Bankrecht

Keine Leistungsverfügung zur Abwendung der Zahlungsunfähigkeit einer Gesellschaft

Aktenzeichen  7 U 1079/18

Datum:
20.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GmbHR – 2018, 976
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 940
FamFG §§ 49 ff., § 246 f.
InsO § 17

 

Leitsatz

1. Für den Erlass einer Befriedigungsverfügung zur Abwendung von Zahlungsunfähigkeit und Insolvenz einer GmbH besteht kein Verfügungsgrund. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
2. In die Prognose, die bei der Prüfung drohender Zahlungsunfähigkeit anzustellen ist, muss die gesamte Finanzlage des Schuldners bis zur Fälligkeit aller bestehenden Verbindlichkeiten einbezogen werden.  (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
3. Im Berufungsverfahren gegen eine erlassene Leistungsverfügung ist der Wert des Interesses auf den vollen Betrag der zugesprochenen Leistung festzusetzen. Ein Abschlag ist nicht vorzunehmen. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

12 HK O 2996/18 2018-03-22 Urt LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Landgerichts München I vom 22.03.2018, Az. 12 HK O 2996/18, aufgehoben und der Antrag der Klägerin vom 28.02.2018 zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.000.000,00 € festgesetzt.

Gründe

A.
Die Klägerin ist ein am 13.02.2009 gegründetes und insbesondere im Handel mit Softwarelizenzen der Firma Microsoft sowie der Beratung von Unternehmen sowohl hinsichtlich des Einsatzes von Software der Firma Microsoft als auch bezüglich des regelgetreuen und optimierten Einsatzes von Nutzungsrechten für Microsoft-Software tätiges Unternehmen. An ihm sind derzeit neben den beiden Geschäftsführern Dieter M. und Andreas L. mit jeweils 18,33%, Herr Johannes A., der Stiefsohn des Vorstandsvorsitzenden der Beklagten, mit 18,34%, Herr Nikolaus K., der Sohn des Vorstandsvorsitzenden der Beklagten, mit 5,00% sowie die Beklagte mit 40,00% beteiligt.
Die Klägerin ist mit 84,68% an der S. GmbH beteiligt, deren Haupttätigkeit im Software Asset Management (SAM) besteht. Dabei sollen Kunden mittels einer Scannersoftware zur Aufdeckung von Unterlizenzierungen auf Überprüfungen ihrer Softwarenutzungsrechte durch Microsoft und andere Softwarehersteller vorbereitet werden, um Strafzahlungen und/oder Nachlizenzierungen zu vermeiden.
Die Beklagte ist ein Unternehmen, dessen Gegenstand u.a. die Beteiligung an anderen Unternehmen ist.
Anlässlich der Übernahme des 40 prozentigen Gesellschaftsanteils an der Klägerin durch die Beklagte schlossen die Gesellschafter der Klägerin sowie die Gesellschafter der S. GmbH am 18.08.2017 eine Gesellschaftervereinbarung (Anl. Ast 7), wonach die Beklagte der Klägerin die Gewährung eines Darlehens in Höhe von 1.500.000,00 € zur Ablösung von Kreditverbindlichkeiten der Klägerin bei zwei Banken (Darlehen I), eines weiteren Darlehens in Höhe von 2.300.000,00 € zur Ablösung von „Finanzierungen/Bürgschaften/Sicherungen“ von Frau Prof. Dr. A. bei der Klägerin und der S. GmbH sowie zur Rückzahlung eines Gesellschafterdarlehens von Herrn Johannes A. (Darlehen II) und schließlich eines dritten, „in Teilbeträgen gem. Businessplan“ abrufbaren Darlehens in Höhe von insgesamt 7.200.000,00 € zur Finanzierung des Aufbaus und der Erweiterung des Geschäftsbetriebes der Klägerin (Darlehen III) zusagte (Abschnitt A. der Gesellschaftervereinbarung vom 18.08.2017 laut Anlage 3 zu der notariellen Urkunde des Notars U. vom 18.08.2017 UrNr. 1141 U/2017, Anl. Ast 7).
In der Gesellschaftervereinbarung verpflichteten sich die Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin und der S. GmbH zum Aufbau und zur Durchführung eines Berichtswesens, das – in der Vereinbarung näher definierten – Mindestanforderungen entsprechen muss (Abschnitt C. der Gesellschaftervereinbarung vom 18.08.2017 laut Anlage 3 zu der notariellen Urkunde des Notars Uhlig vom 18.08.2017 UrNr. 1141 U/2017, Anl. Ast 7).
In teilweiser Umsetzung dieser Gesellschaftervereinbarung schlossen die Parteien am 18.08.2017 einen mit „Darlehen III“ bezeichneten Darlehensvertrag (Anl. Ast 20), mit dem die Beklagte der Klägerin ein Abrufdarlehen in Höhe von 7.200.000,00 € „für den Aufbau des operativen Geschäfts“ gewährte.
§ 1 Ziffer 3. des Darlehensvertrages lautet:
„Dieses Darlehen III löst insoweit den bisherigen Darlehensvertrag zwischen der K.M. AG und der A.C. GmbH über EUR 480.000,00 € vom 19.06.2017 ab. Insofern ist dieses Darlehen bereits mit einer ersten Auszahlung in Höhe von 480.000,00 € in Anspruch genommen worden. Die weiteren Auszahlungen erfolgen monatlich auf Basis einer Anforderung der Geschäftsleitung des Darlehensnehmers entsprechend dem vorgelegten Business Plan vom 20.06.2017. Insofern stehen für folgende Halbjahres-Zeiträume folgende Beträge zur Verfügung:
2. Halbjahr 2017 1.900.000 EUR
1. Halbjahr 2018 2.400.000 EUR
2. Halbjahr 2018 2.050.000 EUR
1. Halbjahr 2019 850.000 EUR
§ 3 des Darlehensvertrages enthält folgende Regelung:
„3.1 Dem Darlehensgeber steht ein außerordentliches Sonderkündigungsrecht, das zur fristlosen Kündigung des Darlehens mit sofortiger Rückzahlungspflicht der ausgereichten Darlehensvaluta berechtigt in folgenden Fällen vor (sic), wobei es genügt, dass eine der Sachverhaltsgestaltungen eintritt:
a. das Geschäftsmodell des Darlehensnehmers bzw. das technische Projekt, das der Darlehensnehmer verfolgt, lässt sich nicht umsetzen
b. es droht dem Darlehensnehmer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, falls dem Darlehensnehmer nicht Eigenkapital oder entsprechendes Fremdkapital mit qualifizierten Rangrücktrittsvereinbarungen zufließt In jedem dieser Fälle steht dem Darlehensgeber kein Anspruch mehr zu auf Auszahlung von etwaigen noch nicht ausgereichten Darlehenstranchen.“
3.2 Eine Kündigung ist im Übrigen nur aus wichtigem Grund möglich. Ob ein wichtiger Grund vorliegt, ist insbesondere nach den Regelungen des § 490 BGB zu beurteilen.“
Im Zeitraum zwischen dem Abschluss des Darlehensvertrages und einschließlich Dezember 2017 rief die Klägerin aus dem Darlehen III vier Teilbeträge in Höhe von insgesamt 1.450.000,00 € ab, die von der Beklagten an die Klägerin ausgezahlt wurden. Die Klägerin und die S. GmbH stellten daraufhin von August 2017 bis Januar 2018 insgesamt 29 neue Mitarbeiter ein.
Ab September 2017 begann die S. GmbH mit einem testweisen Scan der bei der Beklagten verwendeten Software, um dadurch die praktische Umsetzbarkeit des Geschäftsmodells der Klägerin zu demonstrieren. Ob der Scan erfolgreich durchgeführt wurde, war und ist zwischen den Parteien streitig.
Da zwischen den Parteien des Weiteren auch Streit über Auskunfts- und Informationsrechte der Beklagten gegenüber der Klägerin bestand, lud die Beklagte die Geschäftsführer der Klägerin mit Email vom 01.12.2017 (Anl. Ast. 36) zu einer Besprechung nach M. (dem Sitz der Beklagten) am 05.12.2017 ein. Diesen Termin wollten die Geschäftsführer der Klägerin jedoch wegen Terminskollisionen nicht wahrnehmen (Anl. Ast 36). Den daraufhin vereinbarten Termin am 18.12.2017 verschob die Beklagte mit Email vom 12.12.2017 auf den 19.12.2017, woraufhin die Geschäftsführer der Klägerin wiederum aufgrund von Terminskollisionen die Besprechung telefonisch absagten. Mit Schreiben des Vorstandsvorsitzenden der Beklagten vom 12.12.2017 (Anl. Ast. 35) drohte die Beklagte daraufhin gegenüber der Klägerin wegen der Unmöglichkeit der Umsetzung des Geschäftsmodells der Klägerin die Kündigung des Darlehensvertrages III an und erklärte, dass sie die nächste Darlehensrate nicht auszahlen werde.
Mit Email vom 04.01.2018 (Anl. Ast 23) rief die Klägerin weitere 400.000,00 € aus dem Darlehen III ab, deren Auszahlung die Beklagte mit Email vom 11.01.2018 (Anl. Ast 26) jedoch von der Erteilung weiterer Auskünfte durch die Klägerin abhängig machte und schließlich mit Schreiben vom 22.01.2018 (Anl. AG 4) ablehnte, da die aktuelle Liquiditätslage der Klägerin eine solche nicht erforderlich erscheinen lasse.
Mit Schreiben vom 29.01.2018 kündigte die Beklagte den Darlehensvertrag III „gemäß § 3 Absatz 1 Buchstabe a und Absatz 2 fristlos“ (Anl. Ast 34).
Am 05.02.2018 rief die Klägerin gegenüber der Beklagten weitere 600.000,00 € ab (Anl. Ast 39), die die Beklagte in der Folge nicht auszahlte.
Die Klägerin trug u.a. vor, dass sie aus dem Darlehensvertrag III Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung der beiden Darlehensraten für Januar 2018 und Februar 2018 habe, da die Auszahlung nach dem Darlehensvertrag an keine weiteren Voraussetzungen gekoppelt sei. Die von der Beklagten erklärte Kündigung sei unwirksam, da ein Grund für eine außerordentliche Kündigung nach § 3 des Darlehensvertrages nicht vorliege. Insbesondere sei das Geschäftsmodell der Klägerin umsetzbar und habe sie auch alle erfüllbaren Auskunfts- und Informationsansprüche der Beklagten erfüllt.
Es bestehe neben dem Verfügungsanspruch auch ein Verfügungsgrund. Denn die Klägerin habe nach Zurückführung aller Kreditlinien außer der Inanspruchnahme des streitgegenständlichen Darlehens keine anderweitigen Finanzierungsmöglichkeiten mehr. In Anbetracht der derzeit bei -200.000,00 € liegenden Liquidität drohe die Zahlungsunfähigkeit der Klägerin.
Die Klägerin beantragte in erster Instanz:
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung verurteilt,
1.an die Antragstellerin einen Betrag in Höhe von 400.000,00 € als Darlehensteilbetrag für Januar 2018 zu zahlen, und
2.an die Antragstellerin einen Betrag in Höhe von 600.000,00 € als Darlehensteilbetrag für Februar 2018 zu zahlen.
Die Beklagte beantragte,
Die Abweisung des Antrags auf einstweilige Verfügung.
Die Beklagte erwiderte u.a., dass die von ihr am 29.01.2018 ausgesprochene außerordentliche Kündigung den Darlehensvertrag vom 18.08.2017 beendet habe und deshalb ein Anspruch der Klägerin auf Auszahlung der Darlehensraten für Januar und Februar 2018 nicht mehr bestehe. Denn es habe ein wichtiger Grund zur Kündigung vorgelegen, da die Klägerin der Beklagten nur unvollständig Auskunft erteilt habe und die erteilten Informationen falsch oder zumindest widersprüchlich gewesen seien. Darüber hinaus habe der Test-Scan bei der Beklagten ergeben, dass das Geschäftsmodell der Klägerin nicht umsetzbar sei. Schließlich lägen erhebliche Abweichungen von den im Businessplan der Klägerin aufgeführten Umsätzen und Ergebnissen vor.
Schließlich bestehe auch kein Verfügungsgrund, da im Falle einer stattgebenden Entscheidung die Hauptsache vorweggenommen würde und die Voraussetzungen für die ausnahmsweise Zulässigkeit einer Vorwegnahme der Hauptsache nicht erfüllt seien. Die von der Rechtsprechung hierzu entwickelten Grundsätze seien nämlich nur auf die Existenzgefährdung natürlicher Personen, nicht aber – wie hier – auch auf juristische Personen anwendbar.
Das Landgericht München I hat aufgrund einer mündlichen Verhandlung vom 22.03.2018, in der Beweis zur technischen Umsetzbarkeit des klägerischen Geschäftsmodells durch die Vernehmung der beiden von der Klägerin mitgebrachten Zeugen Ta. und T. erhoben wurde, die Beklagte mit Endurteil vom 22.03.2018, Az. 12 HK O 2996/18, verurteilt, an die Klägerin 400.000,00 € als Darlehensbetrag für Januar 2018 und weitere 600.000,00 € als Darlehensbetrag für Februar 2018 zu bezahlen. Das Landgericht sah die Unwirksamkeit der Kündigung als glaubhaft gemacht an und bejahte auch das Vorliegen eines Verfügungsgrundes, da eine eine Leistungsverfügung rechtfertigende Existenzgefährdung auch bei drohender Zahlungsunfähigkeit einer juristischen Person anzunehmen sei.
Auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des Endurteils des Landgerichts München I vom 22.03.2018 wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen.
Die Beklagte verfolgt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags mit ihrer Berufung ihr Antragsabweisungsziel vollumfänglich weiter.
Sie beantragt,
Das Endurteil des Landgerichts München I vom 22.03.2018, Az. 12 HK O 2996/18, wird aufgehoben.
Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Verfügungsbeklagten gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 22.03.2018, Az. 12 HK O 2996/18, kostenpflichtig zurückzuweisen.
Das Gericht hat am 20.06.2018 mündlich verhandelt. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.06.2018, die zwischen den Prozessbevollmächtigten gewechselten Schriftsätze sowie den übrigen Akteninhalt wird Bezug genommen.
B.
Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet.
I.
Der Antrag der Klägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung war zurückzuweisen, da jedenfalls kein Verfügungsgrund besteht.
Bei einem Antrag auf Erlass einer Leistungsverfügung – rechtlich also einer Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung – ist ein Verfügungsgrund nur in Ausnahmefällen und unter strengen Bedingungen anzunehmen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 24.03.2004, Az. VI-U (Kart) 35/03, Rdnr. 20). Dazu sind kumulativ drei Voraussetzungen zu erfüllen (allg. Meinung; vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 03.02.2010, Az. 10 U 610/11, Rdnr. 15, OLG Saarbrücken, Urteil vom 22.03.2007, Az. 8 U 602/16, Rdnr. 55, OLG Düsseldorf, aaO, Rdnrn 20 – 22):
– Die Klägerin muss sich demnach in einer existentiellen Notlage befinden, die die erstrebte Zahlung so dringlich macht, dass sie nicht bis zum Erlass eines vollstreckbaren Urteils in der Hauptsache warten kann,
– sie muss mit hoher bis an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Hauptsacheverfahren obsiegen und
– das Interesse der Klägerin an der Zuerkennung des Zahlungsanspruchs bereits im Verfahren der einstweiligen Verfügung muss das Interesse der Beklagten unter Abwägung der beiderseitigen Belange, insbesondere des der Klägerin aus der Nichterfüllung entstehenden oder drohenden Schadens einerseits und des von der Beklagten aus der sofortigen Erfüllung zu erwartenden Schadens andererseits, bei weitem überwiegen.
Keine dieser drei Voraussetzungen ist erfüllt.
1. a. Eine existentielle Notlage, die den Erlass der beantragten Leistungsverfügung rechtfertigen würde, besteht vorliegend nicht. Die Rechtsprechung hat die Befriedigungsverfügung für Unterhaltsansprüche natürlicher Personen entwickelt, auf deren zumindest teilweise Realisierung ein armer Antragsteller angewiesen ist, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten und nicht in existentielle Not zu geraten (Drescher in Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Auflage, München 2016, Rdnr. 9 zu § 938 ZPO). Auch wenn im Lauf der Zeit außer Unterhaltsansprüchen (deren Geltendmachung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sich seit 01.09.2009 für familienrechtliche Ansprüche ausschließlich nach §§ 49 ff, 246 f. FamFG richtet) auch andere auf Geld gerichtete Ansprüche als Gegenstand einer Befriedigungsverfügung anerkannt wurden (vgl. hierzu Mayer in BeckOK, ZPO, 27. Edition, Stand 01.12.2017, Rdnr. 15 zu § 938 ZPO und die Nachweise bei Huber in Musielak/Voit, ZPO, 14. Auflage, München 2017, Rdnr. 19 zu § 940 ZPO), so ging es dabei regelmäßig um die Sicherung der wirtschaftlichen Grundlagen „zur Führung eines menschenwürdigen Lebens“ (Drescher, aaO, Rdnr. 20 zu § 938 ZPO) und damit um die Existenzsicherung einer natürlichen Person.
b. Ob auch die drohende Zahlungsunfähigkeit einer GmbH eine derartige existentielle Notlage begründen kann, ist umstritten.
aa. Das OLG Rostock hat dies unter Hinweis auf das auch einer juristischen Person nach Art. 19 Abs. 3 i.V.m Art. 2 Abs. 2 GG zustehende Recht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes bejaht (Urteil vom 05.06.1996, Az. 6 U 395/96, OLG-NL 1996, 283, 284; ebenso LG Bonn, Urteil vom 03.04.1997, Az. 14 O 39/97, DB 1997, 1614). Dem ist das Landgericht in dem mit der Berufung angegriffenen Urteil gefolgt.
bb. Dagegen wird in der Literatur – soweit das Problem überhaupt erörtert wird – der Erlass einer Befriedigungsverfügung zur Abwendung von Zahlungsunfähigkeit und Insolvenz abgelehnt (Mayer in BeckOK ZPO, 27. Edition, Stand 01.12.2017, Rdnr. 18 zu § 938 ZPO, Huber in Musielak/Voit, ZPO, 14. Auflage, München 2017, Rdnr. 15 zu § 940 ZPO, Seiler in Thomas/Putzo, ZPO, 38. Auflage, München 2017, Rdnr. 17 zu § 940 ZPO jedoch jeweils ohne Begründung; vgl. auch OLG Koblenz, Urteil vom 03.02.2010, Az. 10 U 610/11, Rdnr. 16, das schon bei einer natürlichen Person eine Befriedigungsverfügung zur Insolvenzabwehr ablehnt).
cc. Die letztgenannte Auffassung ist zutreffend. Denn „(d) ie Kapitalgesellschaft ist eine künstliche Schöpfung nach Maßgabe einer von der Rechtsordnung aus Zweckmäßigkeitsgründen zugelassene Rechtsform. Sie bietet den hinter der Gesellschaft stehenden Personen wirtschaftliche Vorteile, insbesondere eine Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen. Demgemäß ist die Rechtsträgerschaft an ein ausreichendes Vermögen gebunden. Dieses ist Voraussetzung sowohl für ihre Gründung als auch für ihre weitere Existenz. Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung sind für die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (…) (Insolvenz) gründe. Mit der Eröffnung des (Insolvenz) verfahrens ist die Gesellschaft aufgelöst. Dabei ist für ihren Untergang ohne Belang, aus welchen Gründen ein Vermögensstand erreicht worden ist, aus dem sie ihre Verpflichtungen nicht mehr erfüllen kann. Die Kapitalgesellschaft besitzt demnach grundsätzlich nur dann eine von der Rechtsordnung anerkannte Existenzberechtigung, wenn sie ihre Ziele und Aufgaben aus eigener Kraft zu verfolgen in der Lage ist“ (BVerfG, Beschluss vom 03.07.1973, Az. 1 BvR 153/69, Rdnr. 22, gleichlautend BT-Drs. 8/3068, S. 26). Da demnach eine zahlungsunfähige und deshalb unmittelbar vor der Insolvenz stehende GmbH – wie behauptetermaßen die Klägerin – keine Existenzberechtigung hat (vgl. BGH, Beschluss vom 14.07.2005, Az. IX ZB 224/04, Rdnr. 6), besteht auch keine Notwendigkeit, ihre weitere Existenzfähigkeit wie bei einer natürlichen Person durch die Zulassung einer Befriedigungsverfügung besonders zu schützen. Daran ändert auch der grundsätzlich bestehende grundrechtliche Justizgewährungsanspruch, aus dem die Befriedigungsverfügung nach zutreffender Meinung resultiert (vgl. Drescher, aaO, Rdnr. 11 zu § 938 ZPO), in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG nichts. Denn nach Art. 19 Abs. 3 GG gelten die Grundrechte für juristische Personen nur, „soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind“. Genau dies ist aber aufgrund der fehlenden Existenzberechtigung der nach eigenem Vortrag ohne die Darlehensauszahlung insolvenzreifen Klägerin gerade nicht der Fall. Ziel des Justizgewährungsanspruchs ist es nämlich nicht, aus eigener Kraft wirtschaftlich nicht lebensfähige Kapitalgesellschaften im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes künstlich am Leben zu erhalten.
c. Selbst wann man entgegen den obigen Erwägungen mit der Klägerin davon ausgehen sollte, dass die drohende Zahlungsunfähigkeit einer GmbH dem Grunde nach den Erlass einer Leistungsverfügung rechtfertigen kann, so würde jedenfalls, um die Hauptsache nur im geringstmöglichen Umfang vorwegzunehmen, eine Verurteilung der Beklagten zur Zahlung im einstweiligen Verfügungsverfahren nur in der Höhe erfolgen können, die momentan notwendig ist, um die behauptete drohende Zahlungsunfähigkeit der Klägerin abwenden zu können. In Höhe der überschießenden Differenz zwischen diesem Betrag und der Höhe der beiden eingeklagten Darlehensraten wäre eine Verurteilung im vorläufigen Rechtsschutzes dagegen mangels Dringlichkeit in keinem Fall möglich.
Die Höhe des zur Abwehr der nach der Behauptung der Klägerin drohenden Zahlungsunfähigkeit momentan, das heißt zum Schluss der mündlichen Verhandlung, erforderlichen Geldbetrages hat die Klägerin jedoch weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht. Nicht ausreichend ist insoweit die in der mündlichen Verhandlung vom 20.06.2018 vorgelegte Excel-Tabelle, in der auf den Stichtag 19.06.2018 bezogen die offenen Forderungen der Klägerin gegen Dritte einerseits und die Verbindlichkeiten der Klägerin gegenüber Dritten andererseits aufgelistet sind.
Der Begriff der Zahlungsunfähigkeit beurteilt sich nämlich im gesamten Insolvenzrecht und darum auch im Insolvenzanfechtungsrecht nach § 17 InsO. Zahlungsunfähig ist der Schuldner, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen (§ 17 Abs. 2 Satz 1 InsO). Zahlungsunfähigkeit droht, wenn der Schuldner voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu erfüllen (§ 18 Abs. 2 InsO). In die Prognose, die bei der Prüfung drohender Zahlungsunfähigkeit anzustellen ist, muss die gesamte Finanzlage des Schuldners bis zur Fälligkeit aller bestehenden Verbindlichkeiten einbezogen werden. Der vorhandenen Liquidität und den Einnahmen, die bis zu diesem Zeitpunkt zu erwarten sind, müssen die Verbindlichkeiten gegenüber gestellt werden, die bereits fällig sind oder die bis zu diesem Zeitpunkt voraussichtlich fällig werden. Ergibt die Prognose, dass der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit wahrscheinlicher ist als deren Vermeidung, droht Zahlungsunfähigkeit (BGH, Urteil vom 05.12.2013, Az. IX ZR 93/11, Rdnr. 10).
Zu dieser über den 29.06.2018 hinausgehenden Prognose ist der vorgelegten Excel-Tabelle jedoch nichts zu entnehmen und fehlt es an jedem aktuellen Vortrag der Klägerin. Ein solcher Vortrag der Klägerin wäre umso mehr veranlasst gewesen, als die Klägerin bereits bei Einleitung des Verfahrens der einstweiligen Verfügung Ende Februar 2018 ihre unmittelbar bevorstehende Zahlungsunfähigkeit behauptete (Klageschrift vom 28.02.2018, S. 50, Bl. 50 d.A.) und insofern ihre Liquiditätslage vortrug, diese Zahlen aber mittlerweile nach dem eigenen Vortrag der Klägerin u.a. wegen „unerwartete(r) vorzeitige(r) Zahlungen von Kunden“ sowie „überraschend verlängerte(r) Zahlungsziele“ (Schriftsatz des Klägervertreters vom 11.06.2018, S. 6, Bl. 366 d.A.) nicht mehr aktuell sind.
2. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes hat sich auch nicht ergeben, dass die Klägerin im Hauptsacheverfahren mit hoher bis an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Hauptsacheverfahren obsiegen wird. Entgegen der Auffassung des Landgerichts spielen nämlich sowohl die Erfüllung von Informationsrechten der Klägerin als auch die Abweichungen vom Businessplan laut Anl. Ast 13 für die Frage, ob die Beklagte ein Recht zur außerordentlichen Kündigung des Darlehensvertrages III hatte, eine Rolle. § 3 Abschnitt 3.2 S. 1 des Darlehensvertrages vom 18.08.2017 (Anl. Ast 20) sieht nämlich ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund vor. Dieser wichtige Grund bemisst sich – wie sich schon aus der Verwendung des Wortes „insbesondere“ in S. 2 ergibt – nicht nur nach § 490 BGB. Damit kann der Darlehensvertrag wie jedes Dauerschuldverhältnis gekündigt werden, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen dem Kündigenden die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann. Anders als das Landgericht annimmt, setzt der wichtige Grund nicht voraus, dass die Klägerin eine Pflicht verletzt hat, die in einem „Gegenseitigkeitsverhältnis zum Darlehensanspruch der Klägerin“ steht (S. 11 des landgerichtlichen Urteils, Bl. 226 d.A.). Auch die Abweichungen vom Businessplan, auf den sowohl im streitgegenständlichen Darlehensvertrag III (§ 1 Ziffer 3 S. 3) als auch in der Gesellschaftervereinbarung (Abschnitt A. Abs. 4 S. 2) ausdrücklich Bezug genommen ist, und die von der Beklagten behaupteten Verletzungen der Berichts- und Informationspflichten der Klägerin aus Abschnitt C. der Gesellschaftervereinbarung vom 18.08.2017 können daher grundsätzlich einen Kündigungsgrund darstellen. Dies gilt umso mehr als die Gesellschaftervereinbarung einerseits und der Darlehensvertrag III andererseits – wie sich bereits aus dem Abschluss am selben Tag ergibt – in engem, wenn nicht untrennbaren inhaltlichen Zusammenhang stehen. Der Darlehensvertrag III dient der Umsetzung der Gesellschaftervereinbarung, wovon auch die Klägerin ausgeht, da sie für sich eine nur in der Gesellschaftervereinbarung, nicht aber im Darlehensvertrag enthaltene Fälligkeitsregel in Anspruch nimmt (Abschnitt A Abs. 4 S. 3 der Gesellschaftervereinbarung: Fälligkeit der Auszahlung spätestens fünf Tage nach Abruf des Teilbetrags durch die Klägerin). Nach dem Ergebnis des Verfügungsverfahrens steht aber nicht mit hoher bis an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, dass sich die Kündigung der Beklagten vom 29.01.2018 (Anl. Ast 34) im Hauptsacheverfahren als unwirksam herausstellen wird und der Klägerin daher der streitgegenständliche Zahlungsanspruch zusteht, sodass ein Verfügungsgrund auch deshalb zu verneinen ist.
3. Eine Befriedigungsverfügung kann darüber hinaus aber auch deshalb nicht erlassen werden, weil bei Abwägung der beiderseitigen Belange, insbesondere des der Klägerin aus der Nichterfüllung entstehenden oder drohenden Schadens einerseits und des von der Beklagten aus der sofortigen Erfüllung zu erwartenden Schadens andererseits, das Interesse der Klägerin an der Zuerkennung des Zahlungsanspruchs bereits im Verfahren der einstweiligen Verfügung das Interesse der Beklagten nicht bei weitem überwiegt.
Auf der einen Seite steht nämlich nur das Interesse der Klägerin an sofortiger Zahlung, dessen Gewicht jedoch gering zu bewerten ist, da sie – wie oben unter 1. b. cc dargelegt – mangels hinreichender Wirtschaftskraft grundsätzlich keine weitere Existenzberechtigung mehr hat. Dagegen steht das schutzwürdige Interesse der Beklagten nicht in einem nur mit eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten ausgestatteten summarischen Verfahren zur vollständigen Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs angehalten zu werden. Dieses Interesse der Beklagten gewinnt umso mehr an Gewicht, als sich die Erfüllung, das heißt die Auszahlung der streitgegenständlichen Darlehenssumme von 1.000.000,00 €, im Falle des – wie oben unter 2 dargelegt – nach derzeitigem Stand nicht auszuschließenden Obsiegens der Beklagten im Hauptsachverfahren voraussichtlich nicht mehr rückgängig machen lassen wird (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 24.03.2004. Az. VI-U (Kart) 35/03, Rdnr. 21). Am Ergebnis dieser Interessenabwägung ändert auch nichts, dass die Beklagte durch Übernahme der Gesamtfinanzierung der Klägerin im August 2017 diese von (kurzfristig) aktivierbaren Kreditlinien abschnitt.
II.
Der Ausspruch zu den Kosten folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Der Wert für das Berufungsverfahren war nach § 3 ZPO entsprechend dem vollen Wert der Hauptsache auf 1.000.000,00 € festzusetzen. Ein Abschlag war nicht vorzunehmen, da sich das Interesse des Berufungsführers auf die Abwehr eines Zahlungsanspruchs in Höhe von 1.000.000,00 € richtet und es damit um das Befriedigungs- und nicht nur um das Sicherungsinteresse geht (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 10.07.2009, Az. 3 W 43/09, Rdnr. 4).


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