Bankrecht

Örtliche Zuständigkeit bei Ansprüchen wegen vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzung in Bezug auf Prospektfehler – Vorlage an BGH

Aktenzeichen  34 AR 18/16

Datum:
11.4.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
AG – 2016, 910
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO ZPO § 32b Abs. 1, § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 3

 

Leitsatz

1. Zum Anwendungsbereich von § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO. (amtlicher Leitsatz)
2. Dass die Neufassung des § 32b Abs. 1 ZPO den Anwendungsbereich der Nr. 1 über die von der Rechtsprechung angenommenen Fälle hinaus erweitert hätte, ist nicht ersichtlich. Ansprüche aus sogenannter uneigentlicher bzw. Prospekthaftung im weiteren Sinne etwa wegen vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzung in Bezug auf Prospektfehler begründen nicht ohne weiteres die Prospektverantwortlichkeit und bilden deshalb als solche keinen Fall der Nr. 1. Namentlich ergibt sich aus dem Innehaben bestimmter Funktionen in der Fondsgesellschaft nicht schon als solche eine Prospektverantwortlichkeit im engeren Sinne (Vorlage an den Bundesgerichtshof wegen Abweichens von KG vom 11.5.2015, 2 U 5/15, OLG Frankfurt am Main vom 29.9.2015, 14 SV 12/15, und OLG Karlsruhe vom 25.2.2014 – 17 U 242/12). (amtlicher Leitsatz)

Verfahrensgang

27 O 19658/15 2015-12-11 Bes LGMUENCHENI LG München I

Tenor

Die Sache wird dem Bundesgerichtshof vorgelegt.

Gründe

I. Die Parteien streiten um Ansprüche aus einer Kapitalbeteiligung.
1. Mit am 14.12.2015 zugestellter Klageschrift vom 2.11.2015 zum Landgericht München I (Az. 27 O 19685/15) begehrt der im Bezirk des Landgerichts Koblenz wohnhafte Kläger von der in Berlin ansässigen Beklagten Schadensersatz wegen einer verlustbringenden Kapitalanlage, nämlich seiner mittelbaren Beteiligung gemäß Zeichnung vom 2.11.2005 an einem am 4.3.2005 in das Handelsregister (K 4) eingetragenen Medienfonds (E. P. Medienfonds GmbH & Co. KG IV) mit Verwaltungssitz in Grünwald (Landgerichtsbezirk München I). Gründungskommanditistin war nach dem Handelsregisterauszug (K 4) eine E. P. AG, die im Emissionsprospekt – Stand: 10.8.2005 – (K 6, z. B. Seiten 53, 59, 73 und 85 sowie Impressum) als solche ebenso wie als Prospektherausgeberin, Initiatorin und Konzeptionärin aufgeführt ist.
Bei der Beklagten handelt es sich dem Klägervortrag zufolge um die im Prospekt (z. B. Seiten 50, 59, 74 f. und 95 f.) unter ihrer früheren Firma benannte Direktkommanditistin, Treuhänderin und Mittelverwendungskontrolleurin der Fondsgesellschaft. Sie wurde am 2.11.2005 unter ihrer früheren Firma als (weitere) Kommanditistin im Handelsregister eingetragen, ist jedoch nach Ansicht des Klägers gleichfalls als Gründungskommanditistin anzusehen und daher haftungsrechtlich als solche zu behandeln.
Seine Ansprüche stützt der Kläger auf Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten aus der Stellung der Beklagten als Treuhandkommanditistin, ferner auf vorsätzliche sittenwidrige Schädigung wegen unterlassener Aufklärung darüber, dass bereits beim Vorgängerfonds die prospektierte Mittelverwendung tatsächlich nicht stattgefunden habe, sowie auf Beihilfe zum behaupteten Kapitalanlagebetrug der Fondsgesellschaft. Die der Beitrittserklärung vorausgegangene Beratung durch die Vermittlerin Tanja B. habe anhand des damals als Arbeitsgrundlage verwendeten Emissionsprospekts in seiner Privatwohnung stattgefunden, nachdem die Vermittlerin in einem vorangegangenen Telefonat sein Interesse geweckt gehabt habe. Der Prospekt sei in erheblichem Umfang mangelhaft (fehlerhaft kalkulierte Rendite, Totalverlustrisiko, steuerliche Auswirkungen, unrichtige Darstellung der Mittelverwendungskontrolle); darüber sei nicht aufgeklärt worden.
2. Das Landgericht München I hielt sich gemäß einer beiden Parteien formlos mitgeteilten schriftlichen Verfügung vom 11.11.2015 für örtlich nicht zuständig. Mitverklagt seien nicht die zu § 32b Abs. 1 Nr. 2 ZPO bezeichneten Personen. Eine Zuständigkeit ergebe sich auch nicht aus § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO, weil die Beklagte nach dem Klägervortrag nicht Prospektverantwortliche sei. Für eine Zuständigkeit des angegangenen Gerichts nach § 32 ZPO fehle es an schlüssigem Tatsachenvortrag.
Mit Beschluss vom 11.12.2015 hat sich das Gericht für örtlich unzuständig erklärt und auf den am 9.12.2015 mit Möglichkeit zur Stellungnahme binnen einer Woche an die Beklagte hinausgegebenen – dort am 15.12.2015 eingegangenen – Hilfsantrag des Klägers vom 4.12.2015 den Rechtsstreit an das Landgericht Koblenz als zuständiges Gericht aufgrund der geschilderten Haustürsituation (§ 29c ZPO) verwiesen.
Begründet hat das Landgericht dies noch damit, dass zwar geltend gemacht sei, die Beklagte habe die Stellung einer aufklärungspflichtigen Gründungsgesellschafterin übernommen; nicht behauptet werde jedoch, sie habe etwas mit dem Management der Gesellschaft zu tun oder beherrsche diese gar, sei es nach außen hin zutage tretend, sei es als „Hintermann“. Ebenso wenig sei vorgetragen, dass die Beklagte eine Garantenstellung eingenommen habe und durch ihre Mitwirkung bei der Prospektgestaltung nach außen hin in Erscheinung getreten sei. Ihre Eigenschaft als Treuhänderin und Mittelverwendungskontrolleurin reiche für eine Prospektverantwortlichkeit nicht aus. Auch im Hinblick auf § 32 ZPO sei wegen fehlenden schlüssigen Tatsachenvortrags eine Zuständigkeit des Landgerichts München I nicht gegeben.
3. Das Landgericht Koblenz hat sich seinerseits mit Beschluss vom 27.1.2016 (Az. 8 O 370/15) für örtlich unzuständig erklärt und die Sache dem Oberlandesgericht München zur Zuständigkeitsbestimmung vorgelegt.
Es hat den Standpunkt vertreten, der Verweisungsbeschluss sei wegen Fehlens jeder rechtlichen Grundlage objektiv willkürlich und für das angegangene Gericht nicht bindend. Das Landgericht München I habe verkannt, dass der Kläger sehr wohl einen Schadensersatzanspruch wegen falscher, irreführender oder unterlassener Kapitalmarktinformation im Sinne von § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO – hingegen nicht allein einen solchen wegen einer prospektunabhängig fehlerhaften Beratung – geltend mache. Dann sei das Gericht am Sitz des betroffenen Emittenten/Anbieters ausschließlich zuständig. Die Beklagte als (Gründungs-)Gesellschafterin und Treuhänderin rechne zu den „sonstigen Prospektverantwortlichen“; Prospekthaftung im weiteren Sinne auf der Grundlage eines quasi-vertraglichen Anspruchs werde von § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO erfasst. Davon gehe auch der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 30.7.2013 (X ARZ 320/13 = NJW-RR 2013, 1302) aus.
Schließlich verletze der Verweisungsbeschluss den Grundsatz des rechtlichen Gehörs, weil er nicht erkennen lasse, ob das Landgericht München I die Stellungnahmen der beiden Parteivertreter vom 4.12.2015 mit jeweils eingehender Begründung zur Zuständigkeit dieses Gerichts überhaupt berücksichtigt habe.
Der Senat hat mit Hinweisverfügung vom 3.3.2016 den Parteien Gelegenheit gegeben, sich zur beabsichtigten Vorlage an den Bundesgerichtshof zu äußern.
II. Auf die nach § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO zulässige Vorlage an das Oberlandesgericht München, zu dessen Bezirk das zuerst befasste Landgericht München I gehört, ist die Sache nach § 36 Abs. 3 ZPO dem Bundesgerichtshof vorzulegen. Der Senat hält das zunächst angerufene Landgericht München I für örtlich unzuständig, weil dort weder der ausschließliche Gerichtsstand des § 32b ZPO besteht noch ein sonstiger besonderer Gerichtsstand ersichtlich ist. Mit seiner Auffassung, dass die Voraussetzungen des § 32b ZPO nicht vorliegen, weicht er aber von Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte ab. Deshalb hat der Bundesgerichtshof zu entscheiden (§ 36 Abs. 3 Satz 2 ZPO).
1. Die Voraussetzungen für die Zuständigkeitsbestimmung sind gegeben, weil mit dem Verweisungsbeschluss des Landgerichts München I vom 11.12.2015 einerseits und dem den Parteien bekannt gegebenen Beschluss des angegangenen Landgerichts Koblenz vom 27.1.2016 andererseits zwei die Entscheidungskompetenz abschließend verneinende Entscheidungen vorliegen (vgl. BGH NJW-RR 2013, 764; BGHZ 102, 338/340; Hüßtege in Thomas/Putzo ZPO 36. Aufl. § 36 Rn. 23 m. w. N.). Auch wenn die Klage selbst erst am 14.12.2015 (PZU Bl. 70) zugestellt und damit rechtshängig wurde (§ 253 Abs. 1, § 261 Abs. 1 ZPO), ist der Beschluss des Landgerichts München I vom 11.12.2015 auf der Grundlage von § 281 ZPO ergangen (siehe Zöller/Greger ZPO 31. Aufl. § 281 Rn. 7 m. w. N.). Denn existent (Reichold in Thomas/Putzo § 329 Rn. 5) wurde der Beschluss mit seiner Hinausgabe an die Parteien am 15.12.2015 (Bl. 67), damit nach Klagezustellung.
2. Der Verweisungsbeschluss des Landgerichts München I entfaltet schon deshalb keine Bindungswirkung, weil er unter Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) ergangen ist.
a) Der Gesetzgeber hat in § 281 Abs. 2 Sätze 2 und 4 ZPO die grundsätzliche Unanfechtbarkeit von Verweisungsbeschlüssen und deren Bindungswirkung angeordnet. Dies ist im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu beachten; denn die Bindungswirkung wirkt im Bestimmungsverfahren fort (Zöller/Vollkommer § 36 Rn. 28 m. w. N.). Um langwierige Zuständigkeitsstreitigkeiten unter Gerichten auszuschließen, wird es hingenommen, dass auch unrichtige oder verfahrensfehlerhaft ergangene Beschlüsse in der Regel binden und demnach selbst ein sachlich zu Unrecht ergangener Verweisungsbeschluss der Nachprüfung entzogen ist (Zöller/Vollkommer § 36 Rn. 28 m. w. N.). Ausnahmsweise tritt die Bindungswirkung allerdings dann nicht ein, wenn die Verweisung jeder Rechtsgrundlage entbehrt und daher willkürlich ist oder wenn sie auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht (BGH NJW-RR 2015, 1016 Rn. 9; BGHZ 102, 338/341 und ständige Rspr.; Zöller/Greger § 281 Rn. 17 und 17a; Zöller/Vollkommer § 36 Rn. 28).
Ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor, weil die Beklagte vor der Verweisung kein ausreichendes rechtliches Gehör hatte.
b) Die Beklagte hatte zwar Gelegenheit, sich zur Zuständigkeitsfrage zu äußern (siehe Verfügung des Landgerichts München I vom 11.11.2015, Bl. 46/49), und hat davon auch mit Schriftsatz vom 4.12.2015 (Bl. 52/55) Gebrauch gemacht. Dennoch liegt ein die Bindungswirkung der Verweisung aufhebender Verfahrensfehler nach den maßgeblichen Umständen des Einzelfalles (BGH vom 26.8.2014 – X ARZ 275/14 = MDR 2015, 51; Zöller/Greger § 281 Rn. 17a) vor. Die Form der Anhörung reichte nämlich nicht aus, um der Beklagten ausreichend Vortrag zu ermöglichen, welches Gericht für die Verhandlung des Rechtsstreits ihrer Auffassung nach berufen ist (vgl. BGH a. a. O. Rn. 8). Denn die Verweisung an das Landgericht Koblenz als Gericht nach § 29c ZPO beruht auf dem Hilfsantrag des Klägers vom 4.12.2015, der der Beklagten erst am 15.12.2015 zur Stellungnahme zuging, so dass sie bis dahin keinen Anlass hatte, gerade mit einer Verweisung an dieses Gericht rechnen zu müssen. Sie hat dann auch innerhalb der ihr mit Verfügung vom 8.12.2015 eingeräumten Frist im Schriftsatz vom 22.12.2015 (Bl. 74 ff.) die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Koblenz ausdrücklich gerügt (Bl. 75).
c) Ob beim Landgericht Koblenz ebenfalls eine Zuständigkeit begründet wäre, kann auf sich beruhen. Die Beklagte verneint die Voraussetzungen des besonderen Gerichtsstands des Haustürgeschäfts (§ 29c ZPO) unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 3.5.2011 (NJW-RR 2011, 1137), wonach der Mittelverwendungskontrolleur aus Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Kontrolle des Vermögensfonds nicht im besonderen Gerichtsstand des Haustürgeschäfts in Anspruch genommen werden könne. Indessen befasst sich diese Entscheidung nicht auch mit der Frage, ob der Gerichtsstand für Klagen gegen den wegen ungenügender Aufklärung über Prospektfehler und Fondsrisiken haftenden Gesellschafter eröffnet ist (vgl. Schroeter/Kalb EWiR 2011, 825). Selbst wenn man davon ausginge, dass hierfür beim Landgericht Koblenz der besondere Gerichtsstand des § 29c ZPO begründet wäre, verdrängt dieser nicht einen ausschließlichen Gerichtsstand, wenn der des § 32b ZPO tatsächlich vorläge.
3. Obgleich die Bindungswirkung fehlt, erachtet der Senat das Landgericht München I nicht als zuständig.
a) Der Beschluss des Landgerichts Koblenz spricht nur die eigene örtliche Unzuständigkeit aus, enthält hingegen keine (Rück-)Verweisung (Zöller/Greger § 281 Rn. 19), auf deren Grundlage eine Zuständigkeit des Landgerichts München I unabhängig von der sachlichen Richtigkeit der Entscheidung bewirkt werden könnte (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO).
b) Ein Gerichtsstand beim Landgericht München I ist nicht schon nach § 32 ZPO begründet, weil eine erhebliche Tathandlung hier nicht feststellbar ist. Auf die nicht in Frage gestellten Ausführungen des Landgerichts München I in dessen Beschluss vom 11.12.2015 (zu b) nimmt der Senat Bezug.
c) Die im Übrigen für die Gerichtsstandsbegründung einzig denkbare Grundlage des § 32b ZPO ist nicht gegeben.
aa) Dabei kann dahin stehen, ob nicht bereits der Umstand, dass die Beklagte erst nach der Prospekterstellung und erst im Beitrittszeitpunkt des Klägers nach außen hin Kommanditistin geworden und aus Sicht des Klägers die Stellung der vormaligen Gründungskommanditistin übernommen hatte, gegen eine Prospektverantwortlichkeit spricht (vgl. auch KG – 27. Senat – vom 12.5./16.7.2015, 27 U 31/15 – Anl. BV A 13 und 14). Die Klägerseite stellt insoweit allein darauf ab, dass die Beklagte „wie eine Gründungsgesellschafterin“ zu behandeln sei. Selbst wenn letzteres materiellrechtlich zuträfe, könnte ein Gerichtsstand nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO damit allein nicht begründet werden.
bb) Die ausschließliche örtliche Zuständigkeit am Sitz des betroffenen Emittenten oder Anbieters nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO (i. d. F. vom 19.10.2012, BGBl I S. 2182) – die Alternative der Nr. 2 kommt ersichtlich nicht in Betracht, weil neben einem Verwender nicht auch der Emittent oder Anbieter mitverklagt ist (BGH NJW-RR 2013, 1302, Rn. 28; Zöller/Vollkommer § 32b Rn. 7; Reuschle/Kruis in Wieczorek/Schütze ZPO 4. Aufl. § 32b Rn. 65 f.) – setzt u. a. voraus, dass ein – vertraglicher oder gesetzlicher – Schadensersatzanspruch wegen falscher, irreführender oder unterlassener Kapitalmarktinformation geltend gemacht wird. Die Klage muss sich im Anwendungsbereich der Nr. 1 nicht auch gegen den Emittenten oder Anbieter richten (BGH a. a. O.; Reuschle/Kruis in Wieczorek/Schütze § 32b Rn. 45 f., 49). Vielmehr kommen auch andere Personen (sonstige Prospektverantwortliche, „Garanten“ vgl. Zöller/Vollkommer § 32b Rn. 6) als alleinige Beklagte in Frage, für die der Gerichtsstand des Emittenten oder Anbieters begründet ist. Daran hat die Neufassung des § 32b Abs. 1 ZPO zum 1.11.2012 nichts geändert (vgl. BGH NJW-RR 2013, 1302 Rn. 24).
Dass die Neufassung des § 32b Abs. 1 ZPO den Anwendungsbereich der Nr. 1 über die von der Rechtsprechung angenommenen Fälle hinaus erweitert hätte, ist aber ebenso wenig ersichtlich. Ansprüche aus sogenannter uneigentlicher (BGH NJW 2009, 513/515 Rn. 18) bzw. Prospekthaftung im weiteren Sinne (BGH WM 2015, 2238 Rn. 15; vgl. Reuschle/Kruis in Wieczorek/Schütze § 32b Rn. 48 und 59), etwa wegen vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzung in Bezug auf Prospektfehler, begründen nicht ohne weiteres die Prospektverantwortlichkeit und bilden deshalb als solche keinen Fall der Nr. 1. Namentlich ergibt sich aus dem Innehaben bestimmter Funktionen (wie z. B. Treuhandkommanditist, Mehrheitsgesellschafter von beteiligten Gesellschaften; siehe BGH WM 2015, 2238 Rn. 14) nicht schon als solche eine Prospektverantwortlichkeit im engeren Sinne.
cc) Aus dem maßgeblichen Klagevortrag ergibt sich nicht, dass die Beklagte aus ihrer beschriebenen Stellung als Treuhänderin und Mittelverwendungskontrolleurin „Hintermann“ gewesen und damit wie Initiatoren, Gründer und beherrschende Gestalter der Gesellschaft (vgl. BGH vom 30.7.2013 Rn. 16) Prospektverantwortliche wäre.
(1) Die Beklagte selbst war nicht Gründungskommanditistin, sondern wurde erst zu einem Zeitpunkt im Handelsregister eingetragen, als der Kläger offensichtlich schon zum Beitritt entschlossen war. Abgesehen davon wäre dieser Umstand zur Begründung von Prospektverantwortlichkeit in Gestalt einer Prospekthaftung im engeren Sinne allein ungenügend (vgl. BGH vom 30.7.2013 Rn. 14). Dass sie (bzw. ihre Rechtsvorgängerin) mit der Prospekterstellung befasst oder für dessen Inhalt verantwortlich war, ergibt sich aus dessen Inhalt nicht. Darauf beruft sich der Kläger auch nicht.
Geht es aber um die Haftung sonstiger für die Anlage Verantwortlicher als Vertreter, Vermittler oder Sachwalter auf einer besonderen persönlichen – nicht nur typisierten – Vertrauensgrundlage (vgl. BGH WM 2015, 2238) gegenüber beitretenden Anlegern (Klageschrift Seiten 20 ff.), dann handelt es sich um keinen Fall der Nr. 1 (siehe Reuschle/Kruis in Wieczorek/Schütze § 32b Rn. 48 und 59; wohl auch Wolf/Lange NJW 2012, 3751/3752). Ohne zureichende sonstige Anhaltspunkte in der Klageschrift erlaubt es eine über die fehlerhafte Aufklärung bei Anlageberatung hergeleitete Haftungsgrundlage nicht, aus den dargestellten Fehlern im Fondsprospekt darauf zu schließen, dass die Klage (auch) auf Prospekthaftung im engeren Sinne gestützt werden soll. Weil gerade die Unterlassung der gebotenen Aufklärung darüber, dass die öffentliche Kapitalmarktinformation falsch oder irreführend ist, den Kernpunkt auch der Variante von § 32b Abs. 1 Nr. 2 ZPO bildet, kommt ein klagender Anleger im Rahmen einer derartigen Klage nämlich nicht umhin, sämtliche Gesichtspunkte aufzuzeigen, aus denen sich ergibt, dass der Prospekt falsch oder irreführend ist.
(2) Ersichtlich stützt der Kläger seine Ansprüche auf Prospekthaftung im weiteren Sinne, nämlich darauf, dass die Beklagte in ihrer Rolle als Treuhandkommanditistin und/oder Mittelverwendungskontrolleurin ihm aus vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzung hafte und sie sich das Verschulden des Beraters aus unrichtiger Aufklärung – anhand des fehlerhaften Prospekts – zurechnen lassen müsse, ferner auf Delikt wegen ungenügender Aufklärung über nicht funktionierende Mittelverwendungskontrolle beim Vorgängerfonds (Klageschrift Seite 40 zu B. II.) und wegen Beihilfe zu deliktischen Handlungen der Fondsgesellschaft (Seite 43). Angeknüpft wird die (vor-)vertragliche Haftung an die fehlerhafte Aufklärung im Zug der Anlageberatung, die über § 278 BGB der Beklagten als künftiger Vertragspartei des Anlegers (Klageschrift Seiten 20 ff. zu B. I. 1.) zugerechnet wird (vgl. BGH vom 14.5.2012, II ZR 69/12 = juris Rn. 9 ff.). Solche Ansprüche unterfallen § 32b Abs. 1 Nr. 2 ZPO, nicht jedoch § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO (vgl. Reuschle/Kruis in Wieczorek/Schütze § 32b Rn. 48 a. E.: dort als „ h. M.“ bezeichnet; ferner Rn. 59; siehe auch Roth in Stein/Jonas ZPO 23. Aufl. § 32b Rn. 9 und 11; a. A. OLG Karlsruhe vom 25.2.2014, 17 U 242/12, juris Rn. 19 ff.). Die gesetzliche Neufassung durch das KapMuG 2012 hatte die Einbeziehung von Anlageberatern oder Anlagevermittlern (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG 2012, § 32b Abs. 1 Nr. 2 ZPO) zum Gegenstand (BT-Drucks. 17/8799, S. 14 und 27), nicht aber eine Ausdehnung des von § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO erfassten Anwendungsbereichs, der sich mit dem des § 1 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG (in der bis zum 31.10.2012 geltenden Fassung) deckt (vgl. BGH NJW 2007, 1364; auch OLG Karlsruhe vom 25.2.2014, juris Rn. 32; Reuschle/Kruis in Wieczorek/Schütze § 32b Rn. 59). Rechtsstreitigkeiten, in denen Schadensersatzansprüche aus Prospekthaftung im weiteren Sinne geltend gemacht werden, konnten nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs von vornherein nicht Gegenstand eines Musterverfahrens gemäß § 1 Abs. 1 KapMuG a. F. sein. Das gilt auch dann, wenn sich die Haftung aus der Verwendung eines fehlerhaften Prospekts im Zusammenhang mit einer Beratung oder einer Vermittlung ergab (zusammenfassend BGH WM 2012, 115 Rn. 14 m. w. N.; Reuschle/Kruis in Wieczorek/Schütze § 32b Rn. 59). Die mit Nr. 1 (a. F. wie n. F.) in § 1 Abs. 1 KapMuG korrespondierende Vorschrift des § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO kann nach dem Prinzip der Einheit der Rechtsordnung demnach den Gerichtsstand für entsprechende Klagen nicht festlegen.
Zu dieser Rechtsfrage verhält sich der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 30.7.2013 nicht. Vielmehr geht es dort (u. a.) um die entgegengesetzte – verneinte – Frage, ob die Neufassung den Anwendungsbereich der Nr. 1 einschränkt (BGH a. a. O. Rn. 25; Reuschle/Kruis in Wieczorek/Schütze § 32b Rn. 17 und 47).
(3) Dies sehen Entscheidungen des Kammergerichts vom 11.5.2015 (2 U 5/15 = WM 2015, 1844) sowie der Oberlandesgerichte Frankfurt am Main vom 29.9.2015 (14 SV 12/15) und Karlsruhe (vom 25.2.2014 – 17 U 242/12 – juris Rn. 30 ff. zu § 32b Abs. 1 Nr. 1 a. F. ZPO) anders, weshalb an den Bundesgerichtshof vorzulegen ist.


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