Baurecht

Abgewiesene Klage im Streit um Baueinstellung wegen Abweichung von Baugenehmigung

Aktenzeichen  M 9 K 18.5471

Datum:
14.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 190
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 75 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 lit. b

 

Leitsatz

1 Bereits die formelle Baurechtswidrigkeit rechtfertigt es, einen begonnenen Bau einzustellen, um eine Verfestigung des illegalen Zustandes zu vermeiden. Damit darf sich die Bauaufsichtsbehörde die Möglichkeit verschaffen, im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens die rechtlich gebotenen Prüfungen vorzunehmen. (Rn. 27) (red. LS Alexander Tauchert)
2 Die Baueinstellung ist nicht ermessensfehlerhaft oder unzumutbar, wenn noch erlaubt wird, Sicherungsmaßnahmen durchzuführen. (Rn. 28) (red. LS Alexander Tauchert)
3 Es entspricht pflichtgemäßem Ermessen, durch eine Baueinstellung zu verhindern, dass ein baurechtswidriger Zustand durch die Errichtung eines Schwarzbaus fertiggestellt wird. (Rn. 29) (red. LS Alexander Tauchert)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht konnte nach § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Rechts- und Sachlage einfach ist.
Die Klage hat keinen Erfolg.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf die Gründe des Beschlusses vom 5. Dezember 2018 (M 9 E 18.5234) und des Urteils vom 17. Oktober 2018 (M 9 K 18.1003) Bezug genommen.
Ergänzend dazu gilt Folgendes:
Die Voraussetzungen für eine Einstellung aller Bauarbeiten nach Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 BayBO liegen vor, da das Bauvorhaben formell illegal ist. Materiellrechtlich ist das gesamte Vorhaben nicht offensichtlich genehmigungsfähig. Die Ermessensentscheidung im angefochtenen Bescheid vom 17./18. Mai 2018 ist rechtlich nicht zu beanstanden (§§ 113, Abs. 1 114 VwGO).
Nach dem Ergebnis des Augenscheins und dem Vortrag des Klägers handelt es sich im vorliegenden Fall um ein einheitliches Bauvorhaben, genehmigt mit Baugenehmigung vom 8. Juli 2010 in Gestalt der Tektur-/Änderungsgenehmigungen vom 17. Mai 2016 und vom 8. Juni 2017. Das gesamte Gebäude war zum Zeitpunkt des Augenscheins am 17. Oktober 2018 noch im Bau, sodass entgegen der Rechtsauffassung des Klägers nicht von einer isolierten Umbaumaßnahme eines fertiggestellten Gebäudes durch Anhebung der Dachneigung des Quergiebels ausgegangen werden kann. Insgesamt war das Gebäude mit Ausnahme des deutlich kleineren Krippengebäudes ein Rohbau. Die massive Abweichung der Bauausführung von der Baugenehmigung, insbesondere an der Süd-West-Seite mit dem massiven Quergiebel schließt eine isolierte baurechtliche Beurteilung der Dachneigung aus, sodass unter Berücksichtigung dessen, dass das gesamte Vorhaben in seiner geänderten Gestalt Gegenstand der Betrachtung ist, rechtlich eine baurechtliche Prüfung der Gesamtanlage geboten ist (BVerwG, B.v. 4.2.2000 – 4 B 106/99).
Die Voraussetzungen für die Baueinstellung nach Art. 75 Abs. 1 BayBO liegen vor, da es sich im vorliegenden Fall um ein einheitliches Bauvorhaben handelt, das im Hinblick auf die Dimensionierung des Quergiebelanbaus ein Aliud zu dem genehmigten Vorhaben darstellt. Nach Art. 75 Abs. 1 BayBO kann die Einstellung der Bauarbeiten angeordnet werden, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet werden (Satz 1). Dies gilt auch dann, wenn bei der Ausführung eines genehmigungsbedürftigen Bauvorhabens von den genehmigten Bauvorlagen abgewichen wird (Satz 2 Nr. 2a).
Im vorliegenden Fall ist das Bauvorhaben des Klägers formell illegal, da als Folge der ohne Genehmigung vorgenommenen Veränderungen im Vergleich zum ursprünglich genehmigten Bauvorhaben insgesamt kein genehmigtes Vorhaben mehr besteht mit der Folge, dass erneut eine Baugenehmigung des gesamten Gebäudes gemäß Art. 68 BayBO erforderlich wird. Eine solche Genehmigung fehlt. Unter Berücksichtigung dessen, dass das Gebäude auch in Teilen für die Kinderkrippe genutzt werden soll, bedarf es auch unter dem Gesichtspunkt, dass nach den Angaben des Klägers auch das kleinere Gebäude der eigentlichen Krippe – zumindest hinsichtlich der Außenwand – noch nicht fertiggestellt ist, einer umfassenden baurechtlichen Prüfung.
Nach dem Ergebnis des Augenscheins ist das Krippengebäude und der Anbau an das barackenartige Krippengebäude wegen des übergreifenden Nutzungszwecks nicht nur als Wohnhaus, sondern auch in Teilen für die Krippe unter dem Gesichtspunkt der baulichen Standards für Kinderkrippen als Gesamtvorhaben einheitlich zu betrachten. Das Bauvorhaben ist formell illegal, da diese Baugenehmigung fehlt.
Das vom Kläger tatsächlich errichtete Gebäude widerspricht im Bereich der Süd-West-Seite, Quergiebel/Anbau § 5 Abs. 13 der Gestaltungssatzung in der Fassung vom 25. Juli 2016.
Ungeachtet dessen, dass bereits das Fehlen einer Baugenehmigung für das Gesamtvorhaben eine Baueinstellung gemäß Art. 75 BayBO rechtfertigt, ist vorliegend die materiell-rechtliche Baugenehmigungsfähigkeit nicht gegeben.
Wie bereits im Urteil vom 17. Oktober 2018 (M 9 K 18.1003) umfangreich erläutert, ist der Quergiebel, der weit mehr als ein Drittel der Gebäudelänge in Anspruch nimmt und keinen Abstand von 3 m zu den Gebäudeecken einhält und sich auch im Übrigen nicht deutlich unterordnet, unzulässig, da auch die Länge des Hauptbaukörpers im vorderen Teil weniger als 15 m beträgt und die Traufen des Hauptgebäudes sowie des Quergiebels nicht auf einer Höhe liegen.
Der mit Bescheid vom 17. Mai 2016 genehmigte Quergiebel mit einer Dachneigung von 23°, den der Kläger entgegen der Baugenehmigung nicht errichtet hat, ist nach der heutigen Rechtslage nicht mehr genehmigungsfähig. Unter Berücksichtigung der Einheit der Baugenehmigung widerspricht der tatsächlich errichtete und zum Zeitpunkt des Augenscheins als Rohbau vorhandene Bau materiell-rechtlichem Bauordnungsrecht.
Unter Berücksichtigung der Grundsätze des intendierten Ermessens und des durch § 114 VwGO vorgegebenen gerichtlichen Prüfungsrahmens besteht gegen die getroffene Ermessensentscheidung, das Bauvorhaben mit Ausnahme einiger Sicherungsmaßnahmen, einzustellen, keine rechtlichen Bedenken. Bereits die formelle Baurechtswidrigkeit rechtfertigt es, einen begonnenen Bau einzustellen, um eine Verfestigung des illegalen Zustandes zu vermeiden. Damit darf sich die Bauaufsichtsbehörde die Möglichkeit verschaffen, im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens die rechtlich gebotenen Prüfungen vorzunehmen.
Soweit der Kläger vorträgt, die Entscheidung sei ermessensfehlerhaft und unverhältnismäßig, wird darauf hingewiesen, dass dem Kläger nach Aktenlage entsprechende Sicherungsmaßnahmen (Fenster, Bautür, Isolierung von Öffnungen) ausdrücklich zugestanden wurden.
Entgegen der Ansicht des Klägers entspricht es pflichtgemäßem Ermessen, durch eine Baueinstellung zu verhindern, dass ein baurechtswidriger Zustand durch die Errichtung eines Schwarzbaus fertiggestellt wird.
Die Klage war mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Der Beigeladene hat seine außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen, da er keine Anträge gestellt hat, §§ 154 Abs. 3, 162 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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