Aktenzeichen 1 N 20.1594
Leitsatz
Tenor
I. Der Bebauungsplan Nr. … „Am W.“ – 1. Änderung – vom 14. Oktober 2019, bekanntgemacht am 27. November 2019, ist unwirksam.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Der zulässige Normenkontrollantrag hat Erfolg. Der am 14. Oktober 2019 beschlossene und am 27. November 2019 bekannt gemachte Bebauungsplan – 1. Änderung -ist unwirksam.
1. Der Normenkontrollantrag ist zulässig.
Die Antragsteller sind gemäß § 47 Abs. 2 VwGO antragsbefugt. Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist im Normenkontrollverfahren jede natürliche oder juristische Person antragsbefugt, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Die Antragsteller müssen hinreichend substantiiert Tatsachen vortragen, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass sie durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in einem Recht verletzt werden. Der Eigentümer eines Grundstücks, für das der Bebauungsplan Festsetzungen trifft, ist grundsätzlich nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt (vgl. BVerwG, B.v. 31.1.2018 – 4 BN 17.17 u.a. – BauR 2018, 814). Der Eigentümer eines außerhalb des Plangebiets gelegenen Grundstücks ist antragsbefugt, wenn er eine mögliche Verletzung des Abwägungsgebots geltend machen kann. Das in § 1 Abs. 7 BauGB normierte bauplanungsrechtliche Abwägungsgebot hat drittschützenden Charakter hinsichtlich solcher privaten Belange, die für die Abwägung erheblich sind (vgl. BVerwG, B.v. 17.7.2019 – 3 BN 2.18 – NVwZ-RR 2019, 1027, B.v. 13.11.2020 – 4 BN 23.12 – juris Rn. 4; B.v. 22.8.2000 – 4 BN 38.00 – NVwZ 2000, 1413). Die Antragsbefugnis ist jedoch dann nicht gegeben, wenn eine Rechtsverletzung offensichtlich ausscheidet (vgl. BVerwG, B.v. 2.3.2015 – 4 BN 30.14 – BauR 2015, 967; B.v. 10.7.2012 – 4 BN 16.12 – BauR 2012, 1771).
Hieran gemessen sind die Antragsteller antragsbefugt. Sie tragen als Plannachbarn vor, dass die von der im Änderungsbebauungsplan vorgesehenen Heizzentrale ausgehenden Immissionen nicht ausreichend berücksichtigt und in die Abwägung eingestellt worden seien. Mit ihren Ausführungen in ihren Schriftsätzen machen sie hinreichend substantiiert die Möglichkeit der Verletzung abwägungserheblicher Belange geltend.
2. Der Normenkontrollantrag ist begründet. Der Bebauungsplan – 1. Änderung – ist unwirksam.
Der Senat sieht dabei den Bebauungsplan – 1. Änderung – nicht als selbstständigen, den ursprünglichen Bebauungsplan ersetzenden Bebauungsplan an, sondern nur als Änderungsbebauungsplan. Denn mit dem Bebauungsplan – 1. Änderung – wurden nur teilweise die Festsetzungen des ursprünglichen Bebauungsplans geändert. Es wurde zwar eine neue Planzeichnung für das Gesamtgebiet angefertigt und die textlichen Festsetzungen wurden zusammengefasst. Die wesentlichen Festsetzungen des ursprünglichen Bebauungsplans sind jedoch weit überwiegend ohne Änderung und ohne erneute Abwägung übernommen worden. Damit kann die planungsrechtliche Ordnung im Bebauungsplangebiet nur als Einheit der alten und geänderten Planung angesehen werden (vgl. BVerwG, B.v. 4.10.2016 – 4 BN 11.16 – BauR 2017, 62; B.v. 26.7.2011 – 4 B 23.11 – BauR 2012, 53; BayVGH, U.v. 19.2.2019 – 1 N 16.350 – juris Rn. 22). Da hier der Bebauungsplan – 1. Änderung – bereits wegen Mängeln des Änderungsbebauungsplans selbst unwirksam ist, bedarf es keiner inzidenten Prüfung, ob der ursprüngliche Bebauungsplan wirksam ist.
Der Änderungsbebauungsplan konnte nicht im vereinfachten Verfahren nach § 13 BauGB aufgestellt werden da die Grundzüge der Planung berührt werden (2.1). Zudem fehlt es an der nach § 16 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO erforderlichen Festsetzung der Grundfläche für die Anlage der Nahwärmeversorgung (2.2).
2.1 Der Änderungsbebauungsplan ist zu Unrecht im vereinfachten Verfahren nach § 13 BauGB aufgestellt worden.
Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BauGB kann die Gemeinde das vereinfachte Verfahren anwenden, wenn durch die Änderung oder Ergänzung eines Bauleitplans die Grundzüge der Planung nicht berührt werden. Dann kann nach § 13 Abs. 3 Satz 1 BauGB von der Umweltprüfung gemäß § 2 Abs. 4 BauGB, vom Umweltbericht nach § 2a BauGB und von weiteren umweltbezogenen Vorgaben abgesehen werden.
Grundzüge der Planung sind nicht berührt, wenn das der bisherigen Planung zugrundeliegende Leitbild nicht geändert wird, also der planerische Grundgedanke erhalten bleibt. Abweichungen von minderem Gewicht, die die Planungskonzeption des Bebauungsplans unangetastet lassen, berühren die Grundzüge der Planung nicht. Dabei muss die dem konkreten Bebauungsplan eigene Konzeption der städtebaulichen Ordnung und Entwicklung in ihrem grundsätzlichen Charakter unangetastet bleiben. Die Konzeption des Bebauungsplans ergibt sich aus der Gesamtheit und der Zusammenschau der bestehenden planerischen Festsetzungen, in denen der planerische Wille der Gemeinde zum Ausdruck kommt (vgl. BayVGH, U.v. 16.02.2021 – 15 N 19.923 – juris Rn. 23). Ob eine Abweichung die Grundzüge der Planung berührt oder von minderem Gewicht ist, beurteilt sich, jedenfalls wenn nicht ein anderes Baugebiet im Sinne der §§ 2 bis 11 BauNVO festgesetzt wird, nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. Bezogen auf den planerischen Willen darf der Abweichung vom Planinhalt keine derartige Bedeutung zukommen, dass die angestrebte und im Plan zum Ausdruck gebrachte städtebauliche Ordnung in beachtlicher Weise beeinträchtigt wird. Die Abweichung muss – soll sie mit den Grundzügen der Planung vereinbar sein – durch den planerischen Willen gedeckt sein; es muss angenommen werden können, die Abweichung liege noch im Bereich dessen, was der Planer gewollt hat oder gewollt hätte, wenn er die weitere Entwicklung einschließlich des Grundes für die Abweichung gekannt hätte (vgl. BVerwG, U.v. 29.1.2009 – 4 C 16.07 – BVerwGE 133, 98).
Hieran gemessen sind durch den Bebauungsplan – 1. Änderung – die Grundzüge der Planung berührt. Der ursprünglichen Planung lag ersichtlich die Konzeption einer eigenständigen (Wärme-)Versorgung der einzelnen Bauvorhaben zu Grunde. Die Frage von alternativen Energiekonzepten wurde ausweislich der Aufstellungsunterlagen erörtert, gleichwohl hat die Antragsgegnerin diesbezüglich bewusst von über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehenden Vorgaben abgesehen. Durch den Änderungsbebauungsplan werden nunmehr die planungsrechtlichen Voraussetzungen für eine zentrale Nahwärmeversorgung des gesamten Planungsgebiets geschaffen, die auf der Grundlage der Eigentümerstellung der Antragsgegnerin nachfolgend im Wege der zivilrechtlichen Kaufverträge zu einem Anschlusszwang und damit zu einer über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehenden Verpflichtung zur Nutzung regenerativer Energien führt. Die Schaffung einer zentralen Einrichtung für rund 120 geplante Wohneinheiten zur Wärmeversorgung bedingt eine wesentliche Veränderung der Gestaltungsmöglichkeiten für die jeweiligen Bauvorhaben und prägt die Änderung qualitativ, sodass es sich nicht mehr um eine Abweichung dessen handelt, was bereits in der ursprünglichen Planung angelegt war. Mit der zentralen Heizanlage werden zum einen umweltbezogene Belange gemäß § 1 Abs. 6 Nr. 7 Buchst. e und Buchst. f BauGB für das Planungsgebiet umgesetzt; zum anderen bedarf es aufgrund des Bestehens einer zentralen Versorgungseinheit einer sorgfältigen Abwägung standortbezogener Emissionen.
Da die Voraussetzungen des § 13 BauGB nicht vorlagen, wurde zu Unrecht von einer Umweltprüfung nach § 2 Abs. 4 BauGB abgesehen und dem Änderungsbebauungsplan kein Umweltbericht nach § 2a Satz 2 Nr. 2 BauGB beigefügt. Dies stellt beachtliche Verfahrensfehler dar, § 214 Abs. 1 Nr. 3 BauGB (vgl. auch BVerwG, U.v. 4.11.2015 – 4 CN 9.14 – BVerwGE 153, 174 unter Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung U.v. 4.8.2009 – 4 CN 4.08 – BVerwGE 134, 264; BayVGH, U.v. 16.02.2021 – 15 N 19.923 – juris Rn. 21; OVG NW, U.v. 8.3.2017 – 10 D 12/16.NE – juris Rn. 43). Im Übrigen liegt auch ein Fall, in dem die Änderung des Bebauungsplans offensichtlich keine erheblichen Umweltauswirkungen hat und deshalb vom Schutzzweck des Gemeinschaftsrechts (vgl. RL 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.6.2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Projekte – PlanUP-RL), der bei der Unbeachtlichkeitsklausel des § 214 BauGB zu berücksichtigen ist (vgl. BVerwG, U.v. 4.11.2015 – 4 CN 9.14 a.a.O), von vornherein nicht erfasst wird, nicht vor. Die Antragsteller haben die fehlerhafte Wahl des vereinfachten Verfahrens innerhalb der Frist des § 215 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 214 Abs. 1 Nr. 3 BauGB gerügt. Dieser Fehler führt zur Gesamtunwirksamkeit des Änderungsbebauungsplans.
2.2 Zwar konnte die Nahwärmeversorgungseinrichtung auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 Nr. 12 BauGB als Anlage zur Versorgung des Gebiets im reinen Wohngebiet zugelassen werden. Die im Änderungsbebauungsplan hierfür getroffenen Maßfestsetzungen genügen aber nicht den Anforderungen des § 16 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO. Dies führt ebenfalls zur Gesamtunwirksamkeit des Änderungsbebauungsplans.
Der Änderungsbebauungsplan weist in seinem südöstlichen Bereich eine Fläche für Versorgungsanlagen (hier: Nahwärmeversorgung) aus und trifft in Gestalt der Festsetzungen zur maximal zulässigen Wand- bzw. Kaminhöhe Regelungen zum Maß der baulichen Nutzung. Gemäß § 16 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO ist im Bebauungsplan bei einer Festsetzung des Maßes der baulichen Nutzung stets die Grundflächenzahl oder die Größe der Grundflächen der baulichen Anlagen festzusetzen. Dabei muss die zulässige Grundfläche für alle Anlagen, die bei der Ermittlung der Grundfläche mitzurechnen sind, festgesetzt werden (vgl. BayVGH, U.v. 10.8.2006 – 1 N 04.1371 u.a. – NVwZ-RR 2007, 447). Bei der Festsetzung des Maßes der baulichen Nutzung darf auf die Festsetzung der Grundflächenzahl oder der Größe der Grundfläche der baulichen Anlagen auch dann nicht verzichtet werden, wenn wie hier eine Versorgungsfläche ausgewiesen wird. Die Sachlage ist insoweit vergleichbar mit der Festsetzung einer überbaubaren Grundstücksfläche gemäß § 23 BauNVO. Während die Festsetzung der zulässigen Grundfläche oder Grundflächenzahl in erster Linie dazu dient, eine übermäßige Nutzung des Grundstücks zugunsten des Bodenschutzes zu vermeiden, regelt die Festsetzung zur überbaubaren Grundstücksfläche mit einer anderen städtebaulichen Zielsetzung den räumlich beschränkten Teilbereich des Grundstücks, auf dem die baulichen Anlagen errichtet werden dürfen (vgl. BVerwG, B.v. 18.12.1995 – 4 NB 36.95 – NVwZ 1996, 894; BayVGH, U.v. 10.3.2014 – 1 N 13.1104 – juris Rn. 18). Selbiges gilt für die Festsetzung einer Versorgungsfläche, bei der ebenfalls nur der räumliche Bereich definiert wird, innerhalb dessen die Anlage errichtet werden kann. Es fehlt daher an der erforderlichen Festsetzung einer Grundfläche für die Nahwärmeversorgungseinrichtung. Selbst wenn sie als Nebenanlage im Sinn des § 14 BauNVO anzusehen wäre, fehlt es an einer wirksamen Grundflächenfestsetzung. Der ursprüngliche Bebauungsplan, der für die Hauptbaukörper maximal zulässige Grundflächen vorgibt, ordnet in den textlichen Festsetzungen B.1 § 2 Abs. 3 an, dass durch Balkone und Terrassen sowie Anlagen nach § 19 Abs. 4 BauNVO die Summe der festgesetzten Grundflächen bis zu einer maximal zulässigen Grundflächenzahl von 0,8 für die Haustypen H1 bis H4 und von 0,7 für den Haustyp 5 überschritten werden darf. Der Bereich der Versorgungsfläche lässt sich aber den Baugrundstücken nicht zuordnen, sondern liegt davon abgegrenzt in der festgesetzten Grünfläche. Das Maß der baulichen Nutzung kann, auch soweit auf die Größe der Grundflächen der baulichen Anlagen abgestellt wird, nur grundstücksbezogen festgesetzt werden (vgl. BVerwG, U.v. 14.6.2012 – 4 CN 5.10 – BVerwGE 143, 192).
Wird gegen § 16 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO verstoßen, hat dies die Unwirksamkeit der getroffenen Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung zur Folge (vgl. BayVGH, U.v. 23.7.2019 – 1 N 16.2190 – juris Rn. 17). Da hier keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass die Fläche für Versorgungsanlagen ohne die Höhenfestsetzungen, aus denen sich mittelbar auch eine Beschränkung der Feuerungswärmeleistung der Nahwärmeversorgungseinrichtung ergibt (vgl. § 19 Abs. 2 44. BImschVO), ausgewiesen worden wäre, führt der Mangel der Grundflächenfestsetzung zur Unwirksamkeit der ausgewiesenen Versorgungsfläche im südöstlichen Bereich des Planungsgebiets und in der Folge zur Gesamtunwirksamkeit des Änderungsbebauungsplans. Die Unwirksamkeit einzelner Festsetzungen führt nur dann nicht zur Gesamtunwirksamkeit eines Bebauungsplans, wenn die übrigen Festsetzungen für sich betrachtet noch eine den Anforderungen des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB gerecht werdende, sinnvolle städtebauliche Ordnung bewirken können und außerdem hinzukommt, dass die Gemeinde nach ihrem im Planungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willen im Zweifel auch einen Plan dieses eingeschränkten Inhalts beschlossen hätte (vgl. BVerwG, U.v. 5.5.2015 – 4 CN 4.14 – NVwZ 2015, 1537 m.w.N.). Die Unwirksamkeit der Regelungen zur Versorgungsfläche betrifft einen zentralen Teil des Planungskonzepts. Es kann offenbleiben, ob der verbleibende Teil der Festsetzungen noch eine den Anforderungen des § 1 BauGB gerecht werdende, sinnvolle städtebauliche Ordnung bewirken kann. Jedenfalls ist nicht anzunehmen, dass die Antragsgegnerin den Änderungsbebauungsplan auch ohne die Festsetzungen zur Nahwärmeversorgungseinrichtung, die wesentlicher Anlass für den Änderungsbebauungsplan war, beschlossen hätte.
Die Antragsgegnerin trägt gemäß § 154 Abs. 1 VwGO als unterlegene Partei die Kosten des Verfahrens. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
Gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO hat die Antragsgegnerin die Entscheidung in Nummer I der Urteilsformel nach Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils in derselben Weise zu veröffentlichen wie den angegriffenen Bebauungsplan (§ 10 Abs. 3 BauGB).