Baurecht

Alternativbegründung des Urteils, Abgrenzung von Innen- und Außenbereich, Bebauungszusammenhang

Aktenzeichen  1 ZB 20.596

Datum:
2.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 10610
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 35 Abs. 2

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 11 K 18.1505 2019-11-05 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 20.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Kläger begehren die Erteilung einer Baugenehmigung für den Neubau eines Wohnhauses mit zwei Wohnungen, Tiefgarage, Carport und Schwimmbad auf dem Grundstück FlNr. …8, Gemarkung E* …
Das Vorhabengrundstück ist mit einem Bestandsgebäude bebaut, an das sich südlich ein Außenschwimmbecken anschließt. Die nördlich und westlich angrenzenden Grundstücke sind mit Wohnhäusern bebaut. Östlich entlang des Grundstücks verläuft die K* … Straße, an deren östlicher Seite das Ufer des Ammersees liegt. Entlang der südwestlichen Grundstücksgrenze verläuft der F* …weg. Die südlich dieses Weges gelegenen Grundstücke FlNr. …3 und …4 sind unbebaut. Das Vorhabengrundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans „Am K* …“.
Mit Bescheid vom 20. Februar 2018 lehnte das Landratsamt den Bauantrag ab. Das Vorhaben widerspreche den Festsetzungen des Bebauungsplans; die beantragten Befreiungen könnten nicht erteilt werden, da die Grundzüge der Planung berührt seien.
Die hiergegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Das Vorhaben sei bauplanungsrechtlich sowohl für den Fall, dass der Bebauungsplan wirksam sei, als auch für den Fall seiner Unwirksamkeit nicht zulässig. Dem Vorhaben ständen bei Wirksamkeit des Bebauungsplans dessen Festsetzungen entgegen, da es die Baugrenzen deutlich überschreite und eine Befreiung nicht in Betracht komme. Bei Unwirksamkeit des Bebauungsplans wäre das Bauvorhaben bauplanungsrechtlich unzulässig, da sich das Vorhaben jedenfalls in den Außenbereich erstrecke. Der Bebauungszusammenhang ende in südlicher Richtung an der Außenwand des Bestandsgebäudes, das Bauvorhaben gehe über diesen Bereich hinaus.
Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) sowie des sinngemäß geltend gemachten Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegen nicht vor bzw. sind nicht dargelegt.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Beruht das angegriffene Urteil auf einer sogenannten Alternativbegründung, d.h. hat das Verwaltungsgericht es offengelassen, welcher von mehreren in Betracht kommenden Gründen die Entscheidung trägt, genügt es, wenn der Zulassungsantrag hinsichtlich einer Alternative einen Zulassungsgrund darlegt (BVerwG, B.v. 26.5.1993 – 4 NB 3.93 – NVwZ 1994, 269; BayVGH, B.v. 30.10.2003 – 1 ZB 01.1961 – NVwZ-RR 2004, 391; OVG MV, B.v. 17.8.2005 – 3 L 27/04 – juris Rn. 5). Das ist hier nicht der Fall. Das Vorbringen der Kläger legt hinsichtlich keiner der beiden Alternativen der bauplanungsrechtlichen Beurteilung einen Zulassungsgrund dar.
Die Richtigkeit der Begründung des Verwaltungsgerichts, wonach dem Vorhaben bei unterstellter Wirksamkeit des Bebauungsplans die Festsetzungen zu den Baugrenzen entgegenstünden und eine Befreiung nicht in Betracht komme, da Grundzüge der Planung der Planung berührt seien, greifen die Kläger nicht substantiiert an. Das Zulassungsvorbringen erschöpft sich hierzu in der Behauptung, dass die Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht zutreffend sei. Eine Auseinandersetzung mit der ausführlichen Begründung des Verwaltungsgerichts (UA S. 7) enthält das Zulassungsvorbringen nicht.
Hinsichtlich der Annahme des Verwaltungsgerichts, dass sich das Vorhaben bei unterstellter Unwirksamkeit des Bebauungsplans jedenfalls in den Außenbereich erstrecke, werden keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit dargelegt. Die Zulassungsbegründung zeigt keine Umstände auf, die eine Zurechnung des gesamtem Vorhabenstandorts zu einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil im Sinn von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB rechtfertigen könnten.
Ein Bebauungszusammenhang ist nach ständiger Rechtsprechung anzunehmen, soweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken nach der Verkehrsauffassung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört. Wie eng die Aufeinanderfolge von Baulichkeiten sein muss, um sich als zusammenhängende Bebauung darzustellen, ist nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden Würdigung der tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten einzelfallbezogen zu entscheiden. Die Grenzlinie zwischen Innen- und Außenbereich muss nicht gradlinig verlaufen, sondern kann grundsätzlich auch vor- und zurückspringen (vgl. BVerwG, B.v. 4.7.1990 – 4 B 103.90 – BayVBl 1991, 473; BayVGH, U.v. 15.6.2021 – 1 B 19.221 – juris Rn. 16). Der Bebauungszusammenhang endet regelmäßig am letzten Baukörper. Örtliche Besonderheiten können es im Einzelfall aber ausnahmsweise rechtfertigen, ihm noch bis zu einem Geländehindernis, einer Erhebung oder einem Einschnitt (Damm, Böschung, Fluss, Waldrand o.ä.) ein oder mehrere Grundstücke zuzuordnen, die unbebaut sind oder trotz des Vorhandenseins von Baulichkeiten sonst nicht zur Prägung der Siedlungsstruktur beitragen (vgl. BVerwG, B.v. 8.10.2015 – 4 B 28.15 – ZfBR 2016, 67; U.v. 30.6.2015 – 4 C 5.14 – BVerwGE 152, 275; B.v. 17.1.2005 – 4 B 3.05 – juris Rn. 7; U.v. 12.12.1990 – 4 C 40.87 – NVwZ 1991, 879). Bebauung im Sinn von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist nicht jede beliebige Anlage. Den Bebauungszusammenhang selbst herstellen oder zu seiner Entwicklung beitragen können nur Bauwerke, die optisch wahrnehmbar sind und ein gewisses Gewicht haben, so dass sie geeignet sind, ein Gebiet als einen Ortsteil mit einem bestimmten Charakter zu prägen. Hierzu zählen grundsätzlich nur Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen. Baulichkeiten, die nur vorübergehend genutzt werden oder in einem weiteren Sinn „Nebenanlagen“ zu einer landwirtschaftlichen, (klein-)gärtnerischen oder sonstigen Hauptnutzung sind, sind in aller Regel keine Bauten, die für sich genommen ein für die Siedlungsstruktur prägendes Element darstellen (vgl. BVerwG, B.v. 16.7.2018 – 4 B 51.17 – NVwZ 2018, 1651; B.v. 5.4.2017 – 4 B 46.16 – ZfBR 2017, 471; U.v. 19.4.2012 – 4 C 10.11 – BauR 2012, 1626; BayVGH, B.v. 13.5.2020 – 1 ZB 19.1663 – juris Rn. 4; B.v. 31.3.2020 – 1 ZB 19.1961 – juris Rn. 5).
Nach diesen Maßstäben ist das Verwaltungsgericht auf der Grundlage der im Rahmen einer Ortseinsicht getroffenen Feststellungen nachvollziehbar davon ausgegangen, dass der Bebauungszusammenhang in Richtung Süden jedenfalls an der Außenwand des Bestandsgebäudes endet. Denn für die Abgrenzung von Innen- und Außenbereich kommt es nicht auf die formalen Grundstücksgrenzen an, sodass ein Teilbereich eines Grundstücks dem Außenbereich zugeordnet werden kann. Das vorhandene Außenschwimmbecken stellt als Baulichkeit, die nicht dem ständigen Aufenthalt von Menschen zu dienen bestimmt ist, keine den Bebauungszusammenhang prägende Bebauung dar. Die Ausführungen im Zulassungsvorbringen unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim vom 26. Juli 2013 (Az. 3 S 241/12) betreffen die Eigenschaft eines Schwimmbeckens als bauliche Anlage im Sinn des § 29 Abs. 1 BauGB und rechtfertigen daher keine andere Beurteilung. Im Übrigen geht das Vorhaben in südöstlicher Richtung auch deutlich über die bisherige Bestandsbebauung hinaus. Das Zulassungsvorbringen zeigt auch nicht auf, dass der südwestlich entlang des Vorhabengrundstücks verlaufende F* …weg städtebaulich eine Zäsur mit der Folge darstellt, dass der Bebauungszusammenhang ausnahmsweise nicht an der südlichen Außenwand des Bestandsgebäudes endet. Der bloße Verweis darauf, dass einem (2 m breiten) Graben eine trennende Wirkung zukommen kann, reicht – unabhängig davon, dass der Graben als natürliche Grenze mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar ist – für die Annahme einer städtebaulichen Zäsur nicht aus. Denn nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts handelt es sich um einen kleinen Weg ohne große verkehrliche Bedeutung, der auch nach den Angaben der Kläger nur eine Breite von insgesamt von 4,20 m aufweist, wovon 2,30 m geteert sind. Das Zulassungsvorbringen setzt dem Eindruck des Verwaltungsgerichts, dass diesem Stichweg keine trennende Wirkung zukommt, nur die eigene gegenteilige Betrachtung entgegen, ohne damit die Auffassung des Verwaltungsgerichts zu erschüttern.
Die Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, dass das beantragte Vorhaben als sonstiges Vorhaben im Außenbereich im Sinn von § 35 Abs. 2 BauGB öffentliche Belange beeinträchtigt (§ 35 Abs. 3 BauGB), wird mit dem Zulassungsantrag nicht in Zweifel gezogen.
2. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich zugleich, dass die Streitsache keine besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufweist, die eine Zulassung der Berufung erforderlich machen würden. Der anzuwendende Maßstab ist hinreichend geklärt; bei der Abgrenzung von Innen- und Außenbereich handelt es sich auch nicht um besonders schwierige Tatsachenfragen.
3. Die Berufung ist auch nicht wegen einer Divergenz nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zuzulassen. Es fehlt bereits an einer Darlegung dieses Zulassungsgrunds (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO), der in der Zulassungsbegründung erwähnt, aber nicht ausgeführt wird.
4. Auch der von den Klägern sinngemäß geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) in Gestalt eines Gehörsverstoßes liegt nicht vor.
Die auf die Versagung einer Schriftsatzfrist gestützte Rüge einer Gehörsverletzung (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) greift nicht durch. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist in diesem Zusammenhang nur dann verletzt, wenn die Verfahrensbeteiligten infolge der Ablehnung einer Schriftsatzfrist nicht die Möglichkeit hatten, sich sachgemäß und erschöpfend zu einem bis zur Entscheidung nicht erörterten rechtlichen Gesichtspunkt zu äußern, den das Gericht zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht hat, und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der der davon betroffene Verfahrensbeteiligte nach dem bis zu diesem Zeitpunkt gegebenen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten. So wird das rechtliche Gehör beispielsweise verletzt, wenn ein Beteiligter in der mündlichen Verhandlung von einem Hinweis des Gerichts überrascht wird, zu dem er nicht sofort Stellung nehmen kann (vgl. BVerfG, B.v. 18.8.2010 – 1 BvR 3268/07 – juris Rn. 30; BayVGH, B.v. 12.4.2021 – 8 ZB 21.23 – juris Rn. 36).
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat das Verwaltungsgericht dem hilfsweise für den Fall der Klageabweisung gestellten Antrag auf Einräumung einer ergänzenden Schriftsatzfrist zu Recht nicht entsprochen. Die anwaltlich vertretenen Kläger hatten in der mündlichen Verhandlung ausreichend Gelegenheit, sich zur bauplanungsrechtlichen Einordnung des Vorhabenstandorts zu äußern. Die Kläger haben erstinstanzlich selbst die Unwirksamkeit des Bebauungsplans geltend gemacht, sodass die Frage nach der bauplanungsrechtlichen Einordnung des am Ortsrand gelegenen Vorhabenstandorts auf der Hand lag. Bei den hier inmitten stehenden Abgrenzungsfragen handelt es sich um baurechtliche Standardprobleme, mit deren Relevanz die anwaltlich vertretenen Kläger zu rechnen hatten. Es war der anwaltlichen Vertretung daher ohne Weiteres zumutbar, sich auch insoweit angemessen auf die mündliche Verhandlung vorzubereiten, um dort umfänglich und sachgerecht Stellung zu nehmen.
Die Kläger haben als Gesamtschuldner die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, weil ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO). Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da sie sich im Zulassungsverfahren nicht geäußert hat (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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