Bankrecht

Zahlungsanspruch nach Widerspruch gemäß § 5a VVG

Aktenzeichen  23 O 209/19

Datum:
14.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 56819
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Schweinfurt
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VVG § 5a
ZPO § 91 Abs. 1 S. 1, § 709 S. 1 u. 2
AVB § 3
GKG § 48§ 63 Abs. 2
BGB § 242

 

Leitsatz

1. Die Verwirkung als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung setzt neben einem Zeitmoment, für das die maßgebliche Frist mit dem Zustandekommen des Verbrauchervertrages zu laufen beginnt auch ein Umstandsmoment voraus. (vgl. BGH, NJW 2017, 243). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zwischen Umstands- und Zeitmoment besteht eine Wechselwirkung, als der Zeitablauf umso kürzer sein kann, je gravierender die sonstigen Umstände sind, und dass umgekehrt an diese Umstände desto geringere Anforderungen gestellt werden, je länger der abgelaufene Zeitraum ist (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 04.04.2019, Az. 1 U 59/18). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Leistung von Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags. Beschluss Der Streitwert wird auf 21.749,48 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
A.
Der Kläger hat gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Anspruch auf Rückzahlung seiner Beiträge nebst Zinsen aus der 2003 abgeschlossene Rentenversicherung „Golden Future Wachstum“. Insbesondere hat er keinen Zahlungsanspruch aus §§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB, 5a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 WG in der Fassung vom 01.01.2002 bis 07.12.2004 [im Folgenden kurz: WG a.F.] in Verbindung mit § 10a und Anlage Teil D zum VAG in der Fassung vom 01.01.2003 bis 16.12.2003 [im Folgenden kurz: VAG a.F.]. Denn der Kläger hat der streitgegenständlichen Versicherung zur Nummer 430 027 314 nicht wirksam widersprochen.
Der klägerische Widerspruch mittels Anwaltsschriftsatz vom 10.11.2017 (Anlage K2) ist zwar grundsätzlich noch rechtzeitig erfolgt (, jedoch ist die Geltendmachung des Widerspruchsrechts durch den Kläger rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB) und damit unwirksam.
I. Die Widerrufsbelehrung seitens der Beklagten erfolgte fehlerhaft, so dass das Widerspruchsrecht nach Ablauf von einem Jahr seit dem Vertragsschluss im Jahr 2003 (§ 5a Abs. 2 S. 4 WG a.F.) noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung vom 10.11.2017 fortbestand (vgl. dazu BGH, NJOZ2016, 137 [1371]).
Gemäß § 5a Abs. 2 S. 1 WG a.F. beginnt der Lauf der Widerspruchsfrist beginnt erst, wenn der Versicherungsnehmer neben den erforderlichen Unterlagen zur Versicherung schriftlich, in drucktechnisch deutlicher Form über das Widerspruchsrecht, den Fristbeginn und die Dauer belehrt worden ist.
Diesen Anforderungen genügt die Belehrung in § 3 der AVB nicht. Die Belehrung in den AVB ist in keiner Art und Weise drucktechnisch hervorgehoben.
Gleichermaßen ist die Belehrung im Policenbegleitschreiben fehlerhaft und unwirksam. Denn dort wird der Beginn der Widerspruchsfrist vom „Zugang dieses Briefes“ abhängig gemacht. Fehlerhaft ist dies, weil der Beginn der Widerspruchsfrist voraussetzt, dass dem Kläger der Versicherungsschein sowie die Unterlagen nach § 5a Abs. 1 WG a.F. vorliegen. Auf eben diese nimmt die Belehrung allerdings keinen hinreichend klaren Bezug, so dass die Belehrung den unzutreffenden Eindruck erzeugt, auch ohne jene Unterlagen würde die Widerspruchsfrist zu laufen beginnen (vgl. BGH, r+s 2018, 363 [364]).
II. Die Ausübung des somit fortbestehenden Widerspruchsrechts ist im Rahmen der gebotenen einzelfallbezogenen Gesamtwürdigung allerdings rechtsmissbräuchlich, § 242 BGB.
Die Verwirkung als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen illoyal verspäteter Geltendmachung von Rechten setzt neben einem Zeitmoment, für das die maßgebliche Frist mit dem Zustandekommen des Verbrauchervertrages zu laufen beginnt (vgl. BGH, NJW 2017, 243 [246]), auch ein Umstandsmoment voraus. Dabei besteht zwischen Umstands- und Zeitmoment insofern eine Wechselwirkung, als der Zeitablauf umso kürzer sein kann, je gravierender die sonstigen Umstände sind, und dass umgekehrt an diese Umstände desto geringere Anforderungen gestellt werden, je länger der abgelaufene Zeitraum ist (insges. OLG Bamberg, Beschluss vom 04.04.2019, Az. 1 U 59/18 – unveröff.).
Gemessen an diesen Anforderungen liegt der Zeitmoment vor. Zwischen dem Widerspruch im Jahr 2017 und dem Vertragsschluss im Jahr 2003 liegen rund 14 Jahre.
Das Umstandsmoment widersprüchlichen Verhaltens des Klägers, welches nicht schon in der jahrelangen, Vertragstreuen Prämienzahlung zu sehen ist (vgl. BGH, NJOZ 2016, 1370 [1371), liegt vorliegend darin, dass der Kläger mit der beantragten Umwandlung des Versicherungsvertrags in eine prämienfreie Versicherung (Schreiben vom 06.01.2008, Anlage B7) zunächst eine der Kündigung des Vertrags vergleichbarer Situation geschaffen und mit der rund 1 1/2 Jahre später erfolgten Rückumwandlung des Vertrags in eine beitragspflichtige Versicherung sodann zum Ausdruck gebracht hat, sich auf den Vertrag weiterhin einzulassen. Die Beklagte musste auf Grund dieser klägerischen Entscheidung, den Versicherungsvertrag beitragspflichtig fortsetzen zu wollen, im Jahr 2017 billigerweise nicht mehr mit einem Widerspruch rechnen (siehe OLG Köln, Beschluss vom 16.08.2017, Az. 20 U 149/17, BeckRS 2017,144386). Die Beklagte musste umso weniger mit einem Widerspruch rechnen, als der Kläger abweichend von jener Rückumwandlung mit Schreiben vom 24.12.2010 (Anlage BIO) die Kündigung des Versicherungsvertrags erklärt und die Beklagte ihm 18.345,92 € erstattet hat. Die Beklagte durfte vor dieser Hintergrund annehmen, dass mit dieser Abwicklung, die vom Kläger bis in das Jahr 2015 hinein zugleich fünf Jahre lang unbeanstandet geblieben ist, das Versicherungsverhältnis seine endgültige Beendigung gefunden hat. Der Kläger hat mit diesem Vorgehen seinen positiven Willen bekundet, das Vertragsverhältnis durch die vertragsbeendigende Kündigung abzuschließen. Hiermit hat er – für ihn selbst auch erkennbar – ein schutzwürdiges langjähriges Vertrauen der Beklagten hervorgerufen, dass aus dem nunmehr beendeten Vertragsverhältnis keine Ansprüche mehr geltend gemacht werden {OLG Bamberg, Beschluss vom 04.04.2019, Az. 1 U 59/18 – unveröff.). Diese berechtigte Erwartungshaltung der Beklagten wird durch das Nachregulierungsverlangen des Klägers mit Schreiben vom 10.12.2015 (Anlage BI 2) nicht in Frage gestellt, sondern gerade noch gestärkt. Der Kläger hat mit diesem Schreiben zum Ausdruck gebracht, an der kündigungsbedingten Beendigung des Versicherungsvertrags unbedingt festhalten zu wollen, und auf dieser Grundlage eine Nachzahlung erhalten zu wollen. Die Beklagte musste nicht mehr mit einem Widerspruch sieben Jahre nach der Kündigung und einer zuvor erfolgten Beendigung der Prämienaussetzung rechnen. Es konnte vielmehr berechtigt erwartet werden, dass der Kläger mit der Kündigung und deren Vollzug – abweichend von der einstmaligen Beitragsfreistellung – eine für ihn befriedigende Art der Vertragsbeendigung gefunden hat.
B.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen wegen der Kosten auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO und wegen der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 1 und 2 ZPO.
C.
Der Streitwert ist gemäß §§ 63 Abs. 2, 48 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO festgesetzt worden.


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