Bankrecht

Keine Feststellung einer “objektlosen” Bruchteilsrestitutions-Berechtigung

Aktenzeichen  8 C 3/17

Datum:
18.4.2018
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2018:180418U8C3.17.0
Normen:
Art 3 Abs 1 GG
§ 1 Abs 1a S 1 NS-VEntschG
§ 1 Abs 2 S 2 NS-VEntschG
§ 1 Abs 6 VermG
§ 2 Abs 2 VermG
§ 3 Abs 1 S 4 Halbs 2 VermG
§ 30 VermG
§ 30a VermG
§ 31 Abs 1b VermG
Spruchkörper:
8. Senat

Leitsatz

1. Die wirksame Anmeldung eines Bruchteilsrestitutions-Entschädigungsanspruchs gemäß § 1 Abs. 1a Satz 1 NS-VEntschG setzt voraus, dass die Vermögensgegenstände, für die anteilige Entschädigung verlangt wird, innerhalb der Anmeldefrist abschließend konkretisiert und damit identifiziert (bestimmt) und nicht nur individualisierbar (bestimmbar) umschrieben werden.
2. § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG i.V.m. § 1 Abs. 6 und § 30 Abs. 1 Satz 4 VermG sieht keine “objektlose” Feststellung einer Bruchteilsrestitutionsberechtigung vor, die sich in der Feststellung einer anteiligen Berechtigung wegen einer bestimmten Unternehmens- oder Anteilsschädigung erschöpft, ohne die Vermögensgegenstände im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG, an denen die anteilige Berechtigung bestehen soll, konkret zu bezeichnen.
3. Ein Anspruch auf Bruchteilsrestitution wegen der Entziehung in Westdeutschland oder West-Berlin belegener Anteile an einem Unternehmensträger setzt nach § 3 Abs. 1 Satz 4 Teils. 2 VermG voraus, dass die Anteilsentziehung selbst nach einem nach dem 8. Mai 1945 erlassenen Gesetz wiedergutgemacht wurde. Es reicht daher nicht aus, wenn lediglich eine Wiedergutmachung für die Entziehung des Erlöses eines Anteilsverkaufs gewährt wurde.

Verfahrensgang

vorgehend VG Berlin, 28. Januar 2016, Az: 29 K 15.15, Urteil

Tatbestand

1
Die Klägerin macht vermögensrechtliche Ansprüche wegen des Verlusts einer Beteiligung des Dr. W. an der F. AG geltend.
2
Dr. W. gehörte zum Kreis der im Nationalsozialismus aus rassischen Gründen Verfolgten. Am 1. Januar 1931 war er Inhaber von Aktien der F. AG im Nominalwert von 7 005 000 RM. Zwischen 1937 und 1942 übertrug er Aktien der F. AG im Nennwert von 6 166 000 RM auf seine Adoptivtöchter. Aktien im Nominalwert von 352 500 RM verkaufte er zur Begleichung von Steuern, Anwaltshonoraren und zur Abdeckung eines Debetsaldos. Außerdem übertrug er Aktien im Nominalwert von 48 100 RM an die Jüdische Kultusvereinigung in M. Dr. W. wurde zur Zahlung einer Judenvermögensabgabe in Höhe von 1 931 500 RM herangezogen. Einen Betrag von 772 600 RM beglichen die Töchter des Dr. W. aus dem Verkauf von Aktien der F. AG, die dieser ihnen zuvor übertragen hatte. Einen weiteren Betrag von 256 300 RM beglich Dr. W. durch den Verkauf von eigenen Aktien der F. AG. Mit Verfügung vom 30. Mai 1942 zog das Staatsministerium des Inneren in München das restliche Vermögen des Dr. W. zugunsten des Deutschen Reiches ein.
3
Mit Beschlüssen des Landesamts für Vermögenskontrolle und Wiedergutmachung in Hessen vom 27. September 1954 und vom 4. Juni 1955 wurde das Deutsche Reich verpflichtet, den Erben nach Dr. W. Aktien der F. AG im Nominalwert von 507 500 RM zu verschaffen oder im Unvermögensfalle stattdessen Schadensersatz zu leisten. Außerdem wurde das Deutsche Reich verpflichtet, Schadensersatz bzw. Entschädigung für verlorene Bankguthaben, die Zahlung eines Teils der Judenvermögensabgabe und die Abgabe an die jüdische Kultusvereinigung zu leisten.
4
Mit Globalanmeldungen vom 21., 22. und 23. Dezember 1992 machte die Klägerin vermögensrechtliche Ansprüche als Rechtsnachfolgerin jüdischer Geschädigter geltend. Mit Schreiben vom 6. Oktober 1993 präzisierte sie ihre Globalanmeldung “ANM-1 vom 22. Dezember 1992” auf “das Grund- und Betriebsvermögen der C. AG” auch “als Bestandteil des F.-Konzerns” sowie auf “das persönliche Vermögen” u.a. (Dr.) W. und “auch” die “Anteile … weiterer jüdischer Eigentümer der Fa. C. AG bzw. des F.-Konzerns”. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 18. Dezember 2003 lehnte die Beklagte den Antrag auf Rückübertragung des Betriebsvermögens dieses Tochterunternehmens ab.
5
Mit Schreiben vom 4. September 2006 meldete die Klägerin unter Bezugnahme auf § 1 Abs. 1a Satz 1 NS-VEntschG die Beteiligung des Dr. W. “an der F. AG und deren Besitz” unter “Beschränkung auf Entschädigung” an und verwies im Übrigen auf “bereits vorhandene JCC-Anmeldungen zur F.”. Den Antrag lehnte das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen mit Bescheid vom 9. Dezember 2014 ab.
6
Die Klägerin hat in ihrer Klagebegründung die Feststellung ihrer Bruchteilsrestitutions-Entschädigungsberechtigung hinsichtlich eines Anteils des Dr. W. an der F. AG im Nominalwert von mindestens 5 513 700 RM verlangt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat sie ihr Begehren auf die Feststellung einer Berechtigung hinsichtlich eines Anteils im Nominalwert von 1 075 000 RM beschränkt.
7
Mit Urteil vom 28. Januar 2016 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte dazu verpflichtet festzustellen, dass die Klägerin wegen der Beteiligung des Dr. W. an der F. AG in Höhe von nominal 1 075 000 RM (Bruchteilsrestitutions-Entschädigungs-)Berechtigte im Sinne des Vermögensgesetzes ist. Der Anspruch folge aus § 1 Abs. 1a NS-VEntschG i.V.m. § 1 Abs. 6 und § 3 Abs. 1 Satz 4 Teils. 2 VermG. Das Schreiben der Klägerin vom 6. Oktober 1993 genüge zwar nicht zur fristwahrenden Präzisierung der Globalanmeldungen vom 21., 22. und 23. Dezember 1992. Die Klägerin habe aber mit ihrem Schreiben vom 4. September 2006 fristgerecht Ansprüche auf Bruchteilsrestitutions-Entschädigung für das frühere Vermögen der F. AG im Beitrittsgebiet angemeldet. Insoweit genüge es, die entzogenen Anteile zu benennen, derentwegen solche Ansprüche geltend gemacht würden. Ihr stehe wegen des Verlusts einer Beteiligung des Dr. W. an der F. AG im Nominalwert von 1 075 000 RM ein Anspruch auf Bruchteilsrestitution aus § 3 Abs. 1 Satz 4 Teils. 2 VermG zu. Die Beteiligung sei Gegenstand einer Schädigung im Sinne von § 1 Abs. 6 VermG gewesen. Ausweislich der Entscheidungen des Landesamts für Vermögenskontrolle und Wiedergutmachung in Hessen vom 27. September 1954 und vom 4. Juni 1955 seien Dr. W. Aktien der F. AG im Nominalwert von 507 500 RM entzogen worden. Aus den vorliegenden Akten ergebe sich weiter, dass Dr. W. Aktien der F. AG im Nominalwert von 138 300 RM veräußert habe, um die ihm auferlegte Judenvermögensabgabe zu begleichen. Schließlich stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass Dr. W. weitere Aktien der F. AG im Nominalwert von 429 200 RM verfolgungsbedingt verloren habe. Diese Aktien hätten sich am 3. September 1941 in einem Sperrdepot befunden und seien unter die Vermögenseinziehung vom 30. Mai 1942 gefallen. Der Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Bruchteilsrestitutions-Entschädigungsberechtigung für Aktien der F. AG im Nominalwert von 1 075 000 RM stehe nicht entgegen, dass für Aktien im Nominalwert von 567 500 RM keine Rückgabe nach Rückerstattungsrecht erfolgt sei. Der Wortlaut des § 3 Abs. 1 Satz 4 Teils. 2 VermG spreche dafür, dass die Vorschrift eine Rechtsfolgenverweisung darstelle, die der Gesetzgeber auch beabsichtigt habe. Hätte er die Rückgabe der Beteiligung für erforderlich gehalten, wäre dies Anlass für eine ausdrückliche Klarstellung gewesen. Schließlich habe alliiertes Rückerstattungsrecht eine Rückgabe von an der Börse veräußerten Aktien wegen des Gutglaubensschutzes beim Erwerb von Inhaberpapieren nur ausnahmsweise vorgesehen. Habe der Geschädigte im rückerstattungsrechtlichen Verfahren keine Rückgabe und keinen Ersatz für die verlorene Beteiligung erhalten können, würde ein Rückgabeerfordernis als Voraussetzung für den Bruchteilsrestitutionsanspruch etwas Unmögliches verlangen. Das widerspräche dem Wiedergutmachungszweck des Vermögensgesetzes. Es seien zudem keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass der Berechnung der Schadensersatzleistung der Wert der Aktienbeteiligung im Schädigungszeitpunkt, einschließlich der im Beitrittsgebiet gelegenen Grundstücke, zugrunde gelegen habe.
8
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte, es fehle schon an einem wirksamen Entschädigungsantrag nach § 1 Abs. 1a Satz 1 NS-VEntschG. Die Klägerin habe die Vermögensgegenstände, für die anteilige Entschädigung begehrt werde, nicht benannt. Der geltend gemachte Anspruch auf Feststellung einer Berechtigung hinsichtlich eines Anspruchs auf Bruchteilsrestitutions-Entschädigung wegen des Verlusts der Anteile des Dr. W. an der F. AG ergebe sich nicht aus § 1 Abs. 6 und § 3 Abs. 1 Satz 4 Teils. 2 VermG. Der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 6 VermG sei für Beteiligungen an Unternehmen mit Sitz in Westdeutschland oder West-Berlin nicht eröffnet. § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG ermögliche keine Feststellung der Berechtigung hinsichtlich unbenannter Vermögensgegenstände eines Unternehmens wegen des Verlusts einer Beteiligung daran. Dem geltend gemachten Anspruch auf Bruchteilsrestitutions-Entschädigung stehe hinsichtlich der Aktien im Nominalwert von 567 500 RM schließlich entgegen, dass diese nicht nach einem anderen, nach dem 8. Mai 1945 ergangenen Gesetz zurückgegeben worden seien. Der von den Rückerstattungsgerichten zuerkannte Schadensersatz sei für den Verlust des Erlöses aus dem Aktienverkauf, nicht aber für den Verlust der Beteiligung selbst geleistet worden. Insoweit fehle es deshalb an der Identität zwischen dem geschädigten und dem Vermögenswert, für dessen Verlust Wiedergutmachung geleistet worden sei.
9
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 28. Januar 2016 zu ändern und die Klage abzuweisen.
10
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
11
§ 1 Abs. 1a NS-VEntschG verlange nicht, die Vermögensgegenstände, für die nach § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG Entschädigung begehrt werde, innerhalb der dort genannten Frist zu benennen. Der Gesetzgeber habe die Vorschrift eingeführt, um der Klägerin weitere Entschädigungen bei gelungenem Nachweis des Verlusts jüdischer Beteiligungen an Unternehmensträgern mit Sitz in Westdeutschland oder West-Berlin zu ermöglichen. Dieses Ziel würde verfehlt, wenn die Klägerin gezwungen gewesen wäre, innerhalb der Frist des § 1 Abs. 1a NS-VEntschG das Vermögen der betroffenen Unternehmen im Beitrittsgebiet im Einzelnen zu benennen. Für diese Sicht spreche auch, dass der Gesetzgeber in § 1 Abs. 1a NS-VEntschG den Begriff “Vermögenswert” verwende, während er in § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG von “Vermögensgegenständen” spreche. Der geschädigte Vermögenswert sei der Anteil am Unternehmensträger mit Sitz in Westdeutschland oder West-Berlin, während Vermögensgegenstand der konkrete Gegenstand des Betriebsvermögens sei. Anders als in einem früheren Antrag, in dem nur der geschädigte Unternehmensträger bezeichnet worden sei, habe die Klägerin vorliegend die geschädigte Unternehmensbeteiligung innerhalb der Frist des § 1 Abs. 1a NS-VEntschG benannt. Es sei Aufgabe der Beklagten, die Entschädigungshöhe hinsichtlich der entzogenen Beteiligung zu berechnen. Das sei ihr nach den von der Klägerin im Klageverfahren zum Vermögen der F. AG im Beitrittsgebiet gemachten Angaben und ihren eigenen Erkenntnissen auch möglich. Das Verwaltungsgericht habe § 1 Abs. 6 und § 3 Abs. 1 Satz 4 Teils. 2 VermG fehlerfrei angewendet. Die Vorschriften verlangten nicht, dass hinsichtlich entzogener Beteiligungen an Unternehmensträgern mit Sitz in Westdeutschland oder West-Berlin ein erfolgreiches Rückerstattungsverfahren durchgeführt worden sei. Sehe man das anders, liege diese Voraussetzung jedenfalls vor. Den Erben des Dr. W. sei für die Begleichung der Judenvermögensabgabe aus dem Erlös des Aktienverkaufs Schadensersatz nach Rückerstattungsrecht gewährt worden. Das müsse genügen, um die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 2 VermG zu erfüllen, wenn Aktien verkauft worden seien, um aus dem Verkaufserlös diskriminierende Abgaben zu begleichen. Andernfalls hänge der Anspruch auf Bruchteilsrestitutions-Entschädigung davon ab, welchen Weg der Verfolgte zur Begleichung der diskriminierenden Abgabe eingeschlagen habe.


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