Baurecht

9 C 4/20

Aktenzeichen  9 C 4/20

Datum:
23.3.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2021:230321U9C4.20.0
Spruchkörper:
9. Senat

Leitsatz

1. Die Vorschriften der Verordnung PR Nr. 30/53 über die Preise bei öffentlichen Aufträgen und die in ihrer Anlage aufgeführten Leitsätze für die Preisermittlung auf Grund von Selbstkosten (LSP) gehören als bundesrechtliche Normen zum einfachgesetzlichen revisiblen Recht.
2. Bei der preisrechtlichen Prüfung eines Fremdleistungsentgelts am Maßstab des Selbstkostenpreises ist auf die angemessenen Kosten und die wirtschaftliche Betriebsführung des Auftragnehmers abzustellen; eine Beurteilung aus Sicht des Auftraggebers stellt einen unzulässigen Perspektivwechsel dar.
3. Die Berücksichtigung einer Wasserkonzessionsabgabe im Rahmen eines Fremdleistungsentgelts verstößt nicht gegen das öffentliche Preisrecht.

Verfahrensgang

vorgehend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 11. Dezember 2018, Az: 5 A 1305/17, Urteilvorgehend VG Kassel, 27. März 2017, Az: 6 K 412/13.KS, Urteil

Tenor

Das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 11. Dezember 2018 wird aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Tatbestand

1
Die Kläger, die Eigentümer eines Grundstücks im Stadtgebiet der Beklagten sind, wenden sich gegen die Heranziehung zu Wassergebühren.
2
Die Aufgabe der öffentlichen Wasserversorgung in der beklagten Stadt wird seit April 2012 von einem Eigenbetrieb der Beklagten wahrgenommen. Sie war zuvor privatrechtlich organisiert und wurde seit 1929/1930 von einer städtischen Aktiengesellschaft betrieben. Diese war auch für die öffentliche Energieversorgung zuständig und Eigentümerin der entsprechenden Versorgungsinfrastrukturanlagen. Sie zahlte auf der Grundlage eines 1996 mit der Stadt geschlossenen Konzessionsvertrags für die Inanspruchnahme der öffentlichen Straßen und Verkehrswege durch die Versorgungsleitungen Konzessionsabgaben. Im Jahr 2011 wurden die Versorgungsaufgaben einschließlich der öffentlichen Wasserversorgung auf die S. … GmbH (NSG) als Gesamtrechtsnachfolgerin übertragen. An dieser Gesellschaft ist eine Eigengesellschaft der Beklagten zu 75,1 % beteiligt.
3
Nach einer kartellrechtlichen Beanstandung der Wasserpreise als missbräuchlich überhöht wurde die öffentliche Wasserversorgung mit Wirkung zum 1. April 2012 neu organisiert und teilweise rekommunalisiert. Seitdem ist sie Aufgabe des Eigenbetriebs der Stadt. Die NSG blieb Eigentümerin der Wasserinfrastrukturanlagen und zahlt weiterhin Konzessionsabgaben an die Stadt auf der Grundlage des Konzessionsvertrags, der hinsichtlich der Aufgabe der Wasserversorgung entsprechend angepasst, im Übrigen aber nicht geändert wurde. Zwischen der Stadt (Eigenbetrieb) und der NSG wurde ein Pacht- und Dienstleistungsvertrag geschlossen. Danach verpachtet die NSG die für die öffentliche Wasserversorgung erforderlichen Infrastrukturanlagen an den Eigenbetrieb und verpflichtet sich zur Erbringung von umfangreichen technischen und kaufmännischen Dienstleistungen; der Eigenbetrieb ist aufsichts- und weisungsbefugt und für die Gebührenfestsetzung zuständig. Als Gegenleistung erhält die NSG ein Pacht- und Dienstleistungsentgelt, das sich nach den Vorschriften des öffentlichen Preisrechts bemisst und in dem auch die an die Stadt gezahlte Konzessionsabgabe berücksichtigt wird.
4
Am 1. April 2012 trat die Wasserversorgungssatzung der Beklagten in Kraft. Die darin festgesetzte verbrauchsabhängige Benutzungsgebühr für die Inanspruchnahme der Wasserversorgung beträgt 2 € pro m³ und entspricht damit der Höhe nach dem zuvor geltenden Verbrauchspreis.
5
Auf der Grundlage dieser Satzung wurden die Kläger mit Bescheid des Magistrats der Beklagten vom 23. November 2012 zu Wassergebühren für den Zeitraum vom 1. April bis 2. November 2012 in Höhe von insgesamt 281,29 € herangezogen; zudem wurden monatliche Vorausleistungsbeträge für Januar bis November 2013 festgesetzt. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren haben die Kläger am 11. April 2013 Klage erhoben. Zur Begründung haben sie geltend gemacht, der Magistrat der Stadt sei für den Erlass des Bescheids sachlich nicht zuständig gewesen; in den Wassergebühren seien nicht gebührenfähige Kosten für eine Konzessionsabgabe und für den Brandschutz, eine Wagnisvergütung sowie ein unangemessen hoher kalkulatorischer Zinssatz enthalten; zudem beruhe der Bescheid auf einer rechtsmissbräuchlichen Scheinrekommunalisierung.
6
Das Verwaltungsgericht Kassel hat der Klage stattgegeben und den angefochtenen Bescheid mit der Begründung aufgehoben, die in die Gebührenkalkulation eingestellte Konzessionsabgabe falle nicht unter die erforderlichen gebührenfähigen Kosten; ob noch weitere Kostenansätze zu Unrecht in die Gebührenkalkulation eingestellt worden seien, könne danach dahinstehen.
7
Die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung der Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof Kassel mit Urteil vom 11. Dezember 2018 zurückgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt: Die Wasserversorgungssatzung der Beklagten stelle keine wirksame satzungsrechtliche Grundlage für den angefochtenen Bescheid dar, weil der Gebührensatz für die Verbrauchsgebühr dem Kostenüberschreitungsverbot nicht gerecht werde. Die Erstattung der Konzessionsabgabe im Rahmen des an die NSG gezahlten Pacht- und Dienstleistungsentgelts sei nicht als betriebsbedingter Kostenaufwand in der Kalkulation ansatzfähig. Die von der NSG gegenüber dem Eigenbetrieb erbrachten Leistungen seien Fremdleistungen i.S.v. § 10 Abs. 2 KAG HE. Auch für diese müsse überprüft werden, ob sie betriebsbedingt, also für die Erbringung der gebührenfähigen Leistung erforderlich seien. Dieser Nachweis könne bei einer Vergabe ohne Ausschreibung in der Regel dadurch geführt werden, dass das Entgelt den Vorgaben der Leitsätze für die Preisermittlung aufgrund von Selbstkosten (LSP) genüge. Diese Verpflichtung habe die Beklagte bei Abschluss des Pacht- und Dienstleistungsvertrags mit der NSG missachtet, soweit sie darin vereinbart habe, die Zahlung der Konzessionsabgabe als Bestandteil des an die NSG zu zahlenden Entgelts auszugleichen. Die Beklagte habe hier das Eigentum an dem Wasserleitungsbestand auf die NSG bzw. ihre Rechtsvorgängerin übertragen. Mit dieser habe sie die Zahlung einer Konzessionsabgabe für die Nutzung der öffentlichen Verkehrswege durch die Leitungen vereinbart. Gleichzeitig erstatte sie der NSG den Betrag der Konzessionsabgabe wiederum über ihren – rechtlich unselbstständigen – Eigenbetrieb. Damit schaffe sie letztlich selbst “Kosten”, die der Gebührenzahler finanzieren müsse und deren Ertrag ihr wiederum zufließe. Dies entspreche nicht den Vorgaben von Nr. 4 Abs. 2 LSP, wonach bei Preisermittlungen aufgrund von Selbstkosten nur diejenigen Kosten zu berücksichtigen seien, die bei wirtschaftlicher Betriebsführung zur Erstellung der Leistungen entstünden. Die Konstellation sei vergleichbar mit dem bereits entschiedenen Fall einer Konzessionsabgabe, die die Gemeinde von ihrem Eigenbetrieb erhebe; auch deren Einstellung in die Wassergebührenkalkulation sei unzulässig. Infrage stehe nicht, ob die Kommune eine Konzessionsabgabe von der NSG erheben dürfe, sondern ob deren Erstattung als erforderliche Fremdleistungskosten in die Gebührenkalkulation einfließen dürfe. Für die Kalkulation der Gebühr sei allein entscheidend, was bei der Beklagten insgesamt durch den Betrieb der gebührenrechnenden Einrichtung als Summe von aufwandgleichen Grund- und Zusatzkosten anfalle. Durch die rechtswidrige Einstellung der Konzessionsabgabe in die Gebührenkalkulation ergebe sich eine Kostenüberdeckung von rund 23%, die zur Ungültigkeit des festgelegten Gebührensatzes führe.
8
Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit der vom Senat zugelassenen Revision. Sie macht geltend:
9
Die in Rede stehenden Konzessionsabgaben gehörten zu den Kosten einer wirtschaftlichen Betriebsführung im Sinne der Leitsätze für die Preisermittlung aufgrund von Selbstkosten. Das Berufungsgericht habe diese Leitsätze falsch angewendet. Die Konzessionsabgaben seien Teil der sonstigen Kosten der Versorgungseinrichtung und fielen aus preisrechtlicher Sicht zwangsläufig mit der Leistungserbringung an. Sie seien daher als betriebsbedingte Kosten des Auftragnehmers anzuerkennen. Die Fallkonstellation sei nicht vergleichbar mit der Zahlung von Wasserkonzessionsabgaben durch einen kommunalen Eigenbetrieb. Das Volumen des vereinbarten Pacht- und Dienstleistungsentgelts liege zudem erheblich unter dem preisrechtlich maximal zulässigen Selbstkostenvolumen. Ein Verstoß gegen das Preisrecht sei daher – unabhängig von der Frage der Ansatzfähigkeit der Konzessionsabgabe – nicht gegeben. Es wäre ohne weiteres möglich, eine Gebührenkalkulation vorzulegen, die auch ohne Konzessionsabgaben den streitgegenständlichen Gebührensatz rechtfertigte. Dies habe das Berufungsgericht nicht berücksichtigt. Da die gebotene Prüfung der Ergebnisrichtigkeit des Gebührenbescheids unterlassen worden sei, liege auch ein Verstoß gegen § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO vor.
10
Die Revision sei auch wegen der Versagung des rechtlichen Gehörs nach § 138 Nr. 3 VwGO begründet. Das Berufungsgericht stütze sein Urteil darauf, dass die Beklagte die umgelegten Konzessionsabgabekosten durch die ursprüngliche Privatisierung der städtischen Wasserinfrastruktur selbst geschaffen habe, ohne auf die Entscheidungserheblichkeit dieser rechtlichen Wertung zuvor hingewiesen zu haben. Es habe zudem ohne entsprechenden Hinweis die Frage der Ergebnisrichtigkeit der Gebührenkalkulation nicht geprüft. Das Gericht habe in der mündlichen Verhandlung zwar angedeutet, dass es an dem Vortrag zur Ergebnisrichtigkeit Zweifel hege, sei aber auf die in diesem Zusammenhang anzustellende Gesamtschau nicht eingegangen. Darin liege auch eine unzulässige Überraschungsentscheidung.
11
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 11. Dezember 2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 11. Dezember 2018 aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen.
12
Die Kläger haben keinen Antrag gestellt und sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.


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