Baurecht

Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage

Aktenzeichen  M 8 S 17.348

Datum:
20.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5, § 114 S. 2
BayBO BayBO Art. 33 Abs. 3 S. 1, Abs. 5, Art. 54 Abs. 4

 

Leitsatz

Mieterschutzrechtliche Gesichtspunkte können in die Ermessenserwägungen, ob die brandschutzrechtliche Ertüchtigung oder eine Nutzungsuntersagung das verhältnismäßigere Mittel ist, nicht einbezogen werden, da es insoweit nur auf den Adressaten der Maßnahme ankommt.

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 19. Dezember 2016 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.500,– EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Anwesens …-Str. 2, Fl.Nr. …, Gemarkung …
Bei einer Feuerbeschau am 18. November 2016 wurden diverse brandschutztechnische Mängel baulicher Art im ersten und zweiten Rettungsweg festgestellt.
Mit Schreiben vom 8. Dezember 2016 wurde die Antragstellerin zu den festgestellten Mängeln angehört und Gelegenheit zur Äußerung bis zum 22. Dezember 2016 gegeben.
Unter dem 19. Dezember 2016 erließ die Antragsgegnerin folgende Verfügung:
1. Folgende Maßnahmen sind im Anwesen …-Str. 2 unverzüglich, spätestens innerhalb von 3 Monaten nach Zustellung dieser Verfügung durchzuführen:
Erster Rettungsweg:
a) Zwischen dem Treppenraum und der Wohneinheit ist eine Wand in feuerhemmender Qualität mit einem mindestens vollwandigen, dicht- und selbstschließenden Abschluss zu erstellen.
b) Die Abschlusstür (Holztür mit Lüftungsöffnung) einschließlich des Rahmens ist zu entfernen, und die entstehende Öffnung durch eine feuerhemmende, rauchdichte und selbstschließende Tür zu ersetzen.
c) Der brennbare Einbau im 1. Obergeschoss des Treppenraumes und aller dort befindlichen Lagerungen sind zu entfernen.
Zweiter Rettungsweg:
d) Im obersten Geschoss des Treppenraumes ist ein leicht zu öffnendes Fenster mit einem freien Querschnitt von mindestens 0,50 m2 einzurichten.
Mögliche Hilfsmittel, wenn das Fenster nicht direkt erreichbar ist:
– Fest am Fenster angebrachte Gestänge
– Fest angebrachte Aufstiegshilfe (z.B. Leiter) direkt neben dem Fenster
– Elektrische oder hydraulische Öffnungseinrichtungen
2. Die sofortige Vollziehung dieser Verfügung wird angeordnet.
3. Für den Fall der nicht fristgerechten Erfüllung der in Ziff. 2 genannten Verpflichtungen werden folgende Zwangsgelder angedroht:
– Für Ziff. 1.a: 2.000,– EUR
– Für Ziff. 1.b: 2.000,– EUR
– Für Ziff. 1.c: 2.000,– EUR
– Für Ziff. 1.d: 5.000,– EUR Zur Begründung wurden die einzelnen, angeordneten Maßnahmen wie folgt erläutert:
Aufgrund der brandschutztechnischen Defizite sei eine Feuerausbreitung zu besorgen, da der notwendige Rettungsweg für drei Aufenthaltsräume im Dachgeschoss des Gebäudes nicht ausreichend gestaltet sei (1.d). Im Dachgeschoss verfüge ein Aufenthaltsraum mit Fenster zur Ostseite des Gebäudes nicht über den notwendigen Öffnungsquerschnitt von 0,60 m x 1 m. Der Öffnungsquerschnitt betrage etwa 0,60 m x 0,40 m. Drei Aufenthaltsräume im Dachgeschoss verfügten nicht über Fenster ins Freie. Unabhängig vom genehmigten Zustand des Dachraumes sei aus brandschutztechnischer Sicht entweder die Nutzung sofort aufzugeben, oder für die ungenehmigte Nutzung im Dachgeschoss ein Bauantrag zu stellen, und für den Bewohner eine Möglichkeit zu schaffen, sodass er im Brandfall rechtzeitig gewarnt werde und sich selbständig in Sicherheit bringen könne, ohne das Eintreffen der Feuerwehr abwarten zu müssen. Dies könnte durch vernetzte Rauchwarnmelder im gesamten Gebäude und einer fest angebrachten Leiter vor einem der Giebelfenster an der Nordseite erfolgen.
Weiterhin wurde ausgeführt, dass die genannten und zu beseitigenden Mängel eine erhebliche Gefahr für Leben und Gesundheit begründeten, weshalb die angeordneten Maßnahmen gemäß Art. 54 Abs. 4 BayBO notwendig seien. Durch die vorhandene Brandlast im Treppenraum (1. OG), die fehlende Abtrennung der Nutzungseinheit zwischen dem Dachgeschoss und dem Treppenraum, dem brennbaren Einbau mit dahinter liegenden brennenden Lagerungen im 1. Obergeschoss und der mangelhaften Tür zum Kellergeschoss sei der erste Rettungsweg im Brandfall nicht sicher-gestellt. Da im Dachgeschoss kein Abschluss zur Nutzungseinheit vorhanden und der zweite Rettungsweg für einige Räume somit nicht gegeben sei, stehe dem Bewohner im Dachgeschoss bei Ausfall des ersten Rettungsweges kein Ersatzflucht Weg zur Verfügung und ein Abwarten auf die Feuerwehr sei nicht möglich. Die praktischen Erfahrungen der letzten Jahre hätten gezeigt, dass sich Brände in Treppenräumen in Verbindung mit Holztreppen und großen Mengen an brennbaren Lagerungen sehr rasch entwickeln könnten.
Die Antragsgegnerin handele auch in pflichtgemäßem Ermessen, da das öffentliche Interesse an der Herstellung ordnungsgemäßer baulicher Zustände gegenüber den privaten Interessen des Adressaten überwiege.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit sei wegen der aktuell bestehenden Gefahrenlage notwendig, da es den Nutzern des Anwesens nicht zugemutet werden könne, auf die Beseitigung der bestehenden Mängel bis zum Abschluss eines eventuell durchzuführenden verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu warten. Das öffentliche Interesse erfordere ein sofortiges Einschreiten gegen den akut gefahrdrohenden Zustand. Die bestehende Gefahr könne sich von Tag zu Tag aktualisieren; aus der Tatsache, dass es in den letzten Jahren nicht gebrannt habe, könne nicht geschlossen werden, dass sich die erhebliche Gefahr auch in Zukunft nicht konkretisiere.
Der Bescheid vom 19. Dezember 2016 wurde der Antragstellerin am 28. Dezember 2016 mit Postzustellungsurkunde zugestellt.
Mit einem am gleichen Tage beim Verwaltungsgericht München eingegangenen Schriftsatz vom 26. Januar 2017 erhoben die Bevollmächtigten der Antragstellerin Klage mit dem Antrag,
den Bescheid der Antragsgegnerin vom 19. Dezember 2016 aufzuheben (M 8 K 17.349).
Gleichzeit beantragten sie gemäß § 80 Abs. 5 VwGO,
die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen Ziff. 1 und 3 bzw. Ziff. 4 des Bescheides vom 19. Dezember 2016 wiederherzustellen bzw. anzuordnen.
Zur Begründung des Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO führten die Bevollmächtigten der Antragstellerin aus:
Diese habe das streitgegenständliche Anwesen mit dem Ziel erworben, das dort befindliche Gebäude abzureißen und ein neues Bauvorhaben zu entwickeln. Bei dem Gebäude handele es sich um ein weitgehend leerstehendes und nur noch teilweise zu Wohnzwecken genutztes Haus mit Erd-, Ober- und Dachgeschoss. Der Abriss des Objektes sei für 2017 geplant. Ein Teil des Dachgeschosses werde von den Herren … und … … seit dem 1. August 1996 bewohnt. Die Nutzung zu Wohnzwecken sei bauordnungsrechtlich nicht genehmigt. Davon gehe auch die Antragsgegnerin in ihrem verfahrensgegenständlichen Bescheid aus (s. dort S. 3 „Die ungenehmigte Nutzung im Dachgeschoss“). Eine Wohnnutzung sei auf dem Areal wegen entgegenstehender Festsetzungen im hierfür geltenden Bebauungsplan Nr. … der Antragsgegnerin im Übrigen auch nicht genehmigungsfähig. Dies gehe aus einer Auskunft hervor, welche die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit Schreiben vom 8. Juni 2016 erteilt habe. Die Pläne der Antragstellerin, auf dem Areal eine Wohnnutzung zu ermöglichen, hätten deshalb aufgegeben werden müssen. Stattdessen solle die von der Antragsgegnerin angeregte Hotelnutzung entstehen. Aufgrund des vorgesehenen Abrisses des streitgegenständlichen Anwesens sei der Mietvertrag der Herren … mit Schreiben vom 26. Februar 2016 durch die Antragstellerin ordentlich gekündigt worden und zwar mit Wirkung zum 31. Oktober 2016. Da bis zu diesem Zeitpunkt kein Auszug erfolgt sei, sei mit Schreiben vom 10. November 2016 erneut eine ordentliche Kündigung durch die Antragstellerin ausgesprochen worden, dieses Mal mit Wirkung zum 31. August 2017.
Mit Schriftsatz vom 12. Januar 2017 sei zudem eine Räumungsklage gegen die Herren … erhoben worden.
Die von den Herren … zu Wohnzwecken genutzten Räumlichkeiten entsprächen in keiner Weise den heutigen Vorstellungen von einer „Wohnung“; sie verfügten über kein Bad und keine Küche, nahezu keine Fenster, nahezu keine Heizung sowie keinerlei Dachdämmung, nahezu keine Türen und seien im Übrigen durch verschiedenste Lagerungen von Unrat weitgehend verwahrlost. Im Nachgang zur Brandbeschau vom 16. November 2016 seien ausweislich eines Gedächtnisprotokolls der Antragstellerin in Gesprächen zwischen dieser und der Antragsgegnerin die geplante Entwicklung des streitgegenständlichen Objektes im nächsten Monat erläutert worden, darunter insbesondere Abriss wegen eines Hotelneubaus, das gekündigte Mietverhältnis und der abbruchreife Gesamtzustand des Gebäudes. Die mit Bescheid vom 19. Dezember 2016 verfügten Maßnahmen würden nach Schätzung der Antragstellerin Kosten von etwa 10.000,– EUR verursachen, wovon offenbar auch die Antragsgegnerin ausgehe, wie die Höhe der verhängten Zwangsgelder belege.
Die Anordnung der Brandschutzmaßnahmen in Ziff. 1 des Bescheides vom 19. Dezember 2016 sei rechtswidrig, da die Antragsgegnerin anstelle dieser Anordnung eine Nutzungsuntersagung hätte aussprechen müssen. Nur mit dieser könnten rechtmäßige Zustände herbeigeführt werden, zumal die Wohnnutzung im verfahrensgegenständlichen Objekt ungenehmigt und wegen der Festsetzungen im geltenden Bebauungsplan Nr. … auch nicht genehmigungsfähig sei. Deswegen habe die Branddirektion in ihrem Schreiben vom 18. November 2016 die sofortige Beendigung der Wohnnutzung als die aus brandschutztechnischer Sicht gebotene erste Alternative aufgeführt. Dies sei der Antragsgegnerin ausweislich der Begründung zum Bescheid vom 19. Dezember 2016 auch bekannt gewesen, wie das Aufzeigen der Alternativen „aus brandschutztechnischer Sicht entweder die Nutzung sofort aufzugeben oder für die ungenehmigte Nutzung …“ (S. 3 des Bescheides) belege. Trotzdem sei das öffentliche Interesse an einer Beendigung baurechtswidriger Zustände bei der Ermessenserwägung nicht eingestellt worden. Dabei sei insbesondere völlig unberücksichtigt geblieben, dass die ungenehmigte Nutzung nicht genehmigungsfähig sei. Es hätte auf der Hand gelegen, dass vorliegend eine Nutzungsuntersagung das Mittel der Wahl hätte sein müssen, zumal neben der ungenehmigten und nicht genehmigungsfähigen Nutzung die Antragstellerin gezwungen werde, bauliche Maßnahmen durchzuführen, deren Kosten in keinem vernünftigen Verhältnis zur Restnutzungsdauer der Räumlichkeiten stünden. Die Antragsgegnerin erwäge auf S. 4 des Bescheides zwar mögliche zivilrechtliche Auswirkungen eines Brandschadens für die Antragstellerin, berücksichtige aber nicht die zivilrechtliche Situation hinsichtlich der gekündigten Wohnnutzung.
Der vorliegende Fall unterscheide sich von dem Normalfall einer Nutzungsuntersagung wegen brandschutztechnischer Mängel dahingehend, dass das Interesse der Antragstellerin gerade nicht auf eine Weiternutzung der vorhandenen Bausubstanz sondern auf deren Abriss gerichtet sei. Hinzukomme, dass sich die Antragstellerin um die Entwicklung einer Wohnnutzung an diesem Standort bemüht habe, den die Antragsgegnerin aber aus verschiedenen Gründen abgelehnt hätte.
Mit Schriftsatz vom 6. Februar 2017 beantragte die Antragsgegnerin, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt:
Das Gebäude und die darin stattfindende Wohnnutzung seien bestandsgeschützt, da insoweit eine baurechtliche Genehmigung vom 4. Dezember 1959 vorliege. Die in der Verfügung getroffenen Anordnungen seien zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit erforderlich gewesen. Es lägen eklatante Verstöße gegen bauordnungsrechtliche Brandschutzvorschriften vor. Die Verfügung wahre auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die von der Antragstellerin gewünschte Nutzungsuntersagung sei kein milderes Mittel. Die Gefahr für Leib und Leben könne durch die in der Verfügung angeordneten Maßnahmen beseitigt werden, ohne dass dem Mieter sein Lebensmittelpunkt genommen werde. Ob der Mieter seine Wohnung räumen müsse oder nicht, sei zivilrechtlich zu klären. Es sei nicht Aufgabe der Bauaufsichtsbehörde, die von der Eigentümerin gewünschte Räumung schneller und kostengünstiger herbeizuführen. Dies würde zu einer Umgehung der mietschutzrechtlichen Vorschriften führen. Die Nutzungsuntersagung sei grundsätzlich das letzte Mittel und nur dann anzuordnen, wenn kein milderes Mittel zur Beseitigung der brandschutztechnischen Mängel gegeben sei. Zu berücksichtigen sei dabei auch, dass die Antragstellerin das Gebäude in Kenntnis des maroden Zustandes erworben habe. Die entstehende finanzielle Belastung führe nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Verfügung, da sich die Antragstellerin schon deswegen nicht mit Erfolg darauf berufen könne, weil diese hinter den Rechtsgütern „Leben“ und „Gesundheit“ zurücktreten müsse. Entgegen der Behauptung der Antragstellerin lägen eine genehmigte Wohnnutzung und ein rechtsgültiges Mietverhältnis vor, sodass bei einer Umsetzung der angeordneten Maßnahmen ein rechtmäßiger Zustand geschaffen werden würde. Da bei einer Nutzungsuntersagung der Mieter hingegen wohnungslos werde, sei es aus Sicht der Bauaufsichtsbehörde daher das mildere Mittel, durch die geforderten baulichen Maßnahmen die Gefahr für Leben und Gesundheit zu beseitigen und zugleich Wohnraum zu erhalten.
Mit Schriftsatz vom 15. Februar 2017 replizierten die Bevollmächtigten der Antragstellerin auf den Vortrag der Antragsgegnerin und führten aus:
Der Standpunkt der Antragsgegnerin, hinsichtlich einer bestehenden Baugenehmigung für die Wohnnutzung im Dachgeschoss des streitgegenständlichen Objektes verwundere, da die Antragsgegnerin ausweislich des streitgegenständlichen Bescheides bisher von einer ungenehmigten Nutzung ausgegangen sei. Die Umsetzung der unter Ziff. 1a aufgegebenen Maßnahme würde in den vermieteten Bereich des Objektes eingreifen, da der Mietvertrag auch den Flur umfasse. Die Umsetzung dieser Maßnahme sei der Antragstellerin nicht möglich, da der Mieter Herr … der Antragstellerin über seine Prozessbevollmächtigten ein Hausverbot erteilt habe. Soweit ersichtlich sei eine Duldungsverfügung gegenüber dem Mieter nicht ausgesprochen worden.
Weiterhin wurden im Schriftsatz vom 15. Februar 2017 detaillierte Ausführungen zum Ermessensdefizit der Antragsgegnerin gemacht und dargelegt, dass die im Schriftsatz vom 6. Februar 2017 angeführten Gründe im Rahmen des § 114 Satz 2 VwGO nicht mehr nachgeschoben werden könnten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts-, die vorgelegte Behördenakte und das schriftsätzliche Vorbringen der Beteiligten im Einzelnen verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag hat auch in der Sache Erfolg.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung wiederherstellen bzw. anordnen. Soweit die Behörde die sofortige Vollziehung angeordnet hat (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) kommt der Überprüfung der behördlichen Begründung für die Anordnung des Sofortvollzuges gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO in der Regel eine besondere Bedeutung zu.
Weiterhin trifft das Gericht eine eigene, originäre Ermessensentscheidung. Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung kommt bei der Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung und dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin der summarischen Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache erhebliches Gewicht zu.
Allerdings ist eine Prüfung der Begründung für die Anordnung des Sofortvollzuges vorliegend entbehrlich, da diese Interessenabwägung zu Lasten der Antragsgegnerin ausgeht, weil die Anfechtungsklage gegen den streitgegenständlichen Bescheid vom 19. Dezember 2016 voraussichtlich erfolgreich sein wird.
1. Die Verfügung vom 19. Dezember 2016 ist rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), weshalb schon aus diesem Grund die Anordnung des Sofortvollzugs keinen Bestand haben kann.
1.1 Rechtsgrundlage für die mit Bescheid vom 19. Dezember 2016 angeordneten bauaufsichtlichen Brandschutzmaßnahmen ist Art. 54 Abs. 4 BayBO, dessen Tatbestandsvoraussetzungen zwar nach summarischer Prüfung vorliegen dürften.
Art. 54 Abs. 4 BayBO erlaubt der Bauaufsichtsbehörde auch bei bestandsgeschützten Anlagen Anforderungen zu stellen, wenn das zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit notwendig ist.
Eine erhebliche Gefahr i.S.v. Art. 54 Abs. 4 BayBO ist anzunehmen, wenn die Gefahr oder der Nachteil schwerwiegend und nachhaltig ist, wobei es auf die objektiven Gegebenheiten und nicht auf subjektive Empfindlichkeiten ankommt. Es muss sich dabei um eine konkrete Gefahr handeln (BayVGH, B.v. 20.5.2009 – 14 CS 09.478 – juris; B. v. 21.6.2011 – 14 CS 11.790 – juris). Für die Feststellung, dass eine erhebliche Gefahr vorliegt, wird es immer auf die Beurteilung der konkreten Situation vor Ort ankommen. Das Vorliegen einer konkreten Gefahr in Bezug auf den Brandschutz wird unter anderem dann zu bejahen sein, wenn die nach Art. 31 Abs. 1 BayBO für Nutzungseinheiten mit Aufenthaltsräumen regelmäßig geforderten zwei unabhängigen Rettungswege überhaupt nicht vorhanden sind oder wenn nur ein Rettungsweg vorhanden und mit Mängeln behaftet ist, die im Brandfall mit hinreichend großer Wahrscheinlichkeit zur vorzeitigen Unbenutzbarkeit führen (vgl. hierzu auch Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 25.7.2011 – IIB7- 4112.420-013/11, S. 2 Ziffer 1.2). Den Maßstab für die Eingriffsschwelle bildet dabei der allgemeine sicherheitsrechtliche Grundsatz, dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. BayVGH, U. v. 16.1.1997 – 22 B 96.3491, Rn. 20; B. v. 29.11.2011 – 14 CS 11.2426, Rn. 19 – juris). Bei den in Art. 54 Abs. 4 BayBO genannten Rechtsgütern Leben und Gesundheit kann es aufgrund deren hohen Stellenwerts im Normalfall genügen, wenn die Möglichkeit eines Schadenseintritts nach einer auf konkreten Tatsachen beruhenden Prognose nicht von der Hand zu weisen ist (vgl. Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 54, Rn. 49; BayVGH, B. v. 17.1.1989 – 15 CS 88.3477). Danach müssen hinreichende Anhaltspunkte vorliegen, die den Schluss auf den drohenden Eintritt von Gefahren rechtfertigen.
1.2 Bei der Feuerbeschau am 18. November 2016 wurden Mängel festgestellt, die im Brandfall konkrete Gefahren für Leben und Gesundheit von Menschen begründen.
1.2.1 Durch das Fehlen einer feuerhemmenden Wand zwischen dem Treppenraum und der Wohneinheit im Dachgeschoss – entgegen Art. 33 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BayBO – kann im Brandfall Feuer, Strahlungswärme und Brandrauch ungehindert in den Treppenraum eindringen, wodurch der erste Rettungsweg (Art. 33 Abs. 1 Satz 1 BayBO) unbenutzbar wird (vgl. Ziff. 1 Buchstabe a) bis c)).
Eine gleichartige Folge hat die entgegen Art. 33 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 BayBO nicht ausreichend feuerwiderstandsfähige und nicht dichtschließende Abschlusstür zwischen dem Kellergeschoss und dem Treppenraum und der im 1. Obergeschoss des Treppenraumes befindliche und Art. 33 Abs. 5 BayBO widersprechende brennbare Einbau.
1.2.2 Auch die Mängel des zweiten Rettungsweges (vgl. Ziff. 1 Buchstabe d) des streitgegenständlichen Bescheides) begründen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit von Bewohnern und eventuellen Besuchern, zumal der erste Rettungsweg erhebliche Defizite aufweist. Das Nichtvorhandensein eines zweiten Rettungsweges – dessen Notwendigkeit sich aus Art. 31 Abs. 1 BayBO ergibt – für mehrere Aufenthaltsräume im Dachgeschoss hat zur Folge, dass sich im Brandfall Personen nur über den mit massiven brandschutztechnischen Defiziten belasteten Treppenraum retten können bzw. gerettet werden können; dies bedeutet ebenfalls eine nicht hinnehmbare brandschutztechnische Gefahr.
Die am 18. November 2016 festgestellten Verstöße gegen brandschutzrechtliche Vorschriften stellen somit auch zur Überzeugung des Gerichts eine erhebliche Gefahr im Sinne von Art. 54 Abs. 4 BayBO dar. Dabei bedarf es keiner tiefer gehenden Erörterung, wie hoch oder niedrig die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen Brandes ist. Im Falle eines solchen wären die zu erwartenden Schäden für Personen und Sachen jedenfalls mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verheerend, sodass die Eingriffsschwelle für ein Tätigwerden der Antragsgegnerin nach summarischer Prüfung erreicht ist (vgl. VG Ansbach, B.v. 2.9.2016 – AN 9 S. 16.01235 – juris Rn. 38).
2. Trotz dieser festzustellenden erheblichen Gefahr durch die brandschutztechnischen Mängel im ersten und zweiten Rettungsweg entsprechen die bauaufsichtlichen Anordnungen der Antragsgegnerin im Bescheid vom 19. Dezember 2016 nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Zwar ist der Antragsgegnerin insoweit zuzustimmen, dass im Regelfall die Anordnung von Maßnahmen zur brandschutztechnischen Ertüchtigung der Rettungswege das mildere und damit verhältnismäßiger Mittel ist die Gefahren zu beseitigen.
Allerdings ist vorliegend kein solcher Regelfall gegeben.
2.1 Zum einen handelt es sich bei der Wohnnutzung im Dachgeschoss des streitgegenständlichen Gebäudes – entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin – nicht um eine genehmigte Nutzung.
Zwar wurden mit der Baugenehmigung vom 4. Dezember 1959 (Plan-Nr. …*) ausweislich des Grundrissplanes zwei Wohnungen im Dachgeschoss – jeweils mit 1 Küche und 1 WC und 3 Zimmern, kein Bad – genehmigt. Die nachfolgende Baugenehmigung vom 1. Dezember 1969 (Plan-Nr. … bzw. Plan-Nr. der Tekturklappe …*) umfasste diese Wohnungen nicht mehr. Vielmehr findet sich dem hier genehmigten Grundrissplan des Dachgeschosses lediglich ein als „Zimmer“ bezeichneter, äußerst kleiner Raum mit 2,60 m x 3 m Grundfläche. Im Übrigen ist hier in der Dachgeschossebene lediglich „Speicher“ eingezeichnet.
Da die Baugenehmigung vom 1. Dezember 1960 im Betreff „Anbau, Aufstockung und bauliche Änderungen“ benennt, ebenso wie der dazugehörige Bauantrag, ist davon auszugehen, dass es sich hierbei um eine Änderungsgenehmigung der vorherigen Baugenehmigung vom 4. Dezember 1959 handelt, sodass nur noch die Baugenehmigung vom 1. Dezember 1960 Gültigkeit besitzt, da die Baugenehmigung vom 4. Dezember 1959 durch die vom 1. Dezember 1960 – soweit Letztere gegenüber der zugrunde liegenden Änderungen enthält – abgeändert wurde bzw. in dieser aufgegangen ist.
Tatsächlich waren in der Baugenehmigung vom 1. Dezember 1960 gegenüber der vom 4. Dezember 1959 – abgesehen von den Änderungen im Dach-geschoss – Grundriss- und Nutzungsänderungen im Erdgeschoss und 1. Obergeschoss, Veränderungen einiger Fensteröffnungen sowie ein Anbau im Erdgeschoss vorgesehen, sodass nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Genehmigung vom 1. Dezember 1960 nicht in Abänderung der Baugenehmigung vom 4. Dezember 1959 als selbständige Baugenehmigung ergangen sein könnte.
Da die zuletzt erteilte, gültige Baugenehmigung vom 1. Dezember 1960 nicht die Nutzung des Dachgeschosses mit zwei Wohnungen umfasste, handelt es sich vorliegend bei der aktuellen Nutzung nicht um eine genehmigte Wohnnutzung.
Ob diese Wohnnutzung im Dachgeschoss des Gebäudes …-Str. 2, das nach dem Bebauungsplan Nr. … vom 8. Juli 1997 in dem so bezeichneten „MK 2“ (Kerngebiet) liegt, genehmigungsfähig ist, erscheint fragwürdig, da nach § 2 Abs. 2d der textlichen Fassung des Bebauungsplanes Nr. … hier im Dach- bzw. Terrassengeschoss Wohnungen nur zulässig sind, wenn für sie ausreichende Maßnahmen zum Schutz vor Außenlärm bei schutzbedürftigen Aufenthaltsräumen getroffen sind. Im Übrigen ist nach § 2 Abs. 2a des Bebauungsplanes Nr. … „Wohnen“ auch nicht ausnahmsweise zulässig.
Es widerspricht wohl jeder Lebenserfahrung, dass bei dem Ausbau des Dachgeschosses mit zwei Wohnungen – die nicht einmal ein Bad aufweisen – Lärmschutzmaßnahmen im Sinne des § 2 Abs. 2b des Bebauungsplanes Nr. … getroffen worden sind. Es ist daher wohl davon auszugehen, dass die beiden Dachgeschosswohnungen im streitgegenständlichen Anwesen auch nicht genehmigungsfähig sind.
Da die Antragsgegnerin somit von falschen Voraussetzungen ausgegangen ist – sowohl im Bescheid vom 19. Dezember 2016 als auch im Schriftsatz vom 6. Februar 2017 wurde auf eine genehmigte Wohnnutzung abgestellt – konnte sie das ihr von Art. 54 Abs. 4 BayBO eingeräumte Auswahlermessen bezüglich der zu treffenden Anordnungen nicht rechtmäßig ausüben. Vielmehr kommt bei einer nicht genehmigten und wohl nicht genehmigungsfähigen Nutzung im Rahmen des Art. 54 Abs. 4 BayBO ausschließlich eine Nutzungsuntersagung in Betracht. Dies gilt gleichermaßen, wenn die Genehmigungsfähigkeit zumindest erheblichen Zweifeln unterliegt.
Der Bescheid vom 19. Dezember 2016 ist bereits aus diesem Grunde voraussichtlich rechtswidrig.
2.2 Eine Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Bescheides ergäbe sich aber auch dann, wenn die Wohnnutzung im Dachgeschoss genehmigt oder offensichtlich genehmigungsfähig wäre.
Im Hinblick auf die der Antragsgegnerin bekannte Absicht der Antragstellerin, das Gebäude abzureißen und neu zu bauen, ist eine brandschutztechnische Ertüchtigung, die – wie von der Antragstellerin unwidersprochen behauptet – etwa 10.000,– EUR kosten würde, völlig unverhältnismäßig.
Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist – entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin – ausschließlich auf den Adressaten der Verfügung abzustellen und nicht auf etwaige Auswirkungen der zu treffenden Maßnahme auf Dritte – hier die Mieter.
Soweit die Antragsgegnerin einerseits erklärt, dass die Kündigung des zivil-rechtlichen Mietvertrages öffentlich-rechtlich nicht berücksichtigt werden könne (vgl. Schriftsatz v. 6.2.2017, S. 5 unten und S. 6 oben), andererseits aber das Mietverhältnis zur Grundlage ihrer Entscheidung gemacht hat (vgl. Schriftsatz v. 6.2.2017, S. 4 unten, „Durch die in der Verfügung angeordneten Maßnahmen kann die Gefahr für Leib und Leben beseitigt werden, ohne dass dem Mieter sein Lebensmittelpunkt genommen wird“), muss ihr eine klar widersprüchliche Argumentation entgegengehalten werden.
Abgesehen davon ist es nicht Aufgabe des Bauordnungsrechts und damit der Bauaufsichtsbehörden, Mieterschutz zu betreiben, zumal nach Überzeugung des Gerichts die mieterschutzrechtlichen Vorschriften hierfür völlig ausreichend sind. Gegebenenfalls muss die Antragstellerin kurzfristig auf ihre Kosten eine anderweitige Unterbringung der Mieter organisieren, ganz abgesehen von möglichen Schadensersatzansprüchen der Mieter bei einer Verletzung des – soweit noch gültigen – Mietvertrages.
Unabhängig von diesen Feststellungen begründet auch das Zeitmoment eine klare Unverhältnismäßigkeit. Den Mietern wurde bereits zum 31. Oktober 2016 erstmals ordentlich gekündigt. Da offensichtlich bis zu diesem Zeitpunkt kein Auszug erfolgte, wurde mit Schreiben vom 10. November 2016 eine weitere ordentliche Kündigung zum 31. August 2017 ausgesprochen und mit Schriftsatz vom 12. Januar 2017 Räumungsklage erhoben, mit den Anträgen, die Mieter zu verurteilen, die Wohnungen zu räumen und an die Klägerin herauszugeben, hilfsweise diese bis zum 31. August 2017 zu räumen und an die Klägerin herauszugeben.
Da der Antragstellerin für die Umsetzung der angeordneten Maßnahmen eine Frist bis zum 28. März 2017 eingeräumt wurde – 3 Monate nach Zustellung des Bescheides – würden diese Maßnahmen mit einem Aufwand von etwa 10.000,– EUR lediglich für einen Zeitraum vom 5 Monaten Bestand haben. Dies ist der Antragstellerin unter den gegebenen Umständen in keiner Weise zumutbar.
Die Antragsgegnerin hat auch von diesen Umständen zum Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheides Kenntnis gehabt, wie die Antragstellerin im Hinblick auf die im Vorfeld mit der Antragsgegnerin besprochenen Abriss- und Neubaupläne für das streitgegenständlichen Grundstück nachvollziehbar belegt hat.
Dem Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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