Baurecht

Ablösung von Straßenausbaubeiträgen

Aktenzeichen  W 3 K 16.229

Datum:
7.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 146402
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KAG Art. 5 Abs. 1
KAG Art. 5 Abs. 9
Gemeinde W…, Ausbaubeitragssatzung vom 17. Mai 2010
§ 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO
§ 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO
§ 436 Abs. 1 BGB

 

Leitsatz

1 Sind nach Abschluss eines Ablösungsvertrages Entwicklungen eingetreten, die – weil jenseits ablösungstypischer Risiken liegend – die Grundlage des Ablösungsvertrages erschüttern, führt das zur Erschütterung von dessen Geschäftsgrundlage mit der Folge, dass ein Anspruch des einen oder anderen Vertragspartners auf Anpassung des Vertrages an die veränderten Verhältnisse begründet ist. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2 Das Ausbaubeitragsrecht setzt der Verbindlichkeit von Ablösungsverträgen eine absolute Missbilligungsgrenze, die überschritten ist, wenn sich bei einer Beitragsberechnung herausstellt, dass der Beitrag, der dem „abgelösten“ Grundstück zuzuordnen ist, dass Doppelte oder mehr als das Doppelte bzw. die Hälfte oder weniger als die Hälfte des vereinbarten Ablösungsbetrags ausmacht; die Überschreitung der Missbilligungsgrenze führt zur Nichtigkeit des Ablösungsvertrages. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3 Dem Ablösungsvertrag ist immanent, dass der Vertragspartner der Gemeinde voraussichtlich im Zeitpunkt des Entstehens der Beitragspflicht Grundstückseigentümer ist und damit der persönlichen Beitragspflicht unterfallen wird. Ist er allerdings voraussichtlich im Zeitpunkt des Entstehens der Beitragspflicht nicht (mehr) Eigentümer eines der sachlichen Beitragspflicht unterfallenden Grundstücks, kann zu seinen Lasten auch keine persönliche Beitragspflicht entstehen, die schon vorzeitig mittels eines Ablösungsvertrages abgelöst werden könnte. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Als Gegenstand des Klagebegehrens i.S.d. § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO hat der Kläger im Klageschriftsatz den öffentlich-rechtlichen Teil der Gesamtpreisvereinbarung im Kaufvertrag vom 28. Oktober 2009, nämlich eine öffentlich-rechtliche Ablösungsvereinbarung nach Art. 5 Abs. 9 KAG i.V.m. § 11 der Satzung über die Erhebung von Beiträgen zur Deckung des Aufwands für die Herstellung, Anschaffung, Verbesserung oder Erneuerung von Straßen, Wegen, Plätzen, Parkanlagen und Grünanlagen (Ausbaubeitragssatzung – ABS –) der Beklagten vom 17. Mai 2010 bezeichnet.
Hierfür ist der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO gegeben.
Für die Zuordnung eines Vertrages zum öffentlichen oder zum privaten Recht kommt es auf seinen Gegenstand und seinen Zweck an. Ein Vertrag ist dem öffentlichen Recht zuzuordnen, wenn sein Gegenstand sich auf von der gesetzlichen Ordnung öffentlich-rechtlich geregelte Sachverhalte bezieht oder wenn sich der Vertrag in einem engen und untrennbaren Zusammenhang mit einem nach Normen des öffentlichen Rechts zu beurteilenden Sachverhalt befindet (Rennert in Eyermann, VwGO, Kommentar, 14. Aufl. 2014, § 40 Rn. 67 f. m.w.N.). Begründet ein Vertrag sowohl öffentlich-rechtliche wie bürgerlich-rechtliche Verpflichtungen, so kommt es auf die Rechtsnatur des jeweils strittigen Vertragsanspruchs an (Rennert, a.a.O., Rn. 71 m.w.N.). Zwar ist ein Grundstückskaufvertrag zwischen einer Gemeinde und einer natürlichen Person in der Regel rein privatrechtlicher Natur; allerdings kann ein solcher Grundstückskaufvertrag hinsichtlich seines kaufrechtlichen Teils privatrechtlicher Natur, hinsichtlich seiner Ablösungsabrede hingegen öffentlich-rechtlicher Natur sein.
Im vorliegenden Fall behauptet der Kläger, dieser eigentlich privatrechtliche Vertrag beinhalte eine öffentlich-rechtliche Ablösungsvereinbarung, welche der Gegenstand des Klagebegehrens sei (vgl. auch Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. 2012, § 22 Rn. 3).
Damit ist im vorliegenden Fall der Verwaltungsrechtsweg gegeben, dies unabhängig von der Frage, ob der Kaufvertrag tatsächlich eine öffentlich-rechtliche Ablösevereinbarung enthält. Denn ist die Existenz einer Anspruchsgrundlage zweifelhaft, so ist entscheidend, welche Rechtsnatur sie hätte, wenn es sie denn gäbe.
Die als allgemeine Leistungsklage zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Denn es ist nicht erkennbar, dass zwischen den Parteien tatsächlich eine Ablösungsvereinbarung geschlossen worden wäre, aus welcher der Kläger nunmehr irgendwelche Rechte herleiten könnte.
Nach Art. 5 Abs. 9 Satz 1 KAG kann im Rahmen der Erhebung von Beiträgen nach Art. 5 Abs. 1 KAG – und dies gilt auch auf der Grundlage von Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG bei der Erhebung von Beiträgen für die Verbesserung oder Erneuerung von Ortsstraßen – der Beitragsberechtigte die Ablösung des Beitrags vor Erstehung der Beitragspflicht gegen eine angemessene Gegenleistung zulassen. Nach Art. 5 Abs. 9 Satz 2 KAG ist das Nähere in der Beitragssatzung zu bestimmen. Auf dieser Grundlage hat die Beklagte in § 11 ABS festgelegt, dass der Beitrag im Ganzen vor Entstehung der Beitragspflicht abgelöst werden kann, dass ein Rechtsanspruch auf Ablösung nicht besteht und dass der Ablösungsbetrag sich nach der voraussichtlichen Höhe des nach Maßgabe dieser Satzung zu ermittelnden Ausbaubeitrags bemisst.
Eine derartige Ablösung ist ihrem Wesen nach darauf ausgerichtet, sachliche Beitragsschulden nicht erst entstehen zu lassen. Die Ablösung ist ein vom Gesetzgeber in erster Linie zugunsten der Gemeinde begründetes Vorfinanzierungsinstitut. Die mit der Zahlung auf einen Ablösungsvertrag eintretende Ablösungswirkung nimmt einerseits dem jeweiligen Eigentümer des Grundstücks grundsätzlich die Möglichkeit, später – im Hinblick auf die Höhe der anderenfalls entstandenen Beitragspflicht – eine Überzahlung erstattet zu bekommen, und andererseits der Gemeinde das Recht zur Erhebung einer Nachforderung. Etwas anderes gilt dann, wenn nach Abschluss eines Ablösungsvertrages Entwicklungen eingetreten sind, die – weil jenseits ablösungstypischer Risiken liegend – die Grundlage des Ablösungsvertrages erschüttern. Soweit das ausnahmsweise zutrifft, führt das nicht zur Nichtigkeit des ursprünglich den gesetzlichen Anforderungen entsprechend abgeschlossenen Ablösungsvertrages, sondern zur Erschütterung von dessen Geschäftsgrundlage mit der Folge, dass ein Anspruch des einen oder anderen Vertragspartners auf Anpassung des Vertrages an die veränderten Verhältnisse begründet ist. Unabhängig von diesen Risiken setzt das Ausbaubeitragsrecht der Verbindlichkeit von Ablösungsverträgen eine absolute Missbilligungsgrenze, die überschritten ist, wenn sich bei einer Beitragsberechnung herausstellt, dass der Beitrag, der dem „abgelösten“ Grundstück zuzuordnen ist, dass Doppelte oder mehr als das Doppelte bzw. die Hälfte oder weniger als die Hälfte des vereinbarten Ablösungsbetrags ausmacht. Die Überschreitung der Missbilligungsgrenze führt zur Nichtigkeit des Ablösungsvertrages (vgl. im Einzelnen Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. 2012, § 22 Rn. 1 ff. insbesondere Rn. 6 und Rn. 7 m.w.N.).
Allerdings kann sich der Kläger im vorliegenden Fall weder auf einen Anspruch auf Anpassung an veränderte Verhältnisse berufen noch die Nichtigkeit einer Ablösungsvereinbarung wegen Überschreitung der Missbilligungsgrenze geltend machen. Denn es existiert keine derartige Ablösungsvereinbarung zwischen den Parteien. Dies ergibt sich aus Folgendem:
Der Grundgedanke eines Ablösungsvertrages besteht – wie oben schon ausgeführt – darin, dass derjenige, der als Grundstückseigentümer oder Erbbauberechtigter auf der Grundlage von Art. 5 Abs. 1 KAG i.V.m. der entsprechenden Ausbaubeitragssatzung für die Erneuerung oder Verbesserung einer Orts Straße künftig beitragspflichtig werden wird, diese in der Zukunft liegende gesetzliche Beitragspflicht bereits vorher auf vertraglicher Grundlage durch die Vereinbarung und Zahlung eines Ablösebetrages ausschließen kann. Dem Ablösungsvertrag ist es also immanent, dass der Vertragspartner der Gemeinde voraussichtlich im Zeitpunkt des Entstehens der Beitragspflicht Grundstückseigentümer ist und damit der persönlichen Beitragspflicht unterfallen wird. Ist er allerdings voraussichtlich im Zeitpunkt des Entstehens der Beitragspflicht nicht (mehr) Eigentümer eines der sachlichen Beitragspflicht unterfallenden Grundstücks, kann zu seinen Lasten auch keine persönliche Beitragspflicht entstehen, die schon vorzeitig mittels eines Ablösungsvertrages abgelöst werden könnte.
So liegt der Fall hier. Der Kläger, der Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. …9 war, hat dieses Grundstück mit notariellem Vertrag vom 28. Oktober 2009 an die Beklagte verkauft, zu einem Zeitpunkt also, zu welchem zu Lasten des Grundstücks Fl.Nr. …9 (noch) keine sachliche Beitragspflicht entstanden war. Damit liegt auf der Hand, dass die zu einem späteren Zeitpunkt möglicherweise zu Lasten des Grundstücks Fl.Nr. …9 entstehende sachliche Beitragspflicht für den Ausbau der L… Straße oder der A…straße nicht mehr den Kläger als – als Grundstückseigentümer – persönlich Beitragspflichtigen gemäß § 4 Satz 1 ABS treffen kann; denn nach dieser Vorschrift ist beitragspflichtig, wer im Zeitpunkt des Entstehens der Beitragsschuld Eigentümer des Grundstücks oder Erbbauberechtigter ist.
Damit kann keiner wie auch immer gearteten Vereinbarung zwischen dem Kläger und der Beklagten im Rahmen des Verkaufs des Grundstücks vom Kläger an die Beklagte die Rechtsnatur einer Ablösungsvereinbarung nach Art. 5 Abs. 9 KAG i.V.m. § 11 ABS zukommen. Dies bedeutet, dass auch keine wie auch immer gearteten Ansprüche des Klägers auf Anpassung einer Ablösungsvereinbarung oder aus der Nichtigkeit einer Ablösungsvereinbarung bestehen können. In dieser Hinsicht kann sich der Kläger auch nicht auf den Beschluss des Gemeinderats vom 24. September 2009 berufen. Aus dem Text des Beschlusses geht hervor, dass der Gemeinderat der Beklagten gerade keine Ablösungsvereinbarung mit dem Kläger schließen wollte, sondern über den wirtschaftlichen Wert des Grundstücks beraten wurde und in diesem Zusammenhang (auch) die voraussichtlich künftig zu Lasten des Grundstücks entstehenden sachlichen Beitragspflichten in den Blick genommen wurden. Dementsprechend ist auch Ziffer VII. des notariellen Kaufvertrages vom 28. Oktober 2009 formuliert, der damit den Vorgaben des § 436 BGB folgt. Die in dieser Vorschrift festgeschriebene Lastenverteilungsregelung bei Grundstückskaufverträgen, die, soweit nichts anderes vereinbart ist, den Verkäufer eines Grundstücks verpflichtet, Erschließungsbeiträge und sonstige Anliegerbeiträge für die Maßnahmen zu tragen, die bis zum Tage des Vertragsschlusses bautechnisch begonnen sind, unabhängig vom Zeitpunkt des Entstehens der Beitragsschuld, kann sich in Bezug auf eine Gemeinde – im vorliegenden Fall in Bezug auf die Beklagte – lediglich dann auswirken, wenn die Gemeinde als Verkäufer auftritt (vgl. Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Kommentar, Stand: Januar 2016, Rn. 1535).
All dies führt zu dem Ergebnis, dass der Kläger zwar behauptet, es sei eine öffentlich-rechtliche Ablösungsvereinbarung zwischen den Parteien geschlossen worden, dass der Abschluss einer solchen Vereinbarung jedoch rechtlich nicht möglich war und dass das Vertragsverhältnis tatsächlich rein privatrechtlich ausgestaltet ist. Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte aus einem öffentlich-rechtlichen Vertragsverhältnis sind somit nicht vorhanden.
Die weiteren Ausführungen des Klägers, es müsse doch in irgendeiner Art und Weise berücksichtigt werden können, dass die im Gemeinderatsbeschluss und in den Vertragsverhandlungen zu Lasten des Klägers ins Spiel gebrachten Ausbaubeiträge eine Reduzierung des Kaufpreises um 31.000,00 EUR nicht rechtfertigten, mögen sich auf privatrechtlicher Ebene bewegen und betreffen damit nicht den gemäß den klägerischen Angaben ausschließlich dem öffentlichen Recht zugeordneten Streitgegenstand.
Damit war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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