Baurecht

Abgrenzung von Innenbereich und Außenbereich

Aktenzeichen  M 11 K 17.4928

Datum:
15.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 47433
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 68 Abs. 1 S. 1
BauGB § 34, § 35 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Grundsätzlich endet ein Bebauungszusammenhang unabhängig von der Grundstücksgrenze mit der letzten Bebauung. Die sich ihr anschließenden selbstständigen Flächen gehören zum Außenbereich. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zum Innenbereich kann auch eine sich an das letzte Gebäude noch anschließende, angemessen große Freifläche, die als Garten, Hof, Stellplatz oder in ähnlicher Weise bebauungsakzessorisch genutzt wird, gehören. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Der Bescheid vom 13. September 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die beantragte Baugenehmigung, da dem Bauvorhaben öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO). Die Tiefgarage ist bauplanungsrechtlich nicht zulässig, da sie sich zumindest teilweise im Außenbereich (Ziff. 1) befindet und öffentliche Belange beeinträchtigt (Ziff. 2).
1. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit beurteilt sich nach § 35 BauGB, da sich das Vorhaben im Außenbereich befindet.
Die Zulässigkeit einer baulichen Anlage ergibt sich gem. Art. 59 Satz 1 Nr. 1 a) BayBO aus den Vorschriften der §§ 29 bis 38 BauGB. Die Vorhabengrundstücke liegen nicht im Bereich eines Bebauungsplans. Damit richtet sich die Zulässigkeit des Vorhabens danach, ob es im Innenbereich (§ 34 BauGB) oder im Außenbereich (§ 35 BauGB) verwirklicht werden soll. Ein bauplanungsrechtlicher Innenbereich i.S.d. § 34 BauGB liegt vor, wenn sich ein Vorhaben innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils befindet.
1.1 Für das Bestehen eines Bebauungszusammenhangs ist entscheidend, ob und inwieweit eine tatsächlich aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken nach der Verkehrsauffassung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört (BVerwG, U.v. 6.11.1968 – IV C 2.66 – juris Rn. 17; B.v. 2.4.2007 – 4 B 7/07 – juris Rn. 4). Darüber, wo die Grenze des Bebauungszusammenhangs und damit des Innenbereichs im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB verläuft, ist nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden, die gesamten örtlichen Gegebenheiten erschöpfend würdigenden Wertung und Bewertung des konkreten Sachverhalts zu entscheiden (BVerwG, U.v. 6.12.1967 – IV C 94.66 – BVerwGE 28, 268 – juris Rn. 26; U.v. 12.10.1990 – 4 C 40/87 – NVwZ 1991, 879/880 – juris Rn. 22; U.v. 19. 4.2012 − 4 C 10/11 – NVwZ 2012, 1631/1632 – juris Rn. 11; U.v. 30.6.2015 – 4 C 5/14 – BVerwGE 152, 275 – juris Rn. 16). Grundsätzlich endet der Bebauungszusammenhang unabhängig von der Grundstücksgrenze mit der letzten Bebauung. Die sich ihr anschließenden selbstständigen Flächen gehören zum Außenbereich (BVerwG, U.v. 6.11.1968 – IV C 47.68 – juris Rn. 19; U.v. 12.10.1973 – IV C 3.72 – BauR 1974, 41 – juris Rn. 11; B.v. 12.3.1999 – 4 B 112/98 – NVwZ 1999, 763/765 – juris Rn. 21). Örtliche Besonderheiten können es aber rechtfertigen, dem Bebauungszusammenhang noch bis zu einem Geländehindernis, einer Erhebung oder einem Einschnitt (Damm, Böschung, Fluss, Waldrand o.ä.) ein oder mehrere Grundstücke zuzuordnen, die unbebaut sind (BVerwG, U.v. 12.10.1990 – 4 C 40/87 – NVwZ 1991, 879/880 – juris Rn. 22; U.v. 16.11.2010 – 4 C 7/10 – NVwZ 2011, 436 – juris Rn. 12).
Gemessen an diesen Grundsätzen liegt das streitgegenständliche Vorhaben zumindest teilweise im Außenbereich. Entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten der Klägerin verläuft die Grenze zwischen Innen- und Außenbereich an der Außenwand des Wohnhauses der Klägerin und nicht entlang einer gedachten Linie zwischen den Außenwänden der Gebäude auf den Grundstücken mit den FlNrn. 1449/2 und 1449. Zum einen ist das Gebäude auf dem Grundstück mit der FlNr. 1449 bereits nicht geeignet, einen Bebauungszusammenhang herzustellen. Nicht jede Art der Bebauung stellt eine zur Bestimmung des Innenbereichs nach § 34 BauGB maßgebliche Bebauung dar. Eine solche Bebauung liegt dann vor, wenn eine Anlage nach Art und Gewicht geeignet ist, ein Gebiet als einen Ortsteil mit städtebaulichem Charakter zu prägen. Dies ist grundsätzlich nur bei Bauwerken der Fall, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen. Baulichkeiten zur Freizeitnutzung (z.B. Wochenendhäuser) sind dagegen regelmäßig nicht geeignet, ein für die Siedlungsstruktur prägendes Element darzustellen (VG München, U.v. 27.11.2014 – M 11 K 14.1637 – juris Rn. 25 m.w.N.). Nach den Feststellungen des gerichtlichen Augenscheins handelt es sich bei den Gebäuden auf den südöstlich gelegenen Grundstücken mit den FlNrn. 1449 und 1449/6 nicht um Wohnhäuser oder sonst dem dauernden Aufenthalt dienenden Gebäude. Damit sind diese bereits nicht geeignet, einen Bebauungszusammenhang herzustellen. Zum anderen wäre die Grenze zwischen Innen- und Außenbereich gleichwohl entlang des bestehenden Wohngebäudes der Klägerin zu ziehen, auch wenn die südöstlich liegenden Gebäude auf den FlNrn. 1449 und 1449/6 als maßgebliche Bebauung angesehen würden. Die Grenzlinie zwischen Innen- und Außenbereich muss nicht geradlinig verlaufen, sondern kann auch vor- und zurückspringen (BayVGH, B.v. 19.10.2020 – 1 ZB 18.335 – juris Rn. 7). Der Abstand zwischen dem nordöstlich liegenden Wohngebäude und den südöstlich liegenden Gebäuden liegt nach Messungen im Geoportal BayernAtlas bei etwa 95 m. Die Wohnbebauung der Klägerin ist gegenüber der gedachten Verbindungslinie zwischen der benannten Bebauung um etwa 25 m nach Westen versetzt. Die Fläche zwischen den Gebäuden ist dicht mit Bäumen bewachsen und wirkt als Teil des weiter östlich hieran anschließenden Waldes. Aufgrund der Größe und des Bewuchses dieser Fläche entsteht nicht der Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit der Freifläche mit der bestehenden Bebauung. Entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten der Klägerin bestehen auch keine topografischen Besonderheiten, die dazu führen, dass diese Fläche dem Bebauungszusammenhang zuzuordnen ist. Nach den Feststellungen im gerichtlichen Augenschein steigt das Gelände soweit erkennbar stetig Richtung Osten an. Ein Geländehindernis in Form eines Geländesprungs oder einer Böschung besteht nicht. Der dichte Bewuchs mit Bäumen reicht unmittelbar bis an den östlich entlang des Wohnhauses der Klägerin und des Eiskellers verlaufenden Weg heran.
1.2 Soweit sich die Klägerin darauf beruft, dass der Bereich, in dem das Vorhaben verwirklicht werden soll, bereits bebauungsakzessorisch genutzt werde und damit Teil des Innenbereichs sei, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Es ist anerkannt, dass zum Innenbereich auch eine sich an das letzte Gebäude noch anschließende, angemessen große Freifläche, die als Garten, Hof, Stellplatz oder in ähnlicher Weise bebauungsakzessorisch genutzt wird, gehören kann (BayVGH, U.v. 9.3.2005 – 1 N 03.1765 – juris Rn. 7; B.v. 27.2.2006 – 2 CS 05.2999 – juris Rn. 5; VG München, U.v. 20.5.2010 – M 11 K 09.2743 – juris Rn. 16). Vorliegend kann jedoch offen bleiben, ob der östlich entlang des Wohnhauses und des Eiskellers verlaufende befahrbare Weg eine solche bebauungsakzessorische Nutzung darstellt. Aus den vorgelegten Bauplänen ergibt sich nach Messungen mit dem Lineal, dass die geplante Tiefgarage jedenfalls in einem Umfang zwischen 3 m und 4 m über eine Länge von etwa 16 m deutlich über den bestehenden Weg hinaus ragt. Das Vorhaben liegt daher zumindest teilweise in der mit einem dichten Baumbestand versehenen Fläche und damit eindeutig im Außenbereich.
2. Die Tiefgarage ist nicht zulässig, da sie als sonstiges Vorhaben im Außenbereich nach § 35 Abs. 2 BauGB öffentliche Belange im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB beeinträchtigt.
Das Vorhaben widerspricht bereits den Darstellungen des Flächennutzungsplans (§ 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB), welcher das Grundstück mit der FlNr. 1449/4 als private Grünfläche einstuft. Ferner wird durch die Tiefgarage die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigt (§ 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB). Der Schutz der natürlichen Eigenart verfolgt den Zweck, die naturgegebene Bodennutzung zu erhalten. Die Landschaft soll in ihrer natürlichen Funktion und Eigenart bewahrt bleiben. Eine Beeinträchtigung liegt damit vor, wenn durch ein Vorhaben eine Fläche der naturgegebenen Bodennutzung entzogen wird (BayVGH, B.v. 18.2.2019 – 15 ZB 18.2509 – juris Rn. 10). Es kommt dabei nicht darauf an, ob ein Vorhaben optisch in Erscheinung tritt. Es soll vielmehr jede wesensfremde Nutzung der Landschaft und des Bodens abgewehrt werden (BayVGH, B.v. 28.12.2016 – 15 Cs 16.774 – juris Rn. 48). Eine Tiefgarage ist danach im Außenbereich wesensfremd. Sie führt zu einem dauerhaften Verlust von Boden. Ferner besteht hier die Gefahr, dass durch das in den Außenbereich ragende Vorhaben unterirdisch Wurzeln geschädigt werden könnten. Schließlich beeinträchtigt das Vorhaben auch den öffentlichen Belang des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB. Die Gefahr eines ungeordneten Ausuferns der Bebauung in den im Außenbereich befindlichen Baumbestand hinein stellt eine städtebaulich unerwünschte, unorganischen Siedlungsweise dar, welche im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB zu verhindern ist (vgl. BVerwG‚ U.v. 25.1.1985 – 4 C 29.81 – juris Rn. 9; BayVGH, U.v. 13.4.2015 – 1 B 14.2319 – juris Rn. 28). Das Vorhaben könnte insoweit auch für die Umgebung Bezugsfallwirkung haben.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da sie keine Anträge gestellt und sich somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 162 Abs. 3 und § 154 Abs. 3 VwGO).
III.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff ZPO.


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