Baurecht

Abgrenzung Tektur, Aliud, Abgrenzung Innenbereich und Außenbereich, Beeinträchtigung öffentlicher Belange

Aktenzeichen  M 11 K 18.3186

Datum:
10.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 48641
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 68 Abs. 1 S. 1
BauGB § 34
BauGB § 35

 

Leitsatz

Tenor

I.  Die Klagen werden abgewiesen. 
II. Der Kläger hat die Kosten der Verfahren zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I. Die Klagen sind zulässig, aber unbegründet.
Die streitgegenständlichen Bescheide sind jeweils rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, da er keinen Anspruch auf die begehrten Baugenehmigungen hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Beiden Bauvorhaben stehen öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO, Art. 59 BayBO).
1. Die begehrten Genehmigungen stellen sich zunächst nicht als bloße Tektur zu den Baugenehmigungen vom … bzw. … September 2014 dar. In der Sache wird vielmehr die Erteilung einer neuen Baugenehmigung für das jeweils zur Genehmigung gestellte (Gesamt-)Vorhaben begehrt.
Mit dem in der BayBO nicht enthaltenen Begriff der Tektur- oder Nachtragsgenehmigung bezeichnet die Baupraxis üblicherweise eine Genehmigung für geringfügige oder kleinere, das Gesamtvorhaben in seinen Grundzügen nur unwesentlich berührende Änderungen eines bereits genehmigten Vorhabens, die sich während des Genehmigungsverfahrens oder nach Erteilung der Genehmigung ergeben haben bzw. ergeben (vgl. BayVGH, U.v. 22.3.1984 – 2 B 82 A.301 – BayVBl. 1984, 596/597; B.v. 14.1.1998 – 14 B 96.357 – juris Rn. 22; B.v. 23.10.2019 – 15 ZB 18.2575 – juris Rn. 12; Busse/Kraus/Decker, BayBO, 142. EL Mai 2021, Art. 68, Rn. 71). Kennzeichnend für eine bloße Tekturgenehmigung ist, dass sich die diesbezügliche Prüfung und Entscheidung auf die Feststellung beschränkt, dass die zur Änderung vorgesehenen Teile des Vorhabens mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften vereinbar sind; für die übrigen Teile ergibt sich diese Feststellung aus der neben der Tekturgenehmigung bestehenbleibenden ursprünglichen Baugenehmigung (vgl. BayVGH, U.v. 22.3.1984, a.a.O.). Von einem Tekturantrag oder einer Tekturgenehmigung kann dabei nur gesprochen werden, wenn die Identität des (genehmigten) Vorhabens gewahrt bleibt, mithin die vom Bauherrn verfolgte Änderung das Vorhaben nicht zu einem „aliud“ macht, was vom Umfang der Abweichungen abhängt (vgl. etwa BayVGH, B.v. 2.8.2007 – 1 CS 07.801 – juris Rn. 33; B.v. 29.8.2016 – 15 ZB 15.2442 – juris Rn. 10; B.v. 10.4.2017 – 15 ZB 16.673 – juris Rn. 16 jew. m.w.N.; Busse/Kraus/Decker, a.a.O., Art. 68, Rn. 72).
Daran gemessen handelt es sich bei der jeweils beantragten Änderungsgenehmigung nicht um eine nur unselbständige Ergänzung der ursprünglich erteilten Baugenehmigung, sondern um einen Antrag auf Erteilung einer neuen Baugenehmigung. Bereits aus den eingereichten, vollständig überarbeiteten Bauplänen mit einer aktualisierten Fassung der Grundrisse, Schnitte, Ansichten, Darstellungen der Geländehöhen und der Freiflächengestaltung wird deutlich, dass die vorgenommenen Änderungen durch entsprechende Kennzeichnung in den ursprünglichen Plänen aufgrund des Änderungsumfangs bzw. wegen Art und Vielzahl der Änderungen schlicht nicht mehr darstellbar gewesen wären. Die Pläne enthalten dementsprechend auch keinerlei Hinweise darauf, welche Teile des jeweiligen Vorhabens bereits als Bestand genehmigt worden sind, bzw. auf welche Änderungen sich die nunmehr jeweils beantragte (Tektur-)Genehmigung beziehen soll. Nach den Planunterlagen wurde vielmehr jeweils ein einheitliches Vorhaben insgesamt neu zur Genehmigung gestellt. Darüber hinaus sind die beiden nunmehr beantragten Gesamtvorhaben auch nicht mehr mit den im Jahr 2014 genehmigten Ausgangsvorhaben identisch (s. dazu im Einzelnen nachfolgend unter Ziff. 2.1.1).
2. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der streitgegenständlichen Bauvorhaben richtet sich vorliegend nach § 35 BauGB. Beide Vorhaben liegen weder im Geltungsbereich eines Bebauungsplans noch innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils und damit im Außenbereich. Sie sind als sonstige Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB bauplanungsrechtlich nicht zulässig, da sie öffentliche Belange beeinträchtigen.
2.1 Ein „im Zusammenhang bebauter Ortsteil“ im Sinne von § 34 BauGB ist jede Bebauung im Gebiet einer Gemeinde, die trotz vorhandener Baulücken geschlossen und zusammengehörend wirkt, nach der Zahl der vorhandenen Gebäude ein gewisses Gewicht hat und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist (BVerwG, U.v. 6.11.1968 – 4 C 2.66 – juris). Darüber, wo die Grenze eines solchen Bebauungszusammenhangs und damit des Innenbereichs im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB verläuft, ist nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden, die gesamten örtlichen Gegebenheiten erschöpfend würdigenden Wertung und Bewertung des konkreten Sachverhalts zu entscheiden (BVerwG, U.v. 6.12.1967 – IV C 94.66 – juris Rn. 26; U.v. 12.10.1990 – 4 C 40/87 – juris Rn. 22; U.v. 19. 4.2012 − 4 C 10/11 – juris Rn. 11; U.v. 30.6.2015 – 4 C 5/14 – juris Rn. 16). Grundsätzlich endet der Bebauungszusammenhang unabhängig von der Grundstücksgrenze an der Gebäudewand der letzten Bebauung; die sich anschließenden Flächen gehören regelmäßig zum Außenbereich (BVerwG, U.v. 6.11.1968 – IV C 47.68 – juris Rn. 19; U.v. 12.10.1973 – IV C 3.72 -juris Rn. 11; B.v. 12.3.1999 – 4 B 112/98 – juris Rn. 21). Als „vorhanden“ zu berücksichtigen ist auch eine illegale Bebauung oder Nutzung, die in einer Weise geduldet wird, die keinen Zweifel daran lässt, dass sich die zuständige Behörde mit ihrem Vorhandensein auf Dauer abgefunden hat (BVerwG, U.v. 6. 11. 1968 – IV C 31/66 – BayVBl. 1969, 134; U.v. 30. 6. 2015 – 4 C 5.14 – juris Rn. 14).
Nach diesen Maßstäben liegen die Vorhabengrundstücke nicht mehr im Bereich eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils. Dieser endet nach den Feststellungen des gerichtlichen Augenscheins hinsichtlich der Bebauung südlich der Straße I. jedenfalls an Ostgrenze der Fl.Nr. 226/1 mit der dort grenzständig errichteten Stützmauer. Hinsichtlich der Bebauung nördlich der Straße I. kann letztlich dahinstehen, ob das Anwesen Nr. 23 (Fl.Nrn. 388/4, 388/3 und 388/1) noch an einem Bebauungszusammenhang teilnimmt, da dieser selbst unter Berücksichtigung des Nebengebäudes bzw. des sich zwischenzeitlich dort befindlichen Bauplatzes jedenfalls an der östlichen Grundstücksgrenze der Fl.Nr. 388/1 endet. Die jeweils weiter östlich des bestehenden Bebauungszusammenhangs gelegenen Vorhabenstandorte befinden sich demgegenüber offensichtlich im Außenbereich. Hieran vermag auch die bereits errichtete Wohnbebauung auf den Vorhabengrundstücken dieses Verfahrens und dem benachbarten Grundstück Fl.Nr. 391/2 („Haus 2“) nichts zu ändern, da die Gebäude ohne die notwendige Baugenehmigung ausgeführt wurden (Ziff. 2.1.1) und derzeit (noch) nicht angenommen werden kann, dass sich der Beklagte mit deren Vorhandensein abgefunden hätte (Ziff. 2.1.2).
2.1.1 Das auf dem jeweiligen Vorhabengrundstück errichtete Wohnhaus ist nicht durch die Baugenehmigung vom … bzw. … September 2014 gedeckt. Vielmehr hat der Kläger jeweils ein anderes als das genehmigte Bauvorhaben ausgeführt (sog. „aliud“). Da der Kläger damit von den Baugenehmigungsbescheiden aus dem Jahr 2014 keinen Gebrauch gemacht hat, sind diese jeweils mittlerweile erloschen (Art. 69 Abs. 1 BayBO).
Um ein von einer Baugenehmigung nicht mehr gedecktes „aliud“ handelt es sich, wenn bei der Bauausführung hinsichtlich der wesentlichen Merkmale wie Standort, Grundfläche, Bauvolumen, Nutzung, Höhe, Dachform oder Erscheinungsbild von den genehmigten Bauvorlagen abgewichen wurde, sodass eine Identität des genehmigten und des errichteten Bauvorhabens nicht mehr besteht. Maßgeblich ist, ob die Abweichung(en) die Grenze der Erheblichkeit überschreiten. Wegen der Situationsbezogenheit der für die Zulassung von Bauvorhaben entscheidenden Umstände lässt sich die Erheblichkeitsschwelle dabei nicht abstrakt mit allgemeinen Kriterien bestimmen. Vielmehr kommt es darauf an, ob durch die Veränderung Belange, die bei der Genehmigung des Vorhabens zu berücksichtigen waren, neuerlich berührt werden, oder andere Belange erstmals so erheblich berührt werden, dass sich die Zulässigkeitsfrage insgesamt neu stellt (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 26.7.1991 – 20 CS 89.1224 – juris Rn. 15; B.v. 26.3.2008 – 15 ZB 07.3194 – juris Rn. 9; B.v. 9.8.2016 – 9 ZB 14.2684 – juris Rn. 6; B.v. 23.10.2019 – 15 ZB 18.2575 – juris Rn. 12; Busse/Kraus/Decker, a.a.O, Art. 68, Rn. 72 m.w.N.). Daran gemessen stellen sich die beiden nunmehr zur Genehmigung gestellten (Gesamt-)Vorhaben als „aliud“ zu den 2014 genehmigten Vorhaben dar.
Zwar mag die Errichtung eines „Spitzgeschosses“ zur Schaffung eines „Technik“-Raums für sich genommen unschädlich sein, da es sich insoweit ausgehend von den Planunterlagen nicht um ein weiteres Vollgeschoss handelt (in letzterem Fall wäre nach der Rechtsprechung des BayVGH wohl generell von einem aliud auszugehen: vgl. BayVGH, U.v. 23.10.19 – 15 ZB 18.1275 – juris). Vorliegend wurden allerdings auch Außenwände, Firsthöhe und Dachneigung der Wohngebäude sowie weitere Aspekte des jeweiligen Gesamtvorhabens in nicht unerheblichem Umfang verändert:
Entgegen der Auffassung der Klägerseite weisen die streitgegenständlichen Vorhaben gegenüber der Ursprungsgenehmigung zunächst nicht nur „geringfügig“ höhere Wandhöhen auf. Ausweislich der eingereichten Planunterlagen sind die Außenwände des „Hauses 1“ gemessen von der maßgeblichen natürlichen Geländeoberfläche bis zum Schnittpunkt mir der Dachhaut auf der Südseite bei einer nunmehr beantragten (Gesamt-)Wandhöhe von 6,925 m (6,265 m + 0,66 m) um 76,5 cm und auf der Nordseite bei einer beantragten (Gesamt-)Wandhöhe von 7,125 m (6,265 m + 0,86 m) um 68,5 cm höher als genehmigt. Für das „Haus 3“ ergibt sich auf der Südseite bei einer nunmehr beantragten (Gesamt-)Wandhöhe von 7,725 m (6,265 m + 1,46 m) eine Erhöhung um 1,165 m und auf der Nordseite bei einer beantragten (Gesamt-)Wandhöhe von 7,425 m (6,265 m + 1,16 m) um 71,5 cm. Soweit die Klägerseite vorträgt, dass die Wandhöhe der errichteten Wohngebäude hinter der Wandhöhe der ursprünglichen Genehmigung zurückbleibe, wird diese Argumentation auf unterschiedliche Bezugspunkte gestützt, nämlich hinsichtlich der streitgegenständlichen Vorhaben auf die Wandhöhe gemessen ab OK FFB, während hinsichtlich der ursprünglichen Genehmigungen die natürliche Geländeoberfläche herangezogen wird. Maßgeblich ist jedoch in beiden Fällen die natürliche Geländeoberfläche (vgl. Busse/Kraus/Kraus, a.a.O., Art. 6, Rn. 191), wobei die vorgenommene (ungenehmigte) Geländeauffüllung außer Betracht zu bleiben hat. Der Vortrag der Klägerseite, wonach eine Neufestsetzung des Geländes bereits im Rahmen des Vorbescheids erfolgt sein soll, überzeugt nicht. Bei der Neufestlegung des Geländes handelt es sich um eine eigene, auf Art.54 Abs. 2 Satz 2 BayBO zu stützende bauaufsichtliche Maßnahme, die insbesondere nicht schon in der bloßen Darstellung einer neuen Geländeoberfläche in den genehmigten Bauvorlagen zu sehen ist (vgl. BayVGH, B.v. 30.4.2007 – 1 CS 06.3335 – juris Rn. 24; B.v. 18.3.1994 – 26 B 92.2782 – juris). Im Übrigen zeigt auch ein Vergleich der Wandhöhen jeweils gemessen ab der OK FFB, dass die Wände der Wohngebäude unzweifelhaft höher ausgeführt wurden als ursprünglich genehmigt. Ebenso liegt die Firsthöhe der Anwesen unstrittig über der ursprünglich genehmigten Firsthöhe. Zwar mag die Firsthöhe lediglich um wenige cm überschritten worden sei, dies beruht jedoch wiederum auf der Tatsache, dass auch die Dachneigung verändert wurde (19,5° Dachneigung anstelle der genehmigten 22°). Außenwände und Dachkonstruktion stellen wesentliche Elemente der statischen Gesamtkonzeption eines Gebäudes dar und lassen sich ohne erhebliche Eingriffe in die Gebäudesubstanz nachträglich nicht mehr ohne weiteres verändern. Sowohl bei der Wandhöhe als auch bei der Dachneigung handelt es sich zudem um maßgebliche Parameter für die baurechtliche Prüfung, insbesondere auch im Hinblick auf einzuhaltende Abstandsflächen. Die vorgenommenen Veränderungen lösen damit die Notwendigkeit einer erneuten Prüfung der baurechtlichen Zulässigkeit der Wohngebäude u.a. auch im Hinblick auf Nachbarrechte neu aus.
Darüber hinaus haben die zur Genehmigung gestellten Gesamtvorhaben weitere nicht unwesentliche Veränderungen erfahren. Insbesondere wird anstelle des jeweils genehmigten Carports nunmehr die Errichtung einer Doppelgarage mit räumlich anderer Positionierung, deutlich größeren Grundflächen und – beim Vorhaben auf der Fl.Nr. 388/2 („Haus 1“) – mit einer Satteldachkonstruktion anstelle eines Flachdachs beantragt. Beim Vorhaben „Haus 1“ beträgt die Gesamtfläche des Garagengebäudes einschließlich des überdachten Bereichs selbst ohne Berücksichtigung der rückwärtigen Hauseingangsüberdachung etwa 77,16 m2. Der Flächenunterschied allein des Garagengebäudes ist mit 47,96 m2 durchaus beachtlich, wobei in den Planunterlagen im Bereich der nordwestlichen Gebäudeecke noch weitere großzügig versiegelte Flächen mit unmittelbarem Bezug zur Hauptnutzung ausgewiesen sind. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist bereits die Ausführung eines Garagengebäudes mit Satteldach anstelle des genehmigten Flachdachs als „aliud“ zu werten (vgl. BayVGH, B.v. 14.1.1998 – 14 B 96.357 – juris). Ferner hat die Beklagtenseite zu Recht darauf verwiesen, dass Fragen des Abstandsflächenrechts neu aufgeworfen werden, nachdem die mittlere Wandhöhe des grenzständigen Garagengebäudes gemessen ab dem natürlichen Geländeniveau 3 m übersteigt und die Garage daher nicht mehr dem Privilegierungstatbestand des Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO i.d.F. vom 25. Mai 2021 unterfällt. Entsprechendes gilt für die grenzständige Doppelgarage des „Hauses 3“, deren Grundfläche um immerhin 21,9 m2 vergrößert wurde (wobei nach den eingereichten Planunterlagen auch der Bereich des vormals genehmigten Carports weiterhin versiegelt bleiben soll) und die unter Berücksichtigung der Geländeaufschüttung eine mittlere Wandhöhe von 3 m ebenfalls überschreitet.
Daneben wurde das Gelände bei beiden Vorhaben unstrittig aufgeschüttet und die dargestellten Terrassenflächen jeweils mehr als verdoppelt. Im Falle des „Hauses 3“ wurden entgegen der ursprünglichen Planung dabei nunmehr auch Terrassenflächen östlich des Wohngebäudes errichtet. Hinsichtlich beider Vorhaben soll jeweils das gesamte Grundstück mit einer zur Genehmigung gestellten Einfriedung (vgl. Bl. 109 f. d.BA 2012/1217 bzw. Bl. 97 d. BA 2012/1215) versehen werden. Die Vorhaben nehmen damit insbesondere auch weitere Flächen in Anspruch, welche wohl selbst bei Zugrundelegen der Ursprungsgenehmigung dem Außenbereich zuzuordnen gewesen wären. Auch insoweit wird damit die Frage der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit der zur Genehmigung gestellten (Gesamt-)Vorhaben neu aufgeworfen.
Insgesamt erscheinen die vorgenommenen Veränderungen der jeweils einheitlich zur Genehmigung gestellten Gesamtvorhaben damit sowohl ihrer Art nach als auch in der Summe nicht mehr als bloß unerhebliche Abweichungen gegenüber dem jeweiligen ursprünglich genehmigten Vorhaben.
Nichts anderes ergibt sich, soweit der Klägerbevollmächtigte zuletzt auf einen aus dem Vorbescheid vom … März 2010 abzuleitenden Bestandsschutz außerhalb der Feststellungswirkung der jeweils erteilten Baugenehmigung Rückgriff zu nehmen sucht. Abgesehen davon, dass der Vorbescheid gerade noch keinen Baubeginn zulässt, ist die Gültigkeit eines Vorbescheids nach Art. 71 Satz 2 BayBO auf drei Jahre begrenzt, sodass der Vorbescheid zum Zeitpunkt des jeweiligen Baubeginns bereits erloschen war und schon deshalb keinerlei Grundlage für eine „rechtmäßige Errichtung“ der Gebäude sein konnte. Selbst wenn die streitgegenständlichen (Gesamt-)Vorhaben auf Grundlage des Vorbescheids genehmigungsfähig gewesen wären, wurde eine Genehmigung dieser Vorhaben im Übrigen nicht innerhalb der Geltungsfrist des Vorbescheids beantragt. Die im Jahr 2014 erteilten Baugenehmigungen betreffen – wie dargestellt – gerade andere als die nunmehr begehrten Bauvorhaben. Da sowohl der Bauvorbescheid als auch die ursprünglich erteilten Baugenehmigungen mittlerweile erloschen sind, kann letztlich auch offen bleiben, ob dem Vorbescheid der klägerseits vorgetragene Regelungsinhalt entnommen werden könnte.
2.1.2 Es kann ferner (noch) nicht angenommen werden, dass sich der Beklagte zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bereits auf Dauer mit dem Fortbestand der streitgegenständlichen Gebäude wie auch des weiteren bereits verwirklichten Vorhabens des Klägers („Haus 2“) abgefunden hätte oder eine Beseitigungsverfügung aus sonstigen Gründen von vornherein ausgeschlossen wäre.
Zwar hat der Klägerbevollmächtigte darauf hingewiesen, dass im November 2018 nur eine Anhörung des Klägers hinsichtlich einer Verpflichtung zum Rückbau auf das genehmigte Maß erfolgt sei. In der mündlichen Verhandlung erklärte die Beklagtenseite hierzu jedoch ausdrücklich, dass es sich insoweit um einen Fehler der Behörde gehandelt habe und eine vollständige Beseitigung der ohne Baugenehmigung errichteten Gebäude angestrebt werde. Allein aus dem genannten Anhörungsschreiben lässt sich weder eine Zusicherung der dauerhaften Duldung noch ein sonstiger Vertrauenstatbestand zugunsten des Klägers herleiten, zumal der damaligen Anhörung – wohl auch vor dem Hintergrund der anhängigen Klageverfahren – bislang noch keine entsprechende Rückbauverfügung gefolgt ist. Das Landratsamt hat sich damit die Entscheidung in Bezug auf eine Gesamt- und/ oder Teilbeseitigung gerade offengehalten und müsste den Kläger auch angesichts des zwischenzeitlichen Zeitablaufs vor dem Erlass einer Rückbau-/ Beseitigungsanordnung wohl ohnehin erneut anhören. Der Umstand, dass das Landratsamt den Ausgang dieses Verfahrens und des Parallelverfahrens abwartet, vermag eine dauerhafte Duldung des vorhandenen Baubestands nicht zu begründen.
Soweit die Klägerseite eine Baubeseitigung wegen eines seitens des Landratsamts geschaffenen Vertrauenstatbestands für ausgeschlossen erachtet, dürfte ein solcher durch die ursprünglich erteilten Bescheide jedenfalls verbraucht sein. Zwar hat das Landratsamt ausweislich der Begründung der Baugenehmigungsbescheide vom September 2014 seine bereits zum damaligen Zeitpunkt bestehenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Vorhaben in Hinblick auf einen durch den Vorbescheid geschaffenen Vertrauenstatbestand jeweils zurückgestellt. Wie ausgeführt, sind jedoch sowohl der Vorbescheid (als Grundlage der 2014 erteilten Baugenehmigungen) wie auch die ursprünglichen Baugenehmigungen selbst zwischenzeitlich erloschen. Ein Vertrauensschutz aufgrund der Erteilung eines zwischenzeitlich erloschenen Vorbescheids kann indes nicht weiter reichen als eben dieser Vorbescheid und erst recht nicht weiter als eine auf Grundlage dieses Vorbescheids erteilte Baugenehmigung. Nichts anderes gilt in Hinblick auf die klägerseits angeführte, zeitlich noch weiter vorgelagerte „falsche Rechtsauskunft“ zur fehlenden Erforderlichkeit eines Bebauungsplans. Letztlich hat es sich der Kläger insoweit selbst zuzuschreiben, wenn die von ihm vorgenommenen wesentlichen Veränderungen des Vorhabens eine neue baurechtliche Prüfung erforderlich machen.
Soweit der Kläger schließlich Bezugsfälle in der näheren Umgebung geltend macht, erscheint bereits die Grundstückssituation der genannten Anwesen nicht vergleichbar. Dies gilt sowohl für die Fl.Nr. 226/1 als auch für das derzeitige Bauvorhaben auf den Fl.Nrn. 388/1 und 388/4. Insbesondere lässt sich bereits der Eingabeplanung des Baugenehmigungsverfahrens aus dem Jahre 2014 entnehmen, dass sich auch auf dem damals ungeteilten Grundstück Fl.Nr. 388/1 mehrere Bestandsgebäude (Wohnhaus und Nebengebäude) befunden haben. Eine Vergleichbarkeit mit den nunmehr zur genehmigten Vorhaben ist damit weder erkennbar noch substantiiert vorgetragen.
Das Gericht verkennt schließlich nicht, dass eine Beseitigung der bereits errichteten und zwischenzeitlich vermieteten Wohngebäude mit einem erheblichen Vollzugsaufwand verbunden sein dürfte. Faktisch oder rechtlich völlig unmöglich erscheint eine Beseitigung jedoch nicht, zumal Verhältnismäßigkeitsaspekten z.B. durch die Gewährung von Übergangsfristen für den Auszug der Mieter Rechnung getragen werden kann. Der wirtschaftliche Schaden des Bauherrn muss von vornherein unberücksichtigt bleiben, da es der Bauherr andernfalls in der Hand hätte, durch besonders massive oder sonst nur mit erheblichen wirtschaftlichen Aufwand zu beseitigende Bauten die Unverhältnismäßigkeit einer Beseitigungsanordnung herbeizuführen. Den Kläger treffen letztlich die Vermögensnachteile, mit denen er rechnen musste, als er die Vorhaben ohne vorherige baurechtliche Genehmigung bzw. trotz vorangegangener Baueinstellung ausführte. Angesichts der klaren Positionierung der Beklagtenseite in der mündlichen Verhandlung kann zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt daher nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass sich die zuständige Bauaufsichtsbehörde bereits auf Dauer mit dem vorhandenen Baubestand abgefunden hätte. Sollte die Bauaufsichtsbehörde indes auch nach dem bestandskräftigen Abschluss der Verfahren über einen längeren Zeitraum hinweg untätig bleiben, mag die Sachlage anders zu bewerten sein.
2.3 Die zur Genehmigung gestellten Gesamtvorhaben sind im Außenbereich planungsrechtlich unzulässig, da es sich hierbei nicht um privilegierte Vorhaben i.S.d.
§ 35 Abs. 1 BauGB handelt und sie als sonstige Vorhaben i.S.d. § 35 Abs. 2 BauGB öffentliche Belange beeinträchtigen.
2.3.1 Die Vorhaben beeinträchtigen die natürliche Eigenart der Landschaft (§ 35 Abs. 3 Nr. 5 BauGB). Der Begriff der natürlichen Eigenart der Landschaft umfasst den Schutz des Außenbereichs vor einer wesensfremden Nutzung und den Schutz einer im Einzelfall schutzwürdigen Landschaft vor ästhetischer Beeinträchtigung (vgl. BayVGH, U.v. 15. 7. 2016 – 22 BV 15.2169 – juris Rn. 37). Eine Verletzung der natürlichen Eigenart der Landschaft liegt bei einer der jeweiligen Landschaft wesensfremden Bebauung vor (vgl. BVerwG, U.v. 10.11.1978 – IV C 80.76 – juris Rn. 18). Dies ist der Fall, wenn ein Vorhaben der naturgegebenen (land- und forstwirtschaftlichen) Bodennutzung des Außenbereichs oder seiner Funktion als Erholungsraum für die Allgemeinheit widerspricht und deshalb einen Fremdkörper in der Landschaft bildet (vgl. BayVGH, B.v. 30.1.2020 – 1 ZB 18.935 – juris Rn. 6). Eine Wohnnutzung ist dem Außenbereich grundsätzlich wesensfremd. Auch Zäune stellen einen Fremdkörper dar, die den öffentlichen Belang beeinträchtigen, da hierdurch Teile aus der freien Landschaft herausgenommen werden (vgl. BayVGH, B.v. 25.4.2006 – 1 ZB 05.1014 – juris Rn. 15).
Die zur Genehmigung gestellten Vorhaben mit Wohnhaus, Nebenanlagen und großzügiger Einfriedung beeinträchtigen danach die Eigenart der Landschaft. Soweit der Kläger vorträgt, dass Natur und Landschaft bereits durch die Bestandsgebäude beeinträchtigt wären und damit eine Vorbelastung bestünde, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Die bestehenden Anwesen wurden – wie dargestellt – gerade ohne die erforderliche Genehmigung errichtet und müssen daher unberücksichtigt bleiben. Der Kläger muss sich insoweit jeweils so behandeln lassen, als wenn an der vorgesehenen Stelle erstmalig ein Gebäude errichtet werden soll (vgl. BayVGH, B.v. 13.9.2019 – 1 ZB 17.1763 – juris Rn. 5; B.v. 11.11.2019 – 1 ZB 19.1449 – juris Rn. 10). Soweit der Kläger weiter darauf abstellt, dass eine Rückführung in den ursprünglichen Zustand nicht infrage komme, verkennt er, dass der Beklagte eine Beseitigung der errichteten Wohnhäuser beabsichtigt und eine solche auch nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint (s.o.). Entsprechendes gilt, soweit der Kläger anführt, dass sich die versiegelte Fläche im Vergleich zur erteilten Baugenehmigung jeweils nur geringfügig erhöhe. Auch insoweit ist aufgrund der ungenehmigten Errichtung der Gebäude gerade nicht nur auf eine vermeintlich „geringe“ zusätzliche Flächenversiegelung abzustellen, sondern auf das jeweils zur Genehmigung gestellte Vorhaben insgesamt. Ungeachtet dessen werden Natur und Landschaft auch durch die nunmehr beantragten Zaunanlagen zur vollumfänglichen Einfriedung des jeweiligen Grundstücks beeinträchtigt.
2.3.2 Ferner werden Belange des Naturschutzes und des Bodenschutzes beeinträchtigt, da die Vorhaben zu einer massiven Bodenversiegelung führen. Auch insoweit muss sich der Kläger so behandeln lassen, als ob an der jeweiligen Stelle erstmalig ein Vorhaben realisiert werden soll (s.o.). Auf einen Vergleich der errichteten und der ursprünglich genehmigten (Gesamt-)Vorhaben kommt es damit nicht an. Im Übrigen ergäbe sich selbst bei einem Vergleich eine Vergrößerung der versiegelten Fläche in Zusammenhang mit den errichteten Garagengebäuden und Terrassenflächen (s.o.).
2.3.3 Weiter lassen die Vorhaben die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB). Eine solche Entwicklung ist insbesondere zu befürchten, wenn mit einem Vorhaben ein Vorgang der Zersiedelung eingeleitet wird. Dies ist bei der Errichtung von Wohnbauten regelmäßig der Fall (OVG Münster, B.v. 17. 3. 2016 – 2 A 1170.15 – juris Rn. 35). Die Entstehung einer Splittersiedlung ist auch durch die Ausuferung eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils anzunehmen, da insoweit eine städtebaulich unerwünschte Zersiedlung des Außenbereichs eingeleitet werden kann (EZBK/Söfker, 141. EL Februar 2021, BauGB § 35 Rn. 107). Vorliegend würde auf den Vorhabengrundstücken erstmalig eine außerhalb des Bebauungszusammenhangs liegende Bebauung realisiert; die dort bereits bestehenden Wohngebäude können – wie dargestellt – keine Berücksichtigung finden. Damit wird aufgrund der Ortsrandlage der Grundstücke auch für die umliegenden unbebauten (bzw. als unbebaut zu behandelnden) Grundstücke ein Bezugsfall geschaffen und ein Vorgang der unerwünschten Zersiedlung eingeleitet.
2.4 In der Folge kommt es nicht mehr streitentscheidend darauf an, ob den geplanten Vorhaben weitere im bauaufsichtlichen Verfahren zu prüfende öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen. Dies betrifft insbesondere die Einhaltung der Abstandsflächen durch die jeweils grenzständig errichteten Garagengebäude.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da sie keine Anträge gestellt und sich somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 162 Abs. 3 und § 154 Abs. 3 VwGO).
III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff ZPO.


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