Bankrecht

Rechtsmissbräuchlicher Widerruf eines Verbraucherdarlehensvertrages

Aktenzeichen  27 U 3513/20

Datum:
16.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 39309
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 242
AEUV Art. 267

 

Leitsatz

1. Die Frage, ob die Klagepartei gegen § 242 BGB verstößt, indem sie sich auf das Fehlen des Musterschutzes beruft, ist eine nach rein nationalem Recht zu beantwortende Frage, sodass es bereits aus diesem Grunde keiner Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union bedarf. (Rn. 54) (redaktioneller Leitsatz)
2. Weiß ein Kläger, dass er keine KSB/KSB Plus abgeschlossen hatte und mit dem Darlehensvertrag der restliche Kaufpreis über das von ihm erworbene Fahrzeug finanziert wurde und macht er in Kenntnis dieser Umstände von seinem Widerrufsrecht fast vier Jahre lang nicht Gebrauch, leistet die Annuitäten und nutzt das Fahrzeug, obwohl er mit der Widerrufsinformation über sein Widerrufsrecht belehrt worden war, verhält er sich rechtsmissbräuchlich. (Rn. 47 – 48) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

113 O 640/19 2020-05-06 Urt LGAUGSBURG LG Augsburg

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 06.05.2020, Az. 113 O 640/19, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
3. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 53.245,71 €
festzusetzen. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 3 Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs der auf Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärung des Klägers.
Das klageabweisende Ersturteil des Landgerichts Augsburg ist im Ergebnis zutreffend und hat Bestand.
Entscheidungserhebliche Rechtsfehler im Sinne von § 520 Abs. 3 ZPO sind nicht ersichtlich und werden von der Berufung auch nicht aufgezeigt.
Im konkreten Fall liegt jedenfalls eine rechtsmissbräuchliche Ausübung des Widerrufsrechts vor.
I. Der Klageantrag Ziffer 1 ist unbegründet, da der am 12.08.2014 zwischen den Parteien geschlossene Darlehensvertrag nicht durch den Widerruf des Klägers vom 30.06.2018 wirksam widerrufen wurde und damit nicht in ein Rückabwicklungsverhältnis gemäß den §§ 346, 355, 495 Abs. 1, 491 BGB (in der ab 13.06.2014 geltenden Fassung) umgewandelt wurde.
Auf das streitgegenständliche Schuldverhältnis sind gemäß Art. 229 §§ 32, 38 EGBGB die ab 13.06.2014 geltenden Vorschriften anzuwenden, da der Vertrag im genannten Zeitraum geschlossen wurde. Dem Kläger stand zwar im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Darlehensvertrag gemäß den §§ 495 Abs. 1, 355 Abs. 1 BGB ein Widerrufsrecht zu. Bei Abgabe der Widerrufserklärung am 30.06.2018 war die Widerrufsfrist jedoch bereits verstrichen.
Gemäß § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB beträgt die Widerrufsfrist 14 Tage.
Sie beginnt gemäß §§ 355 Abs. 2 Satz 2, 495 Abs. 1, 356b BGB i.V.m. Art. 247 § 6 Abs. 2 EGBGB bei dem streitgegenständlichen Vertrag, bei dem es sich um einen Verbraucherdarlehensvertrag (§ 491 Abs. 2 BGB) handelt, mit dem Zeitpunkt, aber nicht vor Zurverfügungstellung einer für den Verbraucher bestimmten Vertragsurkunde, des schriftlichen Antrags des Darlehensnehmers oder einer Abschrift der Vertragsurkunde oder seines Antrags, zu laufen, zu dem der Verbraucher, hier der Kläger, eine die Pflichtangaben gemäß § 492 Abs. 2 BGB, d.h. die Angaben nach Art. 247 § 6 bis 13 EGBGB, enthaltene Widerrufsinformation erhält (§ 356 b Abs. 1 BGB).
Im streitgegenständlichen Falle sind diese Voraussetzungen erfüllt.
Zu den Berufungsangriffen ist im Einzelnen Folgendes festzustellen:
1. Name und Anschrift des Darlehensvermittlers, Art. 247 § 13 Abs. 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 EGBGB a.F.
Soweit die Klagepartei rügt, die Beklagte habe es versäumt, Darlehensvertrag den Namen und die Anschrift des Beteiligten Darlehensvermittlers mitzuteilen, verhilft dies der Berufung nicht zum Erfolg.
Dabei ist anzumerken, dass Pflichtangaben nicht zwingend im Darlehensvertrag abgedruckt sein müssen.
Name und Anschrift finden sich jedenfalls in den Europäischen Standardinformationen für Verbraucherkredite (Anl. B 3), welche dem Kläger unstreitig ausgehändigt wurden (vgl. Schriftsatz vom 06.03.2020; Bl. 117 d.A.).
Die fraglichen Angaben dort zu machen, genügte jedenfalls unter den Umständen des vorliegenden Falles auch den Anforderungen des Gesetzes, denn die Standardinformationen wurden durch die Inbezugnahme in der vom Kläger unterzeichneten Darlehensunterlagen (“[…] die ausgehändigten Merkblätter […] sind zu beachten“; vgl. K2, dort S. 1) Vertragsbestandteil, zumal die Standardinformationen auf den konkreten Fall und den Namen des Klägers ausgestellt sind, sowie dasselbe Druckdatum aufweisen, wie die Vertragsunterlagen im Übrigen. Die Beklagte hat hierdurch zum Ausdruck gebracht, nicht nur vorvertragliche, sondern auch vertragliche Informationspflichten erfüllen zu wollen (vgl. dazu OLG Braunschweig, Urteil vom 08. Juli 2020 – 11 U 101/19 -, juris).
Wie das Landgericht zudem zu Recht ausführt, findet sich auf der „Ausfertigung für Kunde“ (vorgelegt als Anl. K2) auf jeder Seite der Hinweis auf die „Auto S. GmbH & Co. KG“. Dabei ist es unschädlich, dass im Vertrag selbst nicht ausdrücklich benannt wird, dass es sich bei dieser nicht nur um die Verkäuferin, sondern auch um die Vermittlerin handelt. Dass der Darlehensvermittler im Vertrag ausdrücklich als solcher bezeichnet werden müsse, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Lediglich ergänzend sei in diesem Zusammenhang angemerkt, dass in der Klageschrift von Klägerseite selbst vorgetragen wurde, dass ein Darlehensvertrag „vermittelt durch das Autohaus S. GmbH & Co. KG“ geschlossen wurde (vergleiche Klageschrift, S. 3).
2. Zum einzuhaltenden Kündigungsverfahren, Art. 247 § 6 Abs. 1 Nr. 5 EGBGB a.F.
Der Argumentation der Klagepartei, der Verbraucherdarlehensvertrag müsse klar und verständlich Angaben über das einzuhaltende Verfahren bei Kündigung des Vertrages enthalten, kann so nicht gefolgt werden.
a) Eine Information über die Kündigungsmöglichkeit nach § 314 BGB gehörte hier schon nicht zum Pflichtenprogramm der Beklagten bei Erteilung ihrer Widerrufsinformation.
Richtig ist vielmehr, dass der Darlehensnehmer nicht über sämtliche Kündigungsmöglichkeiten, die das nationale Recht kennt, zu informieren ist, sondern die Informationspflicht des Art. 247 § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 EGBGB a.F. hinsichtlich der dem Darlehensnehmer zustehenden Kündigungsrechte nach Systematik, Sinn und Zweck auf das nur bei unbefristeten Darlehensverträgen anwendbare Verbraucherdarlehensspezifische Kündigungsrecht aus § 500 Abs. 1 BGB beschränkt ist (vgl. dazu BGH, Urteil vom 05.11.2019, XI ZR 650/18, Rn. 33).
b) Dem Wortlaut des Art. 247 § 6 Abs. 1 Nr. 5 BGB a.F. ist zunächst nicht zu entnehmen, ob sich die Pflichtangabe „das einzuhaltende Verfahren bei der Kündigung“ nur auf das Kündigungsverfahren bei unbefristeten, oder ob es sich auch auf das Verfahren bei – wie hier – befristeten Verträgen bezieht.
Jedoch geht die Vorschrift auf Art. 10 Abs. 2 lit. s) der Verbraucherkreditrichtlinie zurück, der eine Information über „die einzuhaltenden Modalitäten bei der Ausübung des Rechts auf Kündigung des Kreditvertrags“ fordert. Das damit in Bezug genommene „Recht auf Kündigung“ kann jedoch nach der Systematik der Richtlinie nur das in Art. 13 der Richtlinie genannte Recht auf ordentliche Kündigung unbefristeter Verträge sein, weil die Richtlinie andere Kündigungsrechte nicht regelt.
Damit scheidet eine Auslegung des Art. 247 § 6 Abs. 1 Nr. 5 EGBGB a.F. aus, wonach ein Hinweis auf das entsprechende Verfahren bei der Kündigung befristeter Verträge Pflichtangabe sei und vom Kläger im Zusammenhang mit den Angaben zur Kündigung seitens der Beklagten angestellten Erwägungen gehen ins Leere.
3. Art des Darlehens, Art. 247 § 6 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB a.F.
Nach Ansicht der Klagepartei fehle insbesondere eine schlagwortartige Bezeichnung im Hinblick auf die Laufzeit des Vertrages.
Entgegen der Auffassung der Klägerseite geht jedoch aus den Darlehensunterlagen (Anl. K2) deutlich hervor, dass der Kläger vorliegend einen Darlehensvertrag schließen möchte. Zudem ergibt sich aus den Unterlagen hinreichend deutlich, dass es sich um einen befristeten Darlehensvertrag handelt. Es liegt ein Ratenkredit mit gleich bleibenden monatlichen Raten und einer erhöhten Schlussrate vor.
4. Zuständige Aufsichtsbehörde, Art. 247 § 6 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB a.F.
Soweit die Klagepartei argumentiert, in Ziffer 13 der Darlehensbedingungen sei im Rahmen der zuständigen Aufsichtsbehörde die Angabe von sowohl der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht als auch der europäischen Zentralbank fehlerhaft, kann 27 U 3513/20 – Seite 5 – dies nicht nachvollzogen werden, in Ziffer 13 der Darlehensbedingungen (Anl. B3, S. 3) wird als zuständige Aufsichtsbehörde nur die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht genannt.
Der Begriff der Aufsichtsbehörde ist im KWG gesetzlich definiert. Aufsichtsbehörde ist danach gem. § 6 KWG a.F. die BaFin.
5. Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung, Art. 247 § 7 Nr. 3 EGBGB a.F.
Die Rüge des Klägers, in dem Vertrag müsse die Berechnungsmethode für eine Vorfälligkeitsentschädigung angegeben werden, ist nicht zielführend.
Es bedarf nicht der Darstellung einer finanzmathematischen Berechnungsformel, vielmehr genügt es im Hinblick auf eine hinreichende Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Berechnungsmethode, wenn der Darlehensgeber die für die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung wesentlichen Parameter in groben Zügen benennt (vgl. dazu BGH, Urteil vom 05. November 2019 – XI ZR 650/18 -). Im vorliegenden Fall hat die Beklagte den Kläger in der Gesamtschau hinreichend über die maßgebliche Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung informiert. Die Höhe der Vorfälligkeitsentschädigung ergibt sich aus Seite 2 der streitgegenständlichen Darlehensunterlagen. Dort finden sich die erforderlichen Angaben. Die bei der Ermittlung der Höhe einer Vorfälligkeitsentschädigung zu berücksichtigenden Parameter werden ebenso benannt wie die Begrenzung der Entschädigung der Höhe nach. Durch diese Formulierung wird § 502 Abs. 2 BGB umgesetzt.
Eine genauere Formulierung als der Gesetzgeber selbst musste die Beklagte nicht wählen, insbesondere sieht das Gesetz einen Hinweis auf § 501 BGB nicht vor.
6. Verzugszinssatz und die Art und Weise seiner etwaigen Anpassung, Art. 247 § 6 Abs. 1 Nummer 1, § 3 Abs. 1 Nr. 11 EGBGB a.F.
Entgegen der Ansicht der Klagepartei hat die Beklagte gemäß Art. 247 § 6 Abs. 1 Nr. 1 i. V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 11 EGBGB a.F. hinreichend über den Verzugszinssatz und die Art und Weise seiner etwaigen Anpassung unterrichtet. Die Beklagte hat insoweit das Gesetz (§ 288 Abs. 1 BGB) und damit die „zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kreditvertrags geltende Regelung“ (so Art. 10 Abs. 2 Buchst. l Verbraucherkreditrichtlinie) zutreffend wiedergegeben. Einer Angabe des zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden konkreten Prozentsatzes bedarf es wegen der halbjährlichen Veränderbarkeit des Basiszinssatzes und der damit verbundenen Bedeutungslosigkeit des Verzugszinssatzes bei Vertragsschluss nicht (vgl. dazu BGH, Urteil vom 05. November 2019 – XI ZR 650/18 -, Rn. 52).
7. Auszahlungsbedingungen (Art. 247 § 6 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 9 EGBGB)
Die Rüge, die Pflichtangabe „Auszahlungsbedingungen“ werde nur unzureichend erfüllt, verfängt nicht.
Soweit die Klagepartei in diesem Zusammenhang darauf abstellt, dass sich die Beklagte in den Vertragsbedingungen die Stellung zusätzlicher Auszahlungsbedingungen vorbehalte (vgl. Anl. K2, S. 3), wird bereits nicht erkennbar, inwiefern deshalb die hier allein maßgebliche Pflichtangabe nicht oder unrichtig erteilt sein sollte; es ist nicht behauptet, dass die Beklagte die Auszahlungsbedingungen tatsächlich verändert habe, die gegebenen Informationen sind daher zutreffend.
8. Fehlerhafte Aufklärung über Widerrufsfolgen (Berufungsbegründung, S. 14 f)
Der Ansicht der Klagepartei, die Widerrufsbelehrung sei inhaltlich fehlerhaft, als in den Ausführungen im Darlehensvertrag unter Ziffer 6 „Widerruf“ zu den Widerrufsfolgen unzutreffend dargestellt werde, dass ein „Wertverlust aufgrund der Zulassung eines Pkw“ zu ersetzen wäre, kann nicht gefolgt werden.
Anzumerken ist zunächst, dass die insoweit in der Widerrufsinformation verwendete Klausel (“[…] hat er insoweit Wertersatz zu leisten. Dies kommt allerdings nur in Betracht, wenn der Wertverlust auf einen Umgang mit den Waren zurückzuführen ist, der zur Prüfung der Beschaffenheit, der Eigenschaften und der Funktionsweise der Waren nicht notwendig war.“) in vollem Umfang der vom Gesetzgeber im Rahmen des Musters zu Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB gewählten Formulierung entspricht; was daran unzutreffend sein soll, ist nicht erkennbar, zumal der Unternehmer nicht deutlicher sein muss, als das Gesetz selbst und nicht genauer formulieren muss, als der Gesetzgeber (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 27. September 2016 – XI ZR 309/15 -, Rn. 8, juris).
Darauf, ob der weitere Hinweis der Beklagten zu den Folgen des Widerrufs in Nr. 6a) der Darlehensbedingungen zutreffend ist (“Der Darlehensnehmer hat im Fall des Widerrufs des Darlehensvertrages eine durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme des Sicherungsguts entstandene Wertminderung (z. B. Wertverlust aufgrund der Zulassung eines Pkw) zu ersetzen.“) kommt es entgegen der Auffassung der Klagepartei bereits nicht an.
Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der der Senat folgt, wird eine inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Widerrufsbelehrung nicht dadurch undeutlich, dass die Vertragsunterlagen an anderer, drucktechnisch nicht hervorgehobener Stelle einen inhaltlich nicht ordnungsgemäßen Zusatz enthalten (vgl. dazu OLG Stuttgart, Urteil vom 26. November 2019 – 6 U 50/19 -, juris). Nichts anderes gilt vorliegend für die Widerrufsinformation, so dass offen bleiben kann, ob der Hinweis zutreffend ist.
9. Zur Rüge betreffen die Belehrung über eine angeblich rechtlich nicht existierende Rückzahlungspflicht des Darlehensnehmers, Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 1 EGBGB a.F.
Die Rüge der Klagepartei, es liege ein Fehler der Widerrufsinformation in der Belehrung darin, dass auch bei den hier vorliegenden verbundenen Verträgen das Darlehen nach erklärtem Widerruf zurückzuzahlen sei, diese Belehrung verstoße vielmehr gegen § 358 Abs. 4 S. 5 BGB, verhilft der Berufung nicht zum Erfolg.
Der Darlehensnehmer ist nicht fehlerhaft darüber belehrt worden, dass er ein bereits ausgezahltes Darlehen zurückzuzahlen habe. Zwar findet sich ein Hinweis auf die Zurückzahlungspflicht eines bereits ausgezahlten Darlehens unter der Überschrift „Widerrufsfolgen“. Von einem normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Verbraucher darf jedoch erwartet werden, dass er den Text eines Darlehensvertrages – und insoweit auch der darin enthaltenen Widerrufsinformationen – sorgfältig durchliest. Bereits unter der nächsten Teilüberschrift „Besonderheiten bei weiteren Verträgen“ findet sich der zutreffende Hinweis darauf, dass bei Vorliegen eines verbundenen Fahrzeug-Kaufvertrags der Darlehensgeber im Verhältnis zum Darlehensnehmer hinsichtlich der Rechtsfolgen des Widerrufs in die Rechte und Pflichten des Vertragspartners aus dem weiteren Vertrag eintrete, wenn das Darlehen bei Wirksamwerden des Widerrufs dem Vertragspartner des Darlehensnehmers aus dem Fahrzeug-Kaufvertrag bereits zugeflossen ist. Der Hinweis entspricht dem Gesetzestext in § 358 Abs. 4 Satz 5 BGB aF mit der Ausnahme, dass der Gesetzgeber die Formulierung „Unternehmer aus dem verbundenen Vertrag“ anstatt „Vertragspartner aus dem weiteren Vertrag“ benutzt. Diese Änderung ist nicht geeignet, eine Fehlvorstellung auszulösen, da der „weitere Vertrag“ als Fahrzeug-Kaufvertrag in der Widerrufsinformation definiert ist. Nach § 358 Abs. 4 Satz 5 BGB aF erlöschen die Ansprüche des Darlehensgebers gegen den Verbraucher aufgrund des angeordneten Eintritts des Darlehensgebers kraft Gesetzes (vgl. dazu OLG Braunschweig, Hinweisbeschluss v. 15.5.2017 – 9 U 105/16, BeckRS 2017, 148149 Rn. 10, beckonline).
10. Rüge der fehlerhaften Kaskadenverweisung, fehlerhaften Sammelbelehrung, unrichtigen Übernahme der Gestaltungshinweise sowie Stellungnahme zur Auslegung der EuGH-Rechtsprechung im Lichte der Gesetzlichkeitsfiktion (Berufungsbegründung, S. 16 ff)
Auch diese Rüge verhilft der Berufung nicht zum Erfolg.
a) Die der Klagepartei erteilte Widerrufsinformation mag insoweit fehlerhaft sein, als die in ihr enthaltene Verweisung auf „alle Pflichtangaben nach § 492 Absatz 2 BGB“ nicht klar und verständlich i.S.d. Art. 247 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist zwar der Verweis in der Widerrufsinformation auf § 492 Abs. 2 BGB in Kombination mit der beispielhaften Aufzählung von Pflichtangaben nach den Maßstäben des nationalen Rechts (Art. 247 § 6 Abs. 1 EGBGB) klar und verständlich (BGH, Beschluss vom 31. März 2020 – XI ZR 581/18, ZIP 2020, 868 f).
Der Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: EuGH) hat aber mit Urteil vom 26. März 2020 (C-66/19, WM 2020, 688 – Kreissparkasse Saarlouis) entschieden, dass Art. 10 Abs. 2 Buchst. p der RL 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der RL 87/102/EWG des Rates (ABl. 2008, L 133, S. 66, berichtigt in ABl. 2009, L 207, S. 14, ABl. 2010, L 199, S. 40, und ABl. 2011, L 234, S. 46; im Folgenden:
Verbraucherkreditrichtlinie) dahin auszulegen ist, dass er dem entgegensteht, dass ein Kreditvertrag hinsichtlich der in Art. 10 dieser Richtlinie genannten Angaben auf eine nationale Vorschrift verweist, die selbst auf weitere Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats verweist.
Auf der Grundlage dieses Urteils hält der BGH im Geltungsbereich der Verbraucherkreditrichtlinie in Bezug auf Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge an seiner bislang entgegenstehenden Rechtsprechung nicht fest, wonach ein solcher Verweis klar und verständlich ist (vgl. dazu BGH, Urteil vom 27. Oktober 2020 – XI ZR 525/19 -).
b) Gleichwohl kann sich die Beklagte dann auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB a.F. berufen, wenn die Widerrufsinformation der Beklagten dem Muster in der Anlage 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 und § 12 Abs. 1 EGBGB a.F. entspricht (vgl. dazu BGH, Urteil vom 27. Oktober 2020 – XI ZR 525/19 -).
c) Im vorliegenden Fall kann jedoch dahinstehen, ob die Widerrufsinformation der Beklagten dem Muster in Anlage 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 und § 12 Abs. 1 EGBGB a.F. entspricht. Denn im konkreten Fall verstößt die Klagepartei gegen § 242 BGB, indem sie sich auf das Fehlen des Musterschutzes beruft.
Jedenfalls stellt es im vorliegenden Fall aus Sicht des Senats bei umfassender Bewertung der gesamten Fallumstände unter Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten eine unzulässige Rechtsausübung dar, wenn sich die Klagepartei auf das Fehlen der Gesetzlichkeitsfiktion beruft, weil im Muster nicht vorgesehene Ergänzungen gegeben seien. Das in § 242 BGB verankerte Prinzip von Treu und Glauben bildet eine allen Rechten immanente Inhaltsbegrenzung und kann sich unter anderem im Falle einer missbräuchlichen Ausnutzung einer formalen Rechtstellung ergeben (vgl. dazu BGH, Urteil vom 27.10.2020, XI ZR 525/19). Diese von Amts wegen zu berücksichtigende Einwendung liegt hier vor:
Der Kläger wusste, dass er keine KSB/KSB Plus abgeschlossen hatte und mit dem streitgegenständlichen Darlehensvertrag der restliche Kaufpreis über das von ihm erworbene Fahrzeug VW California Comfortline „Europe“ in Höhe von 38.130 € finanziert wurde. Dies konnte der Kläger ohne weiteres der S. 1 der vorgelegten Darlehensunterlagen entnehmen. Ein Beitrag zum KSB/KSB Plus ist dort gerade nicht aufgeführt. Für die Klagepartei war mithin klar erkennbar, dass die im Streit stehenden Ergänzungen in ihrem Fall überflüssig waren.
Der Kläger machte in Kenntnis dieser Umstände von seinem Widerrufsrecht fast vier Jahre lang nicht Gebrauch, leistete die Annuitäten und nutzte das Fahrzeug, obwohl er mit der Widerrufsinformation über sein Widerrufsrecht belehrt worden war. Er übte das Widerrufsrecht aus, um das Fahrzeug nach längerer bestimmungsgemäßer Nutzung zurückgeben zu können, ohne auch – was er zu Unrecht meint – zum Wertersatz verpflichtet zu sein (vgl. dazu BGH, Urteil vom 27. Oktober 2020 – XI ZR 525/19 -, Rn. 28, juris).
Nimmt man all dies zusammen, so stellt sich der Fall so dar, das sich die Klagepartei lediglich auf eine formale Rechtsposition zurückzieht und insoweit eine rechtsmissbräuchliche Ausübung des Widerrufsrechts vorliegt.
II. Auch die weiteren Anträge des Klägers haben in der Sache keinen Erfolg, da der streitgegenständliche Vertrag durch den Widerruf des Klägers vom 30.06.2018 nicht in ein Rückabwicklungsverhältnis umgewandelt wurde. Auf die obigen Ausführungen wird Bezug genommen.
III. Aussetzung des Verfahrens analog § 148 ZPO
Dem Antrag der Klagepartei auf Aussetzung des Verfahrens und Vorlage an den Europäischen 27 U 3513/20 – Seite 10 – Gerichtshof (Art. 267 Abs. 3 AEUV) ist keine Folge zu leisten.
Zu den von der Klagepartei aufgeworfenen Fragen (u.a. Vorfälligkeitsentschädigung, Kündigungsverfahren) hat bereits der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 11.2.2020, XI ZR 648/18, ausführlich Stellung genommen und erklärt, dass diese Fragen derart offenkundig sind, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt („acte clair“). Es bedarf daher auch insoweit keines Vorabentscheidungsverfahrens.
Insbesondere vermögen auch die Vorabentscheidungsgesuche des Einzelrichters des Landgerichts Ravensburg (Beschlüsse vom 07.01.2020 – 2 O 315/19, vom 05.03.2020 – 2 O 328/19, 2 O 280/19, 2 O 334/19 und vom 31.03.2020 – 2 O 294/19, 2 O 249/19) eine Aussetzung analog § 148 ZPO nicht zu rechtfertigen, weil die von dem Einzelrichter in seinen Vorabentscheidungsgesuchen aufgeworfenen Fragen angesichts des Wortlauts, der Regelungssystematik und des Regelungszwecks der Verbraucherkreditrichtlinie derart offenkundig zu beantworten sind, dass für vernünftige Zweifel ebenfalls kein Raum bleibt (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 26. Mai 2020 – XI ZR 544/19 -).
Zur sog. „Kaskadenverweisung“ liegt zwischenzeitlich eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vor (vgl. BGH, Urteil vom 27.10.2020, Az. XI ZR 498/19). Die Frage, ob die Klagepartei gegen § 242 BGB verstößt, indem sie sich auf das Fehlen des Musterschutzes beruft, ist hingegen eine nach rein nationalem Recht zu beantwortende Frage (vgl. BGH, Urteil vom 27.10.2020, Az. XI ZR 498/19), so dass es bereits aus diesem Grunde keiner Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union bedarf.
Vor diesem Hintergrund kommt eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nicht in Betracht.
IV. Aus den dargelegten Gründen hat die Berufung unter keinem Gesichtspunkt Aussicht auf Erfolg.
Der Senat rät daher – auch aus Kostengründen – zu einer Rücknahme der Berufung.
Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 KV zum GVG).


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