2020, 2689, 2694; OLG Oldenburg NZG 2007, 434, 435 = ZIP 2006, 2087 = DB 2006, 2511 = GmbHR 2006, 1263 = NZI 2007, 305 f.). Dem ist der Kläger nachgekommen, auch wenn er auf die dem Antrag als Anlage K 1 beigefügte Klageschrift in dem Hauptsacheverfahren vor dem Landgericht München I, Az. 5HK O 17452/21 Bezug genommen hat. Gerichte sind zwar nicht verpflichtet, umfangreiche ungeordnete Anlagenkonvolute von sich aus durchzuarbeiten, um so die erhobenen Ansprüche zu konkretisieren. Auch kann erforderlicher Sachvortrag nicht durch die bloße Vorlage von Anlagen ersetzt werden. Nimmt der Kläger zur Substantiierung seines Anspruchs allerdings auf eine aus sich heraus verständliche Darstellung in einer Anlage – wie hier der beigefügten Klageschrift – konkret Bezug und verlangt die Berücksichtigung der in Bezug genommenen Anlage vom Tatrichter keine unzumutbare Sucharbeit, so liegt eine solche Fallgestaltung nicht vor (vgl. BGH NJW 2019, 1082 f. = VersR 2019, 377 = MDR 2019, 182, 183 = FamRZ 2019, 374 = ZfSch 2019, 503, 504). In dem Antrag hat der Kläger konkret auf die als Anlage ASt 1 beigefügte Klageschrift Bezug genommen, die von denselben Prozessbevollmächtigten verfasst wurde und bei der es hinsichtlich der Darlehensvergabe und der Zeichnung der Schuldverschreibung in Bezug auf den Beklagten zu 1) um exakt denselben Lebenssachverhalt geht. Dann aber wäre es eine leere Förmelei, wollte man verlangen, der Schriftsatz müsse in den Antrag auf Erlass des Arrests einkopiert werden.
(a) Der Kläger hat vorgetragen, dass die O. bereits zum 19.9.2019 mit Zinsen in Höhe von € 2,375 Mio. in Rückstand gewesen sei, sie keinerlei Erfahrungen im Bereich MCA-Geschäft habe, für dessen Ausbau bereits das erste Darlehen gewährt worden sei, seitens des Vorstands und damit auch des Beklagten zu 1) nicht geprüft worden sei, ob es reales Geschäft gegeben habe, die W. B1. AG zur Vergabe des zunächst abgelehnten zweiten Darlehens nur gegen Stellung einer Bürgschaft bereit gewesen sei, die Mitarbeiter der Compliance- und Rechtsabteilung erhebliche Bedenken gegen die Vergabe von Darlehen ohne Sicherheiten geäußert habe, die Auszahlung der Darlehen bzw. die Zeichnung der Schuldverschreibung bereits während der laufenden Untersuchung durch KPMG über die mit dem MCA-Geschäft eng verbundenen Third Party Acquiring-Geschäfte hingegeben worden seien und es keine Due Diligence im Hinblick auf die verbrieften Forderungen gegeben habe. Diese Vorwürfe stellen sich als mögliche objektive Pflichtverletzungen dar.
(b) Dem Beklagten zu 1) ist es nicht gelungen, hinreichend vorzutragen, dass er sich objektiv rechtmäßig verhalten habe. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass er auf der Grundlage hinreichender Informationen gehandelt habe und er nicht unzulässigerweise erhebliche Risiken eingegangen sei. Ihm ist es nicht gelungen, den hinreichend dargelegten und insofern auch glaubhaft gemachten Vorwurf zu entkräften.
(aa) Die Vergabe eines Darlehens über € 100 Mio. ohne Sicherheiten muss bereits als objektiv pflichtwidrig bezeichnet werden. Dem kann namentlich nicht entgegengehalten werden, der Gesellschaft stehe ein Darlehensrückzahlungsanspruch in gleicher Höhe zu. In der vorliegenden Konstellation kann dieser jedenfalls nicht als vollwertig bezeichnet werden, weshalb die Kammer auch nicht abschließend entscheiden muss, inwieweit die im faktischen Konzern zum Nachteilsausgleich ermittelten Grundsätze der bilanziellen Betrachtung (vgl. BGHZ 179, 71, 78 = NJW 2009, 850, 852 = NZG 2009, 107, 108 f. = AG 2009, 81, 82 = ZIP 2009, 70, 72 = DB 2009, 106, 107 = BB 2009, 118, 119 f. = WM 2009, 78, 80 = Der Konzern 2009, 49, 51 = GmbHR 2009, 199, 201 f.) auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 311 AktG zur Anwendung gelangen können. Angesichts des bereits im September 2019 aufgelaufenen Zinsrückstandes von € 2,375 Mio. wäre der Vorstand der Schuldnerin und damit auch der Beklagte zu 1) zwingend verpflichtet gewesen, auf der vorherigen Stellung banküblicher Sicherheiten zu bestehen. Das Gebot, Risiken nur in sinnvoller kaufmännischer Interessenabwägung vorzunehmen, bedeutet für die Vorstandsmitglieder einer Gesellschaft, die zudem Muttergesellschaft einer Bank ist, Kredite grundsätzlich nicht ohne übliche Sicherheiten zu gewähren (vgl. BGH NZG 2002, 195, 196 = ZIP 2002, 213, 214 = WM 2002, 220, 221 = DB 2002, 473 = BB 2002, 220, 221 = DStR 2002, 597, 598; NZG 2009, 117 = AG 2009, 117 = ZIP 2009, 223 = WM 2009, 26; im Grundsatz auch OLG Celle AG 2008, 711, 712 f. = WM 2008, 1745, 1747; Fleischer in: BeckOGK AktG, Stand: 1.2.2022, § 93 Rn. 111; Spindler in: Münchener Kommentar zum AktG, 5. Aufl. § 93 Rn. 77; Hölters/Hölters in: Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl. § 93 Rn. 137).
(bb) Die Zeichnung der Schuldverschreibung erfolgte ohne vorherige Prüfung der Werthaltigkeit der verbrieften Forderung. Auch diese Maßnahme stellt sich als typisch unternehmerische Entscheidung dar, bei der ein erheblicher Ermessensspielraum besteht und bei der es auch zu Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen kommen kann. Allerdings gehört es im Vorfeld dieser Entscheidung zu den elementaren Pflichten eines jeden Vorstandsmitglieds, jedenfalls die Grundlagen, auf denen diese unternehmerische Entscheidung beruht, in geschäftsüblicher, sorgfältiger Weise aufzuklären (vgl. OLG Oldenburg NZG 2007, 434, 435 = DB 2006, 2511, 2512 = DB 2007, 66, 68 = GmbHR 2006, 1263, 1265 = NZI 2007, 305, 306). Dazu gehört dann aber auch, sich die entsprechenden Informationen über die Realisierbarkeit der verbrieften Forderungen in Form der Rückzahlungsansprüche der O. – ähnlich einem Unternehmens- oder Beteiligungskauf – zu verschaffen. Dies gilt umso mehr, als die O. nicht mehr in ihrem satzungsmäßigen Geschäftsgegenstand tätig war und sich neue Geschäftsfelder erschloss, was mit erhöhten Risiken für die Schuldnerin als Gläubigerin verbunden ist. Allein der Hinweis auf die Auswertung zweier Berichte vom August und September 2019 genügt nicht, damit sich der Vorstand ein umfassendes Bild über die Geschäftstätigkeit und insbesondere die Solvenz der O. machen kann. Es ist nach dem Vortrag des Beklagten zu 1) nicht erkennbar, dass es zu einer umfassenden Analyse der geschäftlichen Aktivitäten unter Darstellung aller Chancen und Risiken gekommen wäre. Dies wäre jedoch notwendig gewesen, um diese Entscheidung auf einer hinreichenden Informationsgrundlage beruhende zu treffen. Eine erhöhte Informationspflicht zu den Risiken eines Forderungsausfalls ergibt sich weiterhin aus der Tatsache, dass der Aufsichtsrat im Zeitpunkt beider Entscheidungen über die Darlehensvergabe wie auch die Zeichnungen der Schuldverschreibungen eine Sonderuntersuchung durch K… in Auftrag gegeben hatte, nachdem bei der Schuldnerin erhebliche Verdachtsmomente aufgekommen waren, dass das mit dem MCA-Geschäft eng verbundene Third Party Aquiring-Geschäft nicht oder jedenfalls bei weitem nicht in dem vorgegebenen Umfang existieren könnte.
Der Beklagte zu 1) hat auch nicht vorgetragen, welche detaillierten und sehr eingehenden Prüfungen seitens des Vorstandes wie auch der W. B. AG vorgenommen worden seien. Der Sachvortrag des Klägers ist vom Beklagten zu 1) im Wesentlichen nicht bestritten worden, wobei dies vor allem in Bezug auf die unterbliebene Informationsbeschaffung und die unterlassene Stellung von Sicherheiten gilt. Daher gilt der entsprechende Sachvortrag gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden. Soweit der Beklagte zu 1) namentlich auch im Termin geltend gemacht hat, er werde den Vortrag im Hauptsacheprozess bestreiten und unterlegen, muss dies in diesem Verfahren unbeachtlich bleiben, weil für die Frage des Bestreitens oder Nichtbestreitens ausschließlich das jeweilige konkrete Verfahren maßgeblich sein kann. Im Zusammenhang mit der Darlehensvergabe und der Zeichnung der Schuldverschreibungen hat sich der Beklagte zu 1) im Wesentlichen auf die beiden Besuche bei der O. beschränkt, die aber nicht geeignet sind, eine hinreichende Informationsgrundlage zu verschaffen. Ebenso wenig ist der Rückgang der Ausfallwahrscheinlichkeit geeignet, den Beklagten zu 1) zu entlasten. Dies übersieht nämlich, dass es bereits erhebliche Zinsrückstände gab, die vom Beklagten zu 1) letztlich nicht bestritten wurden, die aber in jedem Fall glaubhaft gemacht sind durch die E-Mails von Frau Sch… insbesondere an Herrn M. wie auch den Entwurf eines Vorstandsbeschlusses, aus dem sich gleichfalls die Zinsrückstände bereits zum 19.9.2019 ergeben.
(2) Der Beklagte zu 1) hat seine Vorstandspflichten auch schuldhaft verletzt, wobei für die Haftung aus § 93 Abs. 2 Satz 1 bereits leichte Fahrlässigkeit genügt. Der Beklagte zu 1) hat indes keinen Sachvortrag dazu geleistet, er habe bei den beiden Entscheidungen die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt.
b. Der Schuldnerin ist durch diese beiden Pflichtverletzungen ein Schaden in Höhe von € 140 Mio. entstanden, nachdem von den ausgereichten Beträgen in Höhe von insgesamt € 200 Mio. nur € 60 Mio. an sie zurückgeflossen sind.
(1) Der Umfang des Schadens ergibt sich aus dem Schadensbegriff des § 249 BGB, der auch im Anwendungsbereich des § 93 Abs. 2 AktG maßgeblich ist. Nach der Differenzhypothese wird das vorhandene Vermögen der Gesellschaft mit dem verglichen, dass ohne das schädigende Ereignis – also beim Hinwegdenken des Vertragsabschlusses und der Valutierung der Darlehenssumme von € 100 Mio. und der Zeichnung der Schuldverschreibung über weitere € 100 Mio. – eingetreten wäre (vgl. BGH NJW 2011, 1962, 1963 = ZIP 2011, 529; NJW 2013, 1958, 1960 = NZG 2013, 293, 295 = AG 2013, 259, 260 = ZIP 2013, 455, 457 = DB 2013, 507, 509 = MDR 2013, 472). Ohne den Vertragsabschluss samt anschließender Auszahlung und die Zeichnung der Schuldverschreibung wäre nicht € 200 Mio. abgeflossen, von denen die O. nur € 60 Mio. zurückzahlte, weshalb die als Schaden zu wertende Differenz € 140 Mio. beträgt.
(2) Dem kann die Zwischenschaltung der WDAI nicht entgegengehalten werden, nachdem ein bestehender Darlehensrückzahlungsanspruch der Schuldnerin gegen ihre Tochtergesellschaft nicht durchsetzbar ist. Diesem Anspruch steht nämlich die aus § 242 BGB hergeleitete Einrede der alsbaldigen Rückgewähr entgegen. Gegen den Grundsatz von Treu und Glauben im Sinne des § 242 BGB verstößt nämlich auch die Ausübung einer formal bestehenden Rechtsposition, sofern der Berechtige alsbald den vorherigen Zustand wiederherstellen müsste. Mangels schutzwürdiger Interessen ist das Beanspruchen einer Leistung, die sofort zurückgewährt werden müsste, unzulässig. Damit besteht aber eine dolo agit-Einrede gegen einen Zahlungsanspruch, wenn die Leistung durch einen Schadensersatzanspruch zurückgefordert werden kann (vgl. BGHZ 116, 200, 203 f. = NJW 1992, 900, 901 = ZIP 1992, 407, 408 = BB 1992, 457, 458 = MDR 1992, 453; BGHZ 221, 229, 238 = NJW 2019, 3638, 3640 = BM 2019, 1356, 1359 = DZWIR 2019, 588, 591; NJW-RR 2007, 823, 824 f. = NVwZ 2007, 1222, 1223; NZG 2021, 230, 231 f. = ZIP 2020, 2179, 2180 = WM 2020, 2024, 2025 = DB 2020, 2292, 2293 = BB 2020, 2446, 2447 = DZWIR 2021, 289, 291 = NJW-RR 2021, 294, 295 = DStR 2020, 2619, 2620; Schubert in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl. § 442 Rn. 560 f.; Looschelders/Olsen in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2019, § 242 Rn. 279), was hier zu bejahen ist. Der WDAI steht nämlich aufgrund des zwischen ihr als beherrschter und der Schuldnerin als herrschender Gesellschaft bestehenden Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages ein Schadensersatzanspruch zu, weil die Weisung des Vorstands der Schuldnerin zur Ausreichung des Darlehens an die O. und zur Zeichnung der Schuldverschreibung pflichtwidrig im Sinne des § 309 Abs. 1 AktG war und die Tochtergesellschaft daher so zu stellen ist, als hätte es die Weisung nie gegeben. Besteht ein Beherrschungsvertrag, so haben die gesetzlichen Vertreter des herrschenden Unternehmens gemäß § 309 Abs. 1 AktG gegenüber der Gesellschaft bei der Erteilung von Weisungen an diese die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Verletzen sie ihre Pflichten, so sind sie der Gesellschaft gem. § 309 Abs. 2 Satz 1 AktG zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet.
Die Weisung an die beherrschte Gesellschaft war aus den oben genannten Gründen pflichtwidrig, weil die Darlehensvergabe ebenso wie die Zeichnung der Schuldverschreibung selbst pflichtwidrig war. Für diese pflichtwidrige Weisung haftet auch die Schuldnerin, auch wenn in § 309 Abs. 1 und Abs. 2 AktG nur die gesetzlichen Vertreter genannt sind. Die Haftung des herrschenden Unternehmens wird zwar in § 309 Abs. 1 AktG nicht genannt, entspricht aber der nahezu einhellig vertretenen Auffassung (vgl. Altmeppen in: Münchener Kommentar zum AktG, a.a.O., § 309 Rn. 141; Veil/Walla in BeckOGK AktG, a.a.O, § 309 Rn. 37; Fett in: Bürgers/Körber/Lieder, AktG, 5. Aufl. § 309 Rn. 28; Emmerich in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 9. Aufl. § 309 Rn. 21; Mertens AcP 168 [1968], 225, 228 f.), ohne dass die Kammer abschließend entscheiden müsste, ob der Anspruch auf §§ 280 Abs. 1, 31 BGB wegen einer Pflichtverletzung oder auf §§ 309 Abs. 1 AktG analog, 31 BGB gestützt werden kann, weil dies im Ergebnis keinen Unterschied macht, nachdem die Haftung des herrschenden Unternehmens in jedem Fall zu bejahen ist.
Demgemäß hat die Schuldnerin die WDAI von ihrer Darlehensschuld gegenüber der Schuldnerin freizustellen, weil der Anspruch bei Belastung mit einer Verbindlichkeit auf Befreiung der Verbindlichkeit gerichtet ist (vgl. BGH NZG 2011, 631, 633 = ZIP 2011, 816, 819 = WM 2011, 505, 508 = BB 2011, 702, 705 = MDR 2011, 435 = NJW-RR 2011, 910, 912; Oetker in: Münchener Kommentar zum BGB, a.a.O., § 250 Rn. 4 und 13).
Da von der Gesamtauszahlung von € 200 Mio. ein Betrag von € 60 Mio. an die Schuldnerin zurückgeflossen ist, beträgt der ihr entstandene Schaden € 140 Mio..
2. Der Arrestgrund im Sinne des § 917 Abs. 1 ZPO muss gleichfalls bejaht werden. Nach dieser Vorschrift findet der dingliche Arrest statt, wenn zu besorgen ist, dass ohne dessen Verhängung die Vollstreckung des Urteils vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde. Die Voraussetzungen dieser Norm müssen vorliegend bejaht werden.
Der Beklagte zu 1) veräußerte noch im Juni 2020, als der Insolvenzantrag der Schuldnerin unmittelbar bevorstand, als verantwortlicher Geschäftsführer der Beklagten zu 2) die in deren Eigentum befindlichen Aktien in erheblichem Umfang. Damit zeigt er aber, dass er willens ist, Vermögensgegenstände beiseitezuschaffen. Allein der Umstand, dass die Veräußerung in den Tagen unmittelbar vor dem Insolvenzantrag erfolgte, zeigt die Bereitschaft des Beklagten zu 1), Vermögensverschiebungen zum Nachteil der Schuldnerin vorzunehmen. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, aufgrund von Margin Calls habe eine Verpflichtung zum Verkauf bestanden. Dieses Vorgehen über Margin Calls zeigt die Bereitschaft der Beklagten zu 2), repräsentiert durch den Beklagten zu 1), spekulative Geschäfte einzugehen. Da der Verbleib des Erlöses aus der Veräußerung der Aktien unbekannt ist, zeigt sich, dass das Vermögen so verwertet wird, dass es einer Zwangsvollstreckung in wesentlichen Teilen entzogen wird (vgl. KG WM 2003, 2294, 2296). Allein die Tatsache, dass sich der Beklagte zu 1) in Untersuchungshaft befindet, vermag am Bestehen eines Arrestgrundes nichts zu ändern. Denn die Untersuchungshaft hindert den Beklagten zu 1) weder rechtlich noch tatsächlich daran, Vermögensverfügungen gegebenenfalls über beauftrage Personen vorzunehmen (vgl. OLG München AG 2021, 849, 850).
3. Der Arrestbefehl des Landgerichts München I vom 30.12.2021 ist nicht wegen Verstreichenlassens der Frist des § 929 Abs. 2 ZPO aufzuheben. Aufgrund dieser Vorschrift ist ein Arrest innerhalb einer Frist von einem Monat zu vollziehen. Mithin muss der Antragsteller innerhalb dieser Frist Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet, die Vollstreckung muss also begonnen haben. Im Ausgangspunkt ist davon auszugehen, dass Vollstreckungsmaßnahmen, die nichtig sind, nicht in der Lage sind, diese Vollziehungsfrist auszulösen. Eine Nichtigkeit ergibt sich allerdings nicht aus der Vollziehung des Vermögensarrests durch die Staatsanwaltschaft München I, weil § 111 h Abs. 2 Satz 1 StPO aus den bereits genannten Gründen dem hiesigen Arrest nicht entgegensteht. Die Vollziehung des Arrestbefehls ist unstatthaft, wenn seit dem Tag, an dem der Partei, auf deren Gesuch hin er erging, zugestellt ist, ein Monat verstrichen ist. Der Kläger, dem der Beschluss des Landgerichts München I am 3.1.2022 zugestellt wurde, hat innerhalb der am 3.2.2022 endenden Frist allerdings den Arrestbefehl vollzogen.
a. Als Vollziehungsmaßnahme muss bereits der am 3.2.2022 dem Beklagten zu 1) wirksam zugestellte Antrag auf Vermögensauskunft im Sinne des § 802 c Abs. 1 Satz 1 ZPO gesehen werden. Aufgrund dieser Vorschrift ist der Schuldner verpflichtet, zum Zwecke der Vollstreckung einer Geldforderung auf Verlangen des Gerichtsvollziehers Auskunft unter anderem über sein Vermögen zu erteilen, wobei Voraussetzung für die Auskunftspflicht ein Vollstreckungsauftrag des Gläubigers beim Gerichtsvollzieher im Sinne des § 802 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO ist (so LG Hamburg BeckRS 2019, 35206). Es ist weithin anerkannt, dass auf Basis eines Arrestbefehls die Abnahme einer Vermögensauskunft erwirkt werden kann, weil Grundvoraussetzung einer Auskunftspflicht das Vorhandensein eines tauglichen Titels ist, wozu auch der Arrest gehören muss (vgl. LG Hamburg, Beck RS 2019, 35206; Seiler in: Thomas/Putzo, ZPO, 43. Aufl. § 802 c Rn. 4). Die Durchführung der Vermögensauskunft innerhalb der Vollziehungsfrist kann nicht verlangt werden. Gerade angesichts der Zwei-Wochen-Frist aus § 802 f Abs. 1 Satz 1 ZPO zur Begleichung der Forderung wird diese Durchführung regelmäßig erst gegen Ende, wenn nicht nach dem Ende der Vollziehungsfrist erfolgen können. Der Zweck der Auskunft liegt darin, gegebenenfalls neue, dem Gläubiger noch nicht bekannte Vermögensgegenstände aufzuspüren. Durch den so gewonnenen Überblick über vorhandene Vermögenswerte wird dem Gläubiger ein zielgerichtetes Vorgehen ermöglicht, was zu einer erheblichen Beschleunigung der Vollstreckung führen kann (vgl. Nober in: Anders/Gehle, ZPO, 80. Aufl., § 802 c Rn. 3, Forbriger in: Münchener Kommentar zur ZPO, a.a.O., § 802 c Rn. 2). Dann aber wäre es nicht nachvollziehbar, wenn der Gläubiger Forderungen, über die er auf diesem Weg auch nach Ablauf der Vollziehungsfrist Kenntnis erlangt hat, nicht pfänden dürfte, sondern einen erneuten Arrest beantragen müsste (vgl. LG Hamburg Beck RS 2019, 35206). Dies wäre eine mit dem Normzweck nicht vereinbare Begünstigung des Arrestschuldners, wollte man dem Arrestgläubige nach Ablauf der knapp gehaltenen Monatsfrist auf das Erfordernis verweisen, erneut einen Arrest zu erwirken. Die Vollziehungsfrist stellt sich als Merkmal des Eilcharakters des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens dar und wirkt als eine immanente zeitliche Begrenzung des dem Gläubiger gewährten Rechtsschutzes. Sie verhindert, dass die Arrestvollziehung unter Umständen erfolgt, die sich von denen zur Zeit der Arrestanordnung wesentlich unterscheiden und dient so dem Schutz des Schuldners (vgl. BVerfG NJW 1988, 3141; BGHZ 112, 356, 361 = NJW 1991, 496, 497 = ZIP 1991, 58, 59 = MDR 1991, 242; WM 2017, 1420 = RIW 2018, 305, 306; OLG München MDR 2021, 1486; Drescher in: Münchener Kommentar zur ZPO, a.a.O., § 929 Rn. 1; G. Vollkommer in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. § 929 Rn. 2). Wenn aber der Kläger als Gläubiger einen solchen Antrag auf Auskunft noch vor dem Ende der Vollziehungsfrist stellt, macht er deutlich, dass er an dem Eilcharakter seiner Maßnahmen festhalten will. Der Gegenansicht ist daher nicht zu folgen.
b. Abgesehen davon hat der Kläger innerhalb der Monatsfrist auch weitere Vollstreckungsmaßnahmen beantragt und damit den Arrestbefehl vollzogen, was namentlich für die Immobilie in Frankreich mit der Eintragung einer vorläufigen gerichtlichen Hypothek bereits am 28.1.2022 und in Österreich durch das Erwirken von Pfandrechtsvormerkungen für die Immobilien in Ki… und Wien-Hietzing sowie in L…gilt. Diesen Anträgen kann infolge der Unanwendbarkeit von § 111 h Abs. 2 Satz 1 StPO nicht die Wirksamkeit abgesprochen werden, wie bereits oben ausgeführt wurde.
Angesichts dessen war der Arrestbefehl aufrechtzuerhalten.
B.
Der Arrestantrag gegen die Beklagte zu 2) ist aus den oben genannten Gründen zulässig, jedoch nicht begründet. Ein Arrestanspruch ist nicht hinreichend glaubhaft gemacht, wobei dies sowohl für einen auf § 826 BGB als auch für einen auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB gestützten Anspruch gilt.
1. Ein Anspruch aus § 826 BGB ist nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen aufgrund dieser Vorschrift zum Ersatz des Schadens verpflichtet.
a. Zwar muss es als sittenwidrige Schädigung angesehen werden, wenn Verbindlichkeiten der Beklagten zu 2) gegenüber der Schuldnerin als Gläubigerin letztlich mit deren eigenen Mitteln beglichen werden, weil dieser dadurch liquide Mittel entzogen werden, die für den eigenen operativen Geschäftsbetrieb benötigt wurden.
b. Allerdings ist nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass der Beklagte zu 1) als Geschäftsführer der Beklagten zu 2), die sich das Verhalten ihres Geschäftsführers über § 31 BGB zurechnen lassen muss, mit zumindest bedingtem Vorsatz gehandelt hat. Bedingt vorsätzlich handelt, wer den als möglich erkannten pflichtwidrigen Erfolg billigend in Kauf nimmt (vgl. BGHZ 7, 311, 313; NJW 1984, 800, 801; NJW 1986, 180, 182; NJW 2017, 2463, 2464 = WM 2017, 1400, 1402 = MDR 2017, 1011 = VersR 2017, 1091, 1092 = ZWH 2017, 379, 381 = JR 2019, 90, 93; Grüneberg-Grüneberg, BGB, 81. Aufl. § 276 Rn. 10). Zwar ist nicht zu verkennen, dass die Staatsanwaltschaft München I entsprechend einer Pressemitteilung vom 14.03.2022 (Anlage ASt 28) auch wegen dieses Vorgehens im Zusammenhang mit der Tilgung eines Darlehens in Höhe von € 35 Mio. Anklage erhoben hat und somit von einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung im Sinne des § 170 Abs. 1 StPO ausgeht und dass für die Glaubhaftmachung eines Arrestanspruchs auch eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass die entsprechende Behauptung zutrifft. Diese Voraussetzung ist dann, aber auch nur dann erfüllt, wenn bei der erforderlichen Würdigung der Umstände des jeweiligen Falles mehr für das Vorliegen der in Rede stehenden Behauptung spricht als dagegen (vgl. BGHZ 156, 139, 142 = NJW 2003, 3558 = NZG 2004, 33 = WM 2003, 2155, 2156 = MDR 2004, 172, 173 = NZI 2003, 662; NJW-RR 2011, 136, 137 = MDR 2011, 68, 69; Seiler in: Thomas/Putzo, ZPO, a.a.O., § 294 Rn. 3; Prütting in: Münchener Kommentar zur ZPO, a.a.O., § 294 Rn. 2). Dies lässt sich vorliegend nicht bejahen, auch wenn die Anklageerhebung berücksichtigt wird. Der Beklagte zu 1) hat eine eidesstattliche Versicherung vorgelegt, in der er ausführt, ihm seien keine konkreten Anhaltspunkte für einen Zusammenhang zwischen dem O.-Darlehen und der Rückzahlung des Darlehens von Herrn M. an die Beklagte zu 2) bekannt und bewusst gewesen. Vielmehr sei er im Zeitpunkt der Rücküberweisung davon ausgegangen, dass die Gelder von einem Treuhandkonto der G. stammen und die Rückzahlung seines Darlehens darstellen würden. Die vom Kläger vorgetragenen Gesichtspunkte sind nicht geeignet, eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Situation zu erbringen, dass der Beklagte zu 1) es für möglich hielt und billigend in Kauf nahm, die Tilgung des Darlehens der Beklagten zu 2) erfolge unzulässigerweise aus Mitteln, die einer Kreislaufzahlung entstammen und letztlich aus Geldern der Gesellschaft erfolgt sein könne. Der vorgelegte und seinem Inhalt nach unstreitige Darlehensvertrag zwischen der Beklagten zu 2) und Herrn M. nimmt in seiner Präambel Bezug auf den gemeinsamen Erwerb einer Beteiligung im Retail e-commerce Bereich. Die Rückzahlung eines Teils des Darlehens erfolgte dann tatsächlich von einem Konto der G. Ltd.. Die Tatsache, dass die Beklagte zu 2) nicht die volle Darlehensverbindlichkeit von € 50 Mio. zurückerhielt, kann dabei sehr wohl auf der Überlegung beruhen, dass die Beklagte zu 2) wiederum nur das ihr von der Schuldnerin gewährte Darlehen in € 35 Mio. zurückzahlen musste, nachdem dieses unter Verstoß gegen §§ 112, 115 AktG ausgezahlt wurde.
Im Einzelfall kann zwar ein Rückgriff auf Erkenntnisse einer Staatsanwaltschaft durchaus eine Glaubhaftmachung rechtfertigen, allerdings kann die Kammer aus den vorgelegten Unterlagen und Mitteln der Glaubhaftmachung, insbesondere der Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft München I nicht erkennen, auf welche Umstände sich die Staatsanwaltschaft München I bei ihrer Anklageerhebung zur Begründung eines zumindest bedingten Vorsatzes gestützt hat und inwieweit ihr die im vorliegenden Arrestverfahren unterbreitete Einlassung des Beklagten zu 1) bekannt war. Da es sich bei dem Verfahren nach §§ 916 ff. ZPO um ein Zivilverfahren handelt, dem der Amtsermittlungsgrundsatz fremd ist, konnte nicht beurteilt werden, inwieweit die Angaben des Beklagten zu 1) im Ermittlungsverfahren widerlegt wurden und sie als reine Schutzbehauptung zu werten wären. Die Übereinstimmung jedenfalls mit der Präambel des Darlehensvertrages führt dazu, dass der bedingte Vorsatz des Beklagten zu 1) und damit die Voraussetzungen eines Arrestanspruchs gemäß §§ 826, 31 BGB gegen die Beklagte zu 2) nicht hinreichend glaubhaft gemacht sind.
2. Dieselben Erwägungen gelten auch für einen Anspruch aus §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i.V.m. § 266 2. Alt. StGB. Derjenige, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckenden Gesetzes verstößt, ist aufgrund von § 823 Abs. 2 BGB dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Die Beklagte zu 2) muss sich dabei das Verhalten ihres Geschäftsführers über § 31 BGB zurechnen lassen. Die Vorschrift des § 266 StGB stellt sich dabei ohne jeden Zweifel als ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB dar, weil der Straftatbestand der Untreue das Vermögen schützen soll (vgl. BGHZ 194, 26, 31 = NJW 2012 3439, 3440 = NZG 2012, 992, 993 = ZIP 2012, 1552, 1553 = WM 2012, 1591, 1593 = DB 2012, 1799, 1800; BGH NJW 2018, 3093, 3094 = ZIP 2018, 1736, 1737 = WM 2018, 1508, 1510 = ZWH 2018, 371, 373; Sprau in: Grüneberg, BGB, a.a.O., § 823 Rdn. 70).
Allerdings verlangt auch der Tatbestand der Untreue für seine Verwirklichung die vorsätzliche Verletzung einer Vermögensbetreuungspflicht, wobei bedingter Vorsatz auch hier genügt (vgl. BVerfG NJW 2009, 2370, 2372 = NStZ 2009, 560, 562; BGH NStZ 1997, 543, 544; Perron in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. § 266 Rn. 49; Beukelmann in: Dölling/Duttge/König/Rössner, Gesamtes Strafrecht, 4. Aufl., § 266 StGB Rn. 40). Die Kammer sieht aus denselben Gründen, wie sie oben bei §§ 826, 31 BGB dargelegt wurden und auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, die Voraussetzungen eines bedingten Vorsatzes auch hier als nicht glaubhaft gemacht an.
Angesichts dessen war der Arrest gegen die Beklagte zu 2) unter Ziffer II. des Arrestbefehls vom 30.12.2021 aufzuheben und der Antrag insoweit zurückzuweisen. Über die Auswirkungen auf die Pfändungsmaßnahmen ist in diesem Verfahren über den Widerspruch gegen den Arrestbefehl nicht zu entscheiden gewesen.
C.
1. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 92 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO und orientiert sich am Maß des jeweiligen Obsiegens und Unterliegens.
2. Eine Änderung des auf € 30 Mio. festgesetzten Streitwerts (§ 39 Abs. 2 GKG) ist nicht veranlasst.


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