Bankrecht

Voraussetzungen der Abzugsfähigkeit von Darlehensschulden vom Vermögen bei der Bewilligung von Ausbildungsförderung

Aktenzeichen  W 3 K 15.1170

Datum:
8.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BAfÖG § 11 Abs. 1, § 23, § 25, § 28, § 29

 

Leitsatz

1 Schulden, die nach § 28 Abs. 3 BAföG vom Vermögen der Auszubildenden im Zeitpunkt der Antragstellung abgezogen werden können, sind alle Forderungen, mit deren Geltendmachung der Auszubildende ernsthaft rechnen muss. Eine derart abzugsfähige Schuld kann sich auch aus einem Darlehensvertrag mit nahen Angehörigen ergeben, wenn dieser zivilrechtlich wirksam abgeschlossen wurde und dies von dem insoweit darlegungspflichtigen Auszubildenden nachgewiesen werden kann. (Rn. 13) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Eine ausbildungsförderungsrechtlich anzuerkennende Darlehensgewährung muss sich anhand ihrer tatsächlichen Durchführung klar und eindeutig von einer verschleierten Schenkung und/oder einer verdeckten, auch freiwilligen Unterhaltsgewährung abgrenzen lassen. Soweit die hierfür maßgeblichen, nicht immer zweifelsfrei feststellbaren Umstände in familiären Beziehungen wurzeln oder sich als innere Tatsachen darstellen, ist es gerechtfertigt für die Frage, ob tatsächlich ein Vertragsschluss vorliegt, äußerlich erkennbare Merkmale als Beweisanzeichen heranzuziehen (wie BayVGH BeckRS 2012, 53594). (Rn. 14) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Die Annahme einer wirksam begründeten Darlehensschuld unter Angehörigen muss nicht zwingend einem strikten Fremdvergleich standhalten, bei dem die Gestaltung (zB Schriftform, Zinsabrede oder Stellung von Sicherheiten) wie auch die Durchführung des Vereinbarten in jedem Punkt dem zwischen Fremden – insbesondere mit Kreditinstituten – Üblichen entsprechen muss. (Rn. 15) (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Erfolgt die Auszahlung des Darlehensbetrags bereits vor dem Abschluss des Darlehensvertrags und wird die Darlehenssumme im Anschluss über fünf Jahre als Festgeld angelegt, spricht dies gegen den angegeben Zweck der Darlehensgewähr, ein Studium zu fördern, und lässt eine Abgrenzung zu verdeckten Unterhaltsleistungen bzw. Schenkungen nicht zu. (Rn. 16 – 18) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage, über die mit Einverständnis der Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist unbegründet. Der Bescheid vom 5. Juni 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
Anspruch auf Ausbildungsförderung nach § 1 Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) besteht nur, wenn dem Auszubildenden die zum Lebensunterhalt und für seine Ausbildung erforderlichen Mittel nicht anderweitig zur Verfügung stehen. Auf den Bedarf i.S. des § 11 Abs. 1 BAföG werden dabei das Einkommen und das Vermögen des Auszubildenden gemäß § 11 Abs. 2 BAföG angerechnet. Hierbei sind Freibeträge nach §§ 23, 25 und 29 BAföG entsprechend zu berücksichtigen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung des Vermögens ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Antragstellung (§ 28 Abs. 2, 4 BAföG). Nach § 28 Abs. 3 BAföG sind von dem Vermögen die im Zeitpunkt der Antragstellung bestehenden Schulden und Lasten abzuziehen. Schulden in diesem Zusammenhang sind alle Forderungen, mit deren Geltendmachung der Schuldner ernstlich rechnen muss. Eine Schuld in diesem Sinn kann auch aus einem Darlehensvertrag mit einem nahen Angehörigen folgen, wenn dieser zivilrechtlich wirksam abgeschlossen wurde und dies von dem insoweit darlegungspflichtigen Auszubildenden nachgewiesen werden kann. Dem Auszubildenden obliegt bei der Aufklärung der zugrunde liegenden Tatsachen eine gesteigerte Mitwirkungspflicht; die Nichterweislichkeit geht zu seinen Lasten.
An den Nachweis des Abschlusses und der Ernstlichkeit eines Vertrages mit nahen Angehörigen sind mit Blick auf die Gefahr des Missbrauchs strenge Anforderungen zu stellen. Die Darlehensgewährung muss auch anhand der tatsächlichen Durchführung klar und eindeutig von einer verschleierten Schenkung und/oder einer verdeckten, auch freiwilligen Unterhaltsgewährung abzugrenzen sein. Soweit die relevanten Umstände in familiären Beziehungen wurzeln oder sich als innere Tatsachen darstellen, die häufig nicht zweifelsfrei feststellbar sind, ist es gerechtfertigt, für die Frage, ob ein entsprechender Vertragsabschluss vorliegt, äußerlich erkennbare Merkmale als Beweisanzeichen (Indizien) heranzuziehen (vgl. BVerwG, U.v. 4.9.2008 – 5 C 12/08 – juris; BayVGH, B.v. 20.10.2011 – 12 ZB 10.1966 – juris, B.v. 4.7.2012 – 12 ZB 11.479 – juris).
Die Annahme einer wirksam begründeten Darlehensschuld unter Angehörigen muss dabei nicht zwingend einem strikten Fremdvergleich in dem Sinne standhalten, dass sowohl die Gestaltung (z.B. Schriftform, Zinsabrede oder Stellung von Sicherheiten) als auch die Durchführung des Vereinbarten in jedem Punkt dem zwischen Fremden – insbesondere mit einem Kreditinstitut – Üblichen zu entsprechen hat. Ein Rückgriff auf die objektiven Merkmale des Fremdvergleichs ist jedoch bei der anhand einer umfassenden Würdigung aller relevanten Umstände des Einzelfalles vorzunehmenden Prüfung geboten, ob überhaupt ein wirksamer Darlehensvertrag geschlossen worden ist und damit eine Schuld i.S. von § 28 Abs. 3 BAföG besteht. Dabei sind die für und gegen einen wirksamen Vertragsabschluss sprechenden Indizien im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu gewichten und zu würdigen. Die Wahrung von im Geschäftsverkehr üblichen Modalitäten (wie der Vereinbarung der in § 488 Abs. 1 BGB genannten Vertragspflichten) kann als Indiz dafür gewertet werden, dass ein Darlehensvertrag tatsächlich geschlossen worden ist. Demgegenüber spricht es etwa gegen die Glaubhaftigkeit einer solchen Behauptung, wenn der Inhalt der Abrede (insbesondere die Darlehenshöhe sowie die Rückzahlungsmodalitäten und der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses) nicht substantiiert dargelegt werden. Gleiches gilt, wenn ein plausibler Grund für den Abschluss des Darlehensvertrages nicht genannt werden kann oder der bezeichnete Grund nicht dafür geeignet ist, eine genügende Abgrenzung gegenüber einer Schenkung oder einer freiwilligen Unterstützung bzw. Unterhaltszahlung zu ermöglichen. Zweifel am Vertragsschluss können ferner berechtigt sein oder bestätigt werden, wenn die Durchführung des Darlehensvertrags nicht den Vereinbarungen entspricht und die Abweichung nicht nachvollziehbar begründet werden kann. Ebenso lässt es sich als Indiz gegen einen wirksamen Vertragsabschluss werten, wenn der Antragsteller eine etwaige Darlehensverpflichtung nicht von vornherein in seinem Antragsformular bezeichnet, sondern gewissermaßen zum Zwecke der Saldierung erst nachträglich angegeben hat, nachdem er der Behörde gegenüber nachträglich einräumen musste, ein rechenbares Vermögen zu besitzen. Dagegen kann es für das Vorliegen eines beachtlichen Darlehensverhältnisses während eines in der Vergangenheit liegenden Bewilligungszeitraums sprechen, wenn das Darlehen bereits zum Zeitpunkt zurückgezahlt worden war, zu dem es der Antragsteller zum ersten Mal offenlegte und sich damit erstmals die Frage seiner ausbildungsförderungsrechtlichen Anerkennung stellte (BVerwG, U.v. 4.9.2008 – 5 C 30/07 – juris, Rn. 26, 27).
Zur Überzeugung des Gerichts stellt bei Anwendung dieser Grundsätze die Zahlung der Eltern an den Kläger kein Darlehen dar. Hiergegen spricht die Gesamtbetrachtung aller Umstände. Die Auszahlung des angeblichen Darlehensbetrages erfolgte in mehreren Einzelzahlungen, die allesamt vor dem Abschluss des Darlehensvertrages (Datum 1.3.2011) erfolgt sind. Durch Überweisungen nachgewiesen ist ein Betrag von 15.895,00 EUR, der vom Konto des Vaters auf das Konto des Klägers geflossen sind, mit Ausnahme einer Überweisung von 195,00 EUR für eine Orchesterfahrt … … am 6. September 2010. Außerdem wurden verschiedene Abhebungen vom väterlichen Konto am Geldautomaten in Höhe von insgesamt 4.900,00 EUR angeblich darlehensweise an den Kläger ausgezahlt. Überdies deckt sich der angeblich ausgezahlte Betrag nicht vollständig mit der Darlehenssumme. Dies allein führt zu erheblichen Zweifeln am Vorliegen eines Darlehensvertrages, sondern erweckt vielmehr den Eindruck, dass es sich hier um Zuwendungen handelte, die entweder auf unterhaltsrechtliche Pflichten zurückzuführen sind bzw. auf elterlicher Fürsorge beruhen. Gegen einen Darlehensvertrages spricht auch der klägerische Vortrag, dass das gewährte Darlehen ausschließlich der Finanzierung des Musikstudiums und der Anschaffung eines professionellen Instruments dienen sollte, während der Darlehensvertrag sich diesbezüglich ausschweigt und von einer „zeitlich begrenzten Unterstützung zur Aufnahme eines Studiums“ spricht und dass der Betrag zur freien Verfügung stehe. Der Terminus „Zeitlich begrenzte Unterstützung“ spricht eher für die Erfüllung der grundsätzlich bestehenden Unterhaltspflicht. Außerdem widersprechen die Überweisungen und angeblichen Barauszahlungen vom Konto des Vaters des Klägers dem Darlehensvertrag, wonach sowohl der Vater als auch die Mutter je zur Hälfte den Darlehensbetrag von 20.000,00 EUR aufbringen sollte. Die Eltern des Klägers wohnen unter verschiedenen Anschriften und werden auch getrennt zur Einkommensteuer veranlagt. Somit kann nicht davon ausgegangen werden, dass es sich bei den Zahlungen vom Konto des Vaters des Klägers um Zahlungen der Mutter handeln solle. Schließlich spricht auch das Anlegen des Betrages von 20.000,00 EUR für 60 Monate auf einem Festgeldkonto des Klägers im August 2012 für eine Laufzeit von 60 Monaten (fünf Jahre) gegen den klägerischen Vortrag, wonach das angebliche Darlehen zum Zwecke des Musikstudiums gewährt worden sei. Gerade durch das Festanlegen wird der flexible Zugriff auf die Summe und damit z. B. die Anschaffung eines professionellen Instruments zu Studienzwecken verhindert. Im Übrigen hat der Kläger nach Beendigung seines Zivildienstes im Februar 2011 das Studium nicht aufgenommen, sondern erst zum Wintersemester 2014/2015 und die Zeit vorher mit Aushilfstätigkeiten bzw. einem Auslandsaufenthalt („Work and Travel …“) verbracht. Der Zweckbestimmung Unterhalt widerspricht nicht, dass die Eltern im Zeitraum vor der Antragstellung des Klägers als Selbständige nur ein geringes zu versteuerndes Einkommen nachgewiesen haben. Zumindest die Mutter des Klägers hatte Erträge aus Kapitalvermögen zu versteuern.
Aufgrund der tatsächlichen Ausgestaltung und dem teilweise widersprüchlichen Vorbringen hält der vorliegende Sachverhalt einem Fremdvergleich nicht Stand. Zwar muss der Darlehensvertrag nicht in sämtlichen Einzelheiten einem Fremdvergleich standhalten. Jedoch ist es äußerst ungewöhnlich, dass der Gesamtbetrag des Darlehens bereits vor Abschluss des Darlehensvertrages ausgezahlt worden sein soll. Das Darlehen wird ohne jegliche Sicherheit gewährt. Die Rückzahlungspflicht ist zeitlich auch nicht klar definiert (im Falle eines abgeschlossenen Studiums …). Die Modalitäten (Verzinsung der Darlehenssumme, wenn bis zu einem bestimmten Zeitpunkt kein Abschluss erfolgt ist), weisen eindeutig einen erzieherischen Charakter auf, was wieder für eine Unterhaltsleistung spricht. Auch dass dem Kläger das angebliche Darlehen belassen wurde, obwohl er endgültig das Musikstudium nicht angefangen hat, spricht gegen die klägerischen Angaben bezüglich der Ziel- und Zwecksetzung des Darlehens. Unter Verwandten mögen solche nicht rechtsgeschäftliche Abreden vorkommen; im Ausbildungsförderungsrecht führen derartige Vorbehalte und Modalitäten jedoch zum Ausschluss der Anerkennungsfähigkeit des Darlehens (vgl. BVerwG, U.v. 4.9.2008 – 5 C 12/08 – juris – für die Treuhandabrede).
Nachdem vorliegend eine Abgrenzung zu Unterhaltsleistungen (aus elterlichem Vermögen) oder zu einer Schenkung nicht möglich ist, können die angeblichen Schulden des Klägers nicht berücksichtigt werden. Es verbleibt nach dem Abzug des Freibetrages gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 BAföG ein berücksichtigungsfähiges Vermögen von 19.781,46 EUR, das auf die 14 Monate des Bewilligungszeitraums aufzuteilen ist. Somit ergibt sich ein monatlicher Anrechnungsbetrag in Höhe von 1.412,96 EUR, der den Bedarf erheblich übersteigt. Aus diesem Grund erweist sich der Bescheid vom 5. Juni 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 2015 als rechtmäßig.
Die Klage konnte keinen Erfolg haben und war mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1, § 188 Satz 2 VwGO abzuweisen.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben